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Juli Zeh, Zeruya Shalev und Stephenie Meyer

Als Pfarrerstochter war Jane Austen vor 200 Jahren noch weitgehend auf sich allein gestellt, als sie ihrer Fabulierlust folgend, Liebesromane schrieb über junge Frauen auf der Suche nach dem geeigneten Ehemann. 100 Jahre später hatte Virginia Woolf das Glück, als Tochter eines Intellektuellen zur Welt zu kommen. Frühzeitig erhielt sie Anregungen aus Kunst und Wissenschaft und konnte ihr schriftstellerisches Talent unter den freidenkenden Bloomsberries zu voller Blüte ausbilden. Aufgeschlossen den aufregenden Krisen und Umbrüchen ihrer Zeit in Musik und Malerei, Philosophie und Psychologie sowie Mathematik und Physik schuf sie mit ihrem Programm der Modernen Romankunst einen eigenen Durchbruch in der Literatur, wie er nur sehr selten möglich ist. Denn zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde nach Renaissance und Aufklärung erneut eine Moderne erfunden, die von den Revolutionen in den Wissenschaften und Künsten ausgehend, weltweit das kulturelle und gesellschaftliche Leben erfasste. Gillian Beer, Ernst Peter Fischer und Michael Whitworth haben mit Science in Cultural Encounter, Einstein trifft Picasso und Einstein's Wake einige Gedanken zu der faszinierenden Umbruchsituation der damaligen Zeit ausgeführt. Janes auf das Pfarrhaus beschränkter Erfahrungshorizont wurde durch Virginia gleichsam in die Weite des Universums entgrenzt, ohne aber das Gespür für die Feinheiten der Selbsterfahrung zu verlieren. Tomasi fasst Woolfs Beitrag zur Morgenröte der englischen Moderne zusammen, indem er die Musikalität ihrer Romane hervorhebt. Beim Schreiben der Wellen hatte die Autorin sinnigerweise Klaviersonaten Beethovens gehört. In einem bestimmten Augenblick ist der Lauf des Lebens gleichsam eingefroren, aber unter der Oberfläche fließt er mit fiebriger Intensität weiter als Abbild der ewigen Zeit mit ihrer ständigen Wiederholung. Jeder ihrer Romane hat ein klar definiertes Thema, das sich musikalisch paraphrasierend Note um Note in Crescendos und langsamen Takten entfaltet, begleitet vom Fließen, skandiert von Uhren und Wellen, von Bahnstationen und eingestreuten Versen. Alles drückt sich in inneren Bildern, Visionen und Klängen aus, die tiefe psychologische Perspektiven eröffnen. Woolf hat Zeitromane geschrieben im vielfachen Sinne des Wortes. Ich beschränke mich auf einige Beispiele. Sie beginnt mit einer feministischen Kritik an der patriarchalen Herrschaft ihrer Zeit, in der es für eigenständige, sich selbst entwickeln wollende Frauen, keinen Platz gibt. Folglich trennt sich der Zeitverlauf für Rachel auf ihrer Fahrt hinaus vom Fortgang der Zivilisation und endet in der Finsternis. In Mrs Dalloway wird die Zeit als bestimmendes Thema reflexiv in den Roman hineingenommen, zum einen als den Takt vorgebende Tageszeit, dann in den wechselnden Parallelläufen der verschiedenen Handlungsstränge und darüber hinaus als schichtenweise eingeschobene erinnerte Zeit. Nach Einbruch der Nacht werden die verschiedenen Zeitformen und -verläufe im gesellschaftlichen Finale für die Gäste zur Deckung gebracht. Im historisch-magischen Fantasy-Roman Orlando wird die Zeit für die Mann-Frau Orlando stark verlangsamt, so dass sie nahezu vier Jahrhunderte durchleben kann und dabei nur gut 30 Jahre alt wird. Und in Die Wellen werden die Tages- und Lebenszeiten der Akteure vom Wellenschlag und Sonnenstand am Meer bestimmt. Die im Atemrhythmus des Menschen heranbrandenden Wellen geben dabei auch den Rhythmus der Erinnerung an die jeweiligen Figuren vor, während der Sonnenstand gleichsam als Projektion eines Tages zugleich alle Tage im Leben der Akteure einschließt.

Mit Virginia Woolf hatte die Romankunst ein Niveau erreicht, an das nur noch wenige ihrer Zeitgenossen heranreichten. James Joyce natürlich, Thomas Mann und Marcel Proust. Und Nachfolger? Auf Jacob's Room folgten 1925 Dos Passos' Manhattan Transfer und 1929 Döblins Berlin Alexanderplatz. An Döblin wiederum knüpfte ab 1959 Günter Grass an mit seiner Danziger Trilogie. Und die Frauen? Ingeborg Bachmann, Doris Lessing und Elfriede Jelinek wären als herausragende Schriftstellerinnen zu nennen, die alle drei auch im Feminismus eine Rolle spielen sollten. Aber sind sie noch zeitgenössisch mit Stephenie Meyer in der gegenwärtigen Popkultur? Mit Bezug auf die Politik beklagt sich Juli Zeh auf dem Rasen über die Altersfreigabe: Markanterweise gilt für die Gesamtdiskussion: Altersfreigabe ab 50. Keiner der Disputanten entstammt der jüngeren Generation. Was für die Politik gilt, trifft leider auch auf die Literatur zu: Lessing wurde 1919 geboren, Bachmann 1926 und Jelinek 1946. Zeh dagegen kam erst 1974 (und Meyer 1973) zur Welt und veröffentlichte bereits 2001 ihren ersten Roman: Adler und Engel. Aber nicht nur das fast gleiche Alter mit Stephenie spricht für die Wahl Julis als beispielhafte zeitgenössische Autorin; ihre Biographie stellt auch eine Alternative zu der Stephenies dar, nicht unähnlich dem Unterschied zwischen Jane und Virginia. Während Meyer unkritisch an die Literatur Austens anknüpft und sich damit als hinterweltliche Autorin outet, die seit mindestens 200 Jahren kaum etwas dazu gelernt hat, setzt Zeh mit ihrem Politik-, Rechts- und Literaturverständnis die Tradition der Aufklärung von Austen über Woolf kongenial in der Gegenwart fort. Aber schreibt sie auch Liebesromane? Nein; denn ein permanenter Zweifelsfall wie die Liebe eigne sich nicht für die Ewigkeit: eine gesunde Abhängigkeit ist allemal haltbarer als ein Trauschein. Wie wahr, eine selbstbestimmt gewählte Symbiose zwischen Menschen bedarf heute zum Glück keiner gesetzlichen Regelung mehr; es sei denn Kinder werden geboren. Aber auch dann können Paare oder Wohngemeinschaften mit geteiltem Sorgerecht ohne Trauschein nach ihren eigenen Regeln zusammenleben. Freiheit zählt für Zeh mehr als Sicherheit. Damit unterscheidet sie sich allerdings schon wieder von den jungen Menschen zwischen 20 und 35, die (gemäß SPIEGEL-Umfrage) zu 70% vom ewigen Bund der Ehe träumen und am liebsten auch noch in der Kirche heiraten würden. Und ganz im Einklang mit diesem neuen Spießertum besingen ihre Idole von Silbermond die Sicherheit als wesentlich im Leben junger Menschen. Vor 40 Jahren war es noch die Freiheit, die zählte. Heute gelten Trojanow und Zeh mit ihrer Streitschrift gegen den Angriff auf die Freiheit durch Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und den Abbau bürgerlicher Rechte als einsame Rufer in der Wüste. Um so interessanter wird es sein, die Romane einer gegen den Strom schwimmenden Autorin in der Folge Austens und Woolfs zu verfolgen; denn zu ihrer Zeit war auch Jane Austen noch eine Ausnahmeautorin.



Unterabschnitte

ingo 2009-06-14