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Reflexionen und Romane

Nach dem überwältigenden weltweiten Erfolg mit Manhattan geriet Allen 1979 in eine ähnliche Schaffenskrise wie Fellini zwanzig Jahre zuvor nach seinem grandiosen Film La Dolce Vita. Mit seiner von der Kritik als Meisterwerk gefeierten Arbeit Achteinhalb bewältigte der Italiener bis 1963 seine Krise und überwand den Neo-Realismus der Nachkriegszeit, indem er fortan aus den Phantasiewelten des Surrealismus und der Tiefenpsychologie schöpfte. Nicht mehr Handlung und Aussage stehen im Vordergund, sondern Phantasie und Imagination. Mit Celebrity wird Allen an La Dolce Vita anknüpfen und Federicos Kindheitserinnerungen in Amarcord wird Woody mit Radio Days aufgreifen.

Achteinhalb beginnt mit einem Alptraum, den der Regisseur Guido Anselmi in einem Sanatorium erleidet, in das er sich eigentlich zur Erholung und Reflexion zurückziehen wollte; jedoch ständig von Produzenten und Autoren sowie Schauspielern und Fans verfolgt wird. Im Traum fühlt sich Guido in einem Auto eingeschlossen, das in einem Stau steckt. Aus den anderen Fahrzeugen heraus, starren ihn die Leute an, und als in seinen Wagen Rauch eindringt, entkommt er nur mit Mühe durch das Schiebedach ins Freie. Endlich befreit, entschwebt er einem Vogel gleich in die Lüfte. Über dem Strand fliegend, an dem La Dolce Vita endete, spührt er plötzlich eine Schlinge an seinem Bein - und wird unsanft in die Tiefe gerissen. Kurz vor dem Aufprall erwacht er verstört und muss sich sogleich fragen lassen, ob er schon wieder einen Film ohne Hoffnung drehen wolle. Fellini entwickelt seinen 8 1/2 - ten Film als einen Film über das Filmemachen, indem er seinen Helden durch alle Visionen, Angstträume, Erinnerungen und persönlichen wie gesellschaftlichen Verstrickungen schickt, die ihm alle auch schon widerfuhren; aber natürlich nicht genauso; kurz: 8 1/2 ist der Film, in dem 8 1/2 entsteht. Vor allem drei Frauen sind es, die ihn gefangen nehmen. Seine schöne Schauspielerin Claudia, seine Ehefrau Luisa und seine Geliebte Clara. Am Ende sind es aber nicht nur diese, sondern alle Frauen aus seinem Leben, die ihm zusetzen und geradezu verspeisen möchten. In einem derartigen Harem weiß er sich nur noch mit der Peitsche des Raubtier-Dompteurs zu helfen. An diese auch auf Nietzsche verweisende Szene hatte Allen schon mit Pussycat angespielt. Achteinhalb endet mit einem zirkushaften Umzug aller Akteure - und Guido flüstert Luisa zu: Das Leben ist ein Fest. Lass es uns gemeinsam erleben. Nachdem allmählich alle Lichter erloschen sind, bleibt Guido allen zurück:- als Kind.

Wie auf dem Bounusmaterial der bei Arthaus erschienenen DVD zu 8 1/2 berichtet wird, hatte Fellini noch einen anderen Schluss geplant, der weniger optimistisch ausfiel. Alle Akteure sollten danach in einem Zugrestaurant sitzen und ins Nirgendwo fahren. Die Zugfahrt war als Metapher für das Leben gedacht; gleichsam eine Fahrt ohne Ziel. Ganz so wie uns das Leben lebt und einem Zug gleicht, in den man hineingeboren wird.

Woody Allen knüpft 1980 mit Stardust Memories an die Zugmetapher des Lebens an. Zu Beginn des Films sehen wir den Filmemacher Sandy Bates in einem Zug sitzen. Bei genauerer Betrachtung, handelt es sich um einen ziemlich schäbigen Zug mit ebenso heruntergekommenen Fahrgästen. Um nicht der Verzweiflung anheim zu fallen, schaut Sandy aus dem Fenster und gewahrt auf dem Parallelgleis einen anderen Zug, in dem die Reisenden ausgelassen feiern und es sich gut gehen lassen. Da war wohl jemand im falschen Zug; Sandy gelingt es aber nicht, sein Abteil zu verlassen. Am Ziel angekommen, finden sich beide Reisegruppen auf einer Müllhalde wieder ... Reisen nicht alle Menschen bloß in den Tod? Wie beim nicht realisierten Schluss Fellinis, zeigt Allen zu Beginn das Ende eines Films im Film. Und ebenso wie Anselmi werden Bates Vorhaltungen gemacht: Well, I thought it was terrible ... He's not funny anymore ... I've seen it all before. They try to document their private suffering and fob it off as art. Die enttäuschten Filmleute begleiten den Cineasten in sein Apartment: Who needs a festival of my old films? Ähnlich wie 8 1/2 ist auch Stardust Memories ein Film über das Filmemachen, in dem mehrere Handlungeebenen und Vorstellungswelten kunstvoll miteinander verwoben werden. Wie in Achteinhalb und Manhattan stehen drei Frauen im Zentrum von Sandys Seelenlabyrinth: die blonde, mütterliche, unkomplizierte, familienfixierte Isobel, die zarte, herbe, bisexuelle und introvertierte Daisy; und die brünette, schlanke, hypernervöse und elegante Dorrie. Seine Frau Isobel hat Sandy zu seinem Filmfestival ins Hotel Stardust eingeladen und sie kommt nicht nur mit den Kindern, sondern hat auch ihre niedlichen kleinen Baumwollsocken dabei. Daisy lernt Sandy erst auf dem Festival kennen und obwohl sie sich gemeinsam Fahrraddiebe anschauen, entzieht sie sich ihm immer wieder, was sie natürlich umso begehrenswerter macht. An seine mondän-neurotische Ex-Geliebte Dorrie erinnert sich Sandy in wiederkehrenden poetisch-verrückten Rückblenden. Die Inszenierungen der Erinnerungsarbeit sagen natürlich immer auch viel über Sandy aus, z.B. wenn wir ihn auf der Jagd nach einer Taube sehen, die in sein Apartment geflogen war, es sich für ihn aber um eine fliegende Ratte mit Hakenkreuzen unter den Flügeln handelte.

Die Spannung zwischen Kunst und Leben, Realität und Fiktion, Traum und Tod, Film und Literatur ist es, die Stardust als Verwirrspiel und Vexierbild eines Autors auf der Suche nach seinen schöpferischen Qualitäten auszeichnet, wie Gerhold weiter hervorhebt. Stardust Memories ist wohl Allens bester Film in der Entfaltung seines Generalthemas: Wie kann man in einer verrückten, widersinnigen und sinnlosen Welt sinnvoll leben? Gibt es ein wahres Leben im falschen? Sandy: Was soll ich dazu sagen? Ich will keine komischen Filme mehr machen. Sie können mich nicht dazu zwingen ... Ich ... Ich habe keinen Sinn mehr für Komik. Wenn ich mir diese Welt ansehe, sehe ich nur menschliches Leid. Manager: Menschliches Leid bringt die Kasse in Kansas City nicht zum Klingeln. Sandy: Nee. PR-Mann: In Kansas City wollen sie lachen. Sie haben einen harten Tag im Weizenfeld hinter sich. Auch wenn Stardust eine filigran verwobene Reflexion über das Kunstschaffen ist und autobiographische Züge trägt, ist Sandy gleichwohl nicht mit Woody gleichzusetzen. Wie Allen Björkman erzählte, hält er ihn selbst für einen seiner besten Filme und so wurde das auch in Europa von der Kritik gesehen. In den USA dagegen war die Reaktion ganz anders. Dort fiel er nicht nur beim Publikum durch; er wurde auch heftig kritisiert. Allen erinnert sich: Nicht wegen der Form, sondern wegen des Inhalts. Sie glaubten, daß die Hauptfigur ich war! Nicht eine Kunstfigur, sondern ich, und daß ich dem Publikum gegenüber feindselig eingestellt war. Aber natürlich hatte das überhaupt nichts mit dem Anliegen des Films zu tun. Er handelt von einem Menschen, der eine Art Nervenzusamenbruch hat und trotz seines Erfolgs an einem Punkt seines Leben angelangt ist, wo es ihm schlecht geht. Die Reaktion war: ,,Sie halten also nichts von Kritikern, Sie halten nichts von Ihrem Publikum.`` Und ich sagte: ,,Nein, nein, nein, das bin doch nicht ich.``

Die Anfangsszene seines Films hält Allen für im philosophischen Sinn metaphorisch, während es sich in 8 1/2 um einen persönlichen Charakterzug der Hauptfigur des Films handelt. Woody wollte immer primär Komödien machen, aber fallweise eben auch ernstere Filme wie Stardust Memories. Was er mit dem Film beabsichtigte, fasst er wie folgt zusammen: Grundsätzlich wollte ich in diesem Film, wie auch in vielen anderen meiner Filme, die Beziehung des Menschen zu seiner Sterblichkeit zeigen. Weil diese Figur anscheinend reich und erfolgreich ist und herumchauffiert wird ... am Anfang des Films sehen wir ihn in seiner Wohnung, und seine Haushälterin bringt ein totes Kaninchen herein. Er betrachtet dieses tote Ding, und es erinnert ihn an seine eigene Sterblichkeit. Und dann spielt sich der Rest des Films in seinem Kopf ab. Plötzlich ist er fort, an jenem Wochenende, wo er sein Leben Revue passieren läßt, und man lernt seinen Charakter kennen, sein Leben, seine Freundin, seine Schwester, seine Eltern, seine Probleme. Und dann wird er am Ende des Films von seinem hingebungsvollsten Fan erschossen. Doch er stirbt nicht. Und er sagt - wenn ich mich recht erinnere -, daß er seinen Oscar eintauschen würde gegen nur eine Minute länger leben. Und wieder habe ich das eher philosophisch gemeint. Nur dieser Aspekt hat mich interessiert. Bei Fellini bringt sich Guido fiktiv selber um - aber John Lennon wurde wenig später wirklich erschossen. Die künstlerische Unsterblichkeit ist Sandy kein Trost: Vivian: Das Werk von Sandy Bates wird auch nach ihm weiterleben. Sandy: Ja, aber was habe ich davon, wenn ich keine Frauen mehr aufreißen und keine Musik mehr hören kann. Schöne Momente, die das Leben durch Frauen und Musik lebenswert machen, inszeniert Allen in ausnehmend poetischer Atmosphäre. Und gerade wenn man stirbt, wird das Leben durch die Erinnerung an sie wirklich sehr authentisch.

Man sollte jeden Tag so genießen, als wäre er der letzte, denn Leben und Sterben sind reine Glückssache. Sandy wird im Stardust Hotel von einem alten Freund aus seiner ehemaligen Wohngegend aufgesucht: Sandy: Ich glaube, ich bin etwas betrunken. Was willst du denn von mir hören? Daß ich der Junge in unserem Viertel war, der immer Witze erzählt hat, stimmt's? Jerry: Ja. Sandy: Und, und wir, weißt du, wir leben in einer Gesellschaft, die auf Witze großen Wert legt, verstehst du? Jetzt versuch's doch mal so zu sehen, wenn ich ein Apache gewesen wäre, diese Typen haben doch nie einen Komiker gebraucht, stimmt's? Da wäre ich arbeitslos gewesen. Jerry: So? Ach, hör doch auf. Das tröstet mich kein bißchen, verstehst du? Sandy: Ich weiß auch nicht, was ich sagen soll. Ich hab furchtbare Kopfschmerzen. Weißt du, es ist einfach Glück. Ich hatte einfach Glück. Ich bin der erste, der zugibt, daß ich bloß Glück gehabt habe. Wenn ich nicht in Brooklyn geboren wäre, wenn ich in Polen, oder, oder Berlin geboren wäre, wäre ich jetzt ein Lampenschirm, stimmt's? Trotz seines Glücks leidet Sandy an Ozymandius Melancholia; so sieht das jedenfalls sein Analytiker: Er war ein komplizierter Fall. Er hat die Wirklichkeit zu deutlich gesehen. Defekter Verdrängungsmechanismus. Nicht in der Lage, die schrecklichen Wahrheiten des Daseins abzuwehren. Zum Schluß machte seine Unfähigkeit, die entsetzlichen Tatsachen des In-der-Welt-Lebens zu verdrängen, sein Leben sinnlos. Oder, wie ein großer Hollywood-Produzent gesagt hat: ,,Die Leute wollen nicht zuviel Realität.`` Sandy Bates litt an einer Depression, die sehr vielen Künstlern in den mittleren Jahren eigen ist. In meinem jüngsten Aufsatz für die Psychoanalytische Zeitschrift habe ich es Ozymandius Melancholia genannt.

Wenn wir schon vom Leben nur gelebt und in einen Zug hinein geboren werden, der uns lediglich in den Tod fährt; dann, ja dann - bleibt einem Cineasten immer noch die Möglichkeit, den Schluss des Films zu ändern. Verstört darüber, dass seine Frau ihn verlassen will, hat Sandy eine bemerkenswerte Idee: Ich hatte eine ganz, ganz beachtliche Idee für ein neues Ende meines Films, verstehst du? Wir, wir sind in einem Zug, und in dem, in dem Zug sind viele traurige Leute, verstehst du? Und, und ich hab keine Ahnung, wohin er fährt ... es könnte überall hin sein ... es könnte die gleiche Müllhalde sein ... Und, äh ... Aber es ist nicht so schrecklich, wie ich ursprünglich angenommen hatte, weil, weil, weißt du, weil wir uns mögen, und nicht, äh, weißt du, weil wir Spaß zusammen haben, und es besteht eine große Vertrautheit, und alles läßt sich viel leichter ertragen. Isobal: Mir gefäll's nicht ... Es ist zu sentimental. Sandy: So? Na und? Es ist eine gute Sentimentalität. Das ist es doch, was man, verstehst du ... aber diese Rolle, für die du das Vorbild bist, die ist sehr warm und großherzig, und du bist absolut, äh, wild nach mir. Du bist einfach verrückt nach mir. Du denkst einfach, ich bin das Wunderbarste auf der Welt, und, und du liebst mich, und du ... Und, und, obwohl ich viele Dummheiten mache ... weil du tief im Innern weißt, daß ich nicht böse bin oder so was, ja? Nur irgendwie schwimme. Einfach ein bißchen lächerlich vielleicht. Weißt du, einfach noch auf der Suche, okay? Isobal: Ich glaube nicht, daß das realistisch ist. Sandy: Was -? Jetzt? Das ist ... Jetzt kommst du mit Realismus, nach, nach ...? Dies ist der ungeeignetste Zeitpunkt, um ... Eines weiß ich jetzt: daß ein, daß ein dicker, langer, nasser Kuß dem Film am Ende ganz schön helfen würde. Ich meine es völlig ernst. Ich, ich ... ich glaube, das wäre ein ganz toller Schluß. Weißt du, was ich meine? In Sam hatte Allen noch eine externe Filmszene in seinen Film übernommen. Hier nun überführt er am Ende die Ebene des Films in die des Films im Film. Was für ein gelungener Ausklang! Aber das ist noch nicht alles, denn Allen wäre nicht Woody, wenn er sich damit nicht wiederum satirisch zu ,,Gott`` hochstilisiert hätte: It's like we're all characters in some film being watched in God's screening. Eine detaillierte Analyse der Selbstreflexivität in Allens Filmen kann dem Casebook entnommen werden. Ich werde darauf zurückkommen.

Nach seinen vielfältigen filmästhetischen Reflexionen in Stardust war Allen hinreichend geleutert für weitere Komödien. Aus der Großstadtsymphonie im Rhythmus der Moderne Gershwins wurde 1982 eine Landpartie in der romantischen Stimmung Mendelsohns. 1980 hatte Woody Allen Mia Farrow kennen und lieben gelernt, die womöglich schon seinen Filmschluss in Stardust beeinflusst haben mag. Und auch ihr Anwesen auf dem Lande hat wohl dazu beigetragen, dass Allen nunmehr einen heiteren Liebesreigen in sommerlicher Naturidylle auf die Leinwand bringt. In der Mittsommernachts-Sexkomödie wird die begnatete Schauspielerin als Luftgeist Ariel die Sommeratmosphäre durchwehen und durch ihr engelhaftes Auftreten mit aufgefächerten blonden Locken und langem weißen Faltenkleid die Männerherzen aus dem Takt bringen: Woody Allens liebevolle Hommage an Jean Renoir, William Shakespeares Ein Sommernachtstraum und Der Sturm, Ingmar Bergmans Das Lächeln einer Sommernacht und die Impressionisten, verbindet als listige Landpartie und prächtige Pastorale eine luftige Ode an die Natur, Mendelsohns musikalische Romantik, die bukolische Burleske in der fiebrigen Fauna und Flora einer ausgelassenen Wald-und-Wiesen-Rabulistik, die Magie der Laterna Magica, die lustigen libidinösen Lockungen von drei Paaren und die Personen-Konstellationen französischer Farcen zu einem kunstvollen, poetischen, freien, heiteren und spielerisch leichten Meisterwerk. Gerholds überschwenglicher Begeisterung kann ich mich nur anschließen; denn Woody inszeniert die Irrungen und Wirrungen einer magischen Mittsommernacht in faszinierend-leichten, poetisch-naturalistischen Bildkompositionen, die der Stimmungs-Polyphonie Manhattans kaum nachstehen.

In dem Landhaus des Anlageberaters und Hobby-Erfinders Andrew (Woody Allen) und seiner frustrierten Frau Adrian versammeln sich an einem Wochenende zu einer Mittsommernacht um das Jahr 1910 herum zwei weitere Paare: der ältere Philosoph, Positivist und Junggeselle Leopold mit seiner jüngeren Verlobten Ariel und der Arzt, Hedonist und Lebemann Maxwell in Begleitung der attraktiven und sexuell aufgeschlossenen Krankenschwester Dulcy. Der lustvolle Liebesreigen einer heiteren Landpartie kann beginnen. Für Leopold ist es das letzte Wochenende als Junggeselle und nach der Hochzeit hat er natürlich einen Urlaub in Italien geplant. Vor seiner Abreise in die Semesterferien und Flitterwochen stellt er im philosophischen Seminar noch einmal zusammenfassend seine wissenschaftliche Weltauffassung dar: Ghosts, little spirits and pixies, I don't believe in them! Nothing is real but experience, that which can be touched, tasted, felt, or in some scientific fashion proved. We must never substitute qualitative events which are marked by similar properties and recurrences for fixed substances ... As I stated quite clearly in my latest paper, metaphysical philosophers are simply men who are too weak to accept the world as it is. Their theories of the so-called mysteries of life are nothing more than projections of their own inner uneasiness. Apart from this world, there are no realities. Als sich ein Student erkühnt, einzuwenden: But this leaves many basic human needs unanswered, tut es dem Positivisten bloß leid um ihn: I'm sorry, I did not create the cosmos, I merely explain it. Aber auch die positive Philosophie verspricht fröhlich zu werden. Leo und Ariel waren sich im Petersdom von fernen Sternen zugefallen, wie einst Fritz und Lou. Und wie Prospero ist auch dem Philosophen sein Büchersaal schon Herzogtum genug. Da sich Positivismus und Hedonismus schon bei Demokrit und Epikur vortrefflich ergänzten, möchte sich auch Leopold seinen Lebensabend mit einem jungen weiblichen Luftgeist versüßen. Miteinander bekannt gemacht, verfallen allerdings Ariel und Maxwell sogleich ihrem jeweiligen Duft, der sie umwolkt. Und fortan versucht der Arzt den blonden Engel davon abzubringen, einen alternden Philosophen zu heiraten: Die Ehe ist der Tod der Hoffnung! Aber auch Andrew erliegt dem Charme Ariels; zumal er sie einmal stark begehrte: Ariel: Sag mir eins: Wenn du mich so sehr begehrt hast, warum warst du dann nicht in mich verliebt? Kann man die beiden Gefühle so trennen? Andrew: Manchmal glaube ich, die beiden sind völlig verschieden. Sex löst Spannung, und Liebe verursacht sie. Da seine Frau seit einem halben Jahr nicht mehr mit ihm schläft, hat sich eine ganz gehörige Spannung aufgebaut. Während Andrew und Maxwell auf der Wiese, am Bach oder im Wald um Ariel buhlen, steht Leo nach einem letzten Abenteuer als Junggeselle der Sinn. Und weil sie die Springer als ,,Hengste`` bezeichnet, lädt er Dulcy zu einer Schachpartie ein.

Im Wald, an der Stelle, wo sie sich vor Jahren schon einmal begegnet waren, versuchen Andrew und Ariel an den Zauber der verpassten Gelegenheit anzuknüpfen: Erinnerst du dich an die Nacht hier im Wald? Direkt an diesem Fleck hier, um genau zu sein. Ariel: Natürlich erinnere ich mich. Es war eine der schönsten Sommernächte, die ich je erlebt habe. Andrew: Ich denke oft an diese Nacht, sehr oft, und wenn ich daran denke, möchte ich dich umbringen. Dich umbringen oder mich, aber öfter dich. Ariel: Warum hast du nichts getan? Ich wollte es ... ich wollte, daß du mich nimmst und mich liebst. Andrew: Das hab ich nicht gewußt. Ariel: Daß du das nicht gemerkt hast! Man konnte es mir so deutlich ansehen. Andrew: Wenn du wüßtest, wie sehr ich das wollte - dich an mich reißen und dich lieben. Ariel: Es hätte dir sehr viel Spaß gemacht, glaub mir. Andrew: Sag das nicht! Ich hätte nie gedacht, daß du das willst! Ariel: Ich wollte deine Hände an meinem ganzen Körper spüren. Andrew: Ich dachte, es würde dich kränken ... wir waren dreimal verabredet - höchstens. Du warst die Diplomatentochter, gutes Elternhaus ... von Nonnen erzogen, vornehme Schulen ... Wir waren nicht verliebt. Es war purer animalischer Sex. Wollust. Ich hätte meinen rechten Arm dafür gegeben, dich auszuziehen und alle nur erdenklichen furchtbaren Sachen mit dir zu machen. Ariel: Genau dafür war ich in der Stimmung. Andrew: Ich weiß, ich weiß, ich hab eine Gelegenheit verpaßt. Es ist so traurig! Das bereue ich heute noch! Es ist das Traurigste, was einem passieren kann - eine Gelegenheit verpassen. Und besonders ärgerlich, weil ich erst später, einen Monat später, nachdem du nach Europa gereist warst, herausgefunden habe, daß du mit allen geschlafen hast! Mit allen! Ariel: Nicht mit allen. Na ja, vielleicht doch mit allen. Andrew: Ich wäre nicht der erste gewesen. Ich wäre der einundzwanzigste gewesen! Dichter, Schauspieler, Bankiers, die Sturmspitze der Chicago White Sox! Ariel: Ich war keine von diesen ängstlichen, verschüchterten, verklemmten kleinen Jungfrauen. Andrew: Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts. Ariel: Ich glaube, von all den Liebesaffären, die ich in der Zeit hinter mich gebracht habe, wärst du der einzige gewesen, der mich hätte aufhalten können. Andrew: Meinst du? Ariel: Ich hatte angefangen, mich für dich zu interessieren. Wer weiß, was passiert wäre, wenn wir in dieser Nacht miteinander geschlafen hätten. Der Augenblick war so perfekt, und Menschen erfahren durch das Liebesspiel Dinge über sich selbst, die sie sich nie hätten träumen lassen.

Da eine verpasste Gelegenheit schwerlich wiederholt werden kann, verläuft ihr eher zwanghaft nachgeholter Beischlaf sehr ernüchternd. In Der Ekel lässt Sartre Roquentin mit Anny darüber diskutieren, wie eine privilegierte Situation in einen perfekten Moment verwandelt werden könne. Bei Allen geht das nicht mit Gerede; den Zauber einer solchen Verwandlung vermögen allenfalls Elfenkönige wie Oberon zu reproduzieren - oder eine laterna magica, wie sie der Erfinder Andrew selbstredend im Programm hat. Sein spirit ball projiziert nach inniger Konzentration auf ihn flugs ein verliebtes Paar ins Zimmer der Séance. Aber um welches Paar handelt es sich? Das ist nicht genau auszumachen. Leopold ist verwirrt und von Eifersucht getrieben, erwachen die Jagdinstinkte des Neandertalers in ihm. Nachem er Maxwell zur Strecke gebracht hat, kehrt er wild erregt ins Haus zurück, reißt Dulcy die Kleider vom Leib und wälzt sich in archaischer Gier mit ihr auf dem Boden - bis er auf dem Höhepunkt der Lust in ihr verendet. Was gibt es auch schöneres für einen Mann, als lustvoll in einer Frau zu sterben? Und eine Krankenschwester wie Dulcy hat auch noch ihren Spaß dabei: We were making love. He was like an animal, he tore off my robe. He was wonderful. We did it all, violently like two savages and he was screaming with pleasure. At the highest moment ecstacy, he just keeled over with that smile on his face.

In seiner Satire des kruden Positivismus Leopolds lässt Allen ihn durch den spirit ball als ,,glühendes Seelenwürmchen`` in den Reigen der Elfen und Geister des Mittsommerwaldes eingehen; denn wie heißt es so schön bei Shakespeare: Wir sind der Stoff, aus dem die Träume sind, und unser kleines Leben ist vom Schlaf umringt. Allen hatte seinen heiter-verklärenden Sommerfilm in der Schwebe des Übergangs zwischen dionysischem Rausch und apollinischer Gelassenheit, sexueller Gier und intellektueller Beredtsamkeit, magischem Zauber und philosophischem Positivismus belassen. Für das Besondere der Verwandlung einer privilegierten Situation in einen vollkommenen Moment bedarf es keiner Worte; denn sie tun dem geheimen Sinn nicht gut, wie sich Hesse einmal ausdrückte. Man ist in einer Situation und verhält sich ihr gemäß oder - kontrolliert sich und reflektiert sie, handelt äußerlich und zerstört sie damit.

Eine andere Variante situationsgerechten Verhaltens inszeniert Allen in dem gleichzeitig zum Sommerfilm zwischen 1981 und 1983 produzierten Film Zelig. Nicht die spontane Synchronisation der Intuitionen Gleichfühlender, sondern den Sozialisationstypus des außenkontrollierten Herdenwesens macht er nunmehr zum Thema. Aber wer ist Zelig? Leonard Zelig, ein New Yorker Jude, wird 1928 schlagartig bekannt, als er, der kleine Büroangestellte, auf einer Gartenparty des Jazz-Age-Schriftstellers F. Scott Fitzgerald kurz hintereinander zwei verschiedene Persönlichkeiten zu sein scheint. Je nachdem, wem er gegenübersteht, nimmt Zelig die Erscheinungsform, den Phänotyp des anderen an, paßt sich ihm physisch und in der Sprache vollkommen an. So erscheint er in einer Flüsterkneipe als Prohibitions-Gangster, in einer Opiumhöhle als Chinese, in der Oper als Caruso-Bajazzo, im Trainingslager der New York Yankees als Baseballspieler und in der Jazz-Kapelle als schwarzer Musiker. Zelig, der Mensch mit den verschiedenen Persönlichkeiten, wird ins Manhattan Hospital eingeliefert und dort Forschungsobjekt der Psychiaterin Dr. Eudora Fletcher, die mittels Tiefenhypnose eine Anamnese durchführt und ihn als ,,menschliches Chamäleon`` beschreibt und der Fachwelt präsentiert. Zelig wird berühmt. Für Gerhold ist Zelig Allens genialstes Meisterwerk, eine intellektuelle und tragi-komische Konstruktion ohne Beispiel in der Filmgeschichte.

Mit Zelig greift Allen in radikaler Weise seine Anfänge in der Filmkunst auf: die Geburt des Films aus dem Geist der Komik und Doku. Durch Zelig wird die Dokumentation vollends zur Farce, da es sich um eine in die Zeitgeschichte der roaring twenties versetzte Person handelt, die Allen in das alte Filmmaterial so ,,hineinkopiert``, dass der Eindruck einer authentischen Dokumentation entsteht, der durch seriöse zeitgenössische Interviewpartner noch verstärkt wird: Alles war Symbolik. Aber es gab keine zwei Intellektuellen, die sich darüber einigen konnten, was das alles zu bedeuten hatte. Der von Woody Allen gespielte Leonard Zelig taucht nicht nur auf Intellektuellen-Partys auf, sondern auch auf dem Balkon des Petersdoms gerade während des urbi-et-orbi-Segens, oder etwa auf einem Reichsparteitag der Nazis, wo er Hitler die Pointe seiner Rede vermasselt. Das bringt Katholiken und Faschisten gleichermaßen gegen ihn auf.

Nach und nach gelingt es der von Mia Farrow dargestellten Ärztin Eudora Flechter, den Ursprung des Zelig-Effekts aufzudecken. Zu Beginn seiner Verhaltensstörung stand schlicht der Wunsch, dazuzugehören. Denn die Frage, ob er Moby Dick gelesen hätte, musste er einmal verneinen und blieb so ausgeschlossen von der Gemeinschaft der Anderen. Zelig schaute sich lieber Baseballspiele an, aber die waren unter Intellektuellen verpönt. Folgerichtig passte er sich am Anfang seiner Therapie bei Dr. Fletcher auch an sie an, indem er sich als Arzt ausgab, der schon bei Freud studiert hätte, mit ihm aber über die Frage des Penisneids in Streit geraten wäre, da er es für ein Problem unter Männern hielt. Zudem hätte er Erfahrungen mit Selbsterfahrungs-Kursen für Fortgeschrittene zum Thema Masturbation ... Durch Hypnose und ein zwangloses Zusammenleben in ihrem Haus gelingt es Eudora schließlich, Lenny von seiner Verhaltensstörung der Überanpassung zu befreien - und sie heiraten! Moby Dick aber wird Zelig bis an sein Lebensende nicht durchgelesen haben ...

Hatte Allen mit Zelig eine originelle humoristische Satire auf den Massenkonformismus der Modernen Zeiten auf die Leinwand gebracht, griff er 1985 mit The Purple Rose of Cairo den Starkult Hollywoods auf. Im Gegensatz zu Stardust nahm er sich des Themas aber nicht in selbstreflexiv-ästhetischer Weise aus der Sicht des Künstlers an, sondern setzte sich in ebenso kunstvoller Art mit der Haltung eines Fans auseinander. Dabei ist ihm mit Purple Rose ein wunderbar poetischer Film gelungen, der die Idolisierung der Filmstars in Zeiten wirtschalftlicher Depression aus der prekären sozialen Situation der Unterschicht heraus entwickelt. Die Vorstellungen und Illusionen, die sich die Menschen von der Welt machen, sind es ja, die ihr Leben bestimmen, und nicht die nüchternen Einsichten in ihre Lebenswirklichkeit. Und genau dieses Befürfnis nach Befreiung von der Last des Alltags durch Flucht in eine heile Scheinwelt, wird von Hollywood bis heute vortrefflich bedient.

Allen selbst zählt Purple Rose zu seinen Lieblingsfilmen und für Gerhold ist ihm erneut ein Meisterwerk innovativer Filmkunst in Farbe und Schwarzweiß gelungen: die schönste Liebeserklärung, die je an das Kino, den Film, seine Stars und seine Zuschauer gerichtet war, ist ein sensibles, kluges und liebevolles Meisterwerk, eins, das Maßstäbe setzte, und vielleicht das Juwel unter Allens Filmen: so intellegent und filigran wie Zelig, so ästhetisch vollkommen wie Manhattan, so leicht wie Midsummer, so bittersüß wie Annie Hall, so komplex wie Stardust und so poetisch und herausfordernd wie Love and Death.

Während der Depressionszeit in den 1930er Jahren hilft die junge Frau Cecilia (Mia Farrow) als Kellnerin in einem billigen Restaurant aus, weil ihr Mann Monk aufgrund einer Firmenpleite seinen Job verloren hatte. Unzufrieden mit seiner Situation, ist er grob und lieblos zu seiner Frau, gibt sich der Spielfreude hin, trinkt zu viel und stellt anderen Frauen nach. Dieser deprimierenden Alltagswirklichkeit entflieht Cecilia immer wieder, indem sie - meistens allein - ins Kino geht, um sich von der idealen Scheinwelt der Hollywoodstars gefangen nehmen zu lassen.

Eines Tages nun aber geschieht das Unglaubliche! Als Cecilia wohl schon zum fünften Mal in die mondäne Welt des Films The Purple Rose of Cairo eintaucht,- wird ihr Idol Gil Shepard in der Rolle des Abenteurers und Ägyptologen Tom Baxter im Zuschauerraum auf sie aufmerksam. Er steigt kurzerhand aus der schwarzweißen Leinwand herab und erscheint in Farbe und Wüstenmontur bei ihr am Platz. Cecilia ist leicht verwirrt, überlässt sich aber gern ihrer Illusion und flieht mit Tom ins Freie. Sie hat den idealen Mann kennengelernt. Leider ist er nicht wirklich, aber man kann nicht alles haben. Während Cecilia und Tom gleichermaßen ihre Freiheit genießen, bahnt sich für die Filmleute ein Fiasko an. Die Schauspieler sind - wie im Theater - ohne ihren Mitspieler zur Untätigkeit verdammt und beginnen sich mit den Zuschauern zu langweilen. Die Presseleute wittern eine Sensation - und so hat der Produzent alle Mühe, Herr der Lage zu bleiben. Der Tom Baxter - Darsteller Gil Shepard soll es richten, schließlich steht seine Karriere auf dem Spiel. Aufgrund seines gleichen Aussehens, wird er schnell von Cecilia bemerkt, aber nicht sogleich erkannt. Nach einigen traurig-komischen Situationen steht sie endlich vor der Wahl, sich zwischen Tom und Gil entscheiden zu müssen. Möchte der eine das wirkliche Leben erfahren, bangt der andere bloß um seine Karriere. Cecilia wird letztlich durch das Versprechen Gils schwach, sie mit nach Hollywood zu nehmen. Tom sieht seine Niederlage ein und kehrt in den Film zurück, der damit endlich zu Ende gezeigt werden kann. Das Kino setzt den Nachfolgefilm aufs Programm,- aber was wird aus Cecilia? Sie hätte sich für die Filmfigur entscheiden sollen; denn der Schauspieler hält natürlich nicht sein Versprechen und seinem Fan bleibt nur die bittere Lebenswahrheit, dass man sich unter wirklichen Menschen wohl auf niemanden verlassen kann.

Trotz der kompliziert-selbstreflexiv und mehrfach verschachtelten Strukturen des Films, gelingt es Allen in souveräner Weise, den Zuschauer mit Humor und Hintersinn durch einfühlsam-poetische Bilder unterhaltsam nachdenklich zu stimmen. Mit Gerhold lassen sich immerhin fünf Erzählebenen unterscheiden:

  1. Der Film The Purple Rose of Cairo, den wir als Zuschauer sehen.
  2. Der Film ,,The Purple Rose of Cairo``, der in 1. gezeigt wird.
  3. Der Film, der sich ergibt, wenn fiktive Personen aus 2. (Tom) sich in 1. wiederfinden, und die Reaktionen, der in 1. vertretenen fiktiven Personen.
  4. Die rein verbalen Interaktionen zwischen den fiktiven Personen aus 1. und 2. (vor der Leinwand).
  5. Der Film, der sich ergibt, wenn fiktive Personen aus 1. (Cecilia) sich in 2. wiederfinden, und die Reaktionen der in 2. vertretenen fiktiven Personen, komplementär zu 3.
Mit Purple Rose vermag Allen in traurig-komischer Weise seine frühe Faszination für die heile Scheinwelt des Films auf den Zuschauer zu übertragen und zugleich die Illusionsneigung der Menschen in schlechten Zeiten zu entlarven. Der Film klingt aus, indem sich Cecilia ergriffen den Folgefilm zu Purple Rose anschaut, die Verfilmung des Musicals Top Hat, in der Fred Astaire beschwingt tanzend singt:

Heaven, I'm in heaven

And my heart beats so that I can hardly speak.

And I seem to find the happiness I seek

When we're out together dancing cheek to cheek.

Geschichten in Geschichten zu erzählen, ist ein altes literarisches Genre. Aber neu erfundene Figuren in vorhandene Geschichten hineinzuversetzen, wirft grundlegende philosophische Probleme auf, wenn es sich nicht nur um Fiktionen, sondern auch um Dokumentationen handeln soll. In Side Effects hat Allen Das Zwischenspiel mit Kugelmass aufgenommen. Der Mann ist von Frau und Kindern so frustriert, dass er nach einem romantischen Abenteuer lechzt. Zum Glück gibt es den großen Persky, ein Zauberer, der richtig was Exotisches auf Lager hat, um nicht zu sagen: Das Ding des Jahrhunderts. Und so kann Kugelmass nicht weniger als alle Frauen kennenlernen, die die besten Schriftsteller der Welt geschaffen haben. Natürlich muss es eine Französin sein! De Sade's Justine wohl besser nicht, aber vielleicht Flaubert's Emma Bovary? Persky bittet Kugelmass in einen Schrank, legt den Roman Madame Bovary mit hinein, sperrt ihn zu und klopft dreimal drauf ... und schon findet sich Kugelmass im Schlafzimmer des Hauses von Charles und Emma Bovary in Youville wieder ... Kugelmass bringt in der Folge nicht nur den Roman durcheinander, sondern sorgt auch unter den Interpreten und Kommentatoren für einige Verwirrung, die sich das Buch ein weiters Mal vorgenommen haben. Hatten sie Kugelmass bisher einfach übersehen? Andererseits könnte Emma womöglich auch bei Kugelmass im Schlafzimmer auftauchen ...

In Purple Rose wurden die literarischen Varianten der Durchlässigkeit verschiedener Erzählebenen im Film durchgespielt. Und da es in Hollywood-Filmen sowieso nicht auf Wirklichkeitsnähe ankommt, sondern bloß um schöne Illusionen, funktioniert das wunderbar hintersinnig. Aber wie steht es mit dem hehren Anspruch einer Dokumentation, in der nur die Echtheit des Materials zählt? Zelig wird als frei erfundene Figur in vorhandenes Filmmaterial ,,hineinkopiert``. Was aber passiert, wenn es überhaupt keine authentischen Dokumente mehr gibt? Die Manipulationsmöglichkeiten digitaler Ton-, Bild- und Filmdokumente waren noch nie so groß wie heute - und die Versuchungen wohl auch nicht. Die objektive Menschheitsgeschichte wird damit ebenso leicht anpassbar an den sich wandelnden Kontext wie die subjektiven Geschichten der Menschen selbst. Was bleibt, sind lediglich Konsistenzprüfungen des Sinnzusammenhangs der jeweiligen Dokumente oder Erinnerungen.

Mit den drei selbstrelexiv-filmästhetischen Meisterwerken Stardust Memories, Zelig und The Purple Rose of Cairo hatte Allen den Gipfel seiner Filmkunst erreicht, so dass er es seinem Publikum mit einer Familienkomödie wieder leichter machen konnte. Hannah and Her Sisters wurde 1986 nicht nur bei der Kritik, sondern auch bei den Zuschauern ein ähnlich großer Erfolg wie Annie Hall und Manhattan. Das war kein Zufall; denn Allen knüpfte explizit an die beiden New York - Filme an und nahm zudem eine heitere Variante der Tschechowschen Konstellation dreier Schwestern auf. Wieder handelte es sich um einen Frauenfilm und für Gerhold ist Woody mit Hannah neben Bergman und Truffaut zu einem der großen Frauenregisseure geworden. Der wohl von Mia Farrow inspirierte Familienfilm ist wie ein Buch in mehrere Kapitel eingeteilt:

  1. Gott, ist sie schön ...
  2. Wir haben uns alle glänzend amüsiert
  3. Der Hypochonder
  4. Partyservice ,,Stanislawki``
  5. ,, ... niemand, nicht einmal der regen hat so feine hände.`` (e.e. cummings)
  6. Die Angst des Mannes in der Zelle
  7. Dusty hat sich dieses riesige Haus in Southampton gekauft ...
  8. Am Abgrund
  9. ,,Das Leben ist sinnlos. Dies ist die einzige absolute Gewißheit, die der Mensch zu erlangen imstande ist.`` (Tolstoi)
  10. Nachmittage
  11. Holly singt vor
  12. Der entscheidende Schritt
  13. Sommer in New York
  14. Herbstkühle
  15. Zum Glück bin ich dir über den Weg gelaufen
  16. Ein Jahr später
Jedes Kapitel ist mehr oder weniger einer der Hauptpersonen gewidmet, der Film insgesamt aber das Portait eines Ensembles, ähnlich wie in den Romanen Tolstois. Mit seinem Zitat wird in Kapitel 9. der rote Faden des Films enthüllt; allerdings nicht ganz durchgehalten, wie Woody über Allen einräumt. Das Publikum hat es ihm gedankt.

Der Filmroman handelt von einem grazilen Reigen aus Identitätsfindungen und Liebesverwirrungen, deren Mittelpunkt drei Schwestern einer Schauspielerfamilie bilden. Die talentierte Hannah (Mia Farrow) hat ihren Schauspielerberuf vorübergehend aufgegeben, um sich ganz der Familie widmen zu können. Ihr zweiter Ehemann Elliot, ein erfolgreicher Finanzberater, verliebt sich zu Thanksgiving in die jüngere Schwester Lee, die mit dem wesentlich älteren bildenden Künstler Frederick zusammenlebt. Bei ihm findet die hübsche, aber Ich-schwache Ex-Alkoholikerin Halt in ihrem Leben und er vermag ihr die Welt zu erklären und sie nach seinem Bilde zu formen. Das Leben der dritten Schwester Holly ist ein einziger Fehlschlag, da sie sich immer wieder verzettelt, indem sie z.B. einen Partyservice organisiert oder erfolglos Schauspiel- und Gesangsproben unternimmt. Erst als sie im Schreiben ihr wahres Talent entwickelt, hat sie nicht nur Erfolg bei ihren Lesern, sondern beeindruckt auch Mickey Sachs, der als Fernsehproduzent und Autor arbeitet. Hannah's Ex-Mann Mickey (Woody Allen) wird aus der Bahn geworfen, als er aufgrund einer leichten einseitigen Hörstörung die Diagnose eines Hirntumors befürchten muss. Obwohl sich die hypochondrische Übertreibung seiner Lapalie als nichtig herausstellt, führt ihn die Konfrontation mit seiner Sterblichkeit erneut auf den Pfad einer Sinnsuche. Wenn schon die Welt sinnlos ist, soll man allerdings nicht in den Religionen nach einfältigen Surrogaten suchen, sich vielmehr in der Liebe sinnvoll verwirklichen. Und so findet am Ende wieder zu Thanksgiving Elliot zu Hannah zurück, Lee verlässt ihre Pygmalion-Beziehung, beginnt zu studieren und verliebt sich in ihren Literaturprofessor. Und Mickey entdeckt seine große Liebe in Holly, die er sogar schwängert, obwohl er noch bei Hannah unfruchtbar gewesen war. Dieses Hollywood-reife Ende hat wesentlich zum Publikumserfolg des Films beigetragen - oder sollte es etwa ironisch gemeint sein?

Glücklicherweise hat Woody die vielfältigen Begegnungen der Akteure immer wieder mit Witz und Humor inszeniert und ihnen mit dem roten Faden der Sterblichkeit allen Lebens und der Sinnlosigkeit des Seins eine lebensphilosophisch-existentialistische Grundstimmung unterlegt. So durchlebt Der Hypochonder Mickey den Alptraum, womöglich einen Hirntumor zu haben. Nachdem er Die Angst des Mannes in der Zelle der Untersuchungsmaschinerie überstanden hat, steht er allerdings unverhofft Am Abgrund. Die Diagnose-Prozeduren haben zwar keinen Befund ergeben, aber Mickey ist nach einem kurzen Freudentaumel urplötzlich tief deprimiert. Wie in Trance wandelt er ins Büro der Fernsehanstalt und schmeißt alles hin. Seine Assistentin Gail ist fassungslos: Was heißt das, du schmeißt den Krempel hin? Wozu? Ist doch alles in Ordnung! ... Mickey: Begreifst du überhaupt, wie sinnlos alles ist? Alles! Ich meine, unser - unser Leben, die Show ... die ganze Welt sinnlos. Gail: Ja, aber ... immerhin stirbst du doch nicht! Mickey: Nein, ich sterbe nicht - nicht jetzt, aber ... aber, weißt du, als ich aus dem Krankenhaus rannte, da war ich wirklich so glücklich, weil sie mir gesagt hatten, daß alles in Ordnung ist. Ich renne die Straße lang und bleibe auf einmal stehen, weil mir plötzlich etwas aufgeht. Also, weißt du, ich werde nicht heute sterben. Ich bin gesund. Ich werde auch nicht morgen sterben. Aber eines schönen Tages ist es auch bei mir soweit. Gail: Und das ist dir ... erst jetzt aufgegangen? Mickey: Naja, ich hab es nicht erst jetzt kapiert. Ich weiß es schon immer, aber irgendwie hab ich es immer geschafft, diesen Gedanken ganz weit wegzuschieben, weil er ja ... derart entsetzlich ist! ... Ich meine, du wirst sterben, ich werd sterben, das Publikum wird sterben, die Fernsehgesellschaft wird ster ... äh, der Sponsor. Alle! Gail: Ich weiß, ich weiß. Und dein Hamster. Mickey: Ja! Gail: Hör mal, Junge, ich glaub, du hast'n Rad ab. Vielleicht fehlen dir ein paar Wochen auf den Bermudas ... Mickey: Bei dieser Show hier kann ich nicht mehr bleiben. Ich brauche ein paar Antworten. Sonst stelle ich noch was Schlimmes an, ich sag's dir.

Nach dem vermeintlichen physischen Abgrund ist Mickey unversehens ins Chaos einer Sinnkrise gefallen. Und wo sucht er nach Antworten? In der Literatur Tolstois, der Philosophie Sokrates' und Nietzsches, der Psychoanalyse Freuds ... und vielleicht in der Liebe? Der entscheidende Schritt aber führt ihn in den Rachen der Religionen. Zunächst einmal begibt sich unser Sinnsucher an den neutralen Ort einer Bibliothek: Millionen von Büchern über jedes erdenkliche Thema, geschrieben von all diesen großen Geistern, und letzten Endes weiß keiner von denen auch nur ein bißchen mehr über die großen Fragen des Lebens als ich. Pffh. Nehmen wir mal Sokrates, den hab ich auch gelesen. Sie wissen doch, dieser Bursche, der's so gern mit kleinen Griechenjungs gemacht hat. Was zum Teufel soll mir so einer zu sagen haben? Oder ... oder dieser Nietzsche mit seiner ... mit seiner Theorie von der ewigen Wiederkehr. Der hat doch glatt behauptet, wir müßten unser Leben immer wieder leben, ganz genauso, wie es war. Bis in alle Ewigkeit. Toll, was? Das würde bedeuten, ich - äh, ich müßte mir ,,Holiday on Ice`` nochmal gefallen lassen! Uff! Also dafür lohnt es sich nun wirklich nicht ... Oder ... oder dieser Freud! Noch so ein großer Schwarzseher. Herrgott, jahrelang bin ich auf der Couch gelegen. Hat überhaupt nichts genützt. Am Ende war mein armer Analytiker derart verzweifelt, daß er in seiner Praxis einen Stehimbiß aufgemacht hat. Während Jogger hechelnd-bemüht an ihm vorbeilaufen, stellt er angesichts einiger unförmig wankender Fleischberge Betrachtungen über den Verfall des Fleisches an, die ihn noch trauriger stimmen ... Aber: Wer weiß, vielleicht haben die Dichter doch recht. Vielleicht ist die Liebe ... die einzige Anwort. Pffh! Klar, ich habe Hannah geliebt. Hat eben nicht so besonders geklappt ... Ich hab sogar ihre Schwester ausgeführt. Wenn ich daran denke ...

Mit Hannah gab es Probleme, weil sie Kinder wollte, er aber unfruchtbar war: Hannah: Könnte es sein, daß du dich irgendwie selber ruiniert hast? Mickey: Wie hätte ich mich ruinieren sollen? Wie meinst du das, ich habe mich ,,ruiniert``? Hannah: Was weiß ich. Exzessive Onanie? Mickey: He, fängst du jetzt auch noch an, auf meinen Hobbys herumzuhacken, was? Und das Rendezvous mit Holly? Als sie ihn in eine Punkkneipe ausführt, hat er den Eindruck, einen Trommelfell-GAU zu erleiden und nach dem Konzert als Geisel genommen zu werden. Sie dagegen spürt den Raum geradezu von positiven Vibrationen knistern ... Als er sie endlich bewegt hat, in ein anderes Lokal mitzukommen, schnupft sie ungehemmt Kokain, und das während eines Cole Porter - Songs! So war der Abend für ihn wie beim Nürnberger Prozeß!

Und dann Der entscheidende Schritt zu Pater Flynn, dem Katholiken. Mickey zählt ihm die Gründe auf, die ihn bewegt haben, sein Heil im Katholizismus zu suchen: ... erstens, weil es ein sehr schöner Glaube ist. Wei-weil es ein starker Glaube ist. Und ein sehr durchdachter - ich - äh meine da den Flügel, der gegen - äh das Schulgebet, für die Abtreibung und gegen die Atombomben ist. Flynn: An Gott glauben Sie also derzeit nicht. Mickey: Nein. A-a-a-aber ich möchte gern. Wissen Sie, ich bin zu allem bereit! Seine Eltern sind allerdings entsetzt über diesen Schritt. Mutti schließt sich heulend und jammernd im Klo ein und Vati empört sich: ... katholisch werden? Warum versuchst du's nicht mal mit deiner eigenen Verwandtschaft? ... Wir haben dich im jüdischen Glauben erzogen! Warum ... Jesus? Warum willst du nicht beispielsweise Buddhist werden? Doch der ist Mickey nicht geheuer; denn womöglich könnte er als Elch wiedergeboren werden ... Und so bohrt er weiter: Sieh mal, du bist schließlich auch schon älter, ja? Hast du denn gar keine Angst vorm Sterben? Vati: Warum sollte ich Angst davor haben? Mickey: Weil du dann nicht mehr existierst! ... Erschreckt dich dieser Gedanke gar nicht? ... Vati: Entweder merke ich nichts mehr davon, oder ich merke doch etwas davon. Dann kann ich mich immer noch damit befassen. Ich werd mir doch nicht den Kopf darüber zerbrechen, was sein wird, wenn ich eh nichts mehr davon merke! Mutti meldet sich aus dem Klo: Natürlich gibt es einen Gott, du Trottel! Du glaubst also nicht an Gott? Mickey: Aber wenn es einen Gott gibt, warum geschieht dann soviel Böses auf der Welt? Was ... Mal ganz einfach gefragt. Warum ... warum hat's denn die Nazis gegeben? Darauf soll Vati antworten: Woher zum Teufel soll ich wissen, warum es die Nazis gegeben hat? Ich weiß nicht mal, wie ein Dosenöffner funktioniert! Glücklicherweise lässt Mickey schon bald wieder ab vom Katholizismus; denn der läuft für ihn eigentlich bloß auf ,,Stirb jetzt, zahl später`` hinaus.

Zu einer radikaleren Schlussfolgerung über den Zustand unserer Kultur gelangt Frederick, als er einmal nach Jahren wieder TV geglotzt hat und Lee nach ihrer Heimkehr von Elliot darüber berichtet: Schönheitswettbewerbe, Talkshows ... Kannst du dir den Geisteszustand von jemandem vorstellen, der sich Catcher ansieht, hm? Aber das schlimmste sind diese fundamentalistischen Prediger ... Drittklassige Betrüger, die den bedauernswerten Trotteln, die ihnen zusehen, auf die Nase binden, sie sprächen im Namen Jesu ... und daß sie doch bitteschön Geld schicken sollen. Geld, Geld, Geld! Wenn Jesu zurückkehrte und sähe, was in seinem Namen alles so passiert, er käme nie mehr heraus aus dem Kotzen. Und dann gab es da auch noch eine unglaublich dämliche Sendung über Auschwitz: ... Noch mehr Greuelszenen ... und noch mehr verwunderte Intellektuelle, die ihre Ratlosigkeit über den systematischen Mord an Millionen bekennen. Und daß sie die Frage ,,Wie konnte das passieren?`` nie werden beantworten können, hat einen ganz bestimmten Grund. Es ist die falsche Frage. So, wie die Menschen sind, muß die Frage ,,Warum passiert das nicht öfter?`` lauten. Natürlich passiert das öfter, nur nicht so offen.

Wir machen uns offensichtlich viel zu viele Illusionen über die menschliche Natur; denn sind wir nicht die Nachfahren der Sieger im Kampf ums Dasein unserer Vorfahren? Allen stand nach dem Komödienerfolg mit Hannah 1987 wieder der Sinn nach einer Tragödie: September, ein Kammerspiel in fünf Akten, das Motive Tschechows aus Drei Schwestern und Der Kirschgarten aufnimmt. Für Gerhold geht Allen mit September das Wagnis einer Seelenanalyse ein, die voll Trauer, Melancholie, Schmerz und verhaltener Weisheit dem Sinn des Lebens nachspürt und dem Drang, Selbstfindung, Identität, Liebe und Verantwortung miteinander in Einklang zu bringen. Dabei sind die sechs Akteure in September nahezu bruchlose Weiterentwicklungen und Variationen des familiären Endspiels um Mutter-Wucht und Tochter-Frust aus Interiors und der Herbstsonate.

Die Tochter Lane (Mia Farrow) erholt sich im familiären Landhaus von einem Nervenzusammenbruch und Selbstmordversuch. Während ihrer Genesung umwirbt sie den Möchtegern-Schriftsteller Peter, der sich zwar ihrer annimmt, aber eigentlich in ihre Freundin Stephanie verliebt ist. Demgegenüber ist es der ältere Nachbar Howard, der sie unbedingt bei sich behalten möchte und ihr inständig davon abrät, das Landhaus zu verkaufen, um ihre Krankenhauskosten bezahlen zu können. Ende August dann spitzt sich die Lage in der Konfrontation mit ihrer dominierenden Mutter Diane zu, die mit ihrem neuen Ehemann Lloyd angereist ist und den Verkauf des Hauses zu verhindern trachtet. Aber das ist bei weitem nicht das Schlimmste. Vielmehr ist es das Wiedererleben des Traumas, das die Tochter einst mit ihrer Mutter bei der Ermordung eines ihrer schrecklichen Liebhaber durchzustehen hatte, als sie erst 14 Jahre alt war. Wie Gerhold zu berichten weiß, gab es einen Vorfall in Hollywood, auf den Allen sich damit indirekt bezieht: Am 4. April 1958 hatte Lane Turners vierzehnjährige Tochter Cheryl Crane den damaligen Geliebten ihrer Mutter, den Gangster und Gigolo Johnny Stompanato alias Johnny Valentine, der mit Lane Turner in einem sadomasochistischen Verhältnis lebte, mit einem neunzölligen Schlachtermesser erstochen, als er die Mutter bedrohte.

Gerhold fährt fort: Lanes Mutter Diane, Schauspielerin, Playgirl, mit Männern und Affären reichlich gesegnet, setzt den lebensuntüchtigen jungen Leuten eine unerschöpfliche Energie entgegen, die sich aus gelebtem Leben speist. Wechselweise als ,,Kämpfernatur``, ,,Überlebenskünstler``, ,,frivole Existenz`` und vor allem als ,,menschlicher Dynamo`` charakterisiert, sagt sie mit einer von Exzessen gezeichneten krächzenden Reibeisenstimme, als sie am Geisterbrett mit Lanes verstorbenem Vater Kontakt aufzunehmen versucht: ,,Deine Tochter haßt mich ... Sie ist über diesen Schuß nie hinweggekommen ... Ich bin ja ein harter Brocken, ich steck' sowas weg.`` Bei aller Grausamkeit, Oberflächlichkeit und emotionalen Ausbeutung Lane gegenüber ist sie nach der Konfrontation doch fähig, sich bei ihr zu entschuldigen; sie weiß: ,,Das Leben ist zu kurz, um uns mit Tragödien aufzuhalten.`` Das entspricht Mickeys Erkenntnis in Hannah. In Diane hat Allen gleichsam die vulgäre Vitalität Perl's und die eisige Autorität Eve's aus Interiors vereint. Auch die klaustrophobischen Innenräume des Landhauses werden mit September noch verstärkt; zumal sich diesmal alles im Haus abspielt und nichts außerhalb stattfindet.

In den von Carlo di Palma farbdramaturgisch in hellen Ton-in-Ton-Bildern visualisierten Innenräumen entsteht eine Wärme, die den Personen gerade fehlt. Das steht im Einklang mit dem Nihilismus ihre Mannes Lloyd, den Diane zufällig beim Besteigen eines Taxis kennengelernt hatte. Der Atomphysiker sucht gerne Zuflucht in der banalen Vitalität seiner Frau; denn er arbeitet an weitaus schrecklicheren Problemen als dem der Kernwaffentechnik. Nach dem Aufklaren in der Folge eines heftigen Gewitters, ist Peter von den zahlreichen Sternen am Himmel fasziniert. Im Billardzimmer spricht er Lloyd darauf an: Mit welchem Gebiet der Physik befassen Sie sich? Lloyd: Mit Schlimmerem als nur den Planeten in die Luft zu jagen. Peter: Gibt es denn Schlimmeres als die Zerstörung der Welt? Lloyd: Die Erkenntnis, daß es ohnihin keine Rolle spielt. Alles ist Zufall. Ziellos entspringt es dem Nichts und verschwindet schließlich für immer. Ich spreche nicht von der Welt. Ich spreche vom Universum. Aller Raum, alle Zeit, nur ... eine vorübergehende Konvulsion. Und ich werde dafür bezahlt, es zu beweisen. Peter: Sind Sie so sicher, wenn Sie die Abermillionen Sterne sehen? Lloyd: Ich finde das genauso schön wie Sie, und ich halte es für die vage Andeutung einer tiefen Wahrheit, die sich immer knapp dem Zugriff entzieht. Aber dann werde ich von meiner professionellen Sicht überwältigt. Eine weniger rosa gefärbte, tiefergehende Sicht. Und ich begreife, was es in Wahrheit ist. Chaotisch ... moralisch indifferent und unvorstellbar gewalttätig. Peter: Hören Sie, wir sollten nicht so reden. Ich muß heute nacht allein schlafen ... Ja, die Natur des Universums wie des Menschen ist ziemlich chaotisch, moralisch indifferent und unvorstellbar gewalttätig. Diese Einsicht kann geradezu als Quintessenz der Lebensängste in September gelten. Folgerichtig inszeniert Allen sie beim Billardspielen und verweist mit dem ,,Kugelmodell`` des Universums auf die Tradition des Atomismus von Leukipp und Demokrit über Epikur und Lukrez bis hin zu Newton und - Einstein, der 1905 erstmals ein Verfahren zum Existenznachweis der Atome vorgeschlagen hatte.

Die Vereinbarkeit von nihilistischem Atomismus und Hedonismus mit einer Ethik moralischer Verantwortung wird Allen weiter beschäftigen. Und so steht in seinem nächsten Drama Another Woman 1988 eine Philosophieprofessorin von fünfzig Jahren im Mittelpunkt, die ihre vom Verstand eingefrorenen Gefühle einer ,,anderen Frau`` freizulegen hat, um zu sich selbst zu finden. Die Philosophin hat sich in diesem Erkenntisfilm nicht zufällig auf die deutsche Philosophie spezialisiert und gerade eine Untersuchung über Heidegger geschrieben. Seine unrühmlichen Verstrickungen in den Nationalsozialismus wurden seinerzeit intensiv unter Philosophen und in der Öffentlichkeit diskutiert. Darüber hinaus inszeniert Woody den philosophisch-psychologischen Selbstfindungsprozess im Schema der Psychoanalyse von Anamnese - Aufarbeitung - Trauerarbeit - Heilung. Zur grandiosen filmischen Analyse des gestörten Innenlebens der Philosophin Marion trägt wesentlich die Kameraarbeit Sven Nykvist's bei, so dass Gerhold Another Woman in die Bergman-Filme Wilde Erdbeeren, Persona und Von Angesicht zu Angesicht einreiht, Allen aber darüber hinaus mit der Verbindung von Psychologie und Philosophie - wie schon mit Love and Death - metaphysische Dimensionen zu erreichen vermag.

Die Selbsterkenntnis gehört gleichermaßen zu Philosophie und Psychologie. Das Erkenne dich selbst in der alten Inschrift am Apollo-Tempel zu Delphie hat in der Psychoanalyse seine Fortsetzung gefunden. Und so inszeniert Allen das Wechselspiel zwischen philosophischer Erkenntnis und psychologischer Therapie am Beispiel zweier Frauen, deren Wege sich zufällig einige Male kreuzen. Björkman hat Woody nach der Idee des Films gefragt: Das war sehr interessant. Viele Jahre vor Eine andere Frau dachte ich über eine Komödie nach, wo ich in einer Wohnung bin und durch den Ventilationsschacht alles hören kann, was sich in der Wohnung unter mir abspielt. Was ich hörte, war ein Psychiater, der seine Patienten und Patientinnen behandelt. Dann beginnt er eine Frau zu therapieren, die ihm ihre intimsten Geheimnisse erzählt. Und ich schaue aus dem Fenster, weil ich sie sprechen höre, und ich sehe, daß sie schön ist. Ich laufe also hinunter und nehme mir vor, ihr zu begegnen. Ich weiß genau, wie sie sich einen Mann erträumt und was sie will, und ich verwandle mich in diese Person. Über diese Idee habe ich einige Zeit nachgedacht. Ich hatte sie und bewahrte sie auf. Und dann sagte ich mir einmal: ,,Wäre das nicht eine Idee für einen dramatischen Film? Mit einer Frau, die ein Gespräch in einer benachbarten Wohnung mithört. Aber was für eine Frau sollte das sein?`` Und ich dachte mir: ,,Es könnte eine intellektuelle Frau sein, deren Gefühle blockiert sind. Sie erkennt, daß ihr Mann eine Affäre hat, daß ihr Bruder sie nicht wirklich mag, daß sie auch ihren Freunden nicht wirklich symphatisch ist.`` Sie ist eine Philosophieprofessorin und hat alles Persönliche von ihrem Leben ferngehalten. Und schließlich erreicht sie einen Punkt, wo sie das nicht mehr kann. Sie dringen buchstäblich durch die Wand, die Geräusche ihrer inneren Turbulenzen, sie kommen durch die Wand, um mit ihr zu sprechen. So hat es also begonnen. Die erste Version dieser Idee wird Allen 1996 in der beschwingten Musical-Komödie Everyone Says I Love You wieder aufgreifen.

Another Woman hebt an, indem sich die Hauptdarstellerin in ihrer Rolle als Philosophieprofessorin vorstellt: If someone had ask me when I reached my fifties to assess my life, I would have said that I achieved a decent matter of fulfillment, both personally and professionally. Beyond that, I would say I don't choose to delve. Not that I was afraid to reveal some dark side of my character, but I always feel if something seems to be working, leave it allone. My name is Marion Post, I am director of undergraduate studies in Philosophy at a very fine woman's college, although right now, I am on leave of absence to begin writing a book. Um ungestört schreiben zu können, hat sie sich extra eine ruhige Wohnung in der Stadt gemietet. Aber schon bald wird sie bei der Arbeit abgelenkt von einer anderen Frau, die ihrem Psychotherapeuten mit weinerlicher Stimme ein deprimierendes Erlebnis schildert. Durch den Luftschacht kann Marion alles mithören: Ich weiß nur, daß ich mitten in der Nacht aufwachte. Und die Zeit verging, und da waren seltsame Schatten. Beunruhigende Gedanken über mein Leben schlichen sich ein. Wie ... irgendetwas daran war unwirklich. Voller Täuschungen. Jedenfalls waren die Täuschungen so häufig und ein so wichtiger Teil von mir geworden, daß ich nicht einmal mehr wußte, wer ich wirklich war. Und plötzlich brach mir der Schweiß aus. Ich setzte mich mit pochendem Herzen im Bett auf. Und ich sah meinen Mann an, der neben mir lag, und es war, als wäre er ein Fremder. Als ich Licht machte, wurde er wach. Ich bat ihn, mich festzuhalten, und erst nach sehr langer Zeit gelang es mir, wieder Boden unter die Füße zu bekommen. Einen Augenblick davor war es, als hätte sich ein Vorhang geöffnet, und ich könnte mich selbst klar und deutlich sehen. Und ich fürchtete mich vor dem, was ich sah. Und vor dem, worauf ich mich zu freuen hatte. Und ich fragte mich, ob ich nicht alles beenden sollte.

Die Beunruhigung der anderen Frau, die schwanger ist und eigentlich guter Hoffnung sein sollte, überträgt sich auf die Philosophin. In der von (der wirklich schwangeren) Mia Farrow gespielten Hope hat Marion gleichsam die zaghaft keimende Hoffnung ihres eigenen Selbst zu spüren bekommen, das sich mehr und mehr zu regen beginnt und immer wieder die Arbeit an ihrem Buch unterbricht. Marion erinnert und träumt fortan Szenen aus ihrem Leben, die es wie Weichenstellungen geprägt hatten, bisher aber von ihr verdrängt worden waren. Dabei fragt sie sich hellsichtig, ob eine Erinnerung etwas ist, das man hat, oder etwas, das man verloren hat ... Sie versucht nicht nur, ihre eingeschlafenen Kontakte mit ihrem Vater, dem Bruder und ihrer Jugendfreundin Claire wiederzubeleben, sondern auch den eingefahrenen Umgang mit ihrem zweiten Mann Ken und ihrer Stieftochter Laura zu intensivieren. Und dann ist da noch eine vage Erinnerung an den sehr warmherzigen Freund Ken's, der sie damals selbst begehrte und vor der falschen Ehe mit einem Snob gewarnt hatte ...

Zwei zufällige Begegnungen markieren die entscheidenden Wendepunkte im Fortgang ihrer Selbstfindung und leiten Marions Verwandlung in die andere Frau ein. Zunächst läuft sie auf dem Heimweg von einem Besuch bei ihrem Vater vor einem Theatereingang ihrer alten Jugendfreundin Claire in die Arme, die mit ihrem Mann (und Regisseur) gerade auf die Straße tritt. Auf Initiative des Mannes kehren sie noch in einer Kneipe ein. Im Verlauf der Unterhaltung spielt sich das Gespräch zunehmend zwischen Philosophin und Regisseur ab. Die beiden liegen auf einer intellektuellen Wellenlänge und Claire wird sichtlich ungehalten, da sie sich zurückversetzt fühlt,- ganz so wie damals mit dem gemeinsamen Jugendfreund ... Marion ist verunsichert: Nach der Geschichte mit Claire war ich nervös und fühlte mich nicht wohl. Ich dachte, ein bißchen lesen würde mich vielleicht entspannen. Ich blätterte in der Rilke-Ausgabe meiner Mutter. Mit sechzehn hatte ich eine Arbeit über sein Panther-Gedicht geschrieben und über das Bild, das der Panther sah, wenn er aus dem Käfig starrte. Und ich kam zu dem Schluß, daß dieses Bild nur der Tod sein konnte. Dann sah ich das Lieblingsgedicht meiner Mutter: ,,Archaischer Torso Apollos``. Die Seite war voller Flecken. Ich glaube, von ihren Tränen. Sie fielen auf die letzte Zeile: ,,denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern.``

Die erwachten Erinnerungen, inszenierten Träume und kontingenten Erlebnisse Marions ermöglichen ihr das Durchleben des zweiten Wendepunkts. Unter Antiquitäten stöbernd, um ein Geschenk für ihren Mann zum Hochzeitstag auszusuchen, gewahrt sie das leise Weinen einer Frau. Sie tritt hinzu und bietet ihre Hilfe an. Zu ihrer großen Überraschung ist es Hope, die schluchzend vor einem Kunstdruck des Gemäldes einer schwangeren Frau steht: Hope: Tut mir leid, ich weiß nicht, warum ich so sentimental bin. Ich habe nur das Bild angesehen, und es hat mich einfach so traurig gemacht. Marion: Oh, aber das ist ein sehr optimistisches Werk. Ich kenne das Original. Es heißt sogar ,,Hoffnung``. Ich finde, von all den Bildern, die Klimt in dieser Periode gemalt hat, ist das hier das positivste. Hope: Tut mir leid. Sind Sie Künstlerin? Marion: Ja, ich - na ja, ich habe gemalt als ich noch jünger war. Ich war von dieser Schule einfach hingerissen. Hope: Es ist schon komisch. Gerade heute morgen hab ich daran gedacht, wie sehr mir die Malerei fehlt. Ich möchte gerne wieder zu ihr zurückfinden. Marion: Wirklich? Die beiden verlassen den Laden, setzen ihr Gespräch über Malerei in einer Galerie fort und gehen anschließend in ein kleines verstecktes Restaurant. Die Philosophin trinkt nicht nur allein fast die ganze Flasche Wein zum Essen, sondern redet eigentlich auch nur über sich: Fünfzig? Es hat mir nichts ausgemacht, dreißig zu werden. Alle sagten, es würde mir etwas ausmachen. Dann hieß es, ich wäre am Boden zerstört, wenn ich vierzig würde. Aber sie irrten sich. Ich hab's einfach ignoriert. Dann hieß es, ich würde mir ein Trauma holen, wenn ich fünfzig würde. Und das stimmte. Ich will ganz ehrlich sein. Ich glaube, ich habe mich seit meinem fünfzigsten Geburtstag noch nicht wieder gefangen. Befreit vom Wein und ermuntert durch eine aufmerksame Zuhörerin werden ihr nicht nur die Erinnerungen an den Streit mit ihrem ersten Mann um die allein entschiedene Abtreibung wieder erlebbar, sie muss vielmehr mitansehen, wie Ken in dem kleinen versteckten Restaurant mit der Frau eines gemeinsamen Freundes in verliebter Eintracht einen Tisch teilt.

Dass die Philosophin ihr wohlgeordnetes Leben wirklich ändern muss und nicht mehr nur weiter bloß neu interpretieren kann, wird ihr auf dramatische Weise beim Verfolgen der letzten Sitzung Hope's am Nachmittag klar: I feel ... I feel a little depressed today. I met a raelly sad woman, a woman you'd think would have everything, and she doesn't. She, she has nothing. And it made me feel frightened because I feel - I feel if I don't stop myself, as the years go by I'm going to wind up that way. She can't herself allow to feel, so the result is she's led this cold cerebral life and has alienated everyone around her. Well, you know, we've talked about this before, how I only hear and see what I want to. That's exactly what she does. She's pretendet for so long that everything's fine, but you can see clearly how lost she is. She had an abortion years ago which she regrets; she rationalizes it in many ways. But I think the truth is she was afraid of the feelings she would have for a baby. She's a very bright woman, very accomplished. But like me, you know, emotions have always embarressed me. I've run away from men who I felt threatened me because the intensity of their passions frighten me. I guess you can't keep deep feelings closed out forever, you know, so ... I just don't want to look up when I'm her age and find that my life is empty. Nach der Trauerarbeit über diesen Schock ist Marion nicht nur in der Lage, ihre gescheiterte Ehe zu beenden, sondern sich auch der emotionalen Wärme ihres einstigen Verehrers und Freundes Ken's zu erinnern. Die andere Frau ist nunmehr verschwunden; denn in gewisser Weise war sie die Inkarnation ihres eigenen Ich's, wie Allen Björkman gegenüber ausführt. Marion hat den letzten Satz im Film: Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich mich mit mir versöhnt.

Sich mit sich selbst versöhnt fühlen zu können, ist die persönliche Seite einer ethisch verantwortungsvollen Lebensgestaltung in einem willkürlichen, wertneutralen und grausamen Universum. In seinem das Jahrzehnt abschließenden Meisterwerk Crimes and Misdemeanors bringt Allen 1989 seine mit Stardust Memories begonnenen Reflexionen zu einer grandiosen existentialistischen Synthese von Liebe und Tod, Eros und Chaos, Komödie und Tragödie. Der Filmemacher verbindet dabei in kunstvoller Weise seine Genres der Komik und Doku zu einem Filmroman, in dem er den Erzählstrang einer grausamen Kriminalgeschichte mit zwei traurig-heiteren Dokumentationen verknüpft. Dabei handelt die eine von einem erfolgreichen Produzenten banaler Fernsehshows, während die andere einen unbeachteten Philosophen würdigt, der seine existentiellen Lebenserfahrungen reflektiert.

Björkman hat Woody zur Konzeption des Films befragt: Manche meiner Filme nenne ich ,,Romane auf Film``, und Verbrechen und andere Vergehen fällt in dieses Genre. Eine Reihe Figuren werden seziert, und eine Reihe von Geschichten laufen parallel ab. Manche sind humoriger, andere philosophischer. Der Trick besteht darin, alle Geschichten gleichzeitig in der Schwebe zu halten, so daß man jeder einzelnen folgen kann, sich auf alle einlassen kann, ohne sich zu langweilen. Neben seiner Faszination für die Literatur ist es auch wieder die Lebens- und Existenzphilosophie des 19. Jahrhunderts, die er fortführt: Es gab eine Epoche, da wurden existentielle Fragen durch Kierkegaard und Dostojewskij behandelt, und das waren Themen, die sich dem Dramatiker förmlich aufdrängten. Die Dramatisierung linguistischer Philosophie etwa wäre nicht sehr amüsant. Allens Einschätzung der Sprachphilosophie als nicht amüsant dramatisierbar, halte ich für ein Vorurteil seines Desinteresses an ihr. Wie komisch zumindest die Konfrontation eines Existenzphilosophen mit einem Vertreter der analytischen Philosophie und einem der kritischen Theorie sein kann, hat kürzlich Geier in seinem Endspiel der Metaphysik vorgeführt und damit kluge Menschen sehr zum Lachen gebracht.

Der Film über Verbrechen und andere Vergehen beginnt mit der Szene einer Wohltätigkeitsveranstaltung, auf der der erfolgreiche Augenarzt und Wohltäter Judah Rosenthal geehrt wird. Diese heiter-festliche Stimmung wird aber sogleich jäh durch ein Erinnerungsbild Judah's kontrastiert, in dem wir den Geehrten erstaunt einen Brief seiner Geliebten Dolores an seine Frau Miriam öffnen sehen und verfolgen können wie ihm beim Lesen die Gesichtszüge entgleiten. Der entlarvende Brief wird sogleich verbrannt, aber damit ist es natürlich nicht getan. Während der Augenarzt um seine gesellschaftliche Reputaion, seine persönliche Karriere und familiäre Geborgenheit fürchtet und aus der Bahn geworfen zu werden droht, sehen wir den Dokumentarfilmer Cliff Stern (Woody Allen) mit seiner Nichte Jenny im Kino interessiert einen alten Hitchcock-Thriller verfolgen. Im Film wird gerade die Allerweltsszene des Verlassens einer Geliebten durchgespielt. Der Filmemacher hält solche Filme für eine bessere Erziehungsmaßnahme als die Schulpädagogik - und Jenny sieht das natürlich genauso.

Wenn er sich nicht um die richtige Erziehung seiner Nichte kümmert, arbeitet Cliff an einer Dokumentation über den Philosophen und Holocaust-Überlebenden Professor Louis Levy. Damit der Dokumentarfilmer aber auch über die Runden kommt, hat seine Frau Wendy ihn ihrem Bruder Lester empfohlen. Über den aufgeblasenen Produzenten dümmlicher Fernsehshows will ausgerechnet das ,,Bildungsprogramm`` einer Fernsehanstalt einen Dokumentarfilm in der Reihe ,,kreative Köpfe`` drehen lassen. Da hätte Cliff natürlich viel lieber Prof. Levy untergebracht, aber er braucht auch das Geld und Lester will bloß seiner Schwester einen Gefallen tun. Und so fangen sie an: Lester sitzt auf einer Bank im Riverside Park New Yorks und gibt grundsätzliche Statements über Komödie und Tragödie ab, bei denen Cliff nur mit Mühe die Fassung bewahrt: New York ist deshalb so komisch, weil es hier soviel Spannungen, soviel Schmerz und Elend und Verrücktheit gibt ... Das Wichtigste bei der Komödie ist: Wenn es sich biegt, ist es komisch. Wenn es bricht, ist es nicht mehr komisch. Man muß sich also vom Schmerz losmachen, verstehen Sie? Wonach ihn einmal Havard Studenten gefragt hatten und wovon man sich losmachen sollte, ist: ,,Komödie ist Tragödie plus Zeit. Tragödie plus Zeit.`` Wenn nicht die reizende Produktionsleiterin des Bildungsfernsehens, Halley (Mia Farrow), gewesen wäre, hätte der Dokumentarfilmer die Arbeit gleich wieder hingeschmissen ...

Unterdessen leuchtet Judah seinem Freund und Patienten Ben die Augen aus, um den Fortgang seiner Erblindung zu verfolgen, ohne ihm aber noch helfen zu können. Der in doppelter Weise hilflose Augenarzt vertraut sich seinem Freund und Rabbi an, der sich gelassen in sein Schicksal fügt und ihm ebenfalls zu biblischer Weisheit rät: Manchmal, bei wahrer Liebe ... und ... wenn man einen Fehler aufrichtig eingesteht, gibt es auch, äh, äh, echte Vergebung. Während Judah demgegenüber mit seinem Bruder Jack einen gemeinen Auftragsmord an seiner Geliebten plant, weil die ihm mit einem Skandal droht, sehen sich Cliff und Halley einen Film an: Die Narbenhand von Frank Tuttle. Ein pseudo-moralischer Gentleman unterhält sich darin gerade mit seinem Fahrer, einem Killertypen, darüber, wie man eine lästige Frau aus der Welt schafft, ohne Spuren zu hinterlassen.

Statt seine Zeit mit einem Wichtigtuer und Karrieristen wie Lester zu verschwenden, versucht Cliff, die süße Halley dafür zu gewinnen, lieber die Dokumentation über Prof. Levy mit ihm zu produzieren. Und so schauen sich die beiden fasziniert einige Materialausschnitte an, in denen es nicht bloß um Show, sondern um seriöse Inhalte geht. O-Ton Levy: Gott verlangt von Abraham das Opfer seines einzigen Sohnes. Er soll Ihm seinen geliebten Sohn opfern. Mit anderen Worten: Trotz unablässiger Anstrengung ist es uns nicht gelungen, das Bild eines wahrhaft liebenden Gottes zu schaffen. Für uns war das nicht vorstellbar. Kierkegaard hatte sich gerade für diese liebesferne und gleichsam übermoralische Haltung des jüdischen Gottes begeistert. Darauf werde ich wieder zurückkommen. In einem anderen Ausschnitt fährt der Philosoph mit dem Paradox des Verliebens fort: Sie werden bemerken, daß das worauf wir aus sind, wenn wir uns verlieben, ein sehr merkwürdiges Paradox ist. Das Paradox besteht darin, daß wir, wenn wir uns verlieben, alle oder einige der Menschen wiederfinden wollen, mit denen wir in unserer Kindheit verbunden waren. Andererseits bitten wir unsere Geliebten darum, all das Unrecht, das uns unsere Eltern oder Geschwister angetan haben, wieder gutzumachen. Damit beinhaltet Liebe einen Widerspruch in sich. Den Versuch, in die Vergangenheit zurückzukehren und den Versuch, sie aufzuheben.

Nach dem in Auftrag gegebenen Mord an Dolores plagen den jüdisch erzogenen Judah Zweifel und Gewissensbisse. Erinnerungen seiner Kindheit und Jugend ergreifen von ihm Besitz. Besonders sein Vater Sol scheint in seinem Gedächtnis auf: Gottes Augen sehen alles ... Es gibt nicht das Geringste, was seinem Blick entgehen könnte. Für Allen sind die Augen in der Geschichte eine starke Metapher: Judah ist ein Augenarzt, der einerseits Menschen heilt, aber andererseits bereit ist zu töten. Und er selbst sieht auch nicht gut. Ich meine, er sieht schon, aber sein emotionales Augenlicht, sein moralischer Blick ist nicht in Ordnung. Der Rabbi ist anderen Sachen gegenüber blind, er sieht die Realitäten des Lebens nicht. Andererseits kann er über sie triumphieren, weil er über geistige Substanz verfügt. Verbrechen und andere Vergehen handelt von Menschen, die nicht sehen. Sie sehen sich selbst nicht so, wie andere sie sehen. Sie erkennen nicht das Richtige und das Falsche an Situationen. Das war in dem Film eine starke Metapher. Und ebenso ,,blind`` wie Judah war auch Lester, merkt Woody an. Ja, Lester hätte wissen müssen, dass Cliff ihn überhaupt nicht ernst nimmt und keine gefällige Würdigung, sondern eine Satire drehen wird. Aber auch der Filmemacher ist ,,blind``, lässt er sich doch von dem Liebreiz Halley's verzaubern, ohne zu sehen, dass sie voll auf Lester abfährt. Macht Liebe nicht blind? In Hollywood Ending wird Allen 2002 auf die Augen-Metapher zurückkommen, wenn er einen Filmemacher schildert, der erblindet und nicht wahrhaben will, dass er auch im übertragenen Sinne nichts mehr sieht.

Der sichtlich mitgenommene und verstörte Judah sucht sogar sein ehemaliges Elternhaus auf, um die Erinnerungen an lange zurückliegende, hitzige Debatten zwischen Vater Sol und Tante May heraufzubeschwören, die über die Köpfe der Kinder hinweg bei Feierlichkeiten geführt wurden. Ähnlich wie Cliff sorgte sich auch schon May über die Erziehung des Nachwuchses: Stopf ihnen die Köpfe doch nicht mit deinem Aberglauben voll. Sol: Verschon uns bitte nur ein einziges Mal mit deiner, deiner leninistischen Philosophie! May: Hast du etwa Angst, daß Gott dich bestraft, wenn du seinen Geboten nicht folgst? Sol: Er wird nicht mich bestrafen. Er bestraft die Gottlosen. May: Ach ja, wen? Hitler? Sol: May, wir feiern Seder! May: Sechs Millionen Juden verbrannt, und denen passiert nichts. Sol: Äh, was soll das heißen, denen passiert nichts? May: Ach, ich bitte dich, Sol. Mach doch die Augen auf. Sechs Millionen Juden und Millionen andere, und die sind einfach so damit durchgekommen ... Weil die Macht das Recht macht. Das heißt, bis die Amerikaner einmarschiert sind und damit aufgeräumt haben ... Sol: Ich will diese Themen nicht bei meinem Seder haben! ... May: Da gibt es diesen Witz über den Boxer, der in den Ring steigt ... und sein Bruder wendet sich zum Priester der Familie und sagt: ,,Vater, beten Sie für ihn.`` Und der Priester sagt: ,,Ich bete für ihn. Aber es wäre besser, wenn er einen guten Schlag hätte.`` Sol: Und was willst du damit sagen, May? Willst du damit die moralische Grundstruktur aller Dinge in Frage stellen? May: Welche moralische Struktur? ... Sol: Glaubst du nicht, daß, daß die menschlichen Impulse grundsätzlich gut sind? May: Es gibt nichts Grundsätzliches. Sol: Sie ist eine solche Zynikerin, meine Schwester. Eine Nihilistin. Geh doch nach Rußland! ... Für May sind moralische Gebote nur für die da, die sie brauchen: Festbetoniert ist nichts. Dazu hat Judah eine Frage aus dem Off, die ihn bedrängt: Und wenn ein Mensch ... wenn er tötet? May bleibt unbeeindruckt und ist auf logische Konsistenz bedacht. Wenn schon Viele nicht bestraft werden, dann erst recht kein Einzelner: Und ich sage, wenn er es tun kann und ihm nichts passiert, wenn er weiter dabei bleibt, daß ethische Grundsätze ihn nicht kümmern, dann ist er fein raus. Sol: Oh, May ... May: Denk dran ... daß die Geschichte von den Siegern geschrieben wird ... Und wenn die Nazis gewonnen hätten, würden künftige Generationen die Geschichte des Zweiten Weltkrieges völlig anders verstehen ... Weiter in die Enge getrieben mit der Frage, dass sein ganzer Glaube ja auch falsch sein könne, weist Sol jeglichen Zweifel von sich und würde Gott immer der Wahrheit vorziehen. Und Judah sekundiert ihm aus dem Off: Das begreife ich, Papa. Ich weiß, was du meinst.

Cliff und Jenny sind wieder ins Bleeker Street Cinema gegangen: Es läuft der alte Schwarzweißfilm ,,Happy go Lucky`` von 1943. Betty Hutton, die Bubbles spielt, singt darin ... den Song: Murder, He says:

He says, ,,Murder``, he says

every time we kiss

He says, ,,Murder``, he says

keep it like this

and that, ,,Murder``, he says

in that impossible tone

will bring on nobody's murder

but his own.

Wieder auf der Straße, ruft der Filmemacher noch schnell in seiner Agentur an, um nach Aufträgen zu fragen ... aber sein Gesicht versteinert sich aschfahl ... Professor Levy hat Selbstmord begangen. Cliff ist fassungslos und muss schnellstmöglich mit Halley darüber sprechen: Also ich verstehe nicht das geringste von Selbstmord. Als ich klein war, äh, in Brooklyn, hat keiner Selbstmord begangen. Dafür waren alle viel zu unglücklich. Halley: Das wird die Chancen für den Film nicht gerade steigern. Und wie es sich Cliff eigentlich hätte denken können, wird er von Lester nach der gemeinsamen Voransicht der Doku über ihn kurzerhand gefeuert; denn lachen über den respektlosen Film konnte nur Cliff. Der hatte den selbstgefälligen Aufschneider sinnigerweise mit Posen Mussolinis geschnitten und seine Statements einem sprechenden Esel unterlegt. Urkomisch! Aber Lester findet das überhaupt nicht witzig. Damit nicht genug, muss Cliff auch noch erfahren, dass Halley für einige Monate nach London gehen wird ...

Und die Moral von der Geschichte? Vier Monate später treffen sich alle Akteure auf einer großen Hochzeitsfeier wieder. Ben's Tochter und Judah's Sohn haben geheiratet. Aber nicht nur das! Wendy hat einen neuen Mann gefunden und - Halley hat Lester in London die Ehe versprochen ... Da kann sich Cliff nur noch betrinken. Abgehalftert und deprimiert sondert er sich ab von dem Trubel. So ganz allein, fällt er dem Augenarzt auf: Sie sehen aus, als seien Sie tief in Gedanken versunken. Cliff: Ich habe gerade den perfekten Mord geplant. Judah: Wirklich? Für einen Film? Cliff: Film? Judah: Hat mir jedenfalls Ben erzählt. Er sagt, daß Sie Filme machen. Cliff: Ja, aber nicht solche. Ich, also meine ... sind anders. Judah: Ich hab eine tolle Mordgeschichte ... Allerdings hat meine ... Mordgeschichte eine sehr seltsame Wendung. Cliff: Ja? Nehmen wir an, da ist dieser Mann, der ... sehr erfolgreich war. Er hatte alles ... Und nachdem die schreckliche Tat vollbracht ist, stellt er fest, daß ... daß ihn ein tiefsitzendes Schuldgefühl quält. Kleine Funken aus seinem religiösen Hintergrund, den er bisher abgelehnt hatte, tauchen plötzlich wieder auf. Er ... hört die Stimme seines Vaters. Er ... stellt sich vor, wie Gott jede seiner Bewegungen beobachtet. Plötzlich ist das Universum nicht mehr leer, sondern ... voller Gerechtigkeit und Moral, und ... er hat sich dagegen vergangen. Panik erfaßt ihn. Er gerät an den Rand eines Nervenzusammembruchs. Um ein Haar hätte er der Polizei gestanden. Und dann ... eines Morgens ... wacht er auf. Die Sonne scheint, seine Familie ist bei ihm, und ... auf rätselhafte Weise ist die Krise vorüber. Er macht mit seiner Familie Urlaub in Europa, und die Monate vergehen; er stellt fest ... daß er nicht bestraft wird. In Wahrheit hat er sogar Erfolg. Der Mord wird jemand anderem zugeschrieben: einem Penner, der schon mehrere Morde auf dem Gewissen hat, und deshalb ... Ich meine, auf einen mehr oder weniger kommt es nicht an. Jetzt ist er vollkommen frei. Sein Leben verläuft wieder in den gewohnten Bahnen. Er lebt wieder in seiner geschützten Welt des Reichtums und der Privilegien. Cliff: Ja, ja, aber kann er wirklich wieder zurück? Judah: Also ... Menschen tragen Sünden mit sich herum. Ich meine ... Na, ja, vielleicht hat er hin und wieder Gewissensbisse, aber ... die gehen vorbei ... Cliff: Ach, ich weiß nicht. Es, es wäre ... Ich glaube, es wäre für jeden schwer, mit so etwas zu leben. Es ist ... Nur sehr wenige Menschen können tatsächlich mit so etwas leben. Judah: Was soll das heißen? Menschen tragen schreckliche Untaten mit sich herum. Ich bin ... Was sollte er denn machen, sich stellen? Ich meine, das hier ist die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit zwingt uns zur Vernunft. Wir müssen leugnen, sonst können wir nicht weiterleben. Cliff: Also ... ich würde es so machen: Ich würde ihn sich stellen lassen ... weil dann nämlich seine Geschichte eine tragische Dimension bekommt, weil wenn es keinen Gott oder so gibt, muß er selbst die Verantwortung übernehmen ... Dann haben wir eine Tragödie ... Judah: Sie gehen zu oft ins Kino. Ich meine, ich spreche von der Wirklichkeit. Ich meine, wenn Sie ein Happy-End wollen, müssen Sie sich einen Hollywood-Film ansehen ...

Abschließend unterlegt Allen rekapitulierte Erinnerungsbilder ausgewählter Filmszenen mit der Off-Stimme des Philosophie-Professors. Unser ganzes Leben lang müssen wir verschiedene Entscheidungen treffen - moralische Entscheidungen. Einige sind von großer Wichtigkeit; die meisten aber von geringerer Bedeutung. Aber wir definieren uns durch die Entscheidungen, die wir getroffen haben. Genau genommen sind wir die Summe unserer Entscheidungen. Ereignisse entwickeln sich vollkommen unerwartet und erscheinen uns unfair. Glück scheint für die Menschen im Schöpfungsplan nicht vorgesehen. Nur wir, mit unserer Fähigkeit zur Liebe, sind dazu in der Lage, dem gleichgültigen Universum einen Sinn zu geben. Und die meisten Menschen scheinen die Fähigkeit zu besitzen, es immer wieder zu versuchen und sogar Freude in einfachen Dingen zu finden. In ihrer Familie, in ihrer Arbeit und in der Hoffnung, daß spätere Generationen mehr verstehen werden. Die existenzphilosophische Haltung Louis Levy's entspricht etwa derjenigen Woody Allens und ich werde darauf noch genauer eingehen. Die optimistische Sicht der nächsten Generationen wird der Filmemacher 2005 allerdings mit der erschütternden Tragödie Match Point unterlaufen. Hatte nicht bereits Prof. Levy durch seinen Selbstmord den Glauben an die Liebe ad absurdum geführt?


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Ingo Tessmann 2007-04-15