Nächste Seite: Die frühen Komödien Aufwärts: Nietzsche dachte und Woody Vorherige Seite: Ecce Homo   Inhalt

Von der Geburt des Films zum Match Point

Am 1. Dez. 1935 bekommt Mrs. Starkwell, die Frau eines Gelegenheitsarbeiters, ihr erstes und einziges Kind. Es ist ein Junge und sie nennen ihn Virgil. Es ist ein außergewöhnlich liebes Kind, mit friedlichem Naturell. Als Virgil 25 Jahre alt ist, wird von der Polizei bereits in 16 Staaten nach ihm gefahndet, wegen Tätlichkeit, bewaffneten Raubes, illegalen Waffenbesitzes. In einem Slum aufwachsend, wo die Verbrechensrate zu den höchsten des Landes zählt, ist es nicht leicht, sich durchzusetzen, besonders für Virgil, der im Vergleich mit anderen Kindern klein und zart geraten ist. Mit dieser nüchtern-ironischen Reporterstimme aus dem Off beginnt am 19. Aug. 1969 die Uraufführung von Take the money and run (Woody, der Unglücksrabe). Es ist Allens erster in Eigenregie produzierter Film. Von der Frontalansicht einer schäbigen Hausfassade schwenkt die Kamera auf Straßenszenen, in denen sich der kleine, rotschopfige Virgil gegen stärkere Jungs und autoritäre Erwachsene druchzusetzen hat. Wiederholt reißen sie ihm die Brille von der Nase und zertreten sie demonstrativ vor ihm auf dem Pflaster. In den Slums der Bronx regiert das Gesetz des Stärkeren und Kinder mit 'nem Will'n kriegen 'was auf die Brill'n. Nach einem Schwenk auf die Schulfassade kommt Virgils Klassenlehrerin ins Bild. Sie erinnert eine Begebenheit als er einmal einen Füller geklaut hatte und ihn im Dunkeln zurückgeben sollte. Dabei ergriff er die Gelegenheit, alle Mitschülerinnen zu betatschen. Die bieder spießbürgerliche Lehrerin fügt nicht ohne Komik verunsichert hinzu: Ach, das durfte ich doch wohl sagen?

Während der Film auf die Straßen der Bronx wechselt, fährt die Off-Stimme betont neutral fort: Die meiste Zeit auf den Straßen verbringend, wendet sich Virgil schon früh dem Verbrechen zu. Aber er ist ein ständiger Versager. Gerade verklemmt er sich seine Hand bei dem Versuch, einen Kaugummi-Automaten zu knacken. Seine Eltern sind berufstätig, um über die Runden zu kommen; und so nimmt sich sein Großvater, ein 60jähriger deutscher Einwanderer, seiner Erziehung an. Er geht mit dem Jungen ins Kino und zu Baseballspielen. Und da geschieht auch die Tragödie. Beim Spielen der Washington Senators wird der Großvater von einem ins Aus geschlagenen Ball am Kopf getroffen. Der Schlag erzeugt eine permanente Geistesgestörtheit.- Und er ist überzeugt, Kaiser Wilhelm zu sein. Hier ein paar typische Bilder von ihm mit anderen Patienten der Anstalt. Eingeblendet werden Dokumentar-Aufnahmen Kaiser Wilhelms im Umgang mit seinen Offizieren ...

Die Reportage wird ausnehmend sachlich fortgesetzt: Als er 15 Jahre alt ist, erhält Virgil inmitten der Armut der Slums ein Cello geschenkt. Er ist von dem Instrument fasziniert. Obwohl der Jungendliche, absolut unmusikalisch, keine Beziehung zu seinem Instrument herzustellen vermag, liebt er sein Cello und stiehlt, um die Stunden seines Musiklehrers bezahlen zu können. Nachdem er unter nicht unwesentlichen Schwierigkeiten versucht hat, in einer Marschkappelle mitzuspielen, begegnet er auf dem Heimweg einigen Rowdies - und neben der Brille geht auch das Cello zu Bruch. Mit 18 ist Virgil einsam und verunsichert. Unfähig, sich in der Schule zu konzentrieren, hat man ihn seit langem aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Aber er wünscht sich nichts mehr, als dazu zugehören. Und sei es nur als Mitglied einer Straßenbande. Seine Männlichkeitsbeweise beim coolen Präsentieren eines Klappmessers oder beim zielsicheren Stoßen einer Billardkugel scheitern kläglich. Virgil versucht, zur Marine zu gehen, besteht aber nicht den psychologischen Test. Angesichts einer ihm vorgelegten vielgestaltigen Figur fällt ihm nichts weiter ein als: Sieht so aus, wie zwei Elefanten, die einen Männergesangsverein bumsen. Nach Aussage seines ersten Bewährungshelfers sei Virgil ein vertrauensseliger Typ von einem Menschen gewesen, typisch war, dass er oft nicht die Wahrheit sagte. Manchmal übertrieb er aber auch die Wahrheit. Die Vertrauensseligkeit in eine Pistolenattrappe wird ihm zum Verhängnis werden. Unfähig sich seiner Umwelt auch nur ein wenig anzupassen, schlägt Virgil sich auf eigene Faust durch. Nachdem sich der Unglücksrabe in einem Tabackwarengeschäft eine Pistole geangelt hat, entwendet er zwei Geldtransporteuren einen Geldsack und versucht, sich aus dem Staub zu machen: take the money and run! Als ihn die Wachleute stellen, zückt der in die Enge Getriebene seine vermeintliche Waffe - die sich als harmloser Zigarettenanzünder herausstellt ...



Unterabschnitte
Nächste Seite: Die frühen Komödien Aufwärts: Nietzsche dachte und Woody Vorherige Seite: Ecce Homo   Inhalt
Ingo Tessmann 2007-04-15