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Die frühen Komödien

In den mit Ironie und Humor, Situationskomik und Slapstickeinlagen durchsetzten ersten sieben Minuten des Films wird uns der von Woody Allen gespielte Anti-Held Virgil Starkwell vorgestellt. Der Vorspann beginnt erst mit Kapitel 2 und zeigt den Versager unter Arrest. Auf der DVD ist der Film in folgende Kapitel unterteilt:

Woody, der Unglücksrabe

1. Virgil Starkwell

2. Unter Arrest

3. Treffen im Park

4. Kleine Gaunereien

5. Hinter der Mauer

6. Ausbruchsgedanken

7. Wieder vereint

8. Erpressung

9. Ein neuer Coup

10. In Gefangenschaft

11. Auf der Flucht

12. Erfolgreiche Karriere

Woodys Unglückrabe lässt sich als Satire einer Sozialreportage oder Parodie einer Dokumentation über die Lebensverhältnisse in der Unterschicht auffassen. Da für Allen Anfang und Ende eines Films von besonderer Bedeutung sind, will ich nach der Vorstellung Virgils sogleich seinen Rückblick auf eine erfolgreiche Karriere anfügen. Nachdem unser Versager zu 800 Jahren Gefängnis verurteilt worden war, wird er über den Erfolg seiner Verbrecherlaufbahn befragt: Ich finde, dass Verbrechen sich unbedingt auszahlt. Es ist ein guter Job, kurze Geschäftszeiten, ich bin mein eigener Boss; sie reisen sehr viel und kommen mit sehr viel interessanten Menschen zusammen.- Also, ich kann nur allen zu dieser Arbeit raten. Der Reporter erkundigt sich auch nach dem Verbleib seiner ehemaligen Komplizen: Oh, eine ganze Menge von ihnen wurde dann homosexuell und mehrere von ihnen wurden dann Politiker oder gingen in den Sport. Die Abschlussfrage gilt seinen Hobbys und der Erkundigung danach, wie er seine lange Zeit im Gefängnis abzusitzen gedenke: Oh ja, ich arbeite sehr viel, ich werde dann sehr viel in der Werkstatt arbeiten und ich bin sehr geschickt mit meinen Händen.- Wissen sie, ob's gerade draußen regnet? Die Pointe mit dem Wetter wird nur verständlich durch die Erinnerung an Virgils erstem Ausbruchsversuch. Dazu hatte er sich mit einem Stück Kernseife und schwarzer Schuhcreme einen Revolver gebastelt. Aber wie das Schicksal so spielte, regnete es in Strömen als er, die Polizei in Schach haltend, in den Hof trat - und seine Wumme sich in Schaum auflöste. Humorlos wie die Justiz nun einmal ist, wurde seine Strafe um weitere zwei Jahre verlängert.

Aber fahren wir mit der Reportage seiner Verbrecherkarriere fort: In dem Bemühen, etwas Licht in diese Periode seines Lebens zu bringen, sprechen wir mit seinem Vater und seiner Mutter. Zu sehen ist das amüsante Bild von Mr. und Mrs. Starkwell mit Groucho Marx - Masken. Sie schämen sich der Taten ihres Sohnes und erscheinen in Verkleidung vor der Kamera. Die Mutter erhebt das Wort: Er ist immer ein guter Junge gewesen. Da ist der Vater allerdings ganz anderer Ansicht: Er ist ein ausgewachsener Gangster. Mutter romantisiert weiter: Er war so lieb. Und wie er die Musik geliebt hat. Vater hält dagegen: Er war ein ausgesprochener Atheist. Ich habe versucht, Gott in ihn 'rein zuprügeln; aber es hatte überhaupt keinen Sinn. Mutters Verständnis bleibt ungebrochen: Er wollte nur unabhängig sein, von uns wegkommen. Aber du bist eine so autoritäre Person. Diese Anschuldigung ihres Mannes wird ein Nachspiel haben: Was? Darüber reden wir lieber später.

Während die Amerikaner 1956 dem Konsum frönen und Eisenhower mit Nixon Angeln geht, verbringt Virgil die Zeit in seiner Zelle mit Lesen.- Bis sich ihm eine Gelegenheit bietet, vorzeitig entlassen zu werden. Er meldet sich freiwillig als Testkandidat für einen neuen Impfstoff. Die Nebenwirkung verwandelt ihn allerdings in einen Rabbi. Zum Glück aber nur für einige Stunden und so kommt er zur Belohnung auf Bewährung frei. Er findet eine Welt vor, in der es schwierig ist, sich zu behaupten. Er schämt sich, nach Hause zu gehen. Statt dessen mietet er sich ein Zimmer in einer fremden Stadt. In seinem Zimmer darf nicht geraucht werden, aber durchs Fenster dringen stinkende Abgase herein und die Dusche funktioniert nur, wenn man die Klospülung betätigt.

Um seinen gröbsten Hunger zu stillen, versucht Virgil sich an seinen Mitmenschen schadlos zu halten. Nachdem er einer Oma die Handtasche geklaut hat, ist er nicht wenig verblüfft, als ihr beim Öffnen zwei Expander entspringen und er einer langen Metallkette habhaft wird. Bei dem Versuch, die Kasse einer Zoohandlung auszuräumen, muss er überrascht die Flucht vor einem ausgewachsenen Gorilla ergreifen. Befindet er sich im falschen Film? Und wie soll er die Neigung des alten Weibleins verstehen? Die Misserfolge trüben natürlich nicht Virgils Vertrauensseligkeit. Und so kommt es zu einem folgenschweren Treffen im Park. Auf einer Wiese nähert er sich hinterrücks einer langhaarigen jungen Frau, die sitzend gerade an einem Bild malt. Kurz bevor er ihr aber die Handtasche entwenden kann, dreht sie sich um - und er schaut in das engelhafte Antlitz eines bildhübschen Mädchens. Ihre Arglosigkeit und Schönheit entwaffnen und verwirren ihn. Nachdem er ihren Namen, Louise, erfragt und sie um einen Spaziergang gebeten hat, verliebt er sich in sie und verwirft sogar seinen Plan, sie zu bestehlen. Seine erste Liebe war so hässlich, dass er nur mit ihr telephonierte; Louise findet er so süß, dass er sie sogleich heiraten möchte. Dabei verhehlt er auch nicht seine Meinung zum Sex: Ob ich glaube, dass Sex schmutzig sei, ähm, das ist er schon, wenn man's richtig treibt. Da passt es gut, dass Louise Wäscherin ist. Bei der Vorbereitung zur nächsten Verabredung sehen wir Virgil vor dem Spiegel Posen Bogarts einüben, indem er bemüht cool zu wirken und sich souverän die Brille ins Jacket zu stecken versucht. Neben weiteren Filmzitaten fehlt auch nicht ein Seitenhieb auf die Politiker, die eigentlich nur veränderte Kriminelle seien: Ich erwog sogar damals, meine Verbrecherlaufbahn zu verändern und Senator zu werden oder sowas. Gemeinsamen Essen und Spaziergängen im Park folgen Bilder des Lustwandelns der Verliebten am regnerischen Meeresstrand.

Romantische Bilder inniger Zweisamkeit werden von der Off-Stimme des Kommentators überlagert, der zu einem kleinen Exkurs anhebt: Um Louise besser zu verstehen, lassen sie uns kurz ihre Vergangenheit betrachten. Mit zwei Jahren wird sie aus einem armen und grausamen Waisenhaus von einem Berufssoldaten und seiner Frau adoptiert. Sie genießt eine äußerst strenge Erziehung, was sie schüchtern und zurückhaltend macht. Sie kennt nie ein echtes Zuhause. Ihr Vater hält sich meistens in Kasernen auf. Er macht eine glänzende Militärkarriere, die ihn nach 30 Dienstjahren in den Rang eines Korporals katapultiert. Ihre Mutter, eine Trinkerin, wendet sich trostsuchend der Religion zu und wird schnell eine Fanatikerin. Auf Louise' Bedürfnissen nach Liebe, reagiert sie mit Schlägen und behauptet, Gespräche mit Gott zu führen, in denen sie Pläne zur Erlösung und dem Leben nach dem Tod erörtern.

Da hatten sich die Richtigen gefunden. Ohne Louise einzuweihen, versucht Virgil erneut, an Geld zu kommen. Er stellt sich brav an die Reihe eines Bankschalters und überreicht dem Kassierer einen Zettel, der darauf hinweist, dass eine Waffe auf ihn gerichtet werde und er 50 Tausend Dollar rausrücken solle. Probleme mit der Leserlichkeit und Orthographie führen allerdings unter den Bankangestellten zu einer Diskussion darüber, wie der Zettel denn zu verstehen sei. Entnervt gibt Virgil auf und wird festgenommen. Im Knast gilt er als unauffällig und umgänglich, so dass er schnell als Hilfskraft in der Wäscherei eingesetzt wird, wo er natürlich mit der Tücke moderner Technik zu kämpfen hat. Und wieder plant unser vertrauensseliger Gauner einen Ausfall, diesmal aber zusammen mit einigen Mitgefangenen. Auf seine Mitmenschen ist allerdings genauso wenig Verlass wie auf das Wetter. Seine Knastbrüder lassen ihn nicht nur im Stich, sondern machen sich auch noch lustig über ihn, als er nichtsahnend allein den Ausbruch wagt,- und auf abenteuerliche Weise entkommt. Wieder vereint steht Virgils größte Mutprobe an: die Heirat. Das Eheleben mit Louise wird schon bald durch einen Sohn bereichert. Das hatte sich unser Versager eigentlich gar nicht zugetraut, aber sein wiederholt geschwollener großer Zeh wird es wohl hinbekommen haben. Eine Familie kann sich nicht nur im Bett aufhalten, sie muss auch versorgt werden. Zum Glück findet der Unglücksrabe aufgrund eines unorthodoxen Vorstellungsgesprächs schon bald einen Job in der Postabteilung eines Unternehmens und die Zukunft könnte sich aufhellen,- wenn da nicht die lieben Kollegen wären.

Der Sekretärin des Chefs bleibt nicht verborgen, dass nach Virgil von der Polizei gefahndet wird. Dieses Wissen nutzt sie zu einer Erpressung und unserem vertrauensseligen, aber auch mordlüsternden Underdog bleibt nichts weiter übrig als wieder einen Coup zu planen. Ein als Filmdreh getarnter Bankraub soll es sein. Als Kumpane wählt er natürlich wieder ehemalige Knastbrüder aus, denen folgende Vergehen vorgeworfen werden: Bankraub, bewaffneter Überfall, nacktes Erscheinen vor den Schwiegereltern, Tanzen mit dem Briefträger, Brandstiftung, Raub, vorsätzlicher Mord und intimer Verkehr mit einem Pferd. Die Regie des Überfalls soll ein alter Bekannter aus dem Filmgeschäft übernehmen: Wir tun so, als ob wir einen Film drehen werden ... mit Fritz! Der hatte zwar für einen zehnminütigen Kurzfilm Forellenfischen in Quebec mit zehn Millionen Dollar das Budget überzogen, aber einen Klassiker produziert. Diese Schwachköpfe in Hollywood waren unfähig, wahres Genie zu erkennen. Also hab ich ein Vermögen für Wiederholungstakes ausgegeben. Ich hatte keine andere Wahl. Die Forellen wollten einfach nicht stillhalten. Am Drehort ergeben sich dann aber ganz andere Komplikationen, als gleichzeitig ein zweites Team auftaucht und Kasse machen will. In der allgemeinen Verwirrung hat die Polizei leichtes Spiel. Virgil wird zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt, während seine Mitstreiter nur fünf Jahre bekommen. Im Lager werden die Inhaftierten fast ausnahmslos an schweren Ketten gehalten. Eine Flucht gelingt ihnen - aber nur gemeinsam; ein Umstand, der nicht nur zu Situationskomik und Slapstickeinlagen führt, sondern auch ein Symbol darstellt für die Familie als Gefangenschaft in Ketten.

Fortan ist Virgil mit seiner Familie auf der Flucht. Das FBI hält ihn für eine Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und kürt ihn sogar zum ,,Gangster des Jahres``. Auf die Liste der zehn Gesuchtesten kommt er aber nicht. Dafür wird er zu öffentlichen Essen eingeladen und zu Vorträgen an Universitäten. Der mit seinem Fall beauftragte FBI-Fahnder hatte ein Buch geschrieben mit dem Titel: Mutter war eine Rote. Sein Chef Hoover war beunruhigt: Dieser Kriminelle war möglicherweise auch noch Mitglied eines subversiven Komplotts, ganz zweifellos ein Atheist, ein Maoist, der das Ziel verfolgt, unsere Gesellschaftordnung zu verändern. Damit war Virgil auch noch zu einem politisch brisanten Problem geworden. Verhaftet wird der ,,Gangster des Jahres`` allerdings ganz unspektakulär. Bei dem Versuch, einen Passanten auszurauben, stellt sich das Opfer nicht nur als alter Kumpel heraus, mit dem Virgil schon in der Marschkappelle gespielt hatte, sondern auch noch als Zivilfahnder ... Virgil wird zu 800 Jahren Bau verdonnert, die wegen guter Führung aber bald um die Hälfte reduziert werden. Trotz dieser widrigen Umstände bereut es Virgil am Ende nicht, die Verbrecherkarriere eingeschlagen zu haben, er könne nur allen dazu raten.

Mit seinem Film Take the money and run greift Allen nicht nur die in den 1960er Jahren unter dem Einfluss der Milieutheorie in Mode gekommenen Sozialreportagen auf, sondern knüpft auch direkt an die Entstehungsbedingungen des Films schlechthin an. Schon der erste von Lumiere am 22. März 1895 in Paris gezeigte Streifen war eine Dokumentation: Arbeiter beim Verlassen der Fabrik Lumiere. Und bereits 1896 folgte ein Slapstickstreifen: Der begossene Begießer für das Programm im Grand Café. Zur vollendeten Kunstform hat Chaplin dann die Sozialkritik in seinen heiter-melancholischen Stummfilm-Komödien entwickelt. Mit seiner Paarung von Virgil und Louise (gespielt von Woody Allen und Janet Margolin) knüpft Allen an das Paar aus Moderne Zeiten an, den Fabrikarbeiter und das Waisenkind (dargestellt von Charles Chaplin und Paulette Goddard). Weitere filmische Vorbilder, auf die Allen explizit verweist, sind die Marx-Brothers (Masken der Eltern), The Big Sleep (Posieren mit der Brille), das Musical West Side Story (Männlichkeitsbeweise) und der Regisseur Fritz Lang. Mit Fritz wird der große Coup als Filmdreh inszeniert. Woody Allen gelingt damit eine Wiedergeburt der Filmkunst aus dem Geist der Komik und Doku.

Mit Virgil und Louise wählt Woody Namen, die auf virgin und Louise Lasser verweisen, seine zweite Ehefrau, die als Schauspielerin auch in einer Nebenrolle auftritt. Louise hatte Politologie studiert, ihr Studium aber vor dem Abschluss abgebrochen, um als Sängerin auftreten zu können. Und wie Frauen allgemein zur Menschwerdung des Mannes beitragen, wurde auch Woody im Anschluss an Harlene erst durch Louise ein Mensch, wie er selbst bekannte. Von Harlene hatte Woody sich bereits 1962 scheiden lassen, da sie sich in verschiedene Richtungen entwickelt hatten. Die zweite 1966 geschlossene Ehe währte nur drei Jahre; denn unterdessen hatte Woody Allen Diane Keaton lieb gewonnen, die durch ihre Rolle im Musical Hair bekannt geworden war und mit der Woody in seinem Theaterstück Play it again, Sam zusammen auf der Bühne stand. Woody und Louise blieben gleichwohl enge Freunde und sie spielte weiter in seinen Filmen mit.

Nicht zufällig lässt Allen Virgil Starkwell am 1. Dez. 1935 das Licht der Welt erblicken. Trotz der wenigen Gemeinsamkeiten, reflektiert Woody in dem schmächtigen Rotschopf Virgil auch seine eigene Kindheit; hatte er doch selbst nicht selten unter den Bedrohungen durch ,,Schultyrannen`` zu leiden. Die Wahrheit kann auch mit Hilfe von Witzen gesagt werden. Und wie man aus einer Reihe von Gags ein Drehbuch schreibt, hatte er schon mit Pussycat demonstriert. In Money parodiert Allen aber nicht nur die Geschicke eines Lebemannes, sondern präsentiert all seine Themen und Probleme in der reflexiven Form einer Sozialreportage. Das Drehbuch hatte Woody zusammen mit seinem alten Freund Mickey Rose geschrieben. Es bildet den Auftakt zu einer ganzen Reihe subversiver Sozialkomödien (als deren letzte vorerst Scoop angesehen werden kann). Ihre zentrale Kategorie war die Pointe und alles war einzig dem Gag unterworfen, wie sich Woody über Allen erinnert. Nicht selten variiert er dabei ,,jüdische Witze``, wie z.B. in dem Dialog zwischen Virgil und Louise. Er: Du bist wirklich das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe. Sie: Ich gehe jeden Tag unter die Dusche, ob's nötig ist oder nicht. Bei Freud findet sich die Ursprungsform des Witzes: Zwei Juden sprechen über das Baden. ,,Ich nehme jedes Jahr ein Bad``, sagt der eine, ,,ob ich es nötig habe oder nicht``. Und im Gegensatz zu dem Vorurteil über die unsauberen Juden lässt Allen Janet eine Wäscherin spielen, die sich besonders gut mit Unterwäsche auskennt. Virgil dagegen ist irritiert, als er in der Gefängnis-Wäscherei unter den vielen Herren-Unterhemden einen BH findet.

Um Wäsche geht es auch in dem ersten Text des 1971 erstmals erschienenen Buchs Getting Even (Wie du dir so ich mir). Es enthählt die seit 1966 vornehmlich im New Yorker veröffentlichten Satiren und Humoresken Allens. Die Metterlink-Listen geben in der ,,Berühmten Vierten`` einen Hinweis auf eine weitere Louise: Was Metterlink hinderte, sein lange geplantes Lyrikbuch abzuschließen, war eine unglückliche Liebesgeschichte, die in der ,,Berühmten Vierten`` sichtbar wird:

Liste Nr. 4

7 Unterhosen

6 Taschentücher

6 Unterhemden

7 Paar schwarze Socken

Bitte nicht stärken!

24-Stunden-Schnelldienst!

1884 begegnete Metterlink Lou Andreas-Salomé, und sofort, so erfahren wir, verlangte er, daß seine Wäsche jeden Tag frisch gewaschen werde. In Wirklichkeit waren die beiden von Nietzsche miteinander bekannt gemacht worden, der Lou erklärte, Metterlink sei entweder ein Genie oder Idiot, und sie solle mal sehen, ob sie nicht herausbekäme, was. Wie Virgils Louise verehrte auch Metterlinks Louise besonders seine Unterhosen: Sie schrieb an Nietzsche, Metterlinks Unterhosen seien das Erhabenste, was ihr je begegnet sei, einschließlich Also sprach Zarathustra. Nietzsche nahm das wie ein Gentleman, aber auf Metterlinks Unterwäsche war er immer eifersüchtig, und engen Freunden erzählte er, daß er sie ,,extrem hegelianisch`` finde. Lou Salomé und Metterlink trennten sich nach der großen Sirupnot 1886, und während Metterlink Lou vergab, sagte sie ihm stets nach ,,sein Geist sei wie ein Spitalkorridor``. Da Nietzsche ein Verächter Hegels war, ist eine ,,extrem hegelianische`` Unterhose für den Philosophen nicht minder verächtlich.

Geplagt von dem Alptraum, in falscher Unterhose auf einem öffentlichen Platz zu erwachen, greift Woody zum Frühjahrsprogramm der Volkshochschule, um seiner existentiellen Krise durch Bildung und Selbstreflexion Herr zu werden:

Das Absurde: Warum das Dasein oft als lächerlich betrachtet wird, besonders von Männern, die weißblaue Schuhe tragen. Vielheit und Einheit werden in ihrem Verhältnis zur Andersheit untersucht (Studenten, die die Einheit begriffen haben, steigen zur Zweiheit auf).

Philosophie XXIXb: Einführung in Gott. Eine Begegnung mit dem Schöpfer des Universums mit Hilfe zwangloser Lektüre und Exkursionen.

Grundlagen der Astronomie: Eine detaillierte Untersuchung des Universums samt seiner Pflege und Reinhaltung. Die Sonne, die aus Gas besteht, kann jeden Augenblick explodieren und unser gesamtes Planetensystem in die Vernichtung stürzen. Die Studenten werden darin unterwiesen, was der normal sterbliche Bürger in solch einem Fall tun kann.

Seine eigene Philosophie hatte Allen während eines Krankenhausaufenthaltes entwickelt. Dort fing er mit Kierkegaard und Sartre an und ging dann schnell zu Spinoza, Hume, Kafka und Camus über. Die Munterkeit dieser Autoren faszinierte ihn, wobei er besonders von einer Erkenntnis Kierkegaards hingerissen wurde: ,,Eine solche Beziehung, die sich selbst auf das eigene Selbst bezieht (das heißt ein Selbst), muß sich entweder selbst entwickelt haben oder von einem anderen entwickelt worden sein.`` Es trieb ihn geradezu Tränen in die Augen und so entschloss er sich, eine grundlegende Kritik zu Papier zu bringen. Wohl inspiriert von Kants Kritik der reinen Vernunft und Marxens Kritik der politischen Ökonomie beginnt der Komiker seinen philosophischen Entwurf mit einer Kritik des Reinen Schreckens. Und wie es sich für einen gründlichen Philosophen gehört, hebt auch Woody mit der Frage danach an, was wir überhaupt zu erkennen vermögen: Was können wir erkennen? Das heißt, wovon können wir sicher sein, daß wir es kennen, oder sicher sein, daß wir wissen, wir kannten es, wenn es überhaupt wirklich erkennbar ist. Oder haben wir es bloß einfach vergessen und sind zu verlegen, irgendwas zu sagen? Descartes wies auf das Problem hin, als er schrieb: ,,Mein Geist kann niemals meinen Körper erkennen, obwohl er mit meinen Beinen auf ziemlich freundschaftlichen Fuße steht.`` Mit diesem ,,Zitat`` hat unser Kritiker dem Reinen Schrecken bereits allen Wind aus den Segeln genommen und mit der kühnen Volte, noch über Marx hinausgehend, das Kantsche Ding an sich gleichsam geerdet, indem er seinen trunkenen ,,Geist`` in die Beine fahren ließ. Diese Voraussetzung ist nicht unwesentlich, da er als ,,Erkenntnis`` nur etwas gelten lässt, was man zumindest einem Freund mitteilen können sollte. Da man sich aber auf dem Fußweg zu einem Freund leicht unversehens im Universum verirren kann, leitet Woody nicht zufällig, sondern stringent zu der wohl umfassendsten Frage menschlichen Strebens über: Können wir das Universum wirklich ,,kennen``? Mein Gott, es ist doch schon schwierig genug, sich in Chinatown zurechtzufinden. Der springende Punkt ist doch: Gibt es da draußen irgendwas? Und warum? Und muß man so einen Lärm darum machen? Schließlich kann es keinen Zweifel darüber geben, daß das einzig Charakteristische der ,,Wirklichkeit`` ihr Mangel an Substanz ist. Das soll nicht heißen, daß sie keine Substanz besitzt, sie fehlt ihr bloß. Schon Sartre hatte das Bewusstsein als substanzlos erscheinen lassen. Und mit der ,,Wirklichkeit`` hat unser Fundamentalkritiker auch dem Reinen Schrecken die Substanz entzogen. Da Woody mit seinem beinharten Monismus bereits einleitend den cartesischen Dualismus materialistisch unterlaufen hatte, könnte das Diktum Descartes': ,,Ich denke, also bin ich``, besser mit: ,,Guck mal, da geht Edna mit einem Saxophon``, ausgedrückt werden. Nach der erfolgreichen Beinarbeit des ,,Geistes`` ist mit Allens Diktum nunmehr auch das Denken über die visuellen und auditiven Sinne in den Leib gefahren.

Woodys Kritik des Reinen Schreckens endet mit einigen Aphorismen:

Das ewige Nichts ist ok, wenn man entsprechend gekleidet ist.

Wenn doch Dionysos noch lebte! Was würde er essen?

Es gibt nicht nur keinen Gott, sondern versuch mal, am Wochenende einen Klempner zu kriegen.

Das Erhabene mit dem Banalen, das ,,Göttliche`` oder ,,Geistige`` mit dem Menschlichen, Alltzumenschlichen zu konfrontieren, ist nicht nur komisch, sondern auch subversiv und entlarvend. Damit erweist sich Allen als heiter-melancholischer Neo-Kyniker, der sogar noch dem Tod zu trotzen vermag, ganz so wie Nat Ackermann, bei dem eines Tages Der Tod klopft: Nat: Wer sind denn Sie? Tod: Der Tod. Nat: Wer? Tod: Der Tod. Hör mal, darf ich mich vielleicht setzen? Aber Nat wäre nicht Woody, wenn er den ,,Tod`` nicht in Verwirrung und Selbstzweifel stürzte, um noch einmal davon zu kommen. Dabei hat Woody überhaupt nichts gegen das Sterben. Er möchte nur nicht dabei sein, wenn es passiert. Sein Einakter hat nicht nur Unterhaltungswert, sondern auch mehr Tiefgang als die vielen unter Esoterikern kursierenden Erlebnisschilderungen angeblicher Nahtod-Erfahrungen. Um einen echten Todesfall geht es in der grandiosen Satire Mr. Big. Die handelt nicht nur von dem ,,Größten``, sondern ahmt auch in souveräner Weise den Stil Raymond Chandlers nach. Ist vielleicht sogar der ,,Größte`` in den großen Schlaf gefallen? Auf The Big Sleep spielte Allen schon im Unglücksraben mit der Brillenszene vor dem Spiegel an. Bogarts Souveränität und Coolness, vor allem im Umgang mit Frauen, ist auch der Inhalt des später verfilmten Theaterstücks Play it again, Sam.

Mr. Big hebt an als gerade die langhaarige Blondine Heather Butkiss in das Büro des Schnüfflers Lupowitz hereinschneit: Sie trug einen kurzen Rock und einen engen Pullover, und ihre Figur beschrieb eine Reihe von Kurven, die bei einem Ochsen einen Herzstillstand hervorgerufen hätten. ,,Was kann ich für dich tun, Puppe?`` ,,Ich möchte, daß Sie jemanden für mich finden.`` ,,Vermißte Person? Hast du's schon bei der Polizei versucht?`` ,,Das ist es nicht, Mr. Lupowitz.`` ,,Nenn mich Kaiser, Puppe. Okay, um was für'n Schwindel geht's?`` ,,Um Gott.`` ,,Gott?`` ,,Ja, richtig, Gott. Der Schöpfer, das Grundprinzip, der Urgrund aller Dinge, der Allumfassende. Ich möchte, daß Sie ihn für mich finden.`` Ich hatte früher schon mal'n paar beknackte Typen in der Bude, aber wenn die so gebaut sind wie die, hörst du einfach zu. Der Schnüffler übernahm den Fall und stand zunächst vor dem Problem einer Personenbeschreibung. Das war nicht ganz leicht, da sich die Blondine als Pantheistin outete und ,,Gott`` überall vermutete. Kaisers Ermittlungen hatten die Weltgeschichte aufzuarbeiten. Nach den Juden, einem erklärten Atheisten, Philosophen wie Sokrates, Nietzsche und Kierkegaard, fiel der dringende Tatverdacht auf einen Existentialisten. Der Schüffler erfuhr es endlich in seiner Bude von der kurvenreichen Mandantin: Als ich ankam, hatte sie einen durchsichtigen Morgenmantel an, und irgendetwas schien sie zu beunruhigen. ,,Gott ist tot. Die Polizei war hier. Sie suchen nach dir. Sie glauben, ein Existentialist hat's getan.`` ,,Nein, Puppe. Du warst es.`` Der coole Privatdetektiv hatte die Puppe als Professorin der Physik enttarnt. Als sie die Hüllen fallen ließ, um ihn von ihrer Fünfundvierziger abzulenken, ließ er eine Kugel aus seiner Achtunddreißiger raus, noch ehe sie den Abzug drücken konnte, und sie ließ ihre Kanone fallen und knickte ganz ungläubig zusammen. ,,Wie konntest du nur, Kaiser?`` Allens Satire der Chandler-Krimis ist auch eine Parodie des neo-kynischen Happenings aus Nietzsches fröhlicher Wissenschaft.

Als fröhliche Politikwissenschaft hat Allen seine nächste Sozialkomödie inszeniert: Bananas. Ihr Keim findet sich bereits in der Politsatire Viva Vargas! Auszüge aus dem Tagebuch eines Revolutionärs. Besonders aufschlussreich ist der letzte Eintrag nach der erfolgreichen Revolution: Wir feierten die ganze Nacht, und alle waren sehr betrunken. Ich sprach hinterher mit Vargas über das schwierige Geschäft, ein Land zu regieren. Wenn er auch meint, freie Wahlen seien wesentlich für jede Demokratie, ziehe er es doch vor, noch zu warten, bis das Volk ein bißchen reifer geworden ist, bevor er Wahlen zuläßt. Bis dahin hat er sich ein brauchbares Regierungsystem aus dem Ärmel geschüttelt, das auf dem Gotteskönigstum basiert. Die Sinnlosigkeit der Machtwechsel in den Bananendiktaturen hat Allen auch in Without Feathers (Ohne Leit kein Freud) parodiert: Eine kurze, aber hilfreiche Anleitung zum bürgerlichen Ungehorsam. Der Titel Without Feathers (ohne Federn) verweist vordergründig auf Emily Dickinson, hintersinnig bezieht er sich aber auf Diogenes von Sinope. Nachdem Plato den Menschen allgemein als federlosen Zweibeiner definiert zu haben glaubte, rupfte Diogenes ein Huhn und präsentierte es Plato als Menschen. Der hehre Philosoph war entlarvt und der Spötter hatte das Gelächter auf seiner Seite. Und so outet sich Woody mit seinem Buchtitel nicht nur als Literat, sondern auch als Nachfahre des ersten Kynikers.

In seiner Anleitung zum bürgerlichen Ungehorsam unterscheidet Allen zwei wesentliche Voraussetzungen einer Revolution: Jemand oder etwas, gegen das zu revoltieren ist, und jemand, der wirklich erscheint und den Aufstand macht. Nicht auszudenken, wenn eine Revolution stattfände und niemand hinginge. Sollte es doch einmal dazu kommen, revoltieren meistens die von unten gegen die von oben: Die Leute oder Parteien, gegen die revoltiert wird, heißen die ,,Unterdrücker`` und sind leicht zu erkennen, weil sie offenbar den ganzen Spaß auf ihrer Seite haben. In den Bananendiktaturen werden die Unterdrücker nicht selten zu streng und wir haben es mit einem Polizeistaat zu tun, in dem jede abweichende Meinung verboten ist, wie zum Beispiel in sich hineinzukichern, sich mit Fliege zu zeigen oder vom Bürgermeister als dem ,,Dickerchen`` zu reden. Diktatoren sind meistens ziemlich humorlos. Will das Volk auch seinen Spaß haben, revoltiert es: Die revoltierenden Gruppen werden die ,,Unterdrückten`` genannt, und man sieht sie gewöhnlich sich herumprügeln und nörgeln oder über Kopfschmerzen klagen (die Unterdrücker neigen nur selten dazu, die Unterdrückten zu werden, da sie dann ihre Unterwäsche wechseln müssten). Als Beispiele für Revolutionen führt Allen die französische- und die russische an. Die unterdrückten Franzosen wechselten mit revolutionärer Gewalt alle Türschlösser in den Schlosstüren aus und ließen sich von den Adligen fortan nicht mehr beim Feiern stören. Die leibeigenen Russen dagegen hatten lange Jahre Mühe mit der Revolution und rafften sich erst zu einem Umsturz auf, machdem ihnen auffiel, daß der russische Kaiser und der Zar dieselbe Person waren. Man kann halt von Leibeigenen nicht erwarten, dass sie Identitätsphilosophen sind. Es sollte bemerkt werden, daß, wenn eine Revolution vorbei ist, die ,,Unterdrückten`` oft die Regierung übernehmen und anfangen, wie ,,Unterdrücker`` aufzutreten.

Allens zweite Sozialkomödie Bananas von 1971 knüpft an Money an, indem aus einem harmlosen Angestellten ein politischer Krimineller wird. Die schlimmsten Befürchtungen des FBI-Chefs Hoover sollten sich bewahrheiten. Im Zuge der Studentenbewegung wurden sogar Menschen politisiert, die sich eigentlich nur für ihren Orgasmus interessierten. Damit bekam nicht nur das FBI, sondern auch der CIA alle Hände voll zu tun. In Bananas verschlägt es den von Woody Allen gespielten Produkttester Fielding Mellish in die niedliche kleine Bananendiktatur San Marcos irgendwo in Südamerika. Das amerikanische Fernsehen war natürlich schon vor ihm da: Hallo, liebe Freunde, wir befinden uns heute mit dem Sportspiegel in dem kleinen Staat San Marcos. Wir sind stolz, ihnen das diesjährige Attentat zeigen zu können. Sie werden miterleben, wie man den Präsidenten dieses kleinen südamerikanischen Staats abwählt und wie dann die Militärjunta die Macht übernimmt. Um mich herum herrscht freudige Erwartung. Wir nähern uns dem Höhepunkt. Den Auftakt bildete die obligate Bombenexplosion vor der amerikanischen Botschaft ... Überall bietet sich unserem Auge ein farbenfrohes Bild. Ich glaube, meine Damen und Herren, wir stehen kurz vor der Entscheidung. Der Präsident muss jede Minute aus seinem Büro kommen und über die Freitreppe den Palast verlassen. Um ihm nahe zu sein, werden wir jetzt aufs Spielfeld umschalten ... Bitte übernehmen Sie, Howard.- Das ist unbeschreiblich Don, diese Atmosphäre ist voller Aggression, über dem Platz liegt eine Wolke von Hass ... Die Nerven der Zuschauer sind bis zum Äußersten gereizt ... Und jetzt sehe ich, tatsächlich, die Tür wird ganz vorsichig geöffnet. Ist es El Presidente, wagt er es herauszukommen? ... Ja, er ist es! ...

Die Kamera schwenkt über die Freitreppe vor dem Palast und bringt den Präsidenten ins Bild. Zaghaft und sichtlich verunsichert tritt er zögernd und ängstlich umherblickend aus der Tür. Der Fokus wechselt in einer raschen Nahstellung auf die Rückansicht eines Revolvers, der aus gleicher Perspektive auf den Präsidenten gerichtet ist. Der erste Schuss fällt und der Präsident versucht vergeblich, wieder in den Palast zurückzukommen. Aber die Tür ist verschlossen! Die Flucht nach vorne antretend, wird er von mehreren Kugeln niedergestreckt. Langsam sinkt er rückwärts auf die Treppe und bleibt reglos liegen. ... Und schon vorbei! Und so schnell ein klares Aus für El Presidente. Ich bemühe mich, durch die aufgebrachten Massen nach vorne durchzukommen, nach El Presidente. Vielleicht gelingt es mir, ein letztes Wort für die Nachwelt festzuhalten. Noch nie hatte El Presidente einen solchen Begeisterungssturm ausgelöst bei seinen Leuten wie heute ... Ich versuche, mich durchzuboxen ... Würden sie mich bitte durchlassen, ich bin vom amerikanischen Fernsehen ... El Presidente, ich komme, Sir, bitte Sir, eine Frage: ,,Sir, man hat auf Sie geschossen. Wann wussten Sie, dass alles vobei ist?`` ... ,,Mein Konto in der Schweiz, in Zürich, umsonst`` ... ,,Ja, verständlich, dass Sie etwas durcheinander sind. Immerhin haben Sie ja das erste Mal verloren. Ich glaube, es wird Zeit, dass Sie Ihren Rücktritt bekannt geben, nun? ... Na ja, viel Spaß noch, Sir, bitte bleiben Sie liegen.`` ... Und nun möchte ich ihnen den Gewinner vorstellen, den neuen Diktator von San Marcos ... General, dem Sieger meine Glückwünsche, Emilio Molina Vargas. Würden Sie wohl so freundlich sein, ein paar Worte an unsere Zuschauer zu richten? ,,Jahre habe ich auf diesen stolzen Tag gewartet. Heute bin ich der Star!`` ,,Ja, Sie möchten das sein; aber gut informierte Kreise sind der Meinung, dass Sie bleiben, was Sie sind: der meistgehasste Mann in diesem Land.`` ,,Ab sofort wird die Pressefreiheit abgeschafft. Ich werde die Soldaten schärfer drillen und ich werde die Rebellen vertreiben!`` ,,Die Rebellen leben doch als kleine demokratische Gruppen weit verstreut in den Bergen.`` ,,Keine Sorge, wir werden sie finden, wir müssen sie finden!`` ,,Tja, dann viel Erfolg, Sir.`` ,,Danke!`` ... Wir werden abwarten müssen, was die Zukunft diesem kleinen Land noch bringen wird.- Das war unsere Übertragung von dem Volksfest aus der niedlichen kleinen Diktatur San Marcos. Wir schalten zurück ... und der Film beginnt ...

Während nach dem klaren Aus für El Presidente in San Marcos General Emilio Molina Vargas die Macht übernimmt, sehen wir den Produkttester Fielding Mellish bei der Arbeit. Es geht um den Test eines Egghead Trainers für die, die sich permanent in Krisen befinden und ihren mentalen Stress durch Muskeltraining auszugleichen haben. Der Egghead Trainer ermöglicht das durch eine sinnreiche Büroausstattung bei der Arbeit. Wie schon der kleine Fabrikarbeiter in Moderne Zeiten erleidet auch der schmächtige Produkttester in Bananas viel Unbill beim Kampf mit der Technik. Da hält er sich schon eher geeignet für einen Zuchtbullen in der Samenbank. Nachdem Fielding bei der attraktiven, langbeinigen und kurzberockten Sekretärin abgeblitzt ist, kommt es ihm gelegen, als sich bei ihm Zuhause eine Studentin meldet und um eine Unterschrift gegen die Diktatur in San Marcos bittet. Fielding ist sofort Feuer und Flamme und will sogleich mit ihr Essen gehen. Da sie noch zu ihrem Yoga-Kurs müsse, hakt er flugs nach: Ich liebe die östlichen Weisheiten. Sie sind so metaphysisch. Sie: Kennen Sie das I-Ging? Er: Nein, das eigentliche Ging nicht, aber ich hab mich ein bißchen mit Kierkegaard befaßt. Sie: Natürlich, er ist ja Däne. Er: Ja, das würde er auch sofort zugeben. Sie: Ja, ja, ich hab nämlich gerade zu ... waren Sie schon mal in Dänemark? Er: Ja, ich war ... ja, im Vatikan. Sie: Oh, im Vatikan. Der ist in Rom. Er: Na ja, in Rom ist er so gut gelaufen, daß sie in Dänemark auch einen eröffnet haben. Sie: Oh ... Äh, wissen Sie, ich hab grad neulich zu jemandem gesagt, daß die Skandinavier ein so instinktives Gefühl für die menschliche Natur haben. Er: Ein sehr weiser Satz. Ich finde, wissen Sie, das ist ... prägnant. Sie: Oh, na ja, es war ... prägnant. Es hatte viel Prägnanz. Er: Studieren Sie? Sie: Ja, am City College. Er: Oh, das ist ein tolles College ... Ich hab' da mal in der Cafeteria gegessen. Sie: Wirklich? Er: Ja, ich hab mir die Trichinenkrankheit geholt. Sie: Oh, mein Hauptfach ist Philosophie. Er: Ein wunderbares Fach ... die Bedeutung von Leben und Tod, und warum wir hier sind und all so was ... Sie: Ja, genau. Er: Essen Sie gern chinesisch? Sie hat auch noch eine Versammlung der Frauenbefreiungsgruppe oder muss noch irgendwo 'ne Bombe werfen.- Dann, endlich, beim ersten Date scheint alles perfekt; aber sie verlangt nach Kerzen! Ach, das mach' ich doch alles selbst ... Ja, selbst ist der Mann! Gleichwohl erzählt er seiner Psychoanalytikerin einen Traum, in dem wir ihn an einem Kreuz genagelt durch die Straßen Manhattans getragen sehen. Die Flagellanten sind in dunkle Kaputzenkutten gehüllt. Wie es der Zufall so will, trifft der Gekreuzigte Mellish beim ,,Einparken`` auf einen weiteren Schmerzensmann.- Und die Keilerei zwischen den Geißelmönchen beginnt ... Was für ein Alptraum!? War Fielding vom rechten Weg abgekommen? Wandelte er bereits in Gethsemane? Oder gab es in Manhattan immer noch Parkplatzprobleme, obwohl doch das Universum expandierte?

Nachdem die reizende Studentin Nancy mit ihm Schluss gemacht hat, drängt es ihn nach San Marcos, wo sie eigentlich gemeinsam hin wollten. Ihr fehlte immer etwas an ihm: ein starker Mann, eine starke Hand. Sollte er etwa Hitler für sie spielen? Bevor sich Mellish auf den Weg macht, verabschiedet er sich noch rasch von seinen Eltern. Die sind als Chirurgen zwar gerade bei der Arbeit, lassen sich durch den unbedarft ins OP hereinschneienden Sohn aber nicht weiter beim Operieren stören. Viel lieber hätten sie ihren Sprössling als Arzt gesehen und nicht als Revolutionär. Aber schon Che hatte ja die falsche Wahl getroffen.- Kaum angekommen, wird der Schwächling Fielding auch schon vom General zum Essen in den Palast geladen. Das Doppelspiel des Diktators beginnt. Einem Anschlag, den er dem Rebellenführer Esposito in die Schuhe schieben wollte, um die Amerikaner gegen ihn aufzubringen, entgeht unser Möchtegern-Revolutionär nur mithilfe der Rebellen. Und so findet er sich unversehens in einem Rebellencamp wieder. Noch leicht benommen, wünscht er sich keine polnischen Frauen mehr und ergeht sich in revolutions-heroischen Posen;- bis ihm gewahr wird, dass die Aufenthaltsdauer im Camp seine Leihwagen-Gebühr in astronomische Höhen treiben wird. Eine rassige Revolutionärin mildert aber schon bald seine Sorge. Beim Essen vor der Kulisse der aufschäumenden Meeresbrandung ist er um Männlichkeitsbeweise nicht verlegen. Leider erschöpft sich die Arbeit eines Revolutionärs nicht im Sex. Mit Unterstützung der Amerikaner, die zum Ausgleich auf beiden Seiten kämpfen, gelingt der Sturz des Generals. Beim Sturm über die Freitreppe vor dem Palast, geht es nicht gerade zimperlich zu. Auf einen herabrollenden Kinderwagen wird keine Rücksicht genommen. Hatte Eisenstein mit seinem Panzerkreuzer Potemkin noch Partei ergriffen, verschwimmen bei Allen die Konturen; denn der Revolutionsführer Esposito erweist sich als neuer Diktator: Von nun an ist mein Wort Gesetz! Diese ungebildeten Bauern sind noch nicht reif für freie Wahlen. Da dem neuen Diktator schnell das Geld ausgeht, fällt dem Amerikaner Mellish die Aufgabe zu, (wie Castro) verkleidet als Präsident von San Marcos in die USA zu reisen und um Unterstützung zu werben. CIA und FBI bekommen natürlich Wind von der Sache und werden ein Exempel statuieren an diesem Hippie: wegen kommunistischer Verschwörung und der Beteiligung an Friedensmärschen. In den Nachrichten gibt es neben den üblichen Meldungen eine Sondermeldung höchster Brisanz: In New York demonstrieren die Kanalarbeiter für parfümierte Abwässer.- Die Vereinigung der Schusswaffenindustrie hält den Tod für eine gute Sache.- Vor der Sondermeldung kommt die Werbung und es wird die Zigarettenmarke Neues Testament mit dem revolutionären Weihrauchfilter angepriesen: Ich rauche sie, ER auch.- Fielding Mellish, ein jüdischer intellektueller kommunistischer Krachmacher, wird heute vor Gericht gestellt und wegen folgender Vergehen angeklagt: Betrug, Landfriedensbruch und Umsturzversuch. Die Verhandlung verläuft äußerst turbulent. Während der FBI-Chef Hoover in der Verkleidung einer harmlosen Negermammi erscheint und die als Zeugin geladene Ms. Amerika zu Protokoll gibt, dass die Meinung des Angeklagten eklantant von der des Präsidenten abweiche, ziehen die Geschworenen genüsslich an einem Joint. Der Richter indessen kennt kein Pardon und Mellish wird zu 15 Jahren verdonnert. Sollte er allerdings nicht in seine Nähe ziehen, würde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

Wieder frei und zum Mann gereift, steht Fielding aber noch die Hochzeit mit Nancy bevor. Jetzt gilt es, Stärke zu beweisen: Guten Abend, unser aktueller Sportspiegel ist heute im Royal Manhattan Hotel ... und wir präsentieren ihnen die Fielding Mellish Hochzeitsnacht. Mellish und seine Braut wurden heute vor dem Gesetz Mann und Frau im Standesamt von Manhattan. Die Braut trug das traditionelle jungfräuliche Weiß; genauso kam Mellish. ... Nun bereiten sich beide darauf vor, ihre Ehe auch vor der Welt zu vollziehen. Das öffentliche Interesse ist gewaltig. ... Sie werden Schritt für Schritt dabei sein. Howard, bitte melden Sie sich.- Der Countdown läuft, die Uhr tickt, wo bleibt sie denn; ach, da ist sie ja schon, hier kommt die Braut. Sie gilt als der Favorit dieses Matches. Sie hat viele Anhänger. Ein gewaltiger Jubel bricht aus. Sie scheint auch heute eine fabelhafte Kondition zu haben. Und hier kommt Mellisch, begleitet von seinem Trainer, der zuletzt Cassius Clay trainierte und seinem Schützling zu einer ungeheuren Stoßkraft verhalf. ... Endlich der Startgong. Vorsichtig tasten sie sich 'ran; keiner geht aus der Deckung, beide suchen sofort den wunden Punkt des Gegners. Wo ist die Deckung fehlerhaft, wo kann ich durchstoßen. Da ist die Lücke; ein perfekter Clinch. Selten habe ich eine so großartige Beinarbeit gesehen. Es ist ganz offensichtlich, Mellish ist seinem Gegner überlegen, seine Aktionen sind sehr gut koordiniert. Aber was ist das, ein Riss über dem rechten Auge ... Es wird nicht unterbrochen, der Kampf geht weiter ... Da kommt der Gong. Der Kampf ist vorbei. Damit ist die Ehe für Mellish rechtskräftig geworden. Nancy und Fielding Mellish sind jetzt im wahrsten Sinne des Wortes Mann und Frau. Nach der obligaten Manöverkritik hinsichtlich der ,,Ausdauer``, des ,,Stehvermögens`` und der ,,Abstimmung``, wird dem Paar eine glückliche Zukunft gewünscht und der aktuelle Sportspiegel von ABC verabschiedet sich und schaltet zurück ... in den Film, ins eigene Leben ...

Durchzieht der Dokumentationscharakter bei Money den ganzen Film, beschränkt sich die Reportage in Bananas nur noch auf Anfang und Ende. Allens Medienkritik an der Allgegenwart des amerikanischen Fernsehens ist zugleich köstliche Unterhaltung und subversive Travestie. Das Versagen des Kriminellen Starkwell ebenso wie das Ungeschick des Revolutionärs Mellish folgen sowohl der heiter-melancholischen Stimmung Chaplins als auch dem derb-subversiven Klamauk der Marx-Brothers. Mit Duck Soup (Die Marx-Brothers im Krieg) hatten die anarchischen Vier bereits 1933 einen filmästhetischen Anschlag auf die Diktatoren Franco und Mussolini verübt. Und Chaplin gab 1940 mit seinem Film Der große Diktator Hitler der Lächerlichkeit preis. Es war allerdings ein Lachen, das einem schon bald im Hals stecken blieb. In der Polit-Satire Duck Soup wird nicht nur die Politik zu einer Lachnummer, auch die Politiker werden als Narren und Gauner abgestempelt. Und die anarchische Utopie Freedonia untergräbt darüber hinaus die Staatsidee schlechthin. Der von Groucho gespielte Firefly als Staatschef Freedonias ist eine ähnliche Witzfigur wie Mellish als Präsident von San Marcos. Kurz vor Allens Bananas erschien 1970 Altmans Militärklamotte über ein Mobile Army Surgical Hospital aus dem Koreakrieg: M.A.S.H.. Allens OP-Szene in Bananas dürfte darauf anspielen. Und der Komiker Jerry Lewis machte sich im gleichen Jahr mit Which way to the front? über die deutsche Wehrmacht im 2. Weltkrieg lustig. Wenn man bedenkt, dass in der Zeit des Vietnamkrieges auch noch die grandiose Tragi-Komödie Catch-22 erschien, fällt um so mehr auf, dass es heute mit der kynischen Subversion nicht mehr weit her ist. Eine Ausnahme bildet der Komiker Roberto Benigni. Mit seiner Tragi-Komödie über den Holocaust: Das Leben ist schön, verarbeitet er 1997 aber wieder ein lange zurückliegendes Schrecknis. In der Gegenwart wären Bananas-Komödien über Afrika und den Nahen Osten zu drehen. Aber wer traut sich das noch zu in der Wolke von Hass, die den gesamten Planeten einzuhüllen beginnt?

Allens nächstes Werk ist die ebenfalls 1971 erschienene Verfilmung seines Theaterstücks Play it again, Sam. Es ist eine romantische Sozialkomödie, die ganz unter dem Einfluss Humphrey Bogarts steht, der in dem Film sogar als Lebenshelfer aufritt. Anfang und Ende des Films hat Allen der berühmten Flughafenszene aus Casablanca nachempfunden: Rick: Now, you've got to listen to me! You have any idea what you'd have to look forward to if you stayed here? Nine chances out of ten, we'd both wind up in a concentration camp ... Ilsa: You're saying this only to make me go. Rick: I'm saying it because it's true. Inside of us, we both know you belong with Victor. You're part of his work, the thing that keeps him going. If that plane leaves the ground and you're not with him, you'll regret it. Maybe not today. Maybe not tomorrow, but soon and for the rest of your life. Ilsa: But what about us? Rick: We'll always have Paris. We didn't have, we, we lost it until you came to Casablanca. We got it back last night. Ilsa: When I said I would never leave you. Rick: And you never will. But I've got a job to do, too. Where I'm going, you can't follow. What I've got to do, you can't be any part of. Ilsa, I'm no good at being noble, but it doesn't take much to see that the problems of three little people don't amount to a hill of beans in this crazy world. Someday you'll understand that. Now, now ... Here's looking at you kid. Diese ehrenvoll-coole Haltung des verzichtenden Liebhabers wird der von Woody Allen dargestellte Allan Felix am Ende auch erreicht haben. Zuvor hat sich das ,,Glückskind`` aber noch von seinem Filmidol zu befreien, um den Weg zu sich selbst zu finden. Woody spielt in dem Film einen Filmkritiker und seine besten Freunde, Dick und Linda Christie werden von Tony Roberts und Diane Keaton dargestellt, mit denen er auch auf der Bühne stand. Der Kontrast zwischen dem nervösen, unsicheren Allan und seinem coolen, selbstsicheren Idol Bogart wird verdoppelt durch den Gegensatz des eher literarisch-ästhetisch arbeitenden Kritikers mit dem nüchtern-monetär handelnden Anlageberater Dick. Das streng durchkalkulierte und organisierte Leben des Geschäftsmanns macht seine Frau zunehmend unzufrieden und treibt sie geradezu in die Arme ihres Freundes. Auch Linda versucht sich zunächst als Beziehungsberaterin, merkt dann aber bald, dass sie sich selbst in ihn verliebt hat. Während Dick seinem Gespür für die Aktienkurse folgend, bei 8 1/2 Kodak gekauft hat (womit Allen natürlich auf Fellini anspielt) und zumeist seinen Geschäften nachgeht, plagt sich Allan mit Frauen, die sich als Nihilistin, Nymphomanin, Discogirl oder Rockerpfanne entpuppen.

Marie Curie gab es halt nur einmal. Und Bogarts Ratschläge fruchten auch nicht: Frauen sind ganz einfach. Ich hab' nie eine getroffen, die einen Schlag auf den Mund oder das Blei aus einer Wumme nicht kapiert hätte. Die Parodie des Film noir (der schwarzen Serie) versteht Woody so gut wie die seiner literarischen Vorlagen. Und sein Schwelgen in Tagträumen und Phantasien kommt auch im Film nicht zu kurz; hat doch ein Filmkritiker viele Gelegenheiten, der rauhen und grausamen Wirklichkeit zu entkommen - und ins Kino zu gehen. Woody hatte mit zehn Jahren erstmals Der Malteser Falke gesehen und sich flugs mit dem von Peter Lorre gespielten schmierigen Jammerlappen identifiziert. Mit The Curse of the Jade Scorpion wird der Filmemacher 2001 die schwarze Serie in einer bunten Parodie aufgreifen. Wenn so ein Loser wie Joel Cairo eine junge Dame anspricht, kann er natürlich nur auf eine Nihilistin treffen. In Sam entspinnt sich für Allan ein deprimierender Dialog vor einem abstrakt-expressionistischen Gemälde: Allan: It's quite a lovely Jackson Pollock, isn't it? Woman: Yes, it is. Allan: What does it say to you? Woman: It restates the negativeness of the universe, the hideous lonely emptiness of existence, nothingness, the predicament of man forced to live in a barren, godless eternity like a tiny flame flickering in an immense void with nothing but waste, horror, and degradation, forming a useless, bleak straightjacket in a black, absurd cosmos. Allan: What are you doing Saturday night? Woman: Committing suicide. Allan: And what's about Friday night? Wenn Blicke töten könnten, hätte sie ihn vernichtet. Ja, wenn er nur Bogart gewesen wäre: ,,Riskier bloß nich' so'ne dicke Lippe, Puppe. Wenn Dir nach Ableben ist, hier hast Du meine Wumme; aber mach' schnell, ich muss noch weiter``. So kann man mit einer Nihilistin umspringen; einer Romantikerin aber macht man schöne Geschenke. Mit einem niedlichen kleinen Spielzeugstinktier hat Allan bei Linda durchschlagenden Erfolg. Damit hatte er das Etwas berührt, das sie in ihrer Ehe mit Dick stets vermisste.

Um das je verschiedene ,,Etwas``, das den Menschen wichtig ist, geht es Allen auch in dem folgenden Film, der 1972 in die Kinos kam. Ich dachte damals über meinen nächsten Film nach und wußte nicht, was ich tun sollte. Eines Nachts kam ich mit Diane Keaton nach Hause, wir waren bei einem Baseballspiel gewesen. Wir legten uns ins Bett und schalteten noch für einen Augenblick den Fernseher an, und da tauchte dieser Arzt auf, der dieses besonders beliebte Buch geschrieben hatte mit dem Titel: Was sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten. Es bestand aus Fragen und Antworten. Es unterstellte, daß niemand etwas über Sex wußte. Der Arzt Dr. David Reuben behandelte in seinem Buch kapitelweise verschiedene Themen aus der Sexualität, die Allen für die Gliederung seines Drehbuchs übernahm:

Dem Komiker Woody Allen machte es Spaß, einen Film einfach aus ein paar kurzen Stücken zu drehen. Um des reinen Vergnügens willen. Und so übernimmt er in der ersten Episode sogleich die Rolle des Hofnarren, der an der Königin ein Aphrodisiakum ausprobiert; angesichts des martialischen Keuschheitsgürtels aber in Schwierigkeiten gerät, die ihn den Kopf kosten.

In seiner Funktion als Komiker in der medienkapitalistischen Popkultur unterläuft Allen natürlich parodistisch die pseudowissenschaftlichen Aufklärungsbestseller der 1970er Jahre. Der Vorspann des Films beginnt mit einer durcheinander hoppelnden Horde von Albino-Kaninchen, die von dem Cole Porter Song Let's Misbehave (lasst uns so richtig unanständig sein) begleitet werden. So wie die white rabbits bedürfen auch die Menschen keiner Pseudoaufklärung über Sex. Viel wichtiger wäre die Überwindung der religiösen und spießbürgerlichen Moralvorstellungen, und sei es durch Halluzinogene (wie in dem gleichnamigen Rocksong besungen) oder mit Phantasie (wie in Lewis Carrols Alice in Wonderland). Die Moral eines verklemmten Pfaffen ist es auch, die in der Schlussszene über die Ejakulation beinahe das natürliche Geschehen zwischen den Geschlechtern in einem Auto zum Erliegen gebracht hätte. Ein kurzer Kampf in der Kommandozentrale des apparativ dargestellten Gehirns lässt dem Geschlechtstrieb dann aber doch noch freien Lauf. Die Erektion wird hochgefahren und die Spermien bereiten sich auf den Absprung vor. Die Perspektive rutscht in die Hoden und wir sehen unter ihnen ein zweifelndes, zögerliches und nörgelndes, von Woody Allen gespieltes, Spermium, das sich vor dem ungewissen Abgrund fürchtet. Gerhold beendet seine Interpretation des Films mit einer existentialphilosophischen Zusammenfassung: Die existentielle Not des Menschen steckt schon in der Urzelle: Wo komme ich her? Wer bin ich? Wohin führt mich mein Weg? Die Samenzelle in der Zirkuskuppel des Lebens: ratlos.

Ratlos ist auch der von Woody Allen dargestellte Miles Monroe, Besitzer des vegetarischen Restaurants Zur glücklichen Karotte, als er sich 1973 wegen eines Magengeschwürs ins Krankenhaus begibt und erst 200 Jahre später wieder aus der Narkose erwacht. Den Film Sleeper hatte Allen seiner neuen Freundin Diane Keaton auf den Leib geschrieben, die in der Rolle der Dichterin Luna Schlosser brillierte. Als Sozialkomödie knüpft der Slapstick-Streifen an Allens vorangegangene Filme über Kriminalität, Politik, Romantik und Sex an. Mit seiner Science-Fiction-Perspektive parodiert er nunmehr zugleich bekannte Bücher und Filme, wie Langs Metropolis (1926), Huxleys Brave New World (1932), Orwells 1984 (1948), Bradburys Fahrenheit 451 (1955) und Kubricks 2001 (1968). Warum der Film so komisch ist, erklärt Der Schläfer gleich selbst: Ich mach immer Spaß, weil ich 200 Jahre so verschlossen war. Für immer noch verschlossen hält er die reizende junge Dame und Dichterin Luna Schlosser. Wie schon als Hofnarr der verschlossenen Königin gegenüber, unterminiert der Spaßmacher Allen die sich durch zu ernste Wissenschaft und Technik abzeichnenden Tendenzen in den Überwachungsstaat. Die McCarthy-Ära hatten die Amerikaner hinter sich, Watergate stand ihnen noch bevor. Miles wird im mittleren Breitengrad der amerikanischen Föderation (Central Parallel of the Americas) von einer Widerstandsgruppe reanimiert, da er als noch nicht registrierter Artgenosse für politische Umtriebe nützlich werden könnte. Dabei ist der Vegetarier in eine Bananendiktatur heineingeraten, in der die Früchte zwei Meter lang werden und der Große Führer seinem überwachten Fernsehvolk allabendlich mit seinem treuen Schäferhund eine gute Nacht wünscht. Seine neuen Mitmenschen erscheinen dem Langschläfer und Spaßmacher ziemlich fade und blutleer, viel zu oberflächlich und gleichgültig. Drogen und Technik haben sie abgestumpft und apatisch gemacht. Der Hinterweltler Monroe hat zwar viel an den fremden Lebensgewohnheiten auszusetzen, vom Libidomaten mag er gleichwohl kaum mehr lassen. Das von Luna beiläufig im Gespräch benutzte Orgasmotron dagegen ist ihm suspekt: Zwei Minuten mit mir im Bett, und du verkaufst das Ding als Sperrmüll. Sie ahnt natürlich nicht, was sie an dem Sexprotz gehabt hätte; denn das Orgasmotron hält seiner geballten sexuellen Gewalt nicht stand: es implodiert und setzt ihm ziemlich zu. Seine naturwüchsige Animalität ist aber schnell wieder hergestellt und wird im Zuge seiner Rebellenkarriere noch vielfach unter Beweis zu stellen sein. Weder vom imaginären Großen Führer noch vom gegenwärtigen Rebellenführer lässt er sich an der Nase herumführen; sieht er doch in den Revolutionären wieder nur die neuen Machthaber voraus. Abschließend stoßen Miles' romantische Anwandlungen von einer dauerhaften Paarbeziehung bei Luna immer noch auf wenig Verständnis: Luna: Aber Miles, siehst du denn nicht, bedeutende Beziehungen zwischen Männern und Frauen halten nicht. Das ist wissenschaftlich erwiesen. Weißt du, es gibt da eine Chemikalie in unserem Körper, die sorgt dafür, daß wir uns früher oder später auf die Nerven gehen. Miles: He, das ist ja Wissenschaft. Ich glaube nicht an Wissenschaft. Wissenschaft ist eine intellektuelle Sackgasse, weißt du. Da geht's um einen Haufen kleiner Typen in Tweedanzügen, um Fröschesezieren und, und Stiftungen und Stipendien und ... Luna: Oh, ich verstehe, du glaubst nicht an Wissenschaft, und du glaubst auch nicht daran, daß politische Systeme funktionieren, und an Gott glaubst du auch nicht, was? An was glaubst du denn überhaupt? Miles: An Sex und Tod. Zwei Dinge, die einmal in meinem Leben passieren. Aber zumindest wird einem nach dem Tod nicht übel.- Wie im Ekel aus der unverdaulich-sinnlosen Existenz, könnte man mit Sartre ergänzen, während Nietzsche im Zarathustra bereits das Wissen würgte.

Die Geschehnisse Sex und Tod als Grenzüberschreitungen durch Zeugen und Sterben bringt Allen variantenreich in seinem komödiantischen Meisterwerk Love and Death auf die Leinwand. Der prägnant anspielungsreiche Titel wurde für die deutsche Version leider nicht übernommen: Die letzte Nacht des Boris Gruschenko verweist eher auf einen Kriegs- oder Kriminalfilm als auf eine literarisch-philosophische Film-Komödie über Liebe und Tod. Der von Allen wohlgewählte Titel soll natürlich an die Klassiker der russischen Literatur erinnern: an Turgenjews Väter und Söhne (1862), Dostojewskijs Schuld und Sühne (1866) sowie Tolstois Krieg und Frieden (1869). Darüber hinaus bezieht er sich auf Heideggers Sein und Zeit (1927) wie auch auf Sartres Das Sein und das Nichts (1943). Dieser literarisch-philosophische Gedankenreichtum wird filmästhetisch ergänzt durch die Genreparodie des Historienschinkens, wie ihn Hollywood in der Verfilmung von Krieg und Frieden 1956 in die Kinos brachte. Die vierstündige US-Produktion wurde 1967 von dem achtstündigen russischen Nationalepos noch weit in den Schatten gestellt. Allen kommt dagegen mit den für ihn üblichen 1 1/2 Stunden aus. Dabei knüpft er an die Lebensumstände Dostojewskijs an und liefert beiläufig einen Schnellkurs durch seine Werke. Aufgrund politischer Umtriebe wurde Dostojewskij am 23. April 1849 verhaftet, interniert und zum Tode verurteilt. Nach einer Scheinhinrichtung am 22. Dez. wurde er für acht Jahre ins Arbeitslager und zum Militärdienst nach Sibirien verbannt. Woodys Held Boris Gruschenko, benannt nach dem Boris aus Krieg und Frieden und Groucho Marx, wird ebenfalls zum Tode verurteilt. Am Tag vor seiner Hinrichtung spricht er ein letztes Mal mit seinem Vater: Boris: Ich fürchte den Galgen nicht. Vater: Nein? Boris: Nein! Warum auch? Sie werden mich erschießen. Vater: Erinnerst du dich an den netten Jungen von nebenan, Raskolnikow? Boris: Ja. Vater: Er hat zwei Frauen umgebracht. Boris: Nein! Was für eine scheußliche Geschichte. Vater: Ich weiß es vom Barbier. Er hat es von einem der Brüder Karamasow gehört. Boris: Er muss besessen gewesen sein. Vater: Na, er war eben noch ein Jüngling. Boris: Wenn du mich fragst, er war ein Idiot. Vater: Und er tat wie ein Erniedrigter, Beleidigter. Boris: Wie ich höre, war er ein Spieler. Vater: Seltsam, er hätte dein Doppelgänger sein können. Boris: Wirklich romanhaft. Und wahrlich anspielungsreich diese Werkschau im Schnelldurchgang.

Über den christlichen Umgang der Väter mit ihren Söhnen hatte sich Allen schon in seiner Satire Die Schriftrollen in Without Feathers lustig gemacht: Und Abraham erwachte in der Mitte der Nacht und sprach zu seinem einzigen Sohn, Isaak: ,,Ich habe einen Traum gehabt, in dem die Stimme des Herrn sagte, daß ich meinen einzigen Sohn opfern solle, also zieh deine Hosen an.`` Und Isaak zitterte und sprach: ,,Und was sagtest du da? Ich meine, als Er die ganze Sache zur Sprache brachte?`` ,,Nu, was soll ich fragen?`` sagte Abraham. ,,Ich stehe da um zwei Uhr nachts in meinen Unterhosen vor dem Schöpfer des Universums. Sollte ich streiten?`` ,,Also, hat Er gesagt, warum Er mich geopfert haben will?`` fragte Isaak seinen Vater. Aber Abraham sagte: ,,Die Gläubigen fragen nicht. Laß uns jetzt gehen, denn morgen habe ich einen schweren Tag.`` Die autoritätshörigen Gläubigen fragen nicht. Ganz anders der Nihilist Basarow, den Turgenjew 1862 in Väter und Söhne eingeführt hat. Ein Nihilist ist ihm ein Mensch, der sich vor keiner Autorität beugt, der ohne vorgängige Prüfung kein Prinzip annimmt, und wenn es auch noch so sehr in Ansehen steht.

Unter seinen obrigkeitshörigen Eltern hat auch Boris in Love and Death zu leiden, als Napoleon den Krieg beginnt und Mütterchen Russland in Gefahr gerät. Dem Pazifisten Boris ist es egal, ob er von Napoleon oder dem Zaren regiert wird, aber seine slawophilen Eltern drängen ihn zum Heldentod. Bei Tolstoi setzt sich die Fürstin Drubezkaja beim Fürsten Wassilij wenigstens dafür ein, dass ihr Sohn Boris zur Garde versetzt wird, um in der Etappe verbleiben zu können. Nun ja, Allens Boris ist halt nur ein Bauernsohn und die Bauern werden nicht nur beim Schachspiel geopfert. Das Töten auf dem Schlachtfeld, durch eigene Hand, der Unfalltod oder der Tyrannenmord, all das stürzt den nachdenklich-sensiblen Boris immer wieder in den Konflikt zwischen Liebe und Tod. Nur die Aussicht auf weiteren Oralsex verleidet ihm die Selbsttötung im Zustand tiefer Depression. Als seine angebetete Sonja einen Liebesbeweis von ihm verlangt, indem er Napoleon töten solle, schreckt er auch davor zurück,- wird aber gleichwohl zum Tode verurteilt, obwohl er unschuldig ist.

Den Keim dieses Erzählstrangs aus Love and Death hat Allen in seiner Satire der Existenzphilosophie Sartres in Side Effects veröffentlicht unter dem Titel: Der zum Tode Verurteilte. Während Brisseau fettwanstig mit albernem Lächeln träumend schläft, nähert sich ihm Cloquet - mit einem Revolver in der Hand. Er träumt und ich existiere wirklich. Cloquet haßte die Wirklichkeit, war sich aber klar darüber, daß sie noch immer der einzige Ort war, wo man ein anständiges Steak bekam. Schon seit Stunden war er unfähig abzudrücken, da ihn immer wieder Zweifel und Erinnerungen plagten: Es schien, als sei die Welt in gute und böse Menschen aufgeteilt. Die Guten schliefen besser, dachte Cloquet, und die Bösen hatten offenbar viel mehr Freude an den Stunden, die sie wachten. Die Welt war offensichtlich ungerecht, aber war ein Mord gerecht? Beim Bedenken des tieferen Sinns seiner Tat überkam ihn ein Schwindelgefühl, es war ein existentielles Schwindelgefühl, das durch die unabweisbare Einsicht in die Ungewißheit des Lebens hervorgerufen wurde und nicht mit einem gewöhnlichen Alka-Seltzer zu beheben war. Wie unschlüssig der ,,Geist`` doch ist. Wenn der Körper sich derartige Zweifel erlaubte, wäre er schon längst gestorben. Man sollte sich mehr auf den Körper verlassen - der Körper ist verläßlicher. Er erscheint zu Verabredungen, sieht in einem Sportsakko gut aus, und wo er wirklich fabelhaft zu gebrauchen ist, das ist, wenn man eine Massage braucht. Der Zweifler Cloquet ließ von seinem Vorhaben ab - und floh. Nachdem er noch einmal im La Coupole vorbeigeschaut, aber nur Individuen und keine Leute getroffen hatte, ging er zu Juliet, einer Marxistin, die ihn zu dem Mord angestachelt hatte. Da sie zu den allerinteressantesten Marxisten gehörte, wälzten sie sich flugs im Spiel der Geschlechter und Cloquet fragte sich (im Gegensatz zu seinem Körper), ob es etwa ein Liebes- oder bloß ein Sexspiel war? Zu seiner großen Überraschung wurde er am nächsten Tag wegen Mordes verhaftet. Warum hatte er sich auch nur im Gästebuch eingetragen? Am Vorabend der Hinrichtung durch die Guillotine saß er allein in seiner Zelle. Wieder musste er an den großen Unterschied zwischen dem Sein und dem In-der-Welt-Sein denken, und egal, zu welcher Gruppe er gehörte, die andere amüsierte sich zweifellos besser. Was Sokrates wohl gedacht hatte, bevor man ihm den Schierlingsbecher reichte? Der Tod ist ein Zustand des Nichtseins, und was nicht ist, existiert nicht. Also existiert der Tod nicht. Wie wahr! Der Tod existiert nicht, aber Menschen sterben, dachte Cloquet, sterbe deshalb auch ich? Lebe weiter! hörte er eine innere Stimme appellieren: Lebe! Es war die Stimme seines Versicherungsvertreters. Klar, dachte er - Fischbein will bloß nicht auszahlen. Als ob das Leben billiger wäre als der Tod ...

Love and Death hebt an mit einer Stimme aus dem Off. Während vor dem blauen Himmel erhaben dunkle Wolken über die lieblich-weite russische Landschaft ziehen und eine düstere Kantate Prokofjews einsetzt, deklamiert der zum Tode Verurteilte Boris Dimitrowitsch Gruschenko seine missliche Lage am Vorabend seiner Hinrichtung: Wie ich in diese Bredouille gekommen bin, werd' ich wohl nie verstehen. Einfach unglaublich. Für ein Verbrechen hingerichtet zu werden, das ich nie begannen habe. Nun ja, sitzt nicht die ganze Menschheit in einem Boot? Wird nicht die ganze Menschheit letztlich für ein Verbrechen gerichtet, das sie nie begangen hat? Der Unterschied ist nur, daß alle Menschen im Lauf der Zeit sterben; ich dagegen morgen früh um sechs. Ich sollte um fünf sterben, aber ich hab' einen gerissenen Anwalt. Er hat eine Stunde Aufschub erwirkt. Wird auch Boris, wie Dostojewskij (und Cloquet) nur scheinbar seinen letzten Gang antreten müssen? Auf jeden Fall rekapituliert er zuvor noch einmal seine Lebensgeschichte, die in die Zeit der napoleonischen Kriege fällt und von den letzten Fragen zwischen Liebe und Tod handelt. Am Schluss des Films zieht der Anti-Held sein Fazit: Die Frage ist nun: Hab' ich etwas gelernt über das Leben? Nur das: daß der Mensch aus zwei Teilen besteht: aus Körper und Geist. Die Bestrebungen, die wir edel nennen, kommen aus dem Geist, wie zum Beispiel Poesie und Philosophie. Aber der Körper hat das, was Spaß macht. Ich glaube, das wichtigste ist, nicht verbittert zu sein. Falls es sich herausstellen sollte, daß Gott existent ist, dann glaube ich nicht, daß er böse ist. Ich denke, das Schlimmste, was man über ihn sagen könnte, ist, daß er den Problemen aus dem Wege geht ... Was nun die Liebe betrifft, nun ja, also da bin ich der Ansicht, daß ... nicht die Quantität der sexuellen Beziehungen das ist, was zählt, sondern die Qualität. Andererseits: sinkt die Quantität ab unter einmal alle acht Monate, würde ich der Sache auf alle Fälle mal nachgehen. Tja, Leute, das war's dann so ungefähr für mich. Auf Wiedersehen.

Zwischen dem düsteren Auftakt und dem heiteren Ende entwickelt Allen eine rasche Folge von Dialogen und Szenen, die so anspielungsreich und dicht sind, dass es nicht leicht fällt, allen zu folgen; zumal jeder Dialog auf eine Pointe hinausläuft. Gleichwohl wurde der Film in Europa ein großer Erfolg, weil er oberflächlich sehr unterhaltsam und witzig ist und in seinen Tiefenschichten nicht vor den ernsten Fragen des Lebens und seines Sinns zurückschreckt. Alles darf lächerlich gemacht werden, und nur, was der Lächerlichkeit stand hält, ist ernst zu nehmen! Meine Figuren sollten in einem fort komische Sachen sagen, nach der Art Groucho Marx oder Bob Hope. Es gibt stets eher witzige Pointen als einen anständigen Dialog, erinnert sich Woody über Allen. Die Haupt-Figuren Boris und Sonja, dargestellt von Woody Allen und Diane Keaton, spielen bei Tolstoi in Krieg und Frieden bloß Nebenrollen. Die Liebe ist der Urgrund im Leben Nataschas, während Sonja nur eine taube Blüte ist, wie man sie manchmal bei Erdbeeren findet. Und eine ruhmreiche Militärkarriere macht nicht Boris, sondern Nataschas Bruder Nikolai, der Sonja die Heirat verspricht, sie am Ende aber sitzen lässt. Auch das Attentat auf Napoleon wird nicht von Boris geplant. Vielmehr ist es Pierre Besuchow, der deshalb nach Moskau reist. Die Nebenfiguren zu Haupakteuren zu machen, entspricht natürlich ganz der subversiven Parodie Allens, dem es sogar darum geht, die Leibeigenen zu Herrschern zu machen, da sie sich auf die Handwerke verstehen und praktisch alles können.

Umso schmerzlicher ist es Boris in Erinnerung, als ein Leibeigener seines Opas auf der Leiter am Dach des Familienhauses vom Blitz getroffen in ein Häufchen Asche verwandelt wurde, dem sich nur noch seine unversehrte Mütze zur Seite gesellte. War es der Blitz aus der dunklen Wolke Mensch, der den Ärmsten verkohlt hatte? Klein-Boris beschäftigt sich fortan mit dem Tod. Während seine beiden Brüder munter miteinander balgen, leidet er über ihnen erhaben am Kreuz. Und ein Traum versetzt ihn auf eine von Wald umrandete Wiese, auf der hochgestellt 15 Särge stehen, aus denen Kellner erscheinen, die nach der unterlegten Musik miteinander zu tanzen beginnen. Der Oberkellner bleibt außen vor. Sind wir im Leben ständig vom Tod umgeben, wie Gerhold den Traum deutet? Särge symbolisieren den Tod und Menschen das Leben; aber warum erscheinen Boris Kellner, die sich zum Lebenstanz paaren? Mit Nietzsche bezieht sich Allen auf den tanzenden Geist des Philosophen mit dem Leben und auf Sartre verweist er mit dem Anknüpfen an die Betrachtung des Kaffeehauskellners in Das Sein und das Nichts. Das Spiel des Kellners mit den Gästen im Kaffeehaus lässt eine vertiefte Deutung des Traums zu: Sind wir vielleicht nur Gast hier auf der Erde, Tote auf Urlaub, wie sie bereits Godard Außer Atem durch Paris hetzte? Der kleine Boris war eher verwirrt: Ich wusste, dass ich nach diesem Traum nicht zum normalen Mann heranwachsen würde. Ich hatte lange Gespräche mit Pater Nikolai, der immer in schwarz gekleidet war. Jahrelang hielt ich ihn für eine italienische Witwe. ,,Alles, was existiert, hat eine Ursache. Das Universum existiert, also hat es auch eine Ursache. Gott schuf das Universum, also existiert er.`` Aber Klein-Boris hatte schon Spinoza gelesen. Der schreibt in seiner Ethik unter Definition 1: Unter Ursache seiner selbst verstehe ich das, dessen Essens Existenz einschließt, anders formuliert das, dessen Natur nur als existierend begriffen werden kann. Und in seiner 3. Definition lesen wir: Unter Substanz verstehe ich das, was in sich selbst ist und durch sich selbst begriffen wird, d.h. das, dessen Begriff nicht des Begriffs eines anderen Dinges bedarf, von dem her er gebildet werden müßte. Daraus konnte Boris seine eigenen Schlüsse ziehen und dem Pfaffen keck Parolie bieten: Und doch glaubte Spinoza nicht an die heilige Dreieinigkeit. Nikolai: Spinoza war Jude. Boris: Was ist ein Jude? Nikolai: Du hast noch nie einen Juden gesehen? Hier habe ich ein paar Bilder. Boris: Was? Haben die immer solche Hörner? Nikolai: Nein, das ist der russische Jude. Der deutsche Jude hat Streifen ...

Der unorthodoxe niederländische Jude Spinoza hatte seine Ethik nach dem Vorbild Euklids in geometrischer Strenge dargestellt und 1675 vollendet. An eine Veröffentlichung war seinerzeit aber nicht zu denken, da er bereits 1660 auf Betreiben der Obrigkeit aus Amsterdam verbannt worden war. Der lautere Eigensinn und die intellektuelle Redlichkeit Spinozas faszinierten nicht nur Goethe und Einstein, sondern auch Heine und - Nietzsche: Ich bin ganz erstaunt, ganz entzückt. Ich habe einen Vorgänger und was für einen! Ich kannte Spinoza fast nicht ... Dieser abnormste und einsamste Denker ist mir gerade in diesen Themen am nächsten: er leugnet die Willensfreiheit -; die Zwecke -; die sittliche Weltordnung -; das Unegoistische -; das Böse ... In summa: Meine Einsamkeit, die mir, wie auf ganz hohen Bergen, oft, oft Atemnot machte und das Blut hervorströmen ließ, ist wenigstens jetzt eine Zweisamkeit.

An eine Zweisamkeit mit Spinoza mag auch Allen gedacht haben, als er den Antisemitismus der Christen mit dem der Nationalsozialisten in Verbindung brachte. In Love and Death geht es aber nicht nur um den Tod, sondern auch um die Liebe. Und so hat Boris nach seinem Gespräch mit Nikolai eine erste mystische Vision: Beim Gang am Waldrand wird er auf der Wiese des Todes gewahr, der unter einem weißen Umhang verhüllt mit der Sense daherkommt. Diese seltene Gelegenheit lässt sich Klein-Boris nicht entgehen und erkundigt sich sogleich danach, ob es im ,,Jenseits`` denn auch Mädchen gebe.- An ein süßes Mädel erinnert sich der frühreife Boris besonders gern: an seine Cousine Sonja: Außer dass sie eine der schönsten Frauen war, die ich je gesehen hatte, war sie auch noch einer jener seltenen Menschen, mit denen ich tiefgründige Gespräche führen konnte. Schon in der Wohlgestalt eines schlichten Blattes konnte sie die allgemeine Ordnung in der Natur erkennen: Sieh dir dieses Blatt an! Ist es nicht vollkommen? Ich glaube tatsächlich, es ist die beste aller möglichen Welten. Boris: Na ja, jedenfalls die teuerste. Sonja: Ist die Natur nicht unfassbar? Boris: Äh, für mich ist die Natur, ich weiß nicht, Spinnen und Käfer und dann, dann große Fische, die kleine Fische fressen, und, und Pflanzen, äh, die Pflanzen fressen, und Tiere, die fressen ... wie ein riesiges Restaurant. So seh' ich die Natur. Sonja: Ja, aber Gott hat sie so erschaffen ... Boris: Nur, was ist, wenn es keinen Gott gibt? Sonja: Boris Dimitrowitch, machst du Witze? Boris: Was, wenn wir nur ein Haufen alberner Menschen sind, die einfach herumlaufen ohne Sinn und Verstand? Sonja: Ohne Gott gibt es keinen Sinn in unserem Leben. Wozu dann weiterleben? Dann kann man ebensogut hingehen und Selbstmord begehen. Boris: Nun wollen wir nicht gleich hysterisch werden. Ich könnte mich ja auch irren, nicht? Ich würde mich erschießen und später in der Zeitung lesen, daß sie doch was gefunden haben. Sonja: Ich will dir zeigen, wie absurd deine Position ist. Sagen wir also, es gibt keinen Gott und jeder Mensch hat die Freiheit, das zu tun, was er tun möchte. Nun, was hindert dich daran, zum Beispiel jemanden umzubringen? Boris: Mord ist unmoralisch. Sonja: Unmoral ist etwas Subjektives. Boris: Ja, aber Subjektivität ist objektiv. Sonja: Nicht in einem irrationalen Begriffsschema. Boris: Begriffe sind rational und implizieren Gefahr. Sonja: Aber nenn mir ein System, in dem eine Prioritätsrelation von Phänomenen existiert in irgendwelchem rationalen oder metaphysischen oder wenigstens episkopischen Widerspruch zu einem abstrakten empirischen Konzept, zum Beispiel Seiend oder Sein oder Vorkommen in der Sache selber oder von der Sache selber. Boris: Jaja, du hast recht, das war schon immer meine Rede. Sonja: Boris, schau, wir müssen einfach an Gott glauben. Boris: Wenn ich nur irgendein Wunder sehen könnte. Bei Wunder denkt unser Zweifler an so etwas wie einen brennenden Busch, ein sich teilendes Meer oder daran, dass sein Onkel endlich einmal eine Rechnung bezahlt. Das scheinbare Unsinns-Gespräch zwischen Boris und Sonja spannt den Bogen von Leibnizens Optimalvorstellung unserer Welt bis hin zur phänomenologischen Lebensweltanalyse der Existentialisten, in der Begriffe nicht nur symbolische Denkkonstrukte, sondern vitale Lebensäußerungen sind, die sogar gefährlich werden können. Dabei wäre Boris nicht Woody, wenn er es bei dem ganzen Spintisieren nicht vor allem darauf angelegt hätte, Sonja ins Bett zu bekommen. Ist Sex nicht Ausdruck der ontologischen Existenz? Fast scheint er sie soweit zu haben: Liebe ist alles im Leben, Boris. Ach, könnte ich doch nur mit einem Mann die Gipfel der Leidenschaft erstürmen ... Schon als Kind war ich verliebt in deinen Bruder Iwan ... er hat eine so animalische Ausstrahlung. Fassungslose Empörung verdrängt Borisens freudige Erwartung: Er hat die Mentalität eines Neandertalers!

Ja, verstehe einer die Frauen. Da muss sich Boris wohl noch zum starken Mann, zum strahlenden Helden emporschwingen. Die Gelegenheit folgt auf dem Fuße und der schwächliche Pazifist wird gegen Napoleon an die Front nach Österreich geschickt. Mit dem Glück des Narren, der über Leichenfelder in den Kampf marschiert und aus der Distanz die beiden Heere wie zwei Schafherden aufeinander zutreiben sieht, findet er endlich Unterschlupf in einem Kanonenrohr. Leider brennt an ihm schon die Lunte und Soldat Gruschenko schlägt einem Münchhausen gleich im französischen Generalstab ein,- der sich sofort ergibt. Boris Dimitrowitsch Gruschenko ist zum Kriegshelden gereift und begibt sich auf Heimaturlaub in die Oper St. Petersburgs. Dort vermisst er zwar Popkorn und saure Drops, trifft dafür aber auf die rassige und liebestolle Gräfin Alexandrowna. Nachdem die beiden im Kampf der Geschlechter das Zimmer verwüstet haben, gesteht sie ihm: Du bist der größte Liebhaber, den ich je hatte. Was wunder, da Übung immer noch den Meister macht: Tja, weißt du, ich übe auch viel, wenn ich allein bin.

Heldentaten sprechen sich schnell herum, auch wenn der Säbel in der Scheide bleibt. Der gehörnte Liebhaber der Gräfin fordert Boris zum Duell, schließlich geht es um die Mannesehre! Den Tod vor Augen, sieht unser Philosoph bereits das Nichts, die Nichtexistenz, die absolute Leere. Da trifft es sich gut, dass Sanja wieder zu haben ist und in der Erwartung seines Todes sogar einwilligt, ihn zu heiraten, falls er das Duell überleben sollte: Ich sage dir, ich habe das Gefühl, ich würde mein Leben vergeuden, wenn ich nicht von ganzem Herzen den Mann liebte, dessen Verstand ich respektierte, dessen Spiritualität der meinen entspricht und der genau denselben ... oh, genüßlichen Hunger nach Sinnlichkeit und Leidenschaft hat, der mich zum Wahnsinn treibt! Boris: Du bist eine unglaublich komplizierte Frau. Sonja: Man könnte wohl sagen, ich bin halb Heilige, halb Hure. Boris: Ich habe die Hoffnung, die Hälfte abzukriegen, die Nahrung zu sich nimmt. Wiederum mit dem Glück des Narren übersteht der Held auch das Duell und stellt sich tapfer der Aufgabe seines Lebens: der Ehe mit seiner Angebeteten: Ich weiß, was dir zu denken gibt: Du hast Angst, du könntest als Ehefrau nicht stimulierend genug sein. Du zweifelst, ob es möglich ist, den Aufgaben und Verantwortungen des Ehelebens gerecht zu werden. Aber es wird ein Kinderspiel sein, das versprech ich dir. Ich habe überhaupt keine schlechten Angewohnheiten ... Sonja: Boris, ich liebe dich nicht ... ich will damit sagen, ich liebe dich, aber ich bin nicht in dich verliebt. Boris: Sonja, weißt du überhaupt, was Liebe bedeutet? Sonja: Es gibt so viele verschiedene Arten von Liebe, Boris. Es gibt die Liebe zwischen Mann und Frau, die Liebe zwischen Mutter und Sohn. Boris: Zwei Frauen. Wir wollen doch nicht meine Lieblingskostellation vergessen. Sonja: Aber dann gibt's da noch die Liebe, von der ich schon geträumt habe, als ich noch ein kleines Mädchen war. Boris: Ach ja? Sonja: Die Liebe zwischen zwei außergewöhnlichen Individuen. Boris: Sonja ... Sonja: Hör auf, Boris! Bitte! Sex ohne Liebe ist ein hohlen Erlebnis. Boris: Ja - aber von den hohlen Erlebnissen ist es eines der schönsten.

Der Weg von der Liebe zur Verliebtheit ist weit und rauh: per aspera ad astra, wie Cäsar gesagt hätte. Am Ende wünschen sie sich sogar Kinder, drei, eins von jeder Sorte. Auf dem Gipfel des Familienglücks fällt Boris allerdings in eine tiefe Depression: Ich fühle eine Leere im Zentrum meines Seins ... Eine leere Leere, würde ich meinen. Eine volle Leere spürte ich vor Monaten, aber nur, weil ich zu viel gegessen hatte. Während Boris den Freitod erwägt, hat er wieder eine Vision vom Sensemann, hinter dem, einer Prozession gleich, die Verstorbenen wandeln. Nach dieser Anspielung auf Bergmans Das Siebente Siegel lässt Woody Sonja bei Pater Andrei Rat einholen, wie ihrem Mann noch zu helfen sei: Das beste von allem ist, blonde 12jährige Mädchen. Und immer, wenn es möglich ist, zwei davon. Das wäre sicher eine vielversprechende Bereicherung des Familienglücks geworden, wenn sich nicht gerade Napoleon auf den Weg nach Moskau gemacht hätte. Sonja verlangt als Liebesbeweis seine Ermordung und zitiert zur Begründung Attila, den Hunnen: Gewalt ist gerechtfertigt, wenn es im Dienst der Menschheit geschieht. Aber Boris schlägt lieber aktive Flucht vor; denn Mord ist das gemeinste aller Verbrechen und ein Dienst an der Menschheit ist ihm zu vage: Wie heißt dieses aufregende Gefühl von menschlicher Freiheit?- Guillotine! Gleichwohl machen sich die beiden unter Überwindung vielerlei Hindernissen kapriolenreich auf zu Napoleon. Im entscheidenden Moment plagen Boris aber wieder die Zweifel. Er ist halt eher Philosoph und Pazifist als Soldat und Mörder: Wir haben es hier mit einer ethischen Frage zu tun. Du sollst niemals einen Menschen töten; besonders dann nicht, wenn es ihm das Leben kostet. Aber wenn ich ihn nicht erschieße, macht er Krieg in ganz Europa. Rechtfertigt das einen Mord? Was würde Sokrates dazu sagen? Diese Griechen waren alle homosexuell. Da wurden wilde Partys gefeiert. A: Sokrates ist ein Mann. B: Alle Männer sind sterblich. C: Alle Männer sind Sokrates. Ergo sind alle Männer homosexuell. Logisch ist diese Schlussfolge nicht, aber komisch. Faktisch sind alle Männer nur latent homosexuell. Und der ,,Syllogismus`` ABC entlarvt die ,,Volksweisheit`` des Stammtisches: Hitler verehrt Wagner. Alle Wagnerianer sind Musikliebhaber. Sind also alle Wagnerianer wie Hitler?

So unlogisch wie Borisens Folgern ist auch das Urteil der Franzosen. Dass er am Tatort festgenommen wird, heißt ja noch nicht, dass er der Täter ist. Man wirft ihn nach dem Todesurteil in eine feuchte Zelle, wo er seine Erschießung erwarten kann. Dort lässt er sich nicht nur die ausgezeichnete französische Küche munden, auch eine Vision sucht ihn erneut heim. Ein Engel erscheint und verspricht ihm die Begnadigung. Boris ist fassungslos: Dann gibt es einen Gott?! Fröhlich und voller Hoffnung überlässt er sich am nächsten Morgen dem Erschießungskommando - und wird ohne viel Federlesens erschossen! Zu der Zeit, als Boris noch in freudiger Erwartung seiner Scheinhinrichtung entgegenschläft, diskutiert Sonja mit ihrer Cousinse Natascha über Liebe und Leid. Am Ende will Natascha niemals heiraten, sondern nur geschieden werden. In einer Nahaufnahme ihrer absurden Situation, bilden die beiden Frauen eine Einstellung wie Elisabeth und Alma in Bergmans Persona (1966). Am Tag darauf gewahrt Sonja interessiert wie Boris an der Seite des Sensemanns daherkommt. Unterlegt von heiterer Musik Prokofjews vollführt der Hingerichtete seinen Tanz auf den Spuren des Gottsuchers Antonius Block. Bergman hatte in Das Siebente Siegel (1957) den Tod in schwarz auftreten lassen, bereit zu einer Schachpartie um des Ritters Leben. Blieb der Kreuzritter Block bei Bergman unerlöst in einer von der Pest heimgesuchten gottlosen Welt, parodiert Allen den ,,Allmächtigen`` sogar als boshaft, der nicht wie bei dem gottesfürchtigen Christen Dostojewskij gleichsam als Prüfung nur eine Scheinhinrichtung inszeniert. Nimmt Allen mit der Boshaftigkeit ,,Gottes`` die von Nietzsche der Natur nachgesagte Boshaftigkeit auf? Den Zusammenhang zwischen ,,Gott`` und Natur vermittelte schon Spinoza. In der 6. Definition seiner Ethik lässt sich zwanglos das Wort Gott durch Natur ersetzen: Unter Gott verstehe ich ein unbedingt unendliches Seiendes, d.h. eine Substanz, die aus unendlich vielen Attributen besteht, von denen jedes eine ewige und unendliche Essenz ausdrückt. An Bergmans Filmästhetik und Spinozas geometrischer Ethik wird Allen 1978 mit der Tschechowschen Konstellation dreier Schwestern in seiner ersten Tragödie Interiors (Innenleben) anknüpfen.


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Ingo Tessmann 2007-04-15