Hundert Jahre nach dem Vampir von Ropraz arbeitet Karen Joy Fowler an ihrem Buch The Jane Austen Book Club, Stephenie Meyer beschwört das Twilight herauf und John Ajvide Lindqvist schreibt gleichsam über die Mahnung einer Mutter an ihr Kind: Let the right one in. Das Kind liest darin die Thriller Stephen Kings, der sich in Shining auf Poe, Goya und - Walpole bezieht. Kings Shining verlegt das Grauen in The Castle of Otranto auf das vereinsamte Overlook Hotel. In Northanger Abbey hatte sich Austen bereits ironisch über die Lesesucht ihrer Zeitgenossinnen lustig gemacht, wenn es darum ging, sich von Schauergeschichten gruseln zu lassen. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer, hatte Goya gemahnt. Austen ließ die Ungeheuer der nächtlichen Alpträume im hellen Licht der Aufklärung verschwinden und ebenso spielerisch leicht nimmt Fowler sie im PROLOGUE zu ihrem Club: Bernadette was our oldest member, just rounding the bend of sixty-seven. She'd recently announced that she was, officially, letting herself go. ``I just don't look in the mirror anymore,'' she'd told us. ``I wish I'd thought of it years ago. ... Like a vampire,'' she added, and when she put it that way, we wondered how it was that vampires always managed to look so dapper. It seemed that more of them should look like Bernadette. Die meisten Amerikanerinnen kennen Vampire 2003 offensichtlich nur aus Fernsehserien oder den Büchern Rice's bzw. einer ihrer Verfilmungen: Interview with a Vampire. Und ebenso hat Coppola in seinem Film Bram Stoker's Dracula den bei Stoker eher abstoßend finster und wölfisch behaart geschilderten Vampir zumeist als attraktiven jungen Adligen inszeniert. Ja, wen interessieren heute noch Klassiker und Filmkunst? In den USA dürften Stoker's Dracula sowie Murnau's und Herzog's Nosferatu weitgehend unbekannt sein. Und in Deutschland wachsen die Kleinen mit den Büchern und der Fernsehserie Der kleine Vampir auf, an deren Folgen Angela Sommer-Bodenburg seit 1979 schreibt. Die Kinderbücher sind bereits in 30 Sprachen übersetzt worden und sollen weltweit eine Auflage von rund 12 Millionen erreicht haben.
Zu den Kinderbüchern zählt auch Alice in Wonderland, der zweite Klassiker auf den Fowler
vorab Bezug nimmt, indem sie das jüngste Clubmitglied von 28 Jahren wie folgt charakterisiert:
Prudie had a dramatic face, deep-set eyes, white, white skin, and shadowed cheeks. A tiny mouth
and lips that almost disappeared when she smiled, like the Cheshire Cat, only opposite. She taught
French at the high school and was the only one of us currently married. Die Katze verschwand hinter
ihrem Lächeln, während Prudie anscheinend mit dem Gesicht lächeln konnte. Das Lieblingsbuch
der Jüngsten im Club war Persuation und die Älteste favorisierte Pride and Prejudice.
Zwei weitere Mitglieder waren Anfang 50 und schon seit ihrer Schulzeit befreundet: Jocelyn
und Sylvia. Pikanterweise hatte Jocelyn seinerzeit ihren Verehrer Daniel an ihre
Freundin weiter gereicht, weil sie sich lieber mit Hunden als mit Männern beschäftigte. ... Da
sich Daniel nun aber seit über 30 Jahren Ehe von Sylvia scheiden ließ, hielt ihre
Freundin es für eine gute Sache, sie durch die Gründung eines Buchclubs abzulenken. Beginnen
sollte der mit Emma, ``because no one has ever read it and wished to be married.'' Zwei
fehlten noch im Bunde zur Besprechung der sechs Hauptwerke Austen's. Zum Glück hatte Sylvia
eine Tochter von 30 Jahren, Allegra, die zum Mitmachen überredet werden konnte und sich
für Sense and Sensibility begeisterte. Ihrer Mutter gefiel Mansfield Park am Besten
und so fehlte nur noch ein Mitglied zur Vervollständigung des Clubs. Um Sylvia nicht nur
auf andere Gedanken zu bringen, sondern ihr womöglich gleich noch einen neuen Mann präsentieren
zu können, dachte Jocelyn ernsthaft darüber nach, als sechstes und letztes Clubmitglied ein
männliches Wesen passenden Alters teilnehmen zu lassen. Bernadette hielt allerdings dagegen:
``I think we should be all woman. The dynamic changes with men. They pontificate rather
than communicate. They talk more than their share.'' Aber Jocelyn ließ nicht locker und
schlug einen eigentlich völlig unpassenden Mann vor, Grigg, den sonst niemand kannte. Aber
gerade deshalb war er es wohl, der schließlich tatsächlich teilnehmen konnte. Grigg was a
neat, dark-haired man in his early forties. ... Grigg was too young for some of us, too old for
the rest. His inclusion in the club was mystifying. Da Männer sich sowieso lieber für Horror
und SciFi interessieren, als Frauenbücher zu lesen, würde Northanger Abbey der passende
Kompromiss für ihn sein - und so konnte es beginnen. Das erste Clubtreffen sollte im Haus
Jocelyn's stattfinden.
Mit dem Frühlingserwachen im MARCH diskutieren die Clubmitglieder CHAPTER ONE, den Roman Emma, aus dem Fowler ein Zitat entnimmt, das sie ihrem Buch als Motto voranstellt: Seldom, very seldom does complete truth belong to any human disclosure; seldom can it happen that something is not a little disguised, or a little mistaken. Die ganze Wahrheit menschlicher Beziehungen bleibt stets verborgen, ebenso ihr Sinnumfang und Gefühlsreichtum. Und wenn schon die Beteiligten sich nie gänzlich über ihre Situation klar werden können, wie sollte es dann Außenstehenden möglich sein? ``Why isn't Knightley more appealing?'' Jocelyn began. ``He has so many good qualities. Why don't I warm up with him?'' Allegra sah das ähnlich und Prudie stimmte ebenfalls zu: ``No passion at all.'' Und Grigg? Der räusperte sich und erhob eine Hand, um etwas an den Fingern abzählen zu können: ``One thing I notice about Emma is that there's a sense of menace. ... The violent Gypsies, the unexplained pilferings. Jane Fairfax's boat accident. All Mr. Woodhouse's worries. There's a sense of threat hovering on the edges. Casting its shadow.'' Die Lehrerin sah das natürlich anders und Allegra verwies ihn wieder in seine Schranken: ``Austen's whole point is that none of those things is real. There is no real threat.'' ``I'm afraid you've missed the whole point,'' said Allegra. Aber hatte sie es nicht vielleicht ironisch gemeint? Gute Bücher erlauben viele Lesarten. Um ein Lehrerin/Schüler-Verhältnis zu vermeiden, wechselte Jocelyn umsichtig das Thema: ``I read once that the Emma plot, the humbling of a pretty, selfsatisfied girl, is the popular plot of all time.'' ... ``But I think what we're supposed to see,'' said Prudie, ``is not the lack of passion so much as the control of it. That's one of Jane's favorite themes.'' She smiled and her lips waned. Bernadette stimmte ihr zu, die Gefühlskontrolle durchziehe ihr ganzes Werk: Good point, Prudie. Knightley is violently in love ... but he is so much the gentleman that even this can't make him behave badly.'' Die jüngere Allegra sah das anders: He is a scold. ... I don't find that so gentlemanly.'' Aber war nicht Emma die Hauptfigur? Schließlich sei Emma der einzige Roman Austen's, den sie nach dem Namen der Heldin benannt habe, ergänzte Jocelyn, nachdem Sylvia hervorgehoben hatte: Emma's the hard one to defend. She's adorable, but she's also an unrepentant snob.'' Und wie verhielt es sich mit Frank Churchill? Bernadette hegte Sympathie mit ihm. ``He's neither a good man like Knightley nore a bad one like Elton. ... He's complicated. I like that about him. ... He needs the subterfuge, and he can see that Emma won't misunderstand it.'' Aber konnte er sich da sicher sein? ``That's just exactly what people are always misunderstanding,'' gab Jocelyn zu bedenken und fasste zusammen: Harriet thinks that Knightley likes her. Emma thinks that Elton doesn't like her. The book is full of people getting that wrong.'' Und zu den persönlichen Missverständnissen kamen noch die sozialen Klassenunterschiede: ``What makes me unhappiest about Emma,'' said Allegra, ``are the class issues about your friend Harriet.'' Aber die Lehrerin wiegelte ab mit dem Hinweis auf Jane's Ironie. Und wie stand es mit Austen's Eheverständnis, wollte Sylvia abschließend wissen: How could I have let myself forget that most marriages end in divorce? ... You don't learn that in Austen. She always has a wedding or two at the end.'' Ja, Sylvia hatte sich gerade zu entlieben und Allegra neigte dem gleichen Geschlecht zu; wobei sie nichts gegen Männer hatte, nur ihre Körper gefielen ihr nicht ... Und ging es nicht auch bei Austen stets um weibliche Sensibilität und schöne Poesie im Gegensatz zu männlichem Verstandesdünkel und schnöder Ökonomie?
Im wechselhaften APRIL steht CHAPTER TWO, Sense and Sensibility, auf dem Programm. Fowler hebt an mit a partial list of things not found in the books of Jane Austen: locked-room murders, punishing kisses, girls dressed up as boys (and rarely the reverse), spies, serial killers, cloaks of invisibility; Jungian archetypes, most regrettably; doppelgängers; cats. But let's not focus on the negative. ``I don't think there's anything better in all of Austen than those pages where Fanny Dashwood persuades her husband, step by step by step, not to give his stepmother and sisters any money.'' Bernadette said. Diesmal sah Grigg keine unterschwellige Gefahr dräuen; er fühlte sich eher in ein Märchen versetzt: ``The whole beginning sequence has something of a fairy tale about it. ... With a lovely twist. Once upon a time, after the death of her beloved husband, a gentle stepmother was forced to live in a house ruled by her wicked stepdauhter.'' Gerade mit der Gütertrennung ihrer Scheidung befasst, stellte Sylvia den patriarchalen Kontext her: ``In fact, in a society where money passes to the eldest son, this can't have been an unusual case? But how often does it appear in books? The problems of older woman don't interest most writers. Trust Miss Austen!'' Den Märchenaspekt in den Romanen Austens fand sie darüber hinaus äußerst treffend: Pride and Prejudice as ``Beauty and the Beast.'' Persuation as ``Cinderella,'' et cetera, et cetera. Neben Aschenputtel gab es bei Austen auch Rotkäppchen oder - den Wolf im Schafspelz: ``Sense and Sensibility features one of Austen's favorite characters - the handsome debaucher,'' Jocelyn said. ``She's very suspicious of good-looking men, I think. Her heroes tend to be actively nondescript.'' Mit der Ausnahme Darcy's, warf Prudie sogleich ein. Allegra's Liebhaberin Corinne nahm gerade an einem Schreibkurs teil und so sprachen sie ständig about point of view and pacing and deep structure ebenso wie über Stil und Wortwahl, Bildsprache und Metaphorik. ``Everything in Austen is on the surface,'' Allegra said. ``She's not a writer who uses images. Image is the way to bring the unsaid into the text. With Austen, everything is said.'' Das konnte die Lehrerin natürlich nicht so stehen lassen und entgegnete entschieden: ``Half of what Jane says is said ironically. Irony is a way of saying two things at once.'' Was blieb einer Feministin im Partriarchat auch anderes übrig, als ironisch zu sein? Etwas ernsthaft auszudrücken, aber nicht ernst zu meinen, war erlaubt. Den gegenteiligen Humor konnten sich seinerzeit nur Männer herausnehmen.
Im Wonnemonat MAY geht es weiter mit CHAPTER THREE durch Mansfield Park. Und was sind die Hauptthemen im Garten Eden? Sicherheit und Erinnerung? Fowler leitet das Kapitel mit folgendem Zitat ein: Her perfect security in such a tête-à-tête ... was unspeakably welcome to a mind which had seldom known a pause in its alarms or embarrassments. Hat ein Leben in Unsicherheit das Streben nach Sicherheit zur Folge? Der persönlichen Geschichte geht die Menschheitsgeschichte voran. Und wie steht es mit ihrer Aufzeichnung? Ist sie so wandelbar und gesellschaftsabhängig wie die eigene Erinnerung? Nicht die auswendig zu lernende Chronologie in der Abfolge der Könige und ihrer Reiche, der Kriege und Eroberungen, der Erfindungen und Entdeckungen, ist entscheidend, sondern ihr Sinnzusammenhang im jeweiligen Kontext. If any one faculty of our nature may be called more wonderful than the rest, I do think it is memory. ... The memory is sometimes so retentive, so serviceable, so obedient - at others, so bewildered and so weak - and at others again, so tyrannic, so beyond controul! Durch das Wiederlesen Austen's wurde Prudie zum Bedenken ihrer eigenen Geschichte und Entwicklung angeregt. Suchte sie nicht auch Sicherheit in einer viel zu früh eingegangenen Ehe und haderte mit ihrer Erinnerung an eine verfehlte Kindheit? Dean, ihr Mann, sah zwar gut aus, war ansonsten aber ziemlich ungebildet. Und ihre Mutter hatte sich stets mehr für ihre Selbstverwirklichung als für ihre Tochter interessiert. War Prudie gerade deshalb Lehrerin geworden? Ihre Mutter hatte die Schule immer gehasst, aber Kinder brauchen Ordnung und ein Grundwissen für das Leben;- zumindest bis zur Pubertät. Aber dann? Why bother to send teenagers to school at all? Their minds were so clogged with hormones they couldn't possibly learn a complex system like calculus or chemistry, much less the wild tangle of a foreign language. Why put everyone to the aggravation of making them try? Prudie thought that she could just do the rest of it - watch them for signs of suicide or weapons or pregnancy or drug addiction or sexual abuse - but asking her to teach French at the same time was really too much. Sollten nicht einfach Lebenskunst und Problemlösen die einzigen Schulfächer sein? Hatte ihre Ehe überhaupt irgendein Problem gelöst oder war es nicht eher so, dass sie nach der Heirat ständig mit Problemen konfrontiert wurde, die sich ihr als Single gar nicht erst gestellt hätten? Prudie heard the criticism implied in her mother's assessment and forced it in Dean's favor. What was wrong with a solid sort of guy? Did you want a marriage full of surprises, or did you want a guy you could depend on? Someone who, when you looked at him, you knew what he'd be like in fifty years. Und was meinte ihre Freundin? She had said ``that you can marry someone you're lucky to get or you can marry someone who's lucky to get you. I think the first was best.'' Really? Aschenputtel Fanny war durch Mansfield Park aus ihren ärmlichen Verhälnissen erlöst worden und Prudie hatte sich in eine bodenständige Ehe geflüchtet, um vor ihrer ausgeflippten Mutter sicher sein zu können ...
In JUNE kann das Gruseln mit Northanger Abbey beginnen. Wohl nicht zufällig und ganz im Einklang mit Meyer lässt Fowler nach Prudie auch Grigg unter den Folgen der Hippie-Bewegung leiden. Diesmal ist es aber nicht die ausgeflippte Mutter, sondern der befreite Vater, der sein Kind vernachlässigt bzw. unorthodox erzieht. Grigg erinnerte sich an einen Ausflug, den sein Vater einstmals mit ihm unternommen hatte, damit er endlich ein Mann werden sollte. Aufgewachsen unter drei älteren Schwestern, drohte Grigg zu mädchenhaft zu geraten und so hatten seine Eltern beschlossen, dass ein Campingurlaub in der Wildnis gerade das Richtige für Vater und Sohn sei. Auf ging's! Aber es waren noch die 1970er und so trafen sie unterwegs zwei Hippie-Mädels, die als Anhalterinnen an einer Tankstelle standen: Hillary und Roxanne. Die aufgeschlossenen und lebenslustigen jungen Damen beeindruckten natürlich den Alten, der sich noch einmal jung zu fühlen glaubte und so ging es nicht auf den Campingplatz, sondern in ein verwunschenes Anwesen hinein: It was around nine o'clock when they drove through the gates to Bel Air. Hillary directed them to a massive house with a wrought-iron fence of metal leaves and vines on which actual leaves and vines had be trained. Grigg's father said he needed a rest from driving, so they all went inside. Im weitläufigen Garten und großen Swimmingpool vergnügten sich bereits viele Jugendliche. Grigg war noch zu jung und sein Vater schon zu alt für die Party. Aber was machte das schon: ``No bars, man. No cage. You're just as free as you think you are. Nobody makes you do it, man. Nobody makes you set the alarm, get up in the morning. Nobody but you.'' Paradiesisch wie im Garten Eden. In the kitchen, three kids were seated at the counter. Hillary got Grigg's dad a beer from the refrigerator. There was the smell of pot in the air. Grigg could recognize the smell of pot. He'd seen 2001: A Space Odyssey six times, and two of those screenings had been on a university campus. Die grandiose Space Odyssey ist bis heute ein Kultfilm für SciFi's und Hippie's geblieben. Unter den Büchern favorisierte Grigg's Vater the Heinlein book Stranger in a Strange Land, während die Hippies natürlich auf Hesse's Steppenwolf abfuhren. Grigg went outside to the pool. Someone threw a towel at him. It was Hillary, and she was wearing nothing but the rubber bands in her braids. She laughed when she saw that he was looking at her. ``You're not such a little boy, after all,'' she said. ``But no clothes allowed out here ... '' Verwirrt von ihren wippenden Titten so dicht vor seinen Augen, suchte der Kleine das Weite und wollte nur noch nach Hause. ... Seine Schwestern hatten ihn dann abgeholt, während sein Vater sich das Vergnügen mit den lasziven Hippie-Mädchen nicht entgehen ließ. Ein Mann war Grigg so nicht geworden, aber die SciFi-Leidenschaft seines Vaters hatte er beibehalten. Sein Haus war vollgestellt mit den Buchreihen seiner Helden: Arthur C. Clarke, Theodore Sturgeon, Philip K. Dick.
``You like science fiction?'' Sylvia asked Grigg. From her tone of voice you might
have thought she was interested in science fiction and the people who read it. Grigg
wasn't fooled. ``Always have,'' was all he said. Jocelyn erinnerte sich unterdessen
schmunzelnd, wie sie einmal an einer Hundetagung teilnahm und im selben Hotel Fantasy- und
SciFi-Freaks anlässlich einer Veranstaltung hausten. Das waren schon wunderliche Gestalten,
ganz ähnlich den Computerfreaks, die sie noch von der Uni kannte. In der Fantasy ging es ja
bunt gemischt zu; aber in der SciFi? War das nicht eine typische Männerdomäne? Das hatte
Grigg auch einmal gedacht - und so klärte er sie auf: Ursula LeGuin, Connie Willis,
Nancy Kress. Von denen hatte die Austen-Leserin noch nie etwas gehört: Grigg ließ
jedoch nicht locker. LeGuin's
The Left Hand of Darkness und
The Lathe of Heaven
müsse sie unbedingt lesen. Das sei viel mehr als nur Frauenliteratur, Klassiker ihres Genres,
ganz erstaunliche Bücher. ... Aber noch waren sie im Austen Club: ``Why did you say you
like Northanger Abbey best of all Austen's books?'' Jocelyn asked Grigg. She had the
tone of someone calling us to order. And also of someone keeping an open mind. Only Jocelyn
could have managed to convey both. ``I just love how it's all about reading novels.
Who's a heroine, what's an adventure? Austen poses these questions very directly. There's
something very pomo going on there.'' Northanger Abbey hielt Grigg für eines der
besten Bücher Austen's. Nur Sense and Sensibility schätzte er noch mehr. Dabei hatte
der SciFi-Fan nicht nur das eigentliche Buch gelesen, sondern auch The Mysteries of Udolpho,
das Buch Radcliffe's, das in Austen's Buch gelesen wird: ``And while she makes fun of Catherine
for being so influenced by Udolpho, you have to say that Northanger Abbey is completely
under that same influence. Austen's imitated the structure, made all her choices in opposition
to that original text. Assumes everybody has read it.'' Die Club-Damen waren schwer beeindruckt;
denn keine hatte gelesen, was Jane eigentlich parodierte. Es entspann sich eine Diskussion darüber,
welche Bücher denn nun wirklich gefährlich wären: Schauergeschichten, romantische oder ironische
Romane? Die abenteuerlustige Allegra hob bestimmt hervor: ``Austen suggests that
Udolpho is a dangerous book, because it makes people think life is an adventure,'' she
said. ``Catherine has fallen completely under its spell. ... '' Aber war science fiction
nicht viel gefährlicher? Grigg hielt die Austen diskutierenden Frauen doch eher für
Außerirdische! ``All the while it's Austen writing the really dangerous books,'' Allegra
continued. ``Books that people really do believe, even hundreds of years later. How virtue will
be recognized and rewarded. How love will prevail. How life is a romance.'' Ist das Leben
ein Abenteuer oder eine Romanze? Zu Austen's Zeiten unterschieden sich danach die Geschlechter.
Oder war Allegra von Corinne enttäuscht worden und noch nicht darüber hinweggekommen?
Das nächste Clubtreffen findet nicht in einem Zuhause statt; vielmehr trifft man sich anlässlich einer Benefizveranstaltung in der großzügigen Bibliotheksgallerie der Stadt. Umgeben von honorigen älteren Herren und begleitet von Tanzmusik kommt eine feierliche Stimmung auf. Prudie hat ihren Mann Dean mitgebracht, aber nicht nur, um einmal Lesen und Tanzen miteinander verbinden zu können. Ihre Mutter war gestorben und so versprach sie sich wohl etwas Trost und Beistand von ihm und wollte ihn zugleich von seinen Computerspielen und den Sportsendungen loseisen. Es ist JULY und in CHAPTER FIVE soll Pride and Prejudice diskutiert werden. Austen's Arbeitstitel First Impressions folgend, beginnt Fowler mit ersten Eindrücken: Silvia's first impression of Allegra was that no one had ever before had such a beautiful baby. Jocelyn's first impression of Grigg was that he had nice eyelashes and a funny name, and didn't interest her in the slightest. Prudie's first impression of Bernadette was that she was startling to look at and dull if you listened, which you hardly ever had to do. Umgekehrt hielt Bernadette Prudie für die ängstlichste Frau, die ihr je begegnet war und Grigg empfand seine erste Begegnung mit Jocelyn gelinde gesagt als Strafe. Und Allegra? Die hatte natürlich nur vage erste Eindrücke von ihrer frühen Kindheit. Hinsichtlich Pride and Prejudice fragte sie sich aber, ob Charlotte nicht womöglich lesbisch gewesen sei; denn warum sonst hätte sie diesen verqueren Pfaffen heiraten sollen, wenn nicht als eine Scheinehe? Gab es womöglich noch mehr Anhaltspunkte für Frauenbeziehungen im Werk Austen's? Bernadette dagegen lagen derartige Mutmaßungen fern, sie redete einfach zu viel und kam selten auf den Punkt. Für Prudie das typische Verhalten einer Hausfrau der 1950er Jahre, der es bloß um die Unterhaltung ging, die sich aber für nichts wirklich interessierte. Die Frauenbewegung hatte Bernadette nicht mehr erreicht und so blieb sie ihr Leben lang eine Gefangene ihres beschränkten Horizonts. Während Prudie sich verstohlen umherblickend, in die Charaktere Jane Austen's hineinzuversetzen suchte, um die Gesellschaft mit jeweils ihren Augen zu betrachten, befanden sich ausgerechnet Grigg und Jocelyn gemeinsam im Auto auf dem Weg in die Gallerie. Es ging nur schleppend voran und Jocelyn wurde zunehmend unruhig, während Grigg geradezu stoisch gelassen blieb und sie danach fragte, ob sie die Bücher gelesen habe, die er ihr geliehen hatte? Sie druckste herum, aber dann sprach sie es aus: ``I like books about real people,'' Jocelyn said. ``I don't understand the distinction.'' Grigg eyes had returned to the road.``Elizabeth Bennet is a real person, but the people in science fiction books aren't?'' ``Science fiction books have people in them, but they're not about the people. Real people are really complicated.'' ``There's all kinds of science fiction,'' Grigg said. ``When you've read some I'll be interested in your opinion.'' Während er seine Vorurteile gegenüber Frauenliteratur überwunden hatte, fiel es ihr noch immer schwer, überhaupt daran zu denken, einmal typische Männerbücher zu lesen.
Wie zum Hohn stellte gerade ein junger, bekannter Bestseller-Autor in der Bibliothek ein Buch vor! Ausgerechnet Mo Bellington war da und signierte sein letztes Machwerk Last Harvest. Mit Dean kam er locker ins Gespräch, aber Prudie wollte wissen: ``What do you think of Jane Austen, Mr. Bellington?'' ``Great marketing. I envey her the movie deals. Call me Mo.'' ``Which of her books is your favorite?'' Prudie smiled in that unhappy way that made her lips disappear. ``I liked the movie with Elizabeth Taylor.'' Prudie's hand had some unsteady. Bernadette saw the tremor in her Bloody Mary. ``Your favorite Jane Austen is National Velvet?'' Bernadette hielt Prudie für gemein, genoss aber auch, wie sie ihn als Kulturbanausen vorführte. Dean versuchte ihm beizuspringen, aber Mo ruderte offenherzig zurück: ``I haven't actually read any Austen. I'm more into mysteries, crime fiction, courtroom stuff. ... I don't read much woman's stuff. I like a good plot,'' he said. Prudie finished her drink and set the glass down so hard you could hear it hit. ``Austen can plot like a son of a bitch,'' she said. ``Bernadette, I believe you were telling us about your first husband.'' ``I could start with my second. Or the one after that,'' Bernadette offered. Down with the plot! Down with Mo! Ja, Bernadette war eine gute Geschichten-Erzählerin und ließ sich nicht lange bitten. Am Ende Bernadette leaned in to Prudie and spoke quietly. ``I may have shades a few things. ... So I added some bits. Sports. Lingery. Sexy little sisters. Guy stuff.'' Wohl kalkuliert auf den Publikumsgeschmack, Geschichten zu erzählen, ist das Eine, einen kunstvoll komponierten Roman zu schreiben, das Andere. Und ähnlich weite Welten liegen zwischen dem Verlieben und dem Eheleben: My husbands weren't any of them bad men. I was the problem. Marriage seemed like such a small space when ever I was in it. I liked the getting married. Courtship has a plotline. But there's no plot to being married. Just the same things over and over again.'' Dem aufregenden Verlieben gegenüber droht in der Ehe die Langeweile mit der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Hat Austen deshalb nichts über die Zeit nach der Heirat geschrieben? Heute gilt unter Feministinnen das Motto von Lovenbergs: Verliebe dich oft, verlobe dich selten, heirate nie! Zum Schluss bringen die Bennet's Jane, Lizzy und Lydia unter die Haube, aber was wird aus Mary und Kitty? Bernadette hatte natürlich einen Ausblick parat: According to Austen's nephew, she married them off later. She told her family that Kitty Bennet eventually wed a clergyman who lived near the Darcy estate. Mary Bennet wed a clerk from her uncle Philip's office, ... ``I always like to know how a story ends,'' says Bernadette.
In ihrem letzten Roman Persuation hat Jane Austen gleichermaßen ein Happy End für ihre Heldin wie für sich ausgestaltet. Es ist AUGUST und in CHAPTER SIX zieht auch Fowler die Fäden ihres Romans zu einem allseitigen Happy End zusammen. Prudie hat aus ihrem Proleten einen Bildungsbürger gemacht, Allegra findet unverhofft eine neue Liebhaberin, Jocelyn outet sich als SciFi-Leserin, Grigg's Schwestern wundern sich darüber, wie sich ihr verschrobener Bruder überhaupt so überschwenglich verlieben konnte, Sylvia bekommt ihren Daniel wieder und - Bernadette heiratet erneut. Vorerst jedoch überschattete ein Ünglücksfall aller Wohlergehen: die ungestüme Allegra war von einer Kletterwand gestürzt und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, da der Verdacht auf ein Schädel-Hirn-Trauma bestand. Am Krankenbett fand sich natürlich auch der Vater ein und die gemeinsame Sorge um die Tochter wirkte schwer familienbildend. Zum Glück stellte sich bald heraus, dass Allegra eigentlich überhaupt nichts fehlte und sie bis auf den Schreck und einige Prellungen völlig unverletzt geblieben war. Die charmante Ärztin Dr. Yep wollte ihre attraktive Patientin dennoch für eine Nacht zur Beobachtung dabehalten. ... Die Gespräche über Persuation sollten passenderweise am Strand stattfinden; hatte Austen doch eine Lanze für den Berufsstand der Seefahrer gebrochen. Und wem gebührte heute solche Ehre? Den Feuerwehrleuten? Die hatten sich jedenfalls bei ihrem selbstlosen Einsatz am 11. September geradezu heldenhaft gezeigt. Sylvia stellte unterdessen grundsätzliche Bemerkungen über das Unglück an: ``When I was driving to the hospital, I thought if Allegra was all right I would be the happiest woman in the world. And she was, and I was. But ... the newspaper is filled with misery and war. Already I have to remind myself to be happy. And you know, if it were the other way, if something had happened to Allegra, I wouldn't have to remind myself to be unhappy. I'd be unhappy the rest of my life. Why should unhappiness so much more powerful than happiness?'' Zerstörung war stets so viel einfacher als Aufbau, die Enstehung von Leben so überaus komplizierter als seine Beendigung. Die falsche Entscheidung in ihrer Jugend hatte Anne für sieben Jahre in Trübsal und Schwermut versinken lassen. Frederick mochte es leichter gehabt haben, wurde er doch immer wieder abgelenkt in seinen Seeschlachten und sonstigen soldatischen Abenteuern. Liebeskummer kann dauerhaft so unglücklich machen wie der Tod eines geliebten Menschen. Das Verlieben dagegen überkommt einen schlagartig und kann einfach wieder vergehen. So war es bei Austen nicht. Gleich Anne wirkte die versagte Liebeserfüllung Jahre in ihr nach und ihr letzter Roman ist darüber hinaus überschattet von der Vorahnung ihres eigenen Endes.
Allegra war schnell wieder wohlauf. Sie hatte sich frisch verliebt und zum bevorstehenden
Geburtstag ihrer Mutter eine magische Kugel gebastelt: Ask Austen. Überrascht und erfreut
packte Sylvia das Present beim nächsten Clubtreffen aus: ``Go ahead,'' Allegra said.
``Ask a question.'' Die Mutter war allerdings zu überwältigt von ihrer Freude über das
ungewöhnliche Geschenk, so dass Bernadette einsprang: ``Should I take a trip?''
Bernadette asked Austen. She'd been contemplating a birding expedition to Costa Rica. ...
She shook the ball, upended it, and waited. It is not everyone who has your passion for
dead leaves, she read. ``Go in autumn,'' Jocelyn translated. Prudie took the ball next. ...
``Should I buy a new computer?'' Prudie asked. Austen answered, My good opinion once lost
is lost for ever. ``I guess that's no,'' Allegra said. ``You have to squint a bit. It's like
sort of Zen experience.'' Als nächster war Grigg an der Reihe und er wollte wissen, ob
er endlich sein angedachtes Buch schreiben sollte. Austen ignorierte seine Frage und
Grigg begann darüber zu fabulieren, was für eine tolle Geschäftsidee das sein könnte.
Dabei dachte er nicht nur an eine Vermarktung, auch der Einsatz in Gameshows schwebte ihm vor.
Kopfschüttelnd sahen die kultivierten Damen sich an. Vor einigen Monaten wären sie noch entsetzt
gewesen. Nun aber hielten sie seine Auslassungen einfach für einen Witz. ... Hatte Austen sie
nicht alle verändert und ihr Leben positiv beeinflusst? Im NOVEMBER kamen sie in einem Bistro
zum letzten Clubtreffen zusammen. Und im EPILOGUE berichtet Fowler darüber, dass Bernadette
wieder geheiratet hatte; denn wie der Zufall so spielte, traf sie in Costa Rica auf einen
begeisterten einheimischen Vogelkundler, der sich auch für amerikanische Musicals interessierte.
Da sie sein Englisch und er ihr Spanisch aufzubessern hatte, kamen sie einander schnell näher.
Und was antwortete Austen darauf, gleich zweimal: In honor of Bernadette, with best
wishes for her future health and happiness, Austen repeats herself: The mere habbit of
learning to love is the thing.
The Jane Austen Book Club ist ein gelungener Roman darüber, wie man gemeinsam Bücher lesen kann und in welcher Weise die Lektüre auf das eigene Leben zurückwirkt bzw. man immer aus einer bestimmten Situation heraus nach einem Buch greift und zu lesen beginnt. Da sich die Situationen vielfältig ändern und die Lebenserfahrung wächst, wandeln sich auch die Gedanken und Bilder, die das Lesen hervorruft, ebenso wie das Verständnis und die Interpretationen, mit denen man dem Text begegnet. Und so gelingt es Fowler immer wieder, in unterhaltsamer Weise die Lebensumstände der Akteure mit der Lektüre der Bücher und den Gesprächen darüber zu verbinden. Das beginnt schon mit den jeweiligen Favoriten: Jocelyn schätzt Emma besonders, weil auch sie ein Mensch ist, der gerne andere manipuliert, um sie in ihr Glück zu zwingen. In ihrem Eifer entgeht ihr dabei, wie Grigg sich um ihre Gunst bemüht. Während er sich auch für Hunde interessiert, fällt es ihr ausnehmend schwer, das allgemeine Vorurteil gegen SciFi zu überwinden. Fowler scheint sich einen Spaß daraus gemacht zu haben, ausgerechnet einem Mann und Computerfreak die Rolle zuzuweisen, der sich nur noch mit Hunden abgebenden Frau, eine feministische Fantasy- und SciFi-Autorin, wie Ursula LeGuin, zu empfehlen. In den 1970ern war es noch umgekehrt und die Feministinnen mussten ihren marxistischen Machos Simone de Beauvoir oder Virginia Woolf aufdrängen: Befreit die sozialistischen Eminenzen von ihren bürgerlichen Schwänzen, lautete das Motto. Der SciFi-Roman The Left Hand of Darkness erschien 1969 und handelt von den Lebensweisen nach fernen Sonnensystemen ausgewanderter Menschen, die auf ihren besiedelten Planeten verschiedene transhumane Gesellschaften hervorgebracht haben. Eine davon hat sogar die fixierten Geschlechter überwunden, indem sich ihre Mitglieder zumeist egalitär geschlechtsneutral begegnen und nur in einer Phase des kemmer genannten Zustandes sexuell miteinander verkehren. Und der Clou dabei ist, dass die Individuen jeweils zufallsverteilt im kemmer ihr Geschlecht ausbilden. Mal ist man weiblich, mal männlich und die synchronisierten Geschlechtsphasen werden allmonatlich gemeinsam wie ein Lusturlaub gefeiert. Kein Wunder also, dass auch Jocelyn am Ende The Left Hand of Darkness so gut gefallen hatte. Dabei ist die Autorin nicht nur wissenschaftlich und philosophisch gebildet, sondern hat ebenso Schreibtalent und ein Gefühl für die Poesie des Tao: Light is the left hand of darkness / and darkness the right hand of light. / Two are one, life and death, lying / together like lovers in kemmer, / like hands joined together, / like the end and the way. Der Roman erhielt zwar Literaturpreise, wurde aber kein Bestseller. Das Massenpublikum lechzt nach einfach geschriebenen und konventionellen Liebesgeschichten und Abenteuerromanen. LeGuin ist da wohl eher was für Freaks und Visionäre. Eine Verfilmung hätte die Verbreitung des Buches sicher gefördert; aber niemand hat sich bisher an den Stoff herangetraut. Zu groß ist die Furcht vor einem kommerziellen Misserfolg bzw. zu selten sind die visionären und furchtlosen Filmemacher. Wenigstens hat Fowler's Bucherfolg auf der Welle der Austen-Renaissance zu einer Verfilmung geführt. 2007 hat sich die Filmemacherin Robin Swicord des Stoffes angenommen, ein Drehbuch geschrieben und Regie geführt.
Der Film The Jane Austen Book Club ist so konventionell gedreht worden wie das Buch geschrieben wurde. Szenenfolge und Soundtrack geben dem Film einen fließenden Rhythmus, der die Zuschauerin einfach mitnimmt und den steten Wechsel von Dialogen und Unternehmungen unterhaltsam und kurzweilig genießen lässt. Im Vordergrund des Films stehen die Nebenhandlungen der Akteure, die ja ihr eigentliches Leben ausmachen, so dass die literarischen Lektürezeiten und Buchgespräche eher zu Nebenschauplätzen werden. Geschickt versteht es die Filmemacherin, die Lebensinhalte wie selbstverständlich mit den Lesestoffen zu verweben und den Frauen gemäß ihrer Lektürevorlieben Figuren aus den Romanen Austen's korrespondieren zu lassen. Swicord folgt in ihrem Drehbuch durchweg den Vorgaben Fowler's; setzt aber zugleich neue Akzente, strafft die Handlung und lässt einige Episoden ganz aus. Als Besonderheit fällt natürlich Grigg aus dem Rahmen, der Mann, der einerseits ähnlich unter die Club-Frauen gerät wie Catherine nach Bath und Northanger gelangt, darüber hinaus aber für den bei Austen generell unverstandenen Mann steht. Um die gewandelten gesellschaftlichen Verhältnisse zu visualisieren, die sich in den 200 Jahren seit Austen entwickelt haben, werden in den Einleitungssequenzen des Films verschiedene Situationen gezeigt, in die Menschen heutzutage immer wieder geraten, wenn einmal nicht mehr alles so funktioniert wie man es erwartet: da lässt sich beim Tanken die Kreditkarte nicht in den Geldautomaten einführen; ein Parkplatz wird einem vor der Nase weggeschnappt; bei der Einfahrt in ein Parkhaus kann der Parkschein nicht in den Automaten zur Hebung der Schranke gesteckt werden; ein Handy fällt ins Klo; das Trainingslaufband läuft plötzlich zu schnell oder eine Frau wird beim Verlassen einer Boutique aufgrund eines Fehlalarms aufgefordert, ihre Dessous auszupacken, was ihr in aller Öffentlichkeit sichtlich peinlich ist. Wie nebenbei werden die zukünftigen Akteure des Films in aktuellen Situationen gezeigt, in die eine Austenheldin nie hätte kommen können. Zudem sind die Menschen durch den motorisierten Individualverkehr und die Telekommunikationstechniken heute in einer Weise vernetzt, die auch bei weit auseinanderliegenden Wohnstätten eine fortwährende Kontaktpflege erlaubt. Das Lichten und Verzweigen des Beziehungsgeflechtes der Paare zwischen Leben, Lieben und Lesen kann beginnen. Um ihre Freundin Jocelyn über den schmerzvollen Tod ihres Lieblingshundes hinwegzutrösten, schlägt Bernadette die Gründung eines Jane Austen Buchclubs vor. Trost hat allerdings nicht nur Jocelyn nötig; denn auch Prudie ist frustriert, da ihr Mann nicht mit ihr die geplante Reise nach Paris antreten kann. Und ebenso Sylvia, der ihr langjähriger Gatte unterbreitet hat, dass er sich scheiden lassen wolle, da er eine Affäre mit einer Kollegin angefangen habe. Passenderweise trifft Bernadette in der Warteschlange zum Film Mansfield Park auf Prudie und kommt mit ihr ins Gespräch. Die Lehrerin ist von der wohl besten Jane Austen - Verfilmung der BBC, für die Patricia Rozema 1999 das Drehbuch geschrieben und die Regie geführt hatte, weniger überzeugt. Es sei eher eine Lebensverfilmung der Autorin als eine Verfilmung ihres Romans Mansfield Park. Eingedenk der künstlerischen Freiheit sticht wie schon das Buch Austen's auch die filmische Übertragung Rozema's aus den wohl sechs besten Verfilmungen der Jane Austen Romane heraus:
Rozema verbindet in ihrer durchdachten
Mansfield Park
Verfilmung die Erziehung der jungen
Fanny Price mit der Biographie Jane Austens und lässt Fanny im Film die Briefe und
Schriften verfassen, die Jane in ihrer Jugend schrieb. So wie Jane sich besonders ihrer Schwester
Cassandra anvertraute, ist es auch bei Rozema die Schwester, mit der Fanny ihr innigstes
Verhältnis pflegt (obwohl im Roman der Bruder Fanny's familiale Vertrauensperson ist).
Neben diesen konkreten biographischen Bezügen auf das Leben Austen's, stellt Rozema darüber
hinaus den historisch-politischen Kontext heraus, der im Buch nur angedeutet wird. Die Verstrickung
des Gutsherren und seines ältesten Sohnes in den Sklavenhandel und die schonungslose Ausbeutung
der Sklaven auf den kolonialen Plantagen, wird vor der Zuschauerin offen ausgebreitet. Der
Reichtum Mansfield Park's und das damit verbundene Wohlleben Fanny's hat zu ihrem
Entsetzen eine grausame Kehrseite. Damit hat Rozema dem bloßen Liebesroman in ihrer filmischen
Übertragung eine weitreichende politische Perspekive verliehen. Bei ihr geht es nicht mehr
nur um die Alternative: Liebesheirat oder Versorgungsehe; ebenso wichtig ist ihr die
Gegenüberstellung von Menschenrechten und Sklaverei. Dem Patriarchat im Inneren entspricht
der Imperialismus nach außen. Eine ähnliche Horizonterweiterung hätte auch Fowler ihrem
Roman angedeihen lassen können; denn dem damaligen englischen Imperialismus entspricht die
gegenwärtige Großmachtpolitik der USA.
Wie ließe sich der Jane Austen Book Club fortsetzen? Ergänzend zur Lektüre ihrer Romane könnten deren Verfilmungen und die von ihnen inspirierten Folgefilme und -bücher vergleichend betrachtet und kommentiert werden. Troost und Greenfield haben in ihrer Zusammenstellung von Untersuchungen zu Jane Austen in Hollywood die 1990er Jahre in den USA zusammengefasst. Sie spüren darin der mit der Clinton-Ära einhergehenden Liberalisierung in ihren Auswirkungen auf Hollywood nach, fragen sich, wie stark wohl das Filmeschauen zum Lesen der Bücher anrege, welche Schwerpunkte die Filme jeweils in ihren verkürzenden und vereinfachenden Übertragungen setzten - und preisen am Ende zu Recht Rozema's filmische Mansfield Park - Interpretation: Rozema wants to make Fanny into our modern idea of a writer, a creator of imaginative texts. Writing is her road to self-determination. Das Schreiben als ein Weg zur Selbstbestimmung und -vergewisserung haben nach Austen auch Woolf und - Susan Sontag hervorgehoben. Die amerikanische Simone de Beauvoir teilt ebenso Rozema's enge Verbindung von Roman- und Filmkunst und sieht den gesellschaftlichen Kontext in seiner Auswirkung auf das individuelle Leben ähnlich wie die Filmemacherin. In den Worten der ,,Hollywood-Autorinnen``: The film's distinctive treatment of some of the characters orbiting Fanny Price can be explained by Rozema's modern focus on social conditions as the main determinants of human behavior, as in contrast to Austen's giving greater weight to innate moral capacity interacting with surrounding personalities. Nach den zeitgenössischen Interpretationen Austen's in den verschiedenen Filmen, die immer auch eine Übertragung in die Gegenwart sind, bietet es sich an, einmal den gesellschaftlichen Kontext des Lebens Austen's zu thematisieren. Pool hat dafür The Facts of Daily Life in 19th-Century England zusammengetragen. Ich möchte aus der Fülle der Einzelheiten lediglich ein paar Hinweise auf die Kirche und den Sex herausgreifen: In 1800 the Church of England enjoyed a position of extraordinary influence in English society. It was the official state church, it had its own court system, with virtually exclusive jurisdiction over wills, marriages, and divorces, it was entitled to one tenth of the nation's farm produce each year through the tithing system, and its members alone were eligible to attend (and teach at) Oxford and Cambridge and to hold public office. Der Einfluss der Kirche auf das alltägliche Leben war total und reichte von der Geburt über die Erziehung und das Eheleben bis in den Tod. Kein Wunder, dass der christliche Puritanismus und seine Frauenfeindlichkeit noch Virginia Woolf in Rage versetzt haben. Um 1865 herum schreibt der angesehene Dr. William Acton: The majority of woman (happily for them) are not very much troubled with sexual feelings of any kind. ... The married woman has no wish to be treated on the footing of a mistress. Das seinerzeit äußerst populäre Buch beruhigte natürlich die jungen Herren der Schöpfung, die sich keine Sorgen darüber machen mussten, dass ihnen womöglich eine Herrin das Zepter der Macht entreißen könnte. Seine Verfügungsgewalt über sie war nahezu grenzenlos. Liberale Spötter konnten sich über den Stand der sexuellen Aufklärung nur lustig machen: An end-of-the-century Punch cartoon showed a new bride of three hours in a railway station begging her husband to buy Tom Jones for her: ``Papa told me I wasn't to read it till I was married! The day has come ... at last! Buy it for me, Edward, dear.'' Julian Jarrod hat 2008 in seiner romantischen Verfilmung der Biographie Becoming Jane ebenfalls ironisch auf Fielding's Tom Jones Bezug genommen, indem er bei einer Begegnung in der Bibliothek Tom das Buch Jane zur Lektüre empfehlen lässt.
Heutzutage ist es sogar einer Amerikanerin möglich, die schicklichen Austen-Romane in den prüden USA zu parodieren. Arielle Eckstut hat dazu 2001 unter dem Titlel Pride and Promiscuity The Lost Sex Scenes of Jane Austen veröffentlicht. Gewidmet hat die biedere und verheiratete Autorin ihr Buch to David - my husband, my soul mate, my true love. Herausgekommen ist dabei allerdings bloß ein Kinderbuch; was sich eine Romantikerin, die noch von der ,,wahren Liebe`` träumt, eben unter Promiskuität vorstellt. Und so outet sich Arielle im Preface als ausgewiesener Jane Austen Fan, der bereits im zarten Alter von drei Jahren seinen einschlägigen Vorlesestoff forderte: At the age of three, I began requesting which books I wanted read to me at bedtime. My three favorites were: Ant & Bee, When We Were Very Young and, of course, Emma. At five I founded the Jane Austen Junior Appreciation League. And at ten, I organized dramtic readings of the entire Austen oeuvre, often performing all the characters myself. Da hatte Fowler wohl schon eine begeisterte und leidenschaftliche Vorläuferin; denn Eckstut setzte ihre Austen-Studien bis ins College fort, where I majored in something called Fundamentals: Issues and Texts. It required me to choose a grand question which I was to support with six ``great books'' over four years of study. Es dürfte jeder Leserin klar sein, welche sechs Bücher Arielle wohl über vier Jahre zur Beantwortung ihrer großen Frage studierte. Da ihr Wissensdurst rasch die Kapazitäten des College's sprengte, traf es sich gut, dass sie über einen Verwandten eine Einladung nach England erhielt, genauer gesagt irgendwo nach Hertfordshire. Und was fand sie dort an verwunschenem Ort? In einer seit 186 Jahren nicht mehr geöffneten Truhe befand sich eine Schachtel mit -: Jane Austen's lost sex scenes. Nicht ohne Augenzwinkern präsentiert Arielle diese Szenen nunmehr ihren neugierigen Leserinnen in einem Band. Zu jedem Austen-Roman gibt es leicht schlüpfrige Ergänzungen zu Handlungslücken oder -sprüngen, die wohl jede Leserin schon einmal weiter gesponnen haben dürfte. Ich greife lediglich ein Beispiel heraus. Jane at Netherfield: Both scholars and ordinary readers of Pride and Prejudice have long been puzzled by the mysterious ``Jane's illness'' episode. Warum wird Jane nach Netherfield gebeten und bleibt dort über Nacht, weil sie angeblich krank geworden sei? Kann wirklich das Regenwetter die Ursache für Jane's Unpässlichkeit gewesen sein, die sich damit bloß als harmlose Erkältung erweist? Haben nicht auch Erkältungen eine Inkubationszeit? Da ist sicherlich die Vermutung naheliegender, dass Jane ihre Schwester Lizzy zu einem Besuch bei den Bingley's nötigen wollte. Aber was geschah wirklich in der Nacht? Die kürzlich entdeckten ,,Sexscenen`` bringen es an den Tag: Miss Bingley und Mrs Hurst überredeten die Besucherin zum Bleiben und wiesen ihr ein Schlafgemach zu. Kaum eingeschlafen, schreckte Miss Bennet allerdings sogleich wieder hoch und musste zunächst verängstigt, dann aber nur noch verblüfft feststellen, wie sich zwei schattenhafte Gestalten ihrem Bett näherten. Im Gegenlicht des durchs Fenster scheinenden Mondes waren die konturierten Körperformen unschwer als die Damen des Hauses zu erkennen. Erleichtert fiel Jane zurück ins Kissen, aber entgegen ihrer Erwartung setzten sich die beiden nächtlichen Besucherinnen nicht zu ihr ans Bett, vielmehr streiften sie ihre Nachthemden ab und schlüpften behend mit unter die Decke. Ihre weichen, weiblichen Rundungen betteten die junge Frau wie in einen haarfein umwachsenen Teich einer still vom Mond beschienenen Lichtung. Und als ob sie in samtweiches Ufermoos sank, streichelten und rieben äußerst feingliedrige Zweiglein jede ihrer Hautfältchen, küssten und leckten feucht-warme Lippenpaare, aus denen sich Engelszungen zu schlängeln schienen, ihren sich unversehens hingebenden und lustvoll bebenden Leib. Ein harter, wohlgleitender Stamm vollendete die Lustschauer in einer Weise, wie es die bisherige Jungfrau noch nicht erlebt haben dürfte. Und genau das war denn auch die hinterhältige Absicht des Damenbesuchs gewesen: ``I think we can pronounce you entirely unfit for marriage to our brother,'' musste sich die Verführte zu ihrer Bestürzung am Morgen danach sagen lassen. Unter dem Einfluss der Staatskirche Englands seinerzeit war die Jungfräulichkeit eines Mädchens noch eine große Sache. Was Jane Austen wirklich darüber gedacht haben mag, ist nicht überliefert und so kann sich jede Leserin selbst ihren Reim darauf machen. Wie Arielle Jane Bennet's erstes Mal umschrieben hat, ist in ihrem Buch nachzulesen. Ich habe mir eine männlich-romantische Sicht darüber erlaubt. Dem Wechselspiel aus Phantasie und Erinnerung ebenso wie der direkten Ausdrucksweise und expliziten Formulierung oder den möglichen Metaphern und Sprachbildern sind gegenwärtig zum Glück kaum noch Grenzen gesetzt. Aber welche Leserin schreibt heute noch Tagebuch? Susan Sontag hat es getan und darin aufgezeichnet, dass sie ihre ersten sexuellen Erfahrungen ebenfalls mit Freundinnen gemacht hatte; und das mit 16 Jahren im prüden Amerika der Nachkriegszeit.
Jane Austen hatte kein Tagebuch geführt, jedenfalls ist keines jemals in ihren Briefen erwähnt
noch bisher in ihrem Nachlass gefunden worden. Ebenso fehlen in ihren Überlieferungen Hinweise auf
irgendwelche Lebenserinnerungen geschweige denn eine Autobiographie. Und so reagierte die Fangemeinde
nicht minder verblüfft als die Amerikanerin Syrie James 2008 The Lost Memoirs of Jane Austen
publizierte. Im Foreword schreibt sie dazu: The memoir you have before you, although it
covers an earlier period in Jane Austen's life, was apparently written sometimes between 1815 and
1817, when the author began to suffer from the illness that resulted in her death. Schließt sich
damit vielleicht eine Lücke im Lebenslauf Jane's, die bisher mit ihrem Leiden an der neuen
Umgebung erklärt wurde, nachdem die Familie Austen nach Bath gezogen war? Warum hatte die Autorin
in der Folge ihrer Jugendwerke und ersten drei Romane zehn Jahre lang nichts mehr geschrieben? Ihre
unverhofft in einem der Anwesen ihres Bruders Edward aufgefundenen Memoiren werden darüber Aufschluss
geben: As the story goes, Cassandra told her niece Carolyn (many years after Jane's death) that
Jane met a curate in the early 1800s while on holiday at a seaside resort, and that they became attached
and aggreed to meet again; she later learned that he had died. Cassandra never named the man, the place,
or the date of the meeting, but insisted that this mysterious gentleman was the ``only man Jane ever
truly loved.'' Considering that Cassandra was so particular about the type of information she allowed
to be disseminated about her sister, it is possible that the ``mysterious, nameless, dateless romance''
that she described was only the partial truth, intentionally vague and misleading - a theory that is
backed up in this memoir by Jane Austen herself. Da kann man gespannt sein, was Jane im ersten
Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts so umgetrieben haben mag, dass sie darüber sogar das Schreiben
vernachlässigte. In Chapter One erhöht sich die Spannung noch, indem die Autorin nicht ohne
Ironie auf das dritte Kapitel verweist: It is a truth (I believe universally acknowledged)
that, with few exceptions, the introduction of the hero in a love-story should never take place in
the first chapter, but should, ideally, be deferred to the third. Zunächst einmal geht es of
the painful circumstances of our removal from Steventon. Das können wir hier übergehen, springen
unverhohlen nach Chapter Three und verfolgen erwartungsvoll Jane's Ausflug an die seaside
at the bay of Lyme. Sollte eine Leserin nicht wissen, wo das ist, empfehle ich ihr einen Blick in
die Jane Austen Encyclopedia zu werfen. Lyme liegt an der Südküste Englands im County Devon.
In der Encyclopedia sind auch die
``Granny's Teeth''
abgebildet, the steps on the
Cobb at Lyme Regis. In Persuation wird Jane Louisa Musgrove von einer der groben
Steinstufen herunterfallen lassen. Nunmehr ist es die Autorin selbst, die dort zur Kaimauer hinauf
stolpert und unversehens abzustürzen droht: I would have shurely fallen to the hard pavement
below, resulting in my death, or at the very least, considerable physical harm, had not two strong
arms, of asudden, caught hold of me. ``Steady,'' said a deep voice into my ear, ... ``Frederick
Ashford, at your service.'' Der Held als souveräner Retter in der Not; davon scheinen Frauen
immer wieder zu träumen. Und dann macht der charmante und umsichtige Gentleman der Dame auch noch
ein Versprechen: ``To take you, and my friends, on a picnic.'' Und wo soll es hingehen? In
Chapter Nine erfahren wir mehr: Netley Abbey. An extensive, pituresque Gothic ruin,
only a few miles to the south-east across Southampton water. In einer derart wild-romantischen
Atmosphäre schießt die Phantasie ins Kraut und die Lust zu fabulieren wird wieder wach. In den
folgenden Kapiteln bestärkt Frederick Jane in ihrem Wunschtraum, eine berühmte
Schriftstellerin werden zu wollen, liest ihre bisherigen Romane, diskutiert sie mit ihr
und ist voller Lob und Ermunterung. In der vernünftigen Elinor Dashwood vermag er einen
Zug der Autorin zu erkennen und fragt sie, why did Edward not declare his love for Elinor
before he left Norland? Damit bringt er sie in Verlegenheit und wollte vielleicht nur seinen
eigenen Abschied vorbereiten; denn kurze Zeit später wird sie mit der reizenden und allenfalls
17jährigen Isabella Churchill bekannt gemacht. ... Syrie James gelingt es mit ihrem Roman
in zugleich unterhaltsamer und nachdenklicher Weise in die Welt Jane Austen's einzuführen. Dabei
stellt sie die Auszeit im Schreiben der angehenden Schriftstellerin als Gärungsphase dar, in der
sich die Überarbeitungen oder Themen ihrer Romane herauskristallisierten. Chapter Twenty-seven
bildet den nüchternen Abschluss der ,,Memoiren``: I never saw Mr. Ashford again. I know
only that he married. Das klingt so, als ob Edward die niedliche Miss Steel geheiratet
hätte und Isabella mit ihrem attraktiven Offizier glücklich geworden wäre. Erhalten geblieben
sind uns die Lebenserinnerungen aus der Rückschau Jane Austen's gleichwohl in ihrem letzten vollendeten
Roman Persuation.
Jane Austen dürfte sich nicht selten schreibend aus ihrem beschränkten Lebensalltag hinaus geträumt haben in die ideale Welt der Reichen und Schönen wie in das Märchenland der echten Helden und wahren Liebe. Ihrem durchgängig mit subtiler Ironie pikant gewürzten gesunden Menschenverstand ist es zu verdanken, dass sie dabei nie die hohle Blasiertheit und fade Einfältigkeit des Adels übersah; ihre Ideale gleichsam immer wieder entzauberte und auf den sicheren Boden der banalen Tatsachen des Lebens zurückführte. Was Jane die Ironie war, ist Woody der Humor. In seinen Nebenwirkungen hat er 1981 Das Zwischenspiel mit Kugelmass aufgenommen. Darin versetzt er Kugelmass, einen gegenwärtigen Professor der Philologie, in einen Liebesroman des 19. Jahrhunderts. Da der Professor aus seinem eintönigen Ehealltag auszubrechen gedenkt, sucht er einen Magier auf, der ihm Abwechslung verspricht mit - Emma Bovery. Gesagt, getan, und schon erscheint Kugelmass im Schlafzimmer der gerade die Wäsche legenden Arztgattin ... Ja, welcher Mann würde nicht gern einmal die drei tragischen Frauengestalten der Weltliteratur aus ihren sozialen Gefängnissen befreien? Ob Kugelmass nach seinem Wirken in Emmas Welt auch noch Zeit fand, Effi Briest und Anna Karenina zu retten, hat Woody Allen offen gelassen. Aber geht es womöglich nicht vielen Lesern so, dass sie sich in die Welt des Romans hineinphantasieren, den sie gerade lesen? Und Schwärmen nicht viele junge Frauen davon, einmal mit Mr. Darcy durch Pemberley wandeln zu können? Guy Andrews hat ihnen mit seinem Drehbuch Lost in Austen die heiter-romantische Möglichkeit dazu gegeben, die Dan Zeff 2008 stimmungsvol für das britische Fernsehen verfilmt hat. 2009 ist der Vierteilter auf DVD erschienen und kann nicht nur im Jane Austen Book Club immer wieder vergnüglich geschaut werden: It is a truth, generally acknowledged, that we all longing to escape. I escape allways to my favourite book, Pride and Predjudice. I have read it so many times now. The words just say themselves in my head. Its like a window opening. Its like I'm actually there. Its become a place so - intimately. I can see that world. I can - touch it. I can see Darcy ... Wow Amanda ... Now, where was I? Unterlegt von sanft-romantischer Musik sehen wir Amanda Price, die mit Jane Austen immer wieder verträumt ihrem tristen Alltag entflieht und sich aus dem hektischen Großstadtleben im London des beginnenden 21. Jahrhunderts ins ländliche Südengland des ausgehenden 18. Jahrhunderts versetzen lässt. Und weil es so schön gewesen ist, gleich noch einmal: Es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, dass wir uns alle danach sehnen, uns in etwas zu flüchten. Ich flüchte mich immer in mein Lieblingsbuch Solz und Vorurteil. Ich habe es jetzt schon so viele Male gelesen, dass die Worte sich in meinem Kopf von selbst sagen. Es ist wie ein Fenster, das sich öffnet. Es ist, als wäre ich tatsächlich dort. Es ist mir zu einem Ort geworden, der mir so vertraut ist, dass ich diese Welt vor mir sehe, dass ich sie berühren kann. Ich kann Darcy sehen. ... Wow Amanda ... Also, wo war ich? ... Sie irren, Mr. Darcy, wenn Sie vermuten, die Form ihres Antrags hätte mich in irgendeiner anderen Weise beeinflusst als mir das Bedauern erspart, das ich vielleicht bei meiner Ablehnung empfunden hätte ... wenn Sie mir auf eine vornehmere Art begegnet wären. ... Doch dann klingelt es an der Haustür und Amanda wird jäh aus ihrem Lesevergnügen gerissen. Es ist ihr Freund Michael, der sie eigentlich nach seinem Kneipenabend mit Saufkumpanen nicht mehr behelligen wollte. Nun drängt er sich übel riechend mit langer Bierfahne zu ihr herein, greift sich weitere Flaschen aus dem Kühlschrank, setzt sich rülpsend und furzend aufs Sofa vor die Glotze und schaltet eine Sportsendung ein ... Was für ein Kontrast zu den kultivierten Umgangsformen bei Austen! Als ob er sich Mut angetrunken hätte, öffnet er eine Flasche und offeriert seiner Freundin den Ring des Veschlusses mit einer Geste, die sie als Heiratsantrag verstehen soll. So unromantisch kann der Prolet einer jungen Dame natürlich nicht kommen! Vielleicht hätte er auch einmal Austen lesen sollen ... Schnell ist er eingeschlafen und während er schnarchend ernüchtert, hört Amanda unversehens Geräusche aus dem Badezimmer. Leicht verängstigt öffnet sie behutsam die Tür und macht Licht. Es ist aber nicht bloß etwas heruntergefallen, vor hier steht zu ihrer grenzenlosen Überraschung - eine freundliche junge Frau im Nachthemd, die Amanda Price als ,,Schlüssel`` zu einer sinnlosen Tür auf dem Dachboden ihres Hauses bezeichnet und sich höflich vorstellt als - Elizabeth Bennet. Die ist allerdings flugs wieder verschwunden und Amanda scheint wohl nur halluziniert zu haben. Gleichwohl drängt es sie, das mysteriöse Erlebnis mit ihrer Mutter zu besprechen. Die vermutet sie natürlich im Drogenrausch oder hält die Halluzinationen ihrer Tochter für eine Folge unmäßigen Lesens. Dabei gerät Amanda schon wieder ins Schwärmen: Ich mag die Liebesgeschichte. Ich mag Elizabeth. Ich mag die Umgangsformen und die Sprache und die Höflichkeit. Das alles ist Teil dessen, wer ich bin und was ich will. Ich sage damit, Mum, dass ich Ansprüche habe ...
Wieder zu Hause, kann die Leserättin selbstredend nicht von ihrem Buch lassen: Ich, die ich mich meiner Fähigkeiten wegen so hoch eingeschätzt habe, ... Wie oft habe ich die großzügige Aufrichtigkeit meiner Schwester belächelt. ... Er liebt mich immer noch und wir haben uns verlobt. Und wir sind beide davon überzeugt, dass wir das glücklichste Paar der Welt werden. ... Erneut wird sie von Geräuschen im Bad unterbrochen und droht beim Anblick der alltagsbekleideten Miss Bennet einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Lizzy überrumpelt Amanda aber sogleich mit ihrer erfrischenden Naivität. Eine Romanfigur weiß eben nichts von ihrer Autorin und so verblüfft die Leserin ihre Heldin damit, bereits zu wissen, wer gerade Netherfield Park gemietet habe und dass sie schon bald einem Mr. Darcy begegnen werde. ... Nun aber endlich will Miss Price die Tür sehen, durch die Miss Bennet gekommen ist. Ein schlichter Durchgang in eine Abstellkammer erweist sich unversehens als - Zaubertür ins Cottage der Bennets in Longbourn. Neugierig tritt Amanda hinein und - die Tür schlägt hinter ihr zu. Wie selbstverständlich wird sie kurz darauf von der Haushälterin gefragt, wen sie zu Tisch anmelden solle und gibt sich - um Fassung ringend - als Freundin Lizzy's aus Hammersmith aus, das damals allerdings noch kein Stadtteil, sondern bloß ein ländlicher Vorort Londons war. Den launig humorvollen Mr. Bennet kann mit seinen schwatzhaften Weibern im Haus kaum noch etwas aus der Ruhe bringen und so begrüßt er auch die nicht ganz schicklich gekleidete Freundin seiner Lieblingstochter mit der gebührenden Höflichkeit eines Gentlemans. Der gute Mann hält sich am liebsten ungestört im Lesezimmer auf, um geruhsam seinen mit der Lektüre verbundenen Gedanken nachhängen zu können. Die Besucherin fühlt sich nach ihrer Zeitreise sichtlich vertraut mit dem wohlwollenden älteren Herrn in der behaglichen Umgebung seiner vielen Bücher, ausgesuchten Bilder und bequemen Sessel. Ihre unorthodoxe Gesprächsführung vermag ihn kaum aus der Ruhe zu bringen: Sie führen wirklich eine erfrischend undurchschaubare Konversation, Miss Price. Das ist schön gesagt und mit Amanda wird auch die Zuschauerin mehr und mehr von der Atmosphäre im Cottage der Bennets in Bann gezogen und folgt wie verzaubert den romantisch inszenierten Lebensumständen der damaligen Zeit. Im Rhythmus der pastoralen Bilder und mit dem Wechsel der familialen Perspektiven ebenso wie im Folgen der amüsanten und hintersinnigen Dialoge, unterlegt von sanft anheimelnder Filmmusik, lässt man sich willig mitnehmen auf das weite Feld der Irrungen und Wirrungen Amanda's im Kontext der vorgegebenen Romanhandlung. Die möchte sie möglichst wenig aus dem Lot bringen; denn es handelt sich ja um ihren Lieblingsroman und am Ende sollen sich gefälligst die richtigen Paare zusammenfinden. Aber könnte Darcy sich überhaupt in sie verlieben, geschweige denn sie heiraten? Schließlich ist sie keine Jungfrau mehr. Ist es da nicht eher wahrscheinlich, dass die sich unerwartet als gynophil outende Miss Bingley eine Scheinehe mit ihm eingeht? Und wie wird Lizzy sich nach ihrer Zeitreise ins gegenwärtige London fühlen? Muss sie nicht die fehlende Förmlichkeit und derbe Rohheit der Sitten heutzutage entsetzen? Oder wird sie schon bald dem Lusthauch der sozialen Freiheiten und der Faszination der technischen Möglichkeiten erliegen?
Und Amanda, die kleine Bankangestellte aus dem spätkapitalistischen London? Wird sie ihre
proletenhaften Umgangsformen so schnell überwunden haben? Sie ist ungepflegt und ohne Taktgefühl
und überhaupt nicht kultiviert. Sie bestürzt die Gesellschaft mit unangemessenen Bemerkungen. So
sieht es nicht nur Mrs. Bennet im frühkapitalistischen Longbourn. Und auf einem Tanzabend trinkt
Miss Price erst zuviel und fällt dann auch noch über den charmant-hilflosen Mr. Bingley
her, indem sie ihm - unvermittelt seinen Kopf zwischen ihren Händen haltend - einen feuchten Kuss
auf den Mund drückt. Der Herr ist entzückt, aber als Dame muss die Frau ihren Gefühlsausbruch rasch
relativieren: Sie und ich kommen aus sehr unterschiedlichen Welten. Viel unterschiedlicheren als
Sie es für möglich halten. In meiner Welt, Mr. Bingley, träume ich die meiste Zeit wie besessen
von der Schönheit Ihrer Welt. Von den noblen, eleganten Ritualen und der Gemächlichkeit des
Liebeswerbens. Vom Liebe machen, wie Sie es nennen, unter den Augen von Anstandsdamen. Und vom
Glück gegen alle Widrigkeiten und von der Ehe. Und jetzt das. Ich rede zwei Minuten mit Ihnen,
dann küsse ich Sie, und Sie, Sie ... Ich bin ein bisschen enttäuscht von mir, Mr. Bingley. Ich
fühle mich wie jene Leute, die diese steinzeitlichen Indiostämme entdeckt und sie dann mit einem
Schnupfen angesteckt haben. Sie haben sie ausgelöscht. Auf die Entmachtung des Adels durch das
Bürgertum im Zuge der industriellen Revolution folgte nach den großen Kriegen im 20. Jahrhundert
die Proletarisierung aller Lebensverhältnisse. Die noblen, eleganten Rituale und die
Gemächlichkeit des Liebeswerbens sind für immer dahin; denn es sind die Produktionsbedingungen,
die die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmen. Technik und Ökonomie haben unterdessen alle
Lebensverhältnisse durchdrungen und auch die Gemächlichkeit des Liebeswerbens beschleunigt.
Aber wie stark bestimmt die Basis der Produktionsbedingungen den Überbau der gesellschaftlichen
Verhältnisse wirklich? Hatten sich nicht die selbsternannten bürgerlichen Revolutionäre der
Jugendbewegung beim Schaffen neuer Lebensformen noch frei gefühlt und eine Emanzipationsbewegung
in Gang gesetzt, die bis heute anhält? Die Filmemacherin Nicolette Krebitz lässt in ihrem Beitrag
zu DEUTSCHLAND 09
die 17jährige Helene Hegemann eine Zeitreise in das Jahr 1969 machen und auf
Ulrike Meinhof und Susan Sontag treffen, die damals beide Mitte Dreißig waren und mit den Linken
sympathisierten, die nach der Entmachtung des Adels nunmehr auch das Bürgertum überwinden wollten.
Helene fordert die beiden gesellschaftskritischen Aktivistinnen auf, doch einmal ihre Identitäten
und Wirkungsorte zu tauschen, d.h. Ulrike solle nach New York gehen und Susan nach Hamburg kommen.
Wie hätte sich das veränderte soziale Milieu auf die beiden Frauen ausgewirkt und hätten sie den
Tausch überhaupt machen wollen bzw. können? Ich werde darauf zurückkommen. Gemäß der kürzlich
von Jutta Allmendinger durchgeführten BRIGITTE-Studie gehört Helene gegenwärtig allerdings zu einer
Minderheit von gerade mal 8% junger Frauen, die sich beim Spiel im Team als Abseitsstehende einordnen.
Die große Mehrheit der Frauen zwischen 18 und 29 Jahren folgt dem Mainstream und macht allenfalls gute
Miene zum bösen Spiel. Zum Ausgleich träumen sie dann von der guten alten Zeit. Besonders viele Mädels
und junge Frauen fühlen sich von dem heute unter Jugendlichen vorherrschenden rüden Umgang miteinander
wohl abgestoßen. Sie sehnen sich lieber wie Amanda in die Welt Jane Austens zurück oder wünschen
sich ihren noblen, eleganten Helden herbei, der noch die Gemächlichkeit des Liebeswerbens
beherrscht und die Umgangsformen und die Höflichkeit von einst verinnerlicht hat - wie Edward
Cullen, und sei er auch ein Vampir. Der weltweite Erfolg zeigt, dass Stephenie Meyer mit ihrer Fantasy
anscheinend einen Nerv unserer Zeit getroffen hat. Und der Nervenkitzel ist es auch, der das besondere
Rezept ihrer Buchreihe ausmacht. Wie schon zu Zeiten Austens, gruseln sich junge Menschen gerne und
nach wie vor träumen sie von der romantischen Liebe. Amanda ist gleichsam die Gegenfigur zu
Edward, der noch aristokratisch erzogen worden ist und unter den Proleten so fremd wirkt wie
Amanda unter den Aristokraten.
Um den Nervenkitzel von Schauergeschichten ging es Jane Austen in ihren Liebesromanen nicht, sie favorisierte die ironisch-realistische Romanform. Den Schreckensphantasien von Bluttaten in Kellern finsterer Gemäuer begegnete sie mit gesundem Menschenverstand und aufgeklärter Philosophie. Aber was wäre, wenn schon die Helden der Liebesgeschichten aus Pride and Prejudice mit blutrünstigen Monstern zu kämpfen gehabt hätten? Der amerikanische Englischlehrer Seth Grahame-Smith hat sich 2009 genau diesen Spaß erlaubt in dem Roman: PRIDE AND PREJUDICE AND ZOMBIES. Und ganz im Geiste Jane Austen hebt er an: IT IS A TRUTH universally acknowledged that a zombie in possession of brains must be in want of more brains. Never was this truth more plain than during the recent attacks at Netherfield Park, in which a household of eighteen was slaughtered and consumed by a horde of the living dead. ``My dear Mr. Bennet,'' said his lady to him one day, ``have you heard that Netherfield Park is occupied again?'' Der Hausherr war gerade mit seiner Muskete beschäftigt, bekam aber von den weiteren Ausführungen seiner Frau mit, dass bereits ein neuer Mieter gefunden worden sei, ein gewisser ``Bingley. A single man of four or five thousends a year. What a fine thing for our girls!'' Wie es sich für einen Lehrer gehört, wird CHAPTER 1 mit zwei Merksätzen abgeschlossen: The business of Mr. Bennet's life was to keep his daughters alive. The business of Mrs. Bennet's was to get them married. Wird es ein Happy End geben nach den vielen zu erwartenden Metzeleien mit den Zombies? Das letzte CHAPTER 61 klingt in der Tat aus wie ein Jane Austen Roman: Victories were celebratet, defeats lamented. And the sisters Bennet - servants of the Majesty, protectors of Hertfordshire, beholders of the secrets of Shaolin, and brides of death - were now, three of them, brides of man, their swords quieted by that only force more powerful than any warrior. Ja, welche einzige Kraft mag wohl machtvoller sein als jeder Krieger? Die zärtliche Kraft, deren verwirrende und allseitig aktive Vielfalt Alexander Kluge gerade in 166 Ausprägungen beschrieben hat? Seth hat die Monster in den frühkapitalistischen Kontext Austen's versetzt und damit lediglich Stephenie variiert, die ihre Helden gleichsam aus den Romanen Austen's in den Spätkapitalismus übertragen hat. Die Hollywood-Verfilmung der Zombie-Variante ist gerade in Arbeit.
Wie lange der Austen- und Vampirboom noch anhalten wird, ist offen. Die beiden Twilight-Filme waren jedenfalls ein Riesenerfolg und haben bereits mehrere hundert Millionen Dollar eingespielt. Im jeweiligen movie companion kann man die Hintergründe der Verfilmungen nachlesen. Dabei ist der erste Film twilight wesentlich besser als der zweite new moon. Das liegt nicht nur am besseren ersten Buch, es ist vielmehr der Arbeit der Regisseurin Catherine Hardwicke geschuldet. Damit die weiteren Filme in schnellerer Folge produziert werden können, ist für jeden Film ein anderer Regisseur engagiert worden. Der Produzent begründet das mit dem eigenen Charakter des jeweiligen Buches. Aber das ist natürlich nur eine freudsche Rationalisierung für einen ganz anderen Grund: Man soll das Eisen schmieden, solange es noch warm ist. Der Profit ist zu maximieren und nicht die Filmkunst. Regisseur Chris Weitz hat den Bogen in seiner new moon - Verfilmung jedenfalls deutlich überspannt. Seine bildlich-musikalische Romantisierung des Stoffes hält sich zwar inhaltlich dicht am Buch, artet aber zumeist in plumpen Kitsch aus. Die süßlich-satten Streicher-Arrangements und überdeutlichen Einblendungen des Edward - Konterfeis, wenn es im Buch nur um zarte Einflüsterungen geht, mögen für schnulzen- und serienabgestumpfte Teens gerade richtig sein; dem Roman werden sie nicht gerecht. Ganz anders bei der atmosphärisch gelungenen Verfilmung des ersten Teils. Catherine versteht es, durch geschickten Szenenwechsel und wohlabgestimmten Soundtrack, dem Film einen Rhythmus zu verleihen, der einfach mitreißt. Wirken die Szenen bei Chris wie aneinandergereiht, gelingt es Catherine, trotz des steten Wechsels verträumter Schmacht- und hektischer Actionszenen, einen fortlaufenden Bilder- und Soundstrom zu erzeugen. Und selten wird es kitschig oder übertrieben rührselig. Das verhindert schon die sparsam eingesetzte musikalische Untermalung beim Umgang der Verliebten. Statt der Streicherfülle, erklingen zumeist bloß zarte Gitarren- oder Klaviermelodien. Die passen vortrefflich zu den zärtlichen Gefühlen beim ersten Verlieben. Kurz gesagt: Der twilight - Film funktioniert, während die new moon - Verfilmung nicht funktioniert. Begonnen wird twilight mit einer Jagdszene und endet mit dem vorgetäuschten Biss auf dem Schulfest. Auch Hardwicke hält sich eng an die Vorlage, strafft natürlich die Handlung, erlaubt sich aber nur wenige Ergänzungen oder Abweichungen. Um die Grausamkeit und Gefährlichkeit der Vampire beim Jagen zu zeigen und zugleich darzustellen, dass sie Tiere jagen, beginnt der Film mit der Jagd auf ein Reh. Das erweckt Mitleid und Empörung, aber kein Entsetzen wie beim Erlegen eines Menschen. Andererseits blendet Catherine sogleich nur scheinbar stimmungswechselnd vom erlegten Reh zum jungen Menschenkind über, das sich parallel aus dem Off schon Gedanken über seinen Tod gemacht hat. Sind niedlich-rehäugige Mädels nicht auch die heiß begehrte Beute sexgeiler Jungs? Und die im Auftakt angekündigte Lebensgefahr, in die sich Bella am Ende begeben wird, nimmt Hardwicke mit zum Anlass, im Spiegelsaal des Tanzstudios einen filmischen Verweis auf den legendären Klassiker The Lady from Shanghai zu inszenieren. Noch von der großen Liebe träumende junge Damen ebenso wie bereits alterssentimentale Herren können den Film wieder und wieder sehen und in einen Medienstrom eintauchen, der im steten Wechsel verwunschen romantisch dahinfließt oder aufgewühlt abenteuerlich voranschnellt. Und selbstverständlich muss man den Film möglichst laut und mit solidem Bassfundament auf sich einwirken lassen, um die volle Dynamik zwischen den zarten Gitarrenklängen beim Liebesgeflüster und den dunkel-bedrohlich treibenden Schlagrhythmen der Verfolgungsjagden genießen zu können.
Sehr laut sollte man sich auch die urkomische und ultrabrutale Parodie des Vampirgenres Phil Claydon's reinziehn: Seine Horrorkomödie LESBIAN VAMPIRE KILLERS erschien im gleichen Jahr 2008 wie twilight und vereint mit gewaltigem Soundtrack und wüstem Bildersturm ebenfalls Romanze und Abenteuer; allerdings höchst unterhaltsam verquickt mit schrägen Dialogen und rüpelhafter Situationskomik. Der Titel verweist natürlich auf die legendäre Vampirparodie Roman Polanski's von 1966. Und der für das deutsche Publikum gewählte Untertitel: BIS(S) ZUR MORGENLATTE nimmt sinnigerweise Bis(s) zum Morgengrauen aufs Korn. Aber nicht nur das! Die Fülle der Anspielungen auf die vielen Horrorfilme und Heldenepen der Filmgeschichte ebenso wie die zahlreichen abgefahrenen Einfälle schwarzen britischen Humors werden den Film womöglich schon bald zu Kult machen. Natürlich ist es ein Trashfilm, der sich hemmungslos Effekten der Werbeästhetik und technischer Spielereien bedient. Gleichwohl: er funktioniert! Zu Beginn begeben sich die beiden netten jungen Männer, Fletch und Jimmy, auf eine Wanderung in das hinterwäldlerische Kaff Cradwich. Der joviale Spaßvogel Fletch war von seiner Chefin herausgeschmissen worden, weil er als Clown doch tatsächlich ein Kind geschlagen hatte!? Und den freundlich-schüchternen Jimmy hatte seine Freundin abserviert, weil sie ihn zwar noch liebe, aber nicht mehr in ihn verliebt sei und deshalb eine Auszeit brauche. Zwei Loser wie bei Woody Allen, aber dann werden sie vor der einzigen Kneipe des Kaffs einem spektakulären Ereignis ansichtig: Vier geile Bräute - in kurzen Röcken über strammen Schenkeln, mit prallen Brüsten unter tiefen Dekolletés und kessem Lächeln mit niedlichem Augenaufschlag - hüpfen in Zeitlupe gedehnt von furiosem Sound untermalt über den Kneipenzaun und besteigen nach und nach einen VW-Bus. Wie vom Donner gerührt und sichtlich beeindruckt schauen sich die beiden jungen Männer das natürlich nur in ihrem lüsternen Hirn sich abspielende Spektakel an. Dort wo die hinfahren, wollen sie auch hin ... Das Abenteuer kann beginnen. Die süßen Mädels sind nämlich in die Provinz gekommen, um vor Ort für ihr Studium der Folklore die Nachwirkung der Legende von der Vampirkönigin Carmilla zu untersuchen. Der Sage nach hatte sie den Ort einst damit verflucht, dass jedes Mädchen mit ihrem 18. Geburtstag in eine lesbische Vampirin verwandelt werden sollte. Da der Fluch bereits vor vielen Jahrhunderten verhängt worden war, müssten unterdessen zahllose blutrünsige Vamps in der Gegend ihr Unwesen treiben. Zum Happy End können gleichwohl Siege gefeiert und nicht nur Verluste beklagt werden; denn aus Fletch und Jimmy sind spaß- und leiderprobte Helden geworden, die wenigstens Lotte, eine der vier Studentinnen, vor der lesbischen Vampirisierung bewahrt haben - und was das Tollste ist: die junge Frau ist zwar schon 18, aber immer noch Jungfrau, da sie sich für den Einzigen aufheben wollte ...