Friedrich Nietzsche wurde im Febr. 1869 als außerordentlicher Professor für klassische Philologie an die Universität Basel berufen. Schon während seiner Studienzeit hatte er sich durch ausgezeichnete Arbeiten einen Namen gemacht und wurde von seinem Lehrer Ritschl nach Basel empfohlen. Er hatte also Außerordentliches geleistet, wie Freud es in einem Witz über den ordentlichen Professor listig formulierte: Der Unterschied zwischen ordentlichen und außerordentlichen Professoren besteht darin, dass die ordentlichen nichts Außerordentliches und die außerordentlichen nichts Ordentliches leisten. Am 28. Mai 1869 hält Nietzsche seine Antrittsvorlesung: Homer und die klassische Philologie. Er beschließt den Vortrag mit dem programmatischen Bekenntnis, dass alle und jede philologische Tätigkeit umschlossen und eingehegt sein soll von einer philosophischen Weltanschauung, in der alles Einzelne und Vereinzelte als etwas Verwerfliches verdampft und nur das Ganze und Einheitliche bestehen bleibt.
Nachdem Nietzsche im Nov. 1868
Richard Wagner kennengelernt hatte, begann zwischen den beiden ein freundschaftliches
Verhältnis, das Nietzsche in seiner Neigung zur Philosophie bestärken sollte. Auch
Wagner war von der Philosophie Schopenhauers begeistert und sah in ihr eine Überhöhung
seines musikalischen Werkes; zumal Schopenhauer ein Loblied auf die Künstler sang, das
bei dem eitlen Musiker besonders gut ankam. Nietzsches Berufung nach Basel ermöglichte
es ihm, häufig mit Wagner in Tribschen zusammen zu kommen. Und so fühlte er sich
beflügelt, seine Idee vom tragischen Zeitalter des Griechentums philosophisch
aus der Musik heraus zu verstehen. Als Frucht dieses Zusammendenkens entstand die
Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik.
Im Vorwort an Wagner schreibt Nietzsche als Belehrung an den ernsthaften Leser,
dass ich von der Kunst als der höchsten Aufgabe und der eigentlich metaphysischen
Tätigkeit dieses Lebens im Sinne des Mannes überzeugt bin, dem ich hier, als meinem
erhabenen Vorkämpfer auf dieser Bahn, diese Schrift gewidmet haben will. Als
Freundschaftsdienst verfehlte die Schrift ihre Wirkung nicht; in der philologischen
Fachwelt allerdings rief sie Enttäuschung und Ablehnung hervor, da es ihr an
Wissenschaftlichkeit mangelte.
Das Entweder - Oder Kierkegaards zwischen ästhetischer oder ethischer Lebensweise hatte Nietzsche mit Wagner für die Kunst und gegen die Moral entschieden. Dabei ging es ihm hinsichtlich der Kunst nicht um den zum Künstler verfeinerten apollinischen Menschen, sondern um den dionysischen Rausch, der den grobsinnlichen Menschen selbst zum Kunstwerk stilisierte; ganz so wie ein Trinkgelage Schiller zur Ode an die Freude inspirierte, die Beethoven dann zum Finale seiner 9. Symphonie komponierte. Die Trinkgelage und Rundgesänge zur Verkörperung und Auferstehung des Gottes Dionysos sollten nach Nietzsche der Ursprung gewesen sein, aus dem sich das griechische Theater entwickelt hatte. D.h. die zur Begeisterung der Massen praktizierten religiösen Rituale des Dionysos-Kultes bildeten die Grundform der griechischen Tragödie, in der sie in der Gestalt des Chors erhalten blieben. Ähnlich wie die urzeitliche Naturreligion über die Naturphilosophie der Vorsokratiker in die neuzeitliche Naturwissenschaft mündete, fanden die archaischen Religions-Rituale über die griechische Tragödienkunst ihre Vollendung im Musikdrama Wagners.