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Quantenmechanik

Ähnlich wie die roaring twenties sind die swinging sixties eine Zeit des kulturellen Umbruchs, in der die überlieferten und nicht bewiesenen Wahrheiten als Lügen entlarvt oder widerlegt werden. Für die aufbegehrenden Ideologiekritiker und Gesellschaftsveränderer sind die traditionellen Glaubensdogmen und politischen Theorien auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. In den 1920er Jahren entwickelten sich inmitten der bis zu gewaltsamen Ausschreitungen reichenden Konflikte zwischen den politischen Parteien die Kritische Theorie der Frankfurter Schule und die Moderne Physik der Kopenhagener Schule. In beiden Kontexten ging es um die Verbindung von Theorie und Erfahrung. Am Beginn der Modernen Physik stand Plancks Entdeckung des Wirkungsquantums und den Anfang der Kritischen Theorie bildete die Beantwortung der sozialen Frage mit der weiteren Frage, warum es vor 1914 statt des Wettrüstens kein ,,Flottenbauprogramm`` zur Beseitung der sozialen Missstände in Deutschland gegeben hatte? 25 Jahre nach Planck gelang Heisenberg der Durchbruch zur Matrizenmechanik, den Schrödinger wenig später durch seine Wellenmechanik ergänzte. Damit war der erste rationelle Kern der Modernen Physik formuliert. Über seine Interpretation stritten sich fortan die instrumentellen ,,Komplementaristen`` Bohr und Heisenberg mit den objektiven Realisten Einstein und Schrödinger. Der Streit zwischen den beiden Lagern scheint kein Ende zu nehmen und wird gegenwärtig in der Quantengravitation zwischen dem Stringtheoretiker Susskind und dem Relativitätstheoretiker Smolin weitergeführt. Die 1932 in Analogie zu Newtons Philosophae Naturalis Principia Mathematica von 1687 kodifizierten Mathematischen Grundlagen der Quantenmechanik von Neumanns haben noch heute Bestand. Formalismus und Interpretation zusammen bilden die Quantenmechanik, die im Grenzfall vernachlässigbarer Quantenwirkung in die Klassische Mechanik übergeht. Die eigens von Newton für seine Naturphilosphie entwickelte Infinitesimalrechnung oder Analysis ist für die Quantentheorie zur Funktionalanalysis erweitert worden. Während in der Klassischen Physik die Natur als objektiv vorgegeben angesehen und zu beschreiben versucht wird, erlaubt es die Funktionalanalysis in der Quantenmechanik, die experimentelle Situation im Labor mit einzubeziehen. Der Messprozess ist damit Bestandteil der Theorie. Diese selbstbezügliche Struktur ist auch das Wesentliche der Kritischen Theorie. Im Gegensatz zur Modernen Physik ist ihr rationeller Kern aber keine mathematische Theorie, sondern die aus Logik und Umgangssprache verfeinerte analytische Philosophie. Deren Anfänge für die sprachanalytischen Grundlagen einer kritischen Theorie haben 1981 Jürgen Habermas mit seiner Theorie des kommunikativen Handelns und 1987 Paul Lorenzen in seinem Lehrbuch der konstruktiven Wissenschaftstheorie vorgelegt. Gesellschaftspolitik und -veränderung überschneiden sich in Kritischer Praxis ebenso wie im quantenmechanischen Messprozess Systempräparation und Zustandsreduktion. Wunschvorstellungen bzw. Möglichkeitsräume werden in Erfahrungen bzw. Messresultate verwandelt.

Folgen die Students for a Democratic Society (SDS) im New York der 1960/70er Jahre der Kritischen Theorie, geht es den Hippies in San Francisco seinerzeit eher um Sex and Drugs and Rock'n'Roll. Ihre Spirituelle Praxis speist sich aus sexueller Lust, Drogenrausch, Tanzekstase und Musikerleben: Make love, not war! ist ihre Parole. Wenn Wahrheiten durch Kritische Theorie als Lügen entlarvt werden, droht das Problem der Anhedonia und all the joy within you dies. Auch Boris leidet darunter, ebenso wie seine filmischen Vorfahren Alvy, Mary und Frederick. Aber Liebe hilft und you better find somebody to love, wie Annie, Mickey, Lee und Melody es vorleben. Schade nur, dass es keine niedlichen Ausreißerinnen in den mittleren Westen der USA verschlägt. Und so teilt Larry leider nicht mit Boris das Glück, von einer jungen Schönen oder gleichaltrigen Intellektuellen begehrt zu werden. Seine Frau Judith ist eher schlichten Gemüts und eröffnet ihm dann auch noch, dass sie sich scheiden lassen wolle, um einen seiner Professoren-Kollegen aus den Humanities, Sy Ableman, heiraten zu können. Für Larry kommt das Anliegen seiner Frau völlig überraschend. Und warum ausgerechnet der zu Esoterik und Gefühligkeit neigende Psychologe!? Einstein schreibt 1936 in seiner Abhandlung über Physik und Realität: Alle Wissenschaft ist nur eine Verfeinerung des Denkens des Alltags. Damit hängt es zusammen, daß die kritische Besinnung des Physikers sich nicht auf die Unterweisung der Begriffe seiner besonderen Wissenschaft beschränken kann, sondern daß er an der kritischen Betrachtung des viel schwierigeren Denkens des Alltags nicht achtlos vorbeigehen kann. Auf der Bühne unseres seelischen Erlebens erscheinen in bunter Folge Sinneserlebnisse, Erinnerungsbilder an solche, Vorstellungen und Gefühl. Im Gegensatz zur Psychologie beschäftigt sich die Physik (unmittelbar) nur mit den Sinneserlebnissen und dem ,,Begreifen`` des Zusammenhangs zwischen ihnen. Hatte sich Larry vielleicht zu stark vom Alltagsdenken entfernt und auf die physikalische Begriffsbildung beschränkt und darüber die Vorstellungen und Gefühle seiner Frau für das Eheleben ignoriert? Denn anders ist seine Überraschung auf ihre Eröffnung schwer verstehbar: What have I done? I haven't done everything! Das war eben genau der Punkt. Larry hatte gleichgültig und selbstverständlich neben ihr her gelebt: You always act so surprise. I begged you to see the rabbi. Denn Judith will neben der rechtlichen Scheidung auch noch einen Gett, eine religiöse Eheauflösung. Hat etwa die jüdische Tradition für den Physiker noch irgendeine Bedeutung? Einstein war ebenfalls Jude, aber nicht praktizierend. Und so hätte ihm auch die nichtpraktizierende Jungfrau Melody gefallen. Das weltweise Genie verschrieb sich der kosmischen Religiösität - und sein verirrter Nachfahre? Der sucht tatsächlich Rat bei den Rabbis und lässt sich von ihren wie Horoskope auf alles passenden Gleichnissen vollends verwirren. Müsste Larry es als Physiker nicht besser wissen? Zum Glück inszenieren die Coens die als Seelsorge getarnten Therapiesitzungen mit unterhaltsamer ironischer Distanz.

Die Kinder Danny und Sarah nehmen die Trennung ihrer Eltern gelassen hin, sind sie doch hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Der Sohn hört sogar im Hebräisch-Unterricht die Rockmusik Jefferson Airplane's, raucht heimlich Joints, schaut populäre TV-Serien, wie F-Troop, und - bereitet sich auf sein Barmizwa vor. Die ältere Tochter geht nicht auf eine jüdische Schule, sie sorgt sich eher um ihr Aussehen, spart für eine Nasenoperation und wäscht sich häufig die Haare; jedenfalls dann, wenn sie gerade dazu kommt. Denn das Bad wird ständig von Larry's Bruder Arthur belegt, der mit einer Drainage häufig seine Nackenzyste zu reinigen hat. Auch sonst ist der Bruder ein Sonderling und allein gelassen kaum überlebensfähig. Wenn er nicht gerade das Badezimmer belegt, arbeitet er am Mentaculus, um den Möglichkeitsraum des Universums aufzuzeichnen. Larry findet das ziemlich verschroben und wundert sich darüber, dass Arthur mit seinen Wahrscheinlichkeitsabschätzungen am Spieltisch Erfolg hat. Den Kindern ist es egal, wie ihr Onkel zu seinem Geld kommt, wenn sie davon nur jede Menge einheimsen können. Und Larry? Der ist zumeinst mit sich, seinem Job oder den Nachbarn beschäftigt. Am Beginn des Films sehen wir ihn - wie einst Mickey als Mann in der Maschine bei Woody Allen - den Untersuchungsverfahren der apparativen Medizin ausgesetzt. Ist er gleichfalls Alarmist? Wenn er sich nicht um seinen Körper sorgt, ist es das Denken, das ihn umtreibt. Immerhin hat er seinen Studenten, Schrödingers Katze und Heisenbergs Unschärferelation verständlich zu machen. Darüber hinaus beunruhigt es ihn, dass der Nachbar einen Teil seines Rasens mitmäht, ein Unbekannter (Sy Ableman?) Gerüchte verbreitet, die seine Festanstellung an der Universität gefährden, Danny in seinem Namen einem Plattenclub beigetreten ist und - die Nachbarin nackt in ihrem Garten sonnenbadet. Nebensächlichkeiten und seinen Job hat der Physiker wohl schon immer ernster genommen als seine Ehe und da ist der vernachlässigten Gattin der verständnisvolle und einfühlsame Witwer Sy Ableman gerade recht gekommen. Ohne auf die intellektuellen Bezüge und physikalischen Gehalte des Films eingegangen zu sein, fasst die Theologin Falsani lediglich die Seelsorge zusammen: A series of minor calamities has Gopnik questioning the existence of God and the meaning of life. He turns to three rabbis in search of answers to his questions, only to find them unanswerable ... A Serious Man probes grave existential and theological questions without giving any clear answer. And that, the filmmakers seem to be saying, is the point. Und die Moral der Geschichte? What you believe doesn't matter. What matters is how you live. Live your way to the answers. Whatever Works, könnte man mit Woody ergänzen.

Im Gegensatz zur beschränkten Sicht einer Theologin vermag ein Physiker das ganze Bild zu sehen. Die von den Filmemachern mit Humor und Ironie überzeichneten Figuren des genial-verrückten Boris Yellnikoff ebenso wie des eher durchschnittlichen Larry Gopnik, lohnen eine eingehendere Kommentierung. Und die beginnt natürlich bei den Quellen. Da Larry in der Mitte seines Lebens noch aktiv seinem Beruf nachgeht, sehen wir ihn wiederholt bei der Arbeit in seinem Büro oder im Hörsaal der Universität. Das erste Mal bezieht er sich auf Schrödingers Grundsatzarbeit über Die gegenwärtige Situation in der Quantenmechanik von 1935 und ist gerade dabei die absurde Konsequenz des Zustandes einer Katze herzuleiten, die weder tot noch lebendig ist; sich vielmehr in einer ,,Überlagerung`` dieser beiden Zustände befinden soll. Seine Studenten haben Mühe, ihm zu folgen. Sie schauen eher gelangweilt drein: You following this? ... Okay? ... So. Heh, Heh ... This part is exciting ... So, okay. So. If that's that, then we can do this, right? Is that right? Isn't that right? And that's Schroedinger's paradox, right? Is the cat dead or is the cat not dead? Okay? Die Rechnung stimmt, aber wie soll man ihr Ergebnis interpretieren? Und was wollte Schrödinger damit sagen? Schrödinger selbst hatte 1926 in seiner Wellenmechanik die Quantisierung als Eigenwertproblem behandelt und folglich die weitreichende Frage aufgeworfen, wie denn wohl Wellen zu interpretieren seien, die sich im 3n dimensionalen Konfigurationsraum von n Teilchen ausbreiten? Der Anlass für Schrödingers Bestandsaufnahme 1935 war die kurz zuvor erschienene Arbeit von Einstein, Podolsky und Rosen, die der provozierenden Frage nachgingen: Can quantum-mechanical description of physical reality considered complete? Danach konnte die Quantenmechanik nur dann als vollständig angesehen werden, wenn man sie entweder nicht objektiv realistisch oder nichtlokal interpretierte. Die Kopenhagener gaben den objektiven Realismus auf, während sich die Relativitätstheoretiker mit der Nichtlokalität schwer taten. Einstein hielt die Quantenmechanik fortan für unvollständig und allenfalls einmal im Rahmen der statistischen Mechanik aufgehbar. Und Larry? In zwei weiteren Hörsaalszenen sehen wir ihn am Ende der Herleitung der Heisenbergschen Unschärferelation. Danach können bekanntlich Ort und Impuls, Winkel und Drehimpuls sowie Zeit und Energie und andere kanonisch konjugierte Variablen aufgrund ihrer nichtkommutativen Vertauschungsrelationen nicht zugleich beliebig genau gemessen werden: ... and that means ... so that ... from which we derive ... and also ... which lets us ... Okay? ... The Uncertainty Principle. It proves we can't ever really know what's going on.

Wie der Zufall der Flüchtigkeit oder die Stringenz des Unterbewusstseins so spielt, schleicht sich in die erste Ableitung der Unschärferelation über die quadratische statistische Streuung der Fehler einer falsch gesetzten Quadrierung ein. D.h. in der Differenz aus der Mittelung der Einzelwert-Quadrate und des Quadrates der Mittelung der Einzelwerte setzt Larry versehentlich zweimal die 2 außerhalb der Mittelungsklammer. Dadurch wird die Differenz ebenso wie die Unschärferelation 0. Das ließe sich als Hinweis der Coens darauf verstehen, dass die quantenmechanische Unschärferelation im Alltagsleben keine Rolle spiele. Schließlich liegen die Alltagswirkungen um rund 30 Größenordungen über dem Wirkungsquantum. In der zweiten Szene zum gleichen Tafelbild sind die Quadrierungen dann korrekt gesetzt, so dass sich ein Wert in der Größenordung des Wirkungsquantums ergibt. Dabei befinden sich im Hörsaal aber keine Studenten mehr und nur noch ein Zuhörer schenkt dem Physiker Aufmerksamkeit: der Psychologe Sy Ableman. Die Szene wird also lediglich von Larry Gopnik geträumt, entspringt seinem Unterbewussten und deutet darauf hin, dass ihn etwas grundsätzlich bis in den Schlaf umtreibt. In seinem Traum ist Larry keineswegs überrascht, Sy im Hörsaal vor sich zu sehen: Did you follow that? Of coss. Except that I know what's going on. How do you explain. Well, it might be that, in, you know, in L'olam ha-ba - Excuse me. Not the issue. In this world, Larry. I'll concede that it's subtle. It's clevva. But at the end of the day, is it convincing? Well - yes, it's convincing. It's a proof. It's mathematics. Excuse me, Larry. Mathematics. Is the art of the possible. I don't think so. The art of the possible, that's ... I can't remember ... something else. I'm a serious man, Larry. I know that. So if I've got it wrong, what do I ... So simple, Larry, see Minda ... See Minda! See Minda! I fucked your wife, Larry. I seriously fucked her. That's what's going on! Das ist es also, Larry glaubt seiner Frau nicht und er rechnet auch nicht wirklich damit, Hilfe von den Rabbis zu bekommen. Solange Larry nicht den Beweis erbracht oder eine Messung durchgefürt hat, weiß der Physiker nicht, ob die Katze noch lebt oder schon gestorben ist - oder ob seine Frau mit dem Psychologen geschlafen hat oder nicht. In einer konstruierten Welt ist nicht nur das Wissen, sondern auch die Existenz von Dingen davon abhängig, ob korrekte Beweise oder erfolgreiche Messungen ausgeführt worden sind. Sachverhalte bleiben so lange in der Schwebe bis sie als Tatsachen verifiziert werden können. Im Zweifel sollte in der Juristerei die Unschuldsvermutung und in der Ontologie die Nichtexistenzannahme gelten. Die Katze lebt noch und Judith hat nicht mit Sy gefickt.

Die Unklarheiten des Alltags folgen nicht aus der Quantenmechanik; vielmehr war es Heisenberg, der seinerzeit genau umgekehrt die Unschärferelation als Folge der unvermeidlichen Beeinflussung des Quantensystems durch den Messeingriff interpretierte. Eine derartige Deutung ist aber nicht zwingend und ich werde darauf zurückkommen. Verfolgen wir vorerst weiter, wie es Larry in der Universität so ergeht. Während seiner nächsten Sprechstunde erscheint nämlich ein asiatischer Student mit dem unverhohlenen Anliegen, seine Klausurbewertung von nicht bestanden auf bestanden abändern lassen zu wollen: I received an unsatisfactory grade. In fact: F, the failing grade. Uh, yes. You failed the mid-term. That's accurate. Yes, but this is not just. I was unaware to be examined on the mathematics. Well - you can't do physics without mathematics, really can you. If I receive failing grade I lose my scholarship, and feel shame. I understand the physics. I understand the dead cat. You understand the dead cat? But ... you ... you can't really understand the physics without the math. The math tells how it really works. That's the real thing; the stories I give you in class are just illustrative; they are like fables, say, to help give you a picture. An imperfect model. I mean, even I don't understand the dead cat. The math is how it really works. Very difficult, ... very difficult. Well, I ... I'm sorry, but I ... what do you propose? Passing grade. Aber Larry bleibt hart, auch nach mehrfachem Hin und Her. Schließlich verlässt der Student das Büro mit den Worten: Very troubling. Very troubling. Zurückgelassen hat er einen weißen Briefumschlag, der Larry gar nicht aufgefallen war. Als er ihn bemerkt und hineinschaut, stellt er überrascht fest, dass er Dollarscheine enthält. Wollte der Student ihn bestechen? Das wäre ja noch schöner ... Schnellstmöglich stellt Larry seinen Studenten zur Rede: We had, I think, a good talk, the other day, but you left something that - I didn't leave it. Well - you don't even know what I was going to say. I didn't leave anything. I'm not missing anything. I know where everything is. Auch mit der Androhung, den Fall untersuchen zu lassen, kommt der Professor nicht weiter. Der Student stellt sich ahnungslos: I'll have to pass it to Professor Finkle, along with my suspicions about where it came from. Actions have consequences. Yes. Often. Always! Actions always have consequences! ... In this office, actions have consequences! Yes, Sir. Not just physics. Morally. Yes. And we both know about your actions. No sir. I know about my actions. I can interpret, Clive. I know what you meant me to understand. ... Mere ... surmice. Sir. ... Very uncertain. Der asiatische Student Clive Park hat nicht nur Probleme mit der korrekten englischen Aussprache; er hat auch Schrödingers Katze und Heisenbergs Unschärferelation anders verstanden. Unbestimmte Sachverhalte ebenso wie eine Sowohl-als-auch-Logik scheinen ihm nicht fremd zu sein. Hat er die vermeintlich physikalisch gemeinten Interpretationen nicht sogar als das verstanden, was sie eigentlich sind, nämlich moralische Handlungsdeutungen und keine formal-mathematischen Sätze oder kausal-deterministischen Konsequenzen? Dazu braucht man in der Tat keine Mathematik. Einige Tage später wird Larry von Mr. Park aufgesucht, dem Vater des Studenten, der ihm vorwirft, seinen Sohn zu benachteiligen: This is deffamation. Grounds for lawsuit. ... I, uh ... See, if it were deffamation there would have to be someone I was to deffaming him to, or I ... All right. I, ... Let's keep it simple. I could pretend the money never appeared. That's not defaming everyone. Yes. And passing grade. Or you'll sue me. For taking money. So ... he did leave the money. This is defamation. Look. It doesn't make sense. Either he left the money or he didn't.- Please accept mystery. You can't have it both ways! If - Why not. Hatte der Vater seinem Sohn womöglich bloß einen harmlos aussehenden Brief für seinen Professor mitgegeben, ohne dass der Student den Inhalt kannte? Und vor lauter Aufregung vergaß Clive dann den Brief und ließ ihn einfach liegen ...

Wenn sogar in der Mikrowelt der Quantenobjekte eine minimale Unbestimmtheit nicht auszuschließen ist, warum tut sich Larry so schwer damit, die unvermeidbaren Missverständnisse und die vielen Fehldeutungen der Handlungen im alltäglichen Umgang zwischen den Menschen zu akzeptieren? Der Physiker war einfach unachtsam oder abgelenkt gewesen und hatte sich einen Umschlag mit Geld unterschieben lassen. Und der Student vermisste natürlich nichts, da das Geld seinem Vater gehörte, der Larry einer ausweglosen Situation ausgesetzt hatte. Beim Messen nichtkommutierender Größen kommt es auf die Reihenfolge an und eine einmal durchgeführte Messung kann nicht mehr rückgängig gemacht werden: sie ist irreversibel. So ist es auch mit den meisten Alltagshandlungen. Und sometimes the more you look, the less you really know. Unter diesem Motto steht der Film The Man Who Wasn't There. Die Coens lassen darin einen Anwalt über die Quantenmechanik parlieren: They got this guy in Germany. Fritz something or other. Or is it? Maybe it's Werner. Anyway, he's got this theory. You wanna test something, you know, scientifically ... well, you gotta look at it. But sometimes you look at it, your looking changes it. Ya can't know the reality of what happened, or what would've happened, if you hadn't stuck in your own goddam schnozz. So there is no ``what happened.'' ... Looking at something changes it. They call it the ``uncertainty principle.'' Sure, it sounds screwy, but Einstein says the guy's on to something. Science. Perception. Reality. Doubt. Reasonable doubt. I'm sayin' that sometimes the more you look, the less you really know. Taten in einem Kontext zu deuten, der den Täter mit Bezug auf das Gesetz unschuldig erscheinen lässt, ist das tägliche Brot des Verteidigers. Beim Ankläger ist es umgekehrt. Und so ähnlich wird es sich auch Larry überlegt haben, ob er seinen Fall wirklich vor ein Schiedsgericht oder sogar zur Anklage bringen soll. Jedenfalls können wir ihm später dabei zusehen, wie er das F bei Clive aus seinem Zensurenbuch entfernt. Die Coens spitzen die Situation allerdings noch weiter zu. Als der Professor im Auto auf der Straße zufällig seinen unbotmäßigen Studenten sieht und Ärger in ihm aufwallt, wird er wiederum unachtsam und - baut einen Unfall. Kurioserweise erleidet gleichzeitig, aber an anderem Ort, auch sein Rivale Sy Ableman einen Autounfall, der für ihn sogar tödlich endet. Dem Physiker gibt das zu denken und er fragt den Rabbi: Is Hashem telling me that Sy Ableman is me, or we are all one or something? How does Good speak to us: it's a good question. Der Rabbi erzählt ihm daraufhin natürlich bloß eine als Gleichnis gedachte Geschichte. Aber erzählen nicht auch die Professoren ihren Studenten Geschichten? Hätte Larry sich wirklich ausschließlich auf die physikalischen Wechselwirkungen und ihre mathematische Darstellung im Hilbertraum beschränkt, wäre wohl kein Student auf die Idee gekommen, Physik ohne Mathematik verstehen zu können. Warum beschränkte Larry sich nicht einfach nur - auf die ewige Natur? Instantane Korrelationen sind zwischen ,,verschränkten`` Quantenzuständen ebenso wie unter kritisch-fluktuierenden Teilchen nichts Ungewöhnliches. Aber was könnte das für seine Frau bedeuten? Eine ,,Verschränkung`` von Leben und Tod, beim Liebhaber wie bei der Katze? Ziemlich mysteriös. Oder obwaltete einfach der Zufall die Ereignisse? Es sind schlicht die sinnsuchenden Menschen, die immer wieder aufs Neue ihren jeweiligen Kontext erfinden. Und da ein Unglück selten allein kommt, wird Larry am Schluss auch noch von seinem Arzt mit dem Ergebnis der Röntgenuntersuchung konfrontiert. Die sei so beunruhigend, dass er schnellstmöglich in die Praxis kommen solle. Aber dann gibt es eine Unwetterwarnung. Ein Tornado sei im Anzug und beim Blick aus dem Fenster ist ein riesiger, dunkler Wirbel auszumachen. Wird ihm zu entkommen sein? Am Ende gibt es keine Hoffnung mehr:

When the truth is found to be lies

And all the hope within you dies ...

Nachdem auch die Schwiegermutter bei Boris eingezogen war, eine reife Frau, die sich wohl nicht mehr so einfach wie ein junges Ding verwandeln ließ, zogen für den glücklich verheirateten Physiker ebenfalls dunkle Wolken der Hoffnungslosigkeit am Horizont auf. Sein Freund Leo hatte weniger Probleme mit Marietta's reaktionärer Lebensauffassung, ihn interessierte vornehmlich ihr Körper. Sollte eine verlassene, ungebildete und verunsicherte Hinterwäldlerin nicht einfach zu haben sein? Und so lud er sie zu sich nach Hause ein. Sie zeigte ihm einige Bilder aus ihrer Photosammlung, die sie bei den vielen Schönheitswettbewerben von ihrer Tochter gemacht hatte und er brauchte - beeindruckt von der naiven Qualität ihrer Schnappschüsse - wenig Überredungskunst, um sie in sein Lotterbett zu bekommen. Mehr noch als bei ihrer Tochter, brach sich nunmehr bei der Mutter in der libertinären Atmosphäre der New Yorker Künstler- und Intellektuellen-Kreise eine Hemmungslosigkeit ihres Trieblebens Bahn, dass sich Boris nur darüber wundern konnte, wie stark es wohl bisher unterdrückt worden sei: You know those clean-cut, church going young men, who are model kids, and good to their neighbors and quote the Bible, and never do a wrong thing, and then one day, for whatever reason, they grab a rifle, go to a tower and pick off everyone in town? Okay, this is her, but sexually. She slept with Leo Brockman, never having been to bed with anyone before but her husband, and suddenly, the genie was out of the bottle! She liked sleeping with Brockman, and she liked sleeping with Brockman's friends, Brockman's acquaintances, Brockman's acquaintances' acquaintances. Brockman took her photos to Morgenstern. He loved them. He decided to show them in his gallery. When he did, everyone thought they were great. A brilliant primitive. Soon Morgenstern would become smitten with her. First she moved in with Brockman. Then she moved in with Morgenstern. Then she moved in with Brockman and Morgenstern. She started dabbling with collages. Small ones at first, but they would become bolder. She started dressing differently. Soon all her deep-rooted beliefs went right down the toilet, where they belonged. She experimented with exotic pleasures. A new Marietta was born. The one thing that remained constant, she hated her son-in-law.

In dem andauernden Bestreben, ihrer Schönheitskönigin doch noch zu einem jungen Schönling zu verhelfen, kommt wieder einmal der Zufall zu Hilfe. Randy Lee James, ein attraktiver Jungschauspieler und seltener Romantiker, hat sich auf den ersten Blick in Melody verliebt - und spricht Marietta flugs darauf an. Der kommt sein Anliegen sehr zupass. Sie instruiert ihn und arrangiert auf dem Flohmarkt ein erstes beiläufiges Treffen mit ihrer Tochter. Unter dem Vorwand, für die Auswahl eines Taschentuches weibliche Beratung nötig zu haben, spricht der verliebte Jüngling die ahnungslose junge Dame an: Excuse me. Hi, I need a female opinion. Which of these two would a young woman prefer? I can't decide. I don't know. They're both so beautiful. It depends. What type is she? Well, she's quite young and very lovely-looking. Blonde hair. Blue eyes. Yeah, but what's she like? Well, okay. She's from the South, although she lives here in New York now. Really? Yeah. And she's a nanny. I mean, well, to tell you the truth, she's actually living with some man. I mean, they're married, although he's not the best she can do. And she thinks she loves him, but it's only because she mistakes his pessimistic despair for wisdom, believing he's a genius. I'd say she's more of a nurse to him than a wife, because he's much older than she is. That sounds so familiar. I just can't ... I can't put my finger on it. It's sort of like mine, actually. Yeah. It is? I mean, not exactly, but I can't help but seeing some similarities.- I'd say that one. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen? Melody ist sichtlich verwirrt, aber auch angetan von dem charmanten Schönling. Und schon ist er wieder da: Here. Here what? For me? It's for you. Yes, I thought I'd buy you something lovely. Oh, no, I can't accept a gift from a stranger. Well, why not? I'm married. Yes, but it may not last forever. Well, you know, nothing lasts forever. Not even Shakespeare or Michelangelo or Greek people. I mean, even as we're standing here talking right now, we're just flying apart at an unimaginable speed. Gee, I never thought of it that way. Yeah. Should we be holding each other so we don't fall? Well, you have to hold onto whatever love you can in this cruel existence. Speaking of love, I've been in love with you ever since that first moment I saw you, and met your mother at the Mogador Café many months ago. Oh, you're ... You're ... Did my mother ... Randy James. Oh, the actor! Of course. I can hear your accent now. Oh, my mother talks about you all the time, and she's always telling me I have to meet you and I'm saying, ``Why? Why do I have to meet him?'' ``But he's so good-looking!'' And, yeah, you are. Thank you. I've moved to New York permanently now and I live in a houseboat with a friend of mine. You live on a boat? Yes, I do. I'm very romantic by nature, so I live on a boat and I read and think and play my flute ... Wenn das Boot Cassandra's Dream heißt, sollte es nie auslaufen; denn auf dem Meer droht Unheil, ebenso wie auf dem Fahrrad, auf dem wir Boris in der nächsten Szene sehen.

Melody täuscht sich natürlich, Boris mit dem Fahrradausflug eine Freude gemacht zu haben: I told you you'd get the hang of it. Okay, you know what? Let's just stop. ... Stop? Yeah. I need to sit for a minute. All right. You know, I'm just doing it for the aerobics, anyway. Otherwise, it's moronic. I think it's relaxing. Relaxing? What? Are you kidding? It's too nerve-wracking. To mingle with all those sub-mentals on bicycles? It's like driving a car. Those hostile, belligerent morons all get driver's licenses. Of course, to have children, you don't need a license. No proof of anything. You need a license to fish. You need a license to be a barber. You need a license to sell hot dogs. You know, you read about these poor kids, beaten and starved, you wonder, why are these parents allowed to even have them? Okay, Boris, Boris. You know, sometimes I think you're so determined not to enjoy anything in life, just out of spite. You know, like a child who's throwing a tantrum, because he can't have his own way. Wow! Listen to you! That's a reasonably wise insight for a simple-minded type like yourself. Honestly. Yeah, you surprise and delight me sometimes, you know that? I really don't know what I'd do without you, seriously. What are you doing with that? This? Nothing. I just got it at the flea market. Who needs an antique handkerchief? I thought it was pretty. Yeah, but God knows throughout history who blew his nose in it. Ihre mit Lebensklugheit gepaarten Erfahrungen als Kindergärtnerin und die neu in ihr keimende Verliebtheit leiten eine Ehekrise ein, in der die junge Frau dem alten Sack vermehrt Paroli zu bieten beginnt. Dabei ist es gerade ihr wachsendes Selbstbewusstsein, das sie für ihn interessanter macht. Ein Leben ohne sie kann er sich kaum noch vorstellen. Ist das nicht die Ironie des Lebens? Gerade indem sie so wird, dass er mehr und mehr Gefallen an ihr findet, beginnt sie sich von ihm zu entfernen. Lieben heißt, eine Freiheit besitzen wollen; eine nutzlose, weil widersinnige Leidenschaft, wie nicht erst Sartre bemerkte. Das nächste Date hat wiederum die böse Schwiegermutter eingefädelt. Wie zufällig treffen sich die jungen Leute beim Shoppen: Oh, my God! Hello. So I guess you just happened to be shopping here. Right? Well, I was buying this shirt, if you must know. You like it? It's okay. Just okay? I thought it'd make me look dashing. Looks aren't your problem. Oh, no? What is? You're too forward. I think about you a lot. Well, I don't think about you. So what's it like being married to a genius? Who wants to know? I'm sorry. I don't mean to be a boor, I just ... Just that, well, you know. It has its pluses and minuses. Yes? And what are the drawbacks? I don't know. I mean ... Well, naturally, with a very advanced mind, you find a lot of things wrong with everything and, mainly, he just doesn't like people. You know, he says at the rate they're going, they're going to make themselves extinct. Right. It can just be exhausting being around a genius all the time. So what are the pluses of being the wife of such a dazzling mind? Well, he's smart. You said that. He's clever. He really means well, you know? He's just a little crazy. I guess the good part is that I'm the wife of a genius, which I never really thought I could swing. Why not? I guess I thought I'd have to be smarter. Tja, erging es so nicht auch schon der schönen Rita Hayworth, die das Radio-, Theater- und Filmgenie Orson Welles geheiratet hatte? Ich konnte einfach sein Genie nicht mehr ertragen, soll sie nach ihrer Scheidung gesagt haben. Dabei hatte Orson in den drei Bereichen seiner Tätigkeit jeweils Bahnbrechendes geleistet. Mit der realitätsnahen Rundfunkbearbeitung des Stoffes Krieg der Welten H.G. Wells, der antifaschistischen Inszenierung Caesar's nach Skakespeare und Mussolini sowie der collagenhaften Filmästhetik seines frühen Meisterwerks Citizen Kane. Richard Linklater hat gerade in einer sehenswerten Tragi-Komödie Ich & Orson Welles die Begleitumstände der ledendären Theaterinszenierung des Julius Caesar im Manhattan der 1930er Jahre auf die Leinwand gebracht.

So wie der Seemann seiner femme fatale in dem film noir The Lady from Shanghai 1948 auf die Segeljagd Circe folgt, scheint nunmehr umgekehrt die Lady dem Romantiker nachzugehen: You want to see my boat? I mean, my friend's boat, where I live? I don't think that's a good idea. I dreamt about you last night. I ... Don't use that line. Because Boris said that he dreamt about me last night. And I really doubt it's mathematically possible for me to be in two dreams at one time. ... Melody kann schon ziemlich merkwürdig sein. Randy ist verblüfft wie verzaubert, und das macht sie für ihn umso attraktiver. Wiederum untermalt von der lustigen Salty Bubble, machen sich die beiden auf den Weg zum Anleger. It's down there, on the right-hand side. Well, this is it. It's not much, but it's home and I don't pay rent, so ... This is kind of sweet, living on the water. It rocks just the tiniest bit, so I sleep like a baby on it. Randy, I don't know what I'm doing here! I'm married! That doesn't mean I can't have feelings for you. You don't really know me. Yes, but I'm a romantic and I believe in love at first sight. Well, that's true. You know, Boris says that love isn't logical. And I adore the way you talk and the funny things you say. Where can it lead? Let's drink to love at first sight. I can't. When I drink, I get very silly and touchy and ... That's what your mum said. That's why I bought the bottle. She's quite a mum. Don't use that locution. It's for inchworms. Sorry. Is that you in the picture? Yeah. That's me in Juno and the Paycock. I bet you're a really good actor. I try. Although I'll never be a genius. You certainly are handsome enough to be a star. Thank you. I'll cherish that compliment ... Und der Charmeur erkühnt sich sogleich, seine Liebste zu küssen. Die reagiert höchst ungewöhnlich: Oh, my God. What are you thinking? Entropy. Entropy? Yeah, entropy. Boris explained it. It's why you can't get the toothpaste back in the tube. You mean, once something happens, it's difficult to put it back the way it was? I mean, Boris says love is all about luck. I think so, too, but isn't that just because we're young and we think we're going to live forever and then we grow old and get diabetes, and ... Maybe. Look, I do agree there's not much you can be sure of in this world, but ... Have you ever heard of Heisenberg's Uncertainty Principle? I've heard of it, yeah. You know, the observer influences the experiment? It's just like when my mother makes love to one of the guys she's living with a certain way when they're alone, but when she's in front of the other guy, she does it differently. Is that Heisenberg? I had no idea he was so sexual. Dabei denken beide an das Eine, aber Melody ist es in so einer Situation natürlich gewohnt, nach dem Viagra zu greifen: Wait. I always carry some Viagra with me. That's all right. I eat a lot of red meat. Die Verliebten werden die Ficks im leicht schwankenden Hausboot genossen haben. Aber Melody plagt fortan das schlechte Gewissen.

In der folgenden Szene sehen wir die Ehefrau sichtlich bekümmert auf der Treppe ihrer Wohnung sitzen als Boris gerade mit neuer Hose die Treppe herunterkommt. Auch sein Outfit passt er unterdessen ihren Vorschlägen an. Gerade wollen sie sich auf den Weg in die Ausstellung der Collagen Marietta's machen. I really like the way these pants fit. Hey, are you okay? You seem awfully quiet lately. Yeah. We're going to be late for Mom's gallery opening. I hope you're not coming down with anything. You know, Brodsky's kid's got the measles. Can you still get the measles? I had a shot when I was younger, but how long does it last? Warum hatten Brodsky's kid's die Masern bekommen und nicht die Windpocken oder Mumps? Natürlich weil Faulkner Caddy sagen lässt: The one next to it is where we have the measles. Aber was kommt für Melody als nächstes? Es klopft an der Tür: Who's that? I don't know. I'm not expecting anyone. Ahnungsvoll geht Melody zur Tür - und öffnet sie: Melody! Daddy! Oh, my little girl, I found you! Oh, Lord, your mother and I searched and searched, but then we ran out of leads. I used every connection I had at the police force. We even called the FBI! But you're okay. Things are going to be fine now. Your ordeal is over. What ordeal? You were abducted! Tell me if my theory is correct. You were chloroformed by polygamous Mormons. They took you off to be someone's bride! I was not abducted. Didn't anybody read my letters? Yeah, but I assumed you were forced to write them at gunpoint. Mit dem Erscheinen des Vaters nimmt Woody Allen wieder Bezug auf Tennessee Willams, und zwar besonders auf die Cat on a Hot Tin Roof. Darüber gleich mehr. Erst einmal wird Melody's Vater ihres Ehemannes gewahr: Who's this? Who are you? This is Boris, my husband. Boris, your who? He's my husband. I'm Mrs. Boris Yellnikoff. Who are you? I'm her husband. You want to pass out here or go in the living room? Where's your mother? What do you care? You cheated on her and then dumped her for Mandy Blackburn, of all people! I made a terrible mistake, I committed the sin of self-indulgence. I've come to beg your mother's forgiveness. You might want to rethink that, Daddy. I want to see her. I see death by culture shock. You can tell me, Melody, she has every right to hate me. And she does, believe me. I can handle the truth. Does she hate me? Well, it was a pretty awful thing you did with her best friend. Then she hates me? Yes, yes, she hates you! I can't stand this. I hate you and I just met you! Lord, you tell me this creature took you to bed? No, no, no, no. Actually, she took me. Yeah, when I met Boris, he hated sex. Yeah, think of it, Mr. Celestine. The absurd choreography, like a sewing machine, up and down, up and down, up and down, toward what end? Making more children? What the hell are you talking about? Reproducing the species over and over. Toward what goal? Carrying out what moronic design? What happened to Mandy? It was a mess, a nightmare. Lord, I've sinned! Please forgive me. Wie die Mutter so der Vater; ständig fallen sie auf die Knie und beten um Vergebung für ihre Sünden. Faulkner lässt es Quentin tun: I'll go down on my knees and pray for the absolution of my sins ... Die beiden aufgeklärten Großstädter können sich über diese ländlichen Bräuche nur noch lustig machen: Why do all the religious psychotics wind up praying at my doorstep? Can you tell me? Lord, in Your infinite mercy, I've done wrong. You want to tell him, or should I? Tell me what? Daddy, there's nobody out there! Honest. You're praying to no one. You're wasting your breath, just like you're gonna be wasting it on Mom. Unschuldsvermutungen und Nichtexistenzannahmen sind Hinterwäldlern natürlich ebenso fremd wie eine mènage á trois, in der die zur Künstlerin gewandelte Mutter unterdessen glücklich geworden ist.

Maggie the Cat ebenso wie Marietta hatten es vermocht, so lange auf dem heißen Blechdach des Südens zu bleiben, bis die Situation es erlaubte, wieder herunterzukommen und auf den Füßen zu landen, um fortan mit beiden Beinen im Leben zu stehen. Woody Allen hat in Whatever Works vielerlei Motive des Tennessee Williams - Dramas variiert. In Cat on a Hot Tin Roof kommt noch einmal die Familie zusammen, um Big Daddy's 65sten Geburtstag zu feiern. Das in drei Akten untergliederte Stück handelt zunächst von den Selbstenthüllungen Margaret's ihrem Mann Brick gegenüber. Im zweiten Akt folgt darauf eine offene Aussprache zwischen Vater und Sohn, dem todkranken Big Daddy und Brick, dem einstigen Profisportler, der nunmehr bloß noch als Sportreporter arbeitet und ansonsten dem Alkohol verfallen ist. Nicht ganz unähnlich dem Leiden Borisens, hat er sich beim berauschten Sporttreiben eine Beinverletzung zugezogen. Der abschließende dritte Akt beinhaltet zusammenführend die Streitereien der Schwiegertöchter um die Erbschaft Big Daddy's. Hat sein einer Sohn Cooper eine aalglatte Karriere als Anwalt hingelegt und mit seiner Frau Mae vier Kinder gezeugt, ist die Ehe des gestrauchelten zweiten Sohnes Brick bisher ohne Nachwuchs geblieben. Im Anschluss an das Happy Birthday zur Feier Big Daddy's stimmt Boris es bei jedem Waschgang zu Hause an und wenn ihn ein Mückenstich plagt, hält er die Hautschwellung gleich für ein malignes Melanom. Damit bezieht er sich ironisch auf Big Daddy, der wirklich unter den mosquitoes leidet und tatsächlich an Krebs erkrankt ist, sich darüber aber im Einklang mit seiner Umgebung Illusionen hingibt. Und ebenso wie Margaret gewinnt auch Molody bereits in jungen Jahren Schönheitswettbewerbe und obwohl sie als Hunde-Ausführerin gearbeitet hat, sind ihr Katzen und Kinder lieber. Selbstredend erinnert sich Maggie ebenfalls mit Wehmut an ihre schönsten sexuellen Erlebnisse: You were a wonderful lover ... Such a wonderful person to go to bed with, and I think mostly because you were so indifferent to it. Isn't that right? Never had any anxiety about it, did it naturally, easily, slowly, with absolute confidence and perfect calm ... Sich einfach so der Natürlichkeit der Sexualität hinzugehen, hat unter Hinterwäldlern seinen Preis. Und wenn sich dann auch noch Männer ineinander verlieben, hört der Spaß auf und schlägt in Hass und Verzweiflung um. Maggie versucht Brick weitere Liebeserfahrungen zu erklären: This time I'm going to finish what I have to say to you. Skipper and I made love, if love you could call it, because it made both of us feel a little bit closer to you. Eine mènage á trois unter Einschluss der Homosexualität? Das ist im reaktionären Süden der USA noch heute gefährlich - und Skipper hatte es in den Tod getrieben. Um den Schuldgefühlen zu entkommen, ist Brick seit der Selbsttötung seines engsten Freundes dem Alkohol verfallen: Mandacity is a system that we live in. Liquor is one way out an' death the other ... Und Kinder? Vielleicht bilden auch sie einen Ausweg aus der Verlogenheit in den religionsbestimmten Kulturen der Altvorderen. Maggie the Cat jedenfalls wagt ihren Kinderwunsch offen auszurufen und kann nur hoffen, ihren Mann noch einmal ins Bett zu bekommen: Brick and I going to - have a child.

Erst hat es die ausreißende Tochter geschafft, dem System der Verlogenheit zu entfliehen, dann ist ihr aus Verzweiflung die Mutter gefolgt. Ihr ist es ebenfalls gelungen, ihre vormals unterdrückten und auf ihr Kind projizierten künstlerischen und erotischen Neigungen zu entfalten. Da ist zu hoffen, dass es dem in die libertinäre Atmosphäre New Yorks versetzten Vater ähnlich ergehen wird. Nachdem er nichtsahnend auf seine von der treusorgenden Hausfrau zur Avantgarde-Künstlerin gewandelten Frau getroffen ist, leidet er in der Tat an einem Kulturschock. Aber auch dagegen hilft Alkohol. Und so sehen wir ihn zu weit fortgeschrittener Stunde schon ziemlich breit an einem Tresen hocken und noch zwei Schnäppse bestellen: I'll have another, too. She left me. Can you believe it? What am I talking about? I left her. She's alone. Now, no matter which way she turns in bed, she's got a husband. Nur ein weiterer Gast ist noch anwesend. Ihm scheint es ähnlich zu gehen. My wife left me, too. I'm sure she was beautiful, just like my wife. Norman? Norman was gorgeous. He was the greatest runway model Versace ever had. I thought you said your wife. We were married in Holland. You married a guy? What else? But that would make you ... What? A widow? Norman didn't die. Not a widow, a ... Gay? A member of the ... Of what? The homosexual persuasion. My God. You make it sound like a religion. Was für eine köstliche Ironie! Als Religionsgemeinschaft ist in den USA sogar Homosexualität erlaubt. Der Saufkumpane und Leidensgenosse nimmt es mit Humor. If it's a religion, you could call me devout. A fanatic. ... But that's a sin against God's law. God is gay. He can't be. He made the whole universe perfect. The oceans, the skies, the beautiful flowers, the trees everywhere. That's right. He's a decorator. In der Tat. Die Menschen erfinden sich ihre Götter nach jeweils eigenen Vorstellungen. Es sind nichts weiter als Hirngespinste. Why did he leave you? She leave you. Norman. He wants to live in Paris, and I can't leave my sick mother. Is your mother a woman? She used to look like Marlene Dietrich. What's the difference? They all hurt you in the end, every woman, whether they're male or female. Why did yours leave you? I left her for her best friend, but it didn't work out. Why not? Can I be perfectly frank with you? I don't shock easily. I couldn't make love to her. Why not? It was fine at first, but then I lost interest. I wanted Marietta back. Which is funny, because in the last years, I really didn't have a lot of sexual interest in Marietta. That happens with you heteros. We always have interest. Christ, if I'm going to be honest, you know, I never, ever really had a burning sexual desire for Marietta. Why'd you marry her? It was the thing to do. Everybody where I lived, you had a wife and children and ... Can I really level with you? Of course. John. John Celestine. Of course, John. I'm Howard Cummings, nee Kaminsky. I married Marietta, because I was afraid. Of what? The way I felt towards the tight end on the football team. No. Every time he got in the line of scrimmage and bent over. Bartender, another round for my friend and me, please. Was für ein heiteres Coming-Out! Und zugleich der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Und Boris? Wird er sich weiterhin wie ein Pfau spreizen und mit seiner Intelligenz und seinem Wissen prahlen? Mit dem Verweis auf das Theaterstück Juno und der Pfau Sean O'Casey's von 1924, in dem Randy die Rolle des Sohnes Johnny spielt, hat Woody Allen wiederum einen Hinweis auf den Fortgang seines Films gegeben. Nach der Rolle Freddy's aus Shaw's Pygmalion, die Randy im Film Allen's übernommen hat, ist es diesmal aber das Eheleben der Boyles aus dem Theaterstück, das sich auf die Ehe der Yellnikoffs bezieht. Hintergrund des Stückes ist die gerade erlangte Unabhängigkeit Irlands. Neben diesem politischen Kontext hat das Stück zudem eine soziale und feministische Perspektive. Im Mittelpunkt der Tragi-Komödie steht die Frau Juno Boyle, die ihre beiden Kinder Johnny und Mary weitgehend allein durchzubringen hat, da ihr Mann Jack Boyle, der ,,Pfau`` oder auch ,,Captain`` genannt, lieber dem Alkohol zuspricht, die Arbeit scheut und zumeist bloß herumschwadroniert. Dabei hat es die Frau wahrlich nicht leicht, sich gleichsam dem Mythos der Juno mit dem Pfau entsprechend als ,,Schutzheilige`` der Familie zu bewähren. Ihr Sohn wird in den der Unabhängigkeit folgenden Bürgerkrieg hineingezogen und die Tochter von einem Engländer geschwängert, der sie sitzen lässt. Am Ende kommt Johnny in den Kämpfen zwischen Irregulars und Staters ums Leben und Juno entschließt sich, ihren ,,Pfau`` zu verlassen und sich gemeinsam mit Mary um das Kind zu kümmern: We'll go. Come, Mary, an' we'll never come back here agen. Let your father furrage for himself now; I've done all I could an' it was all no use - he'll be hopeles till the end of his days. I've got a little room in me sisther's where we'll stop till your throuble is over, an' then we'll work together for the sake of the baby. Aber sei ein Kind ohne Vater nicht bedauernswert? Des Tochters Einwand hat für die Mutter kein Gewicht, im Gegenteil: It'll have what's far betther - it'll have two mothers. Boris ist ebensowenig ein Familienmensch wie Stanley oder Jack, ganz zu schweigen von John. Wenngleich die drei Männer aus ganz unterschiedlichen sozialen Verhältnissen kommen und ihre mentalen Welten kaum Überschneidungen aufweisen dürften, so teilen sie natürlich das gemeinsame Geschlechtsmerkmal des heterosexuellen Mannes. Und dagegen haben sich bis heute die Frauen zu behaupten; indem sie ihre sexuelle Attraktivität einzusetzen wissen oder sich ihrem Mann gänzlich entziehen und sich selbst überlassen. Das gleiche Schicksal wie Jack wird sogleich auch Boris ereilen.

Während John und Howard frischverliebt in eine neue Partnerschaft starten, sehen wir Boris und Melody zunächst beim Einkaufen am Obststand. Dabei ist Melody redlich bemüht, Boris in seinem üblichen Redeschwall zu unterbrechen, damit sie ihm etwas Wichtiges mitteilen kann: It's amazing, Melody. Thousands of years ago, ancient peoples, Egyptians, Romans, Mayans, were walking home, just like us, discussing where should they eat or making small talk. ``Hey, we just bought a great house on the Nile with a yard, overlooking the Pharaoh's new pyramid.'' Boris ... Das ist ihr erster Unterbrechungsversuch. Or, My physician says ``peacock tongues are bad for your heart.'' Boris ... Ihr zweiter Versuch. Boris redet unbeirrt weiter ... bis er hinsichtlich all der kleinen Probleme und Alltagssorgen, die schon unsere Vorfahren so umtrieb, zum Schluss kommt: What the hell does it all mean now? Zilch. But they thought it was important. Wie in Fortsetzung der mit den Pfauenzungen, die schlecht fürs Herz seien, begonnenen ironischen Überleitung zu seinen Problemen, ergreift Melody sogleich die Gelegenheit, ihr Anliegen anzusprechen: Boris, can I talk to you for a minute? Zunächst parliert Boris noch einige Zeit weiter ... bis Melody geradezu handgreiflich werden muss, um ihn nicht nur im Gerede zu unterbrechen, sondern auch noch aus seinem wohlvertrauten Standardtrott zu reißen: Boris, Boris, can we sit down for a second? Well, but we have to go home. I know, but come here. I have to say something. But we always go home now. I know. I know. I know we have a standard routine. I need to have my drink, and a shower. And, you know, you see it as routine, but for me the consistency helps keep me from becoming unnerved. I know you require a certain ritual. And then after the shower, our dinner, but not crawfish pie again. I got indigestion from it last time. I thought I had thyroid cancer. Boris, I met someone else. I've fallen in love. And then some Beethoven, maybe some Schubert for a change, but, you know ... You met someone else? I'm not saying I don't have very deep feelings for you. I do. You met someone else? Yes. And you want us to live in a threesome, like your mother? Boris, when you found me, I was very young. You're still very young. Yes, but I've grown. I've grown so much. And mainly because of you. Yes, it's true. I have been very patient with your phenomenal ignorance. You can always count on me for anything. I just ... I guess I'm at a very impressionable age, and I ... I can't think of a way to say this well. You don't have to say it well. I want to. I completely understand. I do. This does not run counter to my convictions that love relationships are almost invariably transient. I don't really think that's true if they're right. Really? You have your own ideas? Just a couple. You know, they're not very deep, but ... As cruel as life is, I miss participating in the world. And I even miss people, even the inchworms and the cretins, because I don't really think they're bad, I think they're just scared. I think you're making the correct decision. Boris ... I mean it. I'm a profound and sensitive soul with an enormous grasp of the human condition. It was inevitable you would eventually grow tired of being so grossly overmatched. Greatness isn't easy to live with, even by someone of normal intelligence. You're upset. I don't expect you to understand. How could you? Believe me, if I can understand quantum mechanics, I can certainly comprehend the thought process of a sub-mental baton twirler. Boris ... It's okay. I knew this day would come. I really did. The universe is winding down. Why shouldn't we?. Alles entsteht und vergeht, so auch die Liebe und das Leben. Aber während Borisens Gefühle für Melody gewachsen sind, haben sich ihre für ihn einfach abgeschwächt und sind sang- und klanglos in ihrer aktuellen Verliebtheit untergegangen. Boris dagegen erlebt noch seine groß gewordenen Gefühle für Melody, ganz egal, was er darüber denkt. Bis er sich aber vollends entliebt haben wird, ist einiger Trennungsschmerz und Liebeskummer zu bewältigen. Einen so erfahrenen und selbstbewussten Menschen wie Boris, sollte das nicht aus der Bahn werfen; aber der befindet sich gerade in einer ohnehin depressiven Phase seiner Psychose. So folgt seinem Entlieben gleich noch das Entleiben -- und da sehen wir Boris auch schon zielstrebig durch das Zimmer eilen und sich aus dem Fenster st"urzen ...


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Ingo Tessmann 2011-05-08