Ingo Teßmann
Mai 2010
Seit den 1980er Jahren ist von England ausgehend eine weltweite Renaissance der Literatur Jane Austens zu beobachten. Mit Beginn der BBC-Verfilmungen für das Fernsehen und ergänzt durch die Hollywood-Filme für das große Kino, sind vor allem die lesefreudigen Frauen motiviert worden, sich wieder mit den Klassikern Jane Austens zu beschäftigen. Und den Fantasy-begeisterten Mädchen der gegenwärtigen POP-Kultur hat die Bestseller-Autorin Stephenie Meyer mit der Vampirromanze ihrer Twilights-Tetralogie einen weiteren Anlass geboten, sich den Teenager-Träumen von der großen Liebe hinzugeben. Vor 40 Jahren waren es Simone de Beauvoir und Virginia Woolf, die ihre Leserinnen mit den literarischen und gelebten Perspektiven eines selbstbestimmten Lebens jenseits der Liebesromantik und des patriarchalen Ehegefängnisses faszinierten. Der Wandel von der bewusstseinserweiternden Emanzipationsbewegung der 1960er Jahre zur phantastischen Rückwendung an die mythologischen Traditionen, ist in Verbindung mit der neokonservativen Reaktion auf die kulturellen Befreiungsbewegungen der damaligen Jugend zu sehen.
Neben der Rückwendung zur vermeintlich guten alten Zeit geht von den Romanen Jane Austens aber auch ein Impuls zur Frauenbefreiung aus, der über die Literatur Virginia Woolfs bis hin zur Fantasy Stephenie Meyers und der Liebestrilogie Zeruya Shalevs reicht. Im Fortgang der Reflexion und Rezeption ausgewählter Werke Austens und Woolfs werden Beziehungen hergestellt zur Frauenliteratur der Gegenwart. Knüpft Meyer eher unkritisch an die Mädchen-Träume von der großen Liebe an, die ihre Erfüllung nur in der gesellschaftlich sanktionierten Ehe finde, thematisiert Shalev die Probleme des Zusammenlebens zwischen Frau und Mann auch jenseits des vermeintlichen Eheglücks. Eine wie schon Virginia Woolf die Tradition und ihre Situation kritisch reflektierende Intellektuelle der Gegenwart ist Juli Zeh, die neben dem gesellschaftlichen Kontext auch wissenschaftliche Theorien in ihren Romanen verarbeitet und ihre Gedanken darüber hinaus in Essays und Reportagen präsentiert.
Nach der überblicksartigen Darstellung einiger Entwicklungslinien in der Literatur der letzten 200 Jahre, harren folgende Fragen der Beantwortung: Was veranlasste Jane Austen zum Schreiben ihrer Romane und was machte sie zu einer Klassikerin der englischsprachigen Literatur? Warum gibt es ein seit nunmehr einem viertel Jahrhundert anhaltendes, erneutes Interesse an ihren Werken? Was sind die Gründe für die erfolgreiche weltweite Popularisierung ihrer Bücher durch Filme, Sekundär- und Fantasy-Literatur? Im Vergleich Austens mit Woolf und Zeh einerseits sowie mit Meyer und Shalev andererseits zeigt sich, dass es die gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklugen sind, die ein je verschiedenes Rezeptionsmilieu schaffen, das eher ästhetisch-erkenntniskritische Literatur oder moralisch-religionskonforme Fantasy begünstigt. Inwieweit sich beide Literaturströmungen in einem crossover gleichsam zu ergänzen vermögen, wird abschließend mit Bezug zur dritten Welle der Frauenbewegung problematisiert.
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