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Visionen und Utopien

Can you believe I blew it twice? I jumped out the window and landed on a woman walking her dog. She got hurt. I got off scot-free. Diesmal war es keine Markise, die dem Psychopathen das Leben rettete, sondern - ausgerechnet - eine Frau. Und nicht nur das, sie entpuppte sich auch noch als ,,Hellseherin``, die seinen Sturz geahnt, wenn nicht sogar vorhergesehen hatte!? So etwas konnte eigentlich nicht wahr sein, aber wie heißt es schon im Faust: Der Mensch in seinem dunklen Drange ist sich des rechten Weges wohl bewusst. Unterlegt vom feierlichen Auld Lang Syne, mit dem Woody Allen natürlich auf seine Radio Days anspielt, klingt Whatever Works mit dem Jahresende aus: Ten, nine, eight, seven, six, five, four, three, two, one! Happy new year! Das Schlusswort hat Boris: I happen to hate New year's celebrations. Everybody desperate to have fun. Trying to celebrate in some pathetic little way. Celebrate what? A step closer to the grave? That's why I can't say enough times, whatever love you can get and give, whatever happiness you can filch or provide, every temporary measure of grace, whatever works. And don't kid yourself, it's by no means all up to your own human ingenuity. A bigger part of your existence is luck than you'd like to admit. Christ, you know the odds of your father's one sperm from the billions, finding the single egg that made you? Don't think about it, you'll have a panic attack. Ein Genie bleibt mit seinem Weitblick stets allein unter den vielen Ignoranten: Boris, what are you doing? Who you talking to? What? There's people out there watching us. They're out there? Yeah, yeah, they're watching. What? Please, Boris ... Aber hört ihm überhaupt noch jemand zu von - außerhalb? You know ... Well, there was when we started. I don't know how many are left. Does anybody see anybody out there? Out there? No! No! Boris! No! Bei so viel Ignoranz kann man nur dem Wahnsinn verfallen: See? I'm the only one who sees the whole picture. That's what they mean by genius. Come on. Happy new year, Boris.

Die ,,Wahrsagerin`` Helena wird dem alten Griesgram das neue Jahr sicherlich zu einer Herausforderung werden lassen. Und für mich ist es an der Zeit, einen Ort für die seherisch-traumhaften Perspektiven der Filme zu finden, damit die Visionen keine Utopien bleiben. Bei den Coens geht es mit True Grit weiter und Woody's nächster Film nimmt das Thema der Illusionsbildung auf. Dabei knüpft er wie schon Faulkner an Shakespeare an:

Life's but a walking shadow, a poor player,

That struts and frets his hour upon the stage,

And then is heard no more. It is a tale

Told by an idiot, full of sound and fury,

Signifying nothing.

You will meet a tall dark stranger wird der verlassenen Helena von ihrer ,,Hellseherin`` vorhergesagt, ein geflügeltes Wort, das immer stimmt, da jeder Mensch einmal den ,,Tod`` treffen wird. Aber Helena versteht es natürlich anders und träumt fortan von dem mysteriösen Fremden, der sie aus ihrer Einsamkeit und Verzweiflung erlösen wird. Ihr Leben lang hatte sie sich um ihre Familie gekümmert und nun steht sie plötzlich allein da. Ihr Mann Alfie hat sie gerade verlassen, um noch einmal seiner verlorenen Jugend nachzuspüren. Er sucht sein Glück mit der dummen, aber geilen Gelegenheits-Schauspielerin und Ex-Prostituierten Charmaine zu machen. Die Verlassene erhofft sich neben der ,,Wahrsagerin`` Hilfe von ihrer Tochter Sally und - im Rausch durch Alkohol. Nach den Besuchen ihrer Mutter hat Sally nicht nur den Bestand der Bar aufzufüllen, sondern auch den Unmut ihres Mannes Roy zu besänftigen, der nichts von Okkultismus hält, aber immer wieder von seiner Schwiegermutter über seine angeblich düstere Zukunft belehrt wird. Roy ist zwar Mediziner, träumt aber von einer Schriftstellerkariere und - von der jungen, attraktiven Nachbarin Dia, die von der bildschönen Freida Pinto verköpert wird. Während Roy sich beim Schreiben seines Romans über Heisenberg gerne von ihrem barocken Gitarrenspiel ablenken lässt und sie zum Essen einlädt, fühlt sich seine in einer Gallerie als Kunsthistorikerin arbeitende Frau zu ihrem Chef hingezogen. Am Ende scheitern die Träumereien an der schnöden Wirklichkeit und nur Helena findet ihr Glück - mit einem gleichgesinnten Okkultisten. Anstatt sich weiter dem Alkoholrausch zu ergeben oder Antidepressiva einzunehmen, hat sie sich in die Scheinwelt der Illusionen geflüchtet. Whatever Works könnte man mit Woody anmerken, der den Film wiederum komödiantisch mit Shakespeare ausklingen lässt: A tale ... of sound and fury, signifying nothing. Aber ist es nicht beim Verlieben grundsätzlich so, dass man sich immer wieder den Illusionen hingibt und glaubt, der geliebte Mensch sei wirklich so wie man sich ihn erträumt und herbeiphantasiert? Die Liebe vergeht wieder, wer aber in die Religion oder den Okkultismus flüchtet, immunisiert sich gegen Kritik und Veränderung, erstarrt gleichsam in der ewigen Wiederkehr der gleichen Rituale, stirbt vermehrt bereits im Leben. Im Alltag wie in der Wissenschaft können Illusionen scheitern; man kann aus Fehlern lernen und so fortlaufend zu seiner Persönlichkeitsbildung und der Wahrheitsfindung beitragen. In dem Film Vicky Christina Barcelona lässt Woody die Spanierin Maria Elena davon sprechen, that only unfulfilled love can be romantic. Erfüllte Liebe dagegen ist ein leidenschaftlicher Kampf, der verletzt und sich erschöpft. Die heißblütige Südländerin führt das den noch ihren Illusionen nachhängenden Amerikanerinnen Vicky und Christina in Barcelona handgreiflich vor Augen. Bevor die Urlauberinnen den Maler und Latinlover Juan Antonio kennen lernten, hatte der bereits eine obsessive Liebschaft mit seiner Malerkollegin Maria Elena, die in Gewalt ausartete und zur Trennung führte. Nach der biederen Vicky hat nunmehr ebenfalls die laszive Christina eine Affäre mit Juan Antonio, zu der sich dann sogar noch seine Exgeliebte gesellt. Unter Einschluss homoerotischer Neigungen zwischen den beiden Frauen, leben die Drei eine Zeitlang in einer produktiven und erfüllenden mènage á trois. Aber schon bald kommt die Asymmetrie ihrer jeweiligen Zweierkonstellation zum Tragen. Maria Elena spielt für Juan Antonio wiederum die inspirierende Muse, so dass sich Christina nur noch als drittes Rad am Wagen fühlt. Als sich die erotisch-künstlerische Zusammenarbeit zwischen den beiden Malenden erneut bedrohlich zuspitzt, zieht sich die Amerikanerin mehr und mehr in sich selbst zurück. Am Ende steht der Mann allein da. Seine Muse geht ihren eigenen Weg und während Vicky sich ins sichere Ehegefängnis begibt, weiß Christina einmal mehr, was sie nicht will: weder eine asymmetrische Dreierbeziehung noch eine monogame Ehe.

In das Ehegefängnis wollen sich auch nicht Andy und Violetta wegsperren. Als Nicole die beiden nach langem Herumirren im äußersten Süden Südamerikas trifft, sagt ihr Violetta: ,,Wir brauchen noch jemanden, sonst wird das eine dumme Ehe.`` Nicole war in der Psychiatrie vom Turm gesprungen und dabei ins Jenseits ihres eigenen Lebens eingetaucht. Außer ihr wussten das aber nur die Frau von der Küste - und ein Irrer: ,,Sie war oben und dann ist sie gesprungen und nicht unten angekommen sondern ins Meer gefallen. Eingetaucht.`` Ihr letztes Telefonat mit Paul hatte sie mit den Worten beendet: ,, ... ich hab' keinen Bock auf diese ganze Welt, diesen Quatsch hier, ich geh' jetzt ... `` Der Beginn des neuen Reptilienzeitalters war ihr nicht verborgen geblieben. Um nicht das Schicksal der Saurier teilen zu müssen, tauchte sie lieber in den Dirac-See ein. Violetta, ,,Valerie mit lila drin``, hatte Nicole am See der psychiatrischen Anstalt kennen gelernt. Ihr gefiel es, wie dort eine fast nackte junge Frau mit grün-weißer Unterhose und lila gefärbten Haaren im Rollstuhl saß und Spaß daran hatte, mit dem Ding herumzukurven. Dieser Verrückten war die Frau von der Küste sicher auch schon erschienen. Nicole war in die Psychiatrie eingeliefert worden, weil sie sich entschieden gegen eine gemeingefährliche Nachbarin zur Wehr gesetzt hatte. Das war aber nur der Anlass gewesen, der Grund lag tiefer und ist aus ihrer Neigung zu verstehen, den Alltag stets der Vernunft unterwerfen zu müssen. Die Ärzte nennen das Asperger-Syndrom, weil sie unter Denken nur zwei Dinge versteht: erstens das Urteilen über der Erfahrug zugängliche Daten und zweitens das Inbeziehungsetzen solcher Daten vermittels logischer Operationen. Albert Einstein und Paul Dirac waren ebenfalls derartige Grenzgänger der Rationalität. Für Einstein war nicht entscheident, was er fühlte, sondern wie er dachte. Und als Heisenberg Dirac auf einer Schiffsreise einmal fragte, ob er nicht mit einem der netten Mädchen tanzen wolle, die in der Nähe saßen, erhielt er nur die trockene Gegenfrage, woher er denn wisse, dass die Mädchen nett seien. Der Mann muss schon ziemlich verschroben gewesen sein. Und so spielt Dietmar Dath mit Violetta am See nicht nur auf den Dirac-See an, sondern auch auf die Erinnerung Dirac's an den Besuch bei einem russischen Fachkollegen, die bei Kragh in seiner Biographie nachzulesen ist: ``I never saw a woman naked, either in childhood or youth ... The first time I saw a woman naked was in 1927, when I went to Russia with Peter Kapitza. She was a child, an adolescent. I was taken to a girl's swimming-pool, and they bathed without swimming suits. I thought they looked nice.'' Dirac hat die niedlichen, wohlgestalteten Heranwachsenden am Pool in lebhafter Erinnerung behalten, ebenso wie Nicole sich weiterhin an Violetta erfreuen konnte.

In Dietmars Dirac ist David dabei, einen Roman über Dirac zu schreiben. Seinem Aufsatz über Einstein sollte nunmehr ein Roman über einen Wissenschaftler folgen, der ähnlich invariant dachte wie das weltweise Genie. David wird aber immer wieder abgelenkt, kann sich nicht konzentrieren, verzettelt sich. Vielleicht sollte er eher einen Roman über seine große Jugendliebe Candela beginnen? An seiner Mitschülerin Sonja hatte er sein Talent schon mit Erfolg erprobt. Fehlten ihm für Dirac die eigenen Jugenderinnerungen? Der nie erlöschende Antrieb aus der unerwiderten ersten Liebe würde womöglich sehr viel mehr Inspiration und Phantasie für einen Roman freisetzen als die Anverwandlung eines fremden Lebens. Das Schreiben über unerfüllte oder versäumte Möglichkeiten des eigenen Lebens? Dann wäre Paul der passende Freund, der die Maske für Dirac abgeben könnte. Und natürlich hat Dietmar den Vornamen des Computerfreaks Paul nach dem Vornamen Dirac's gewählt. Der Physiker hatte als Mittdreißiger versucht, über geeignete dimensionslose Konstanten, einen Zusammenhang zwischen Makro- und Mikrokosmos herzustellen. Und der Romanfigur geht es anschließend darum, solche sich als wahr erweisenden Zufallsbeziehungen als Ergebnis eines minimalen, nicht weiter reduzierbaren, Algorithmus zu erhalten. Arthur hatte den in seinem Mentaculus womöglich schon erschaut. Und in der Firma, die Pauls Untersuchungen zur Irreduzibilität großzügigerweise finanziert, arbeitet - Candela. Wenn das für David kein Anknüpfungspunkt sein sollte. Aber verweilen wir noch kurz beim Physiker Paul. Der hatte 1937 eine Anregung Eddington's aufgegriffen und folgende dimensionslosen Kombinationen aus Naturkonstanten definiert:

\begin{displaymath}\tau_0 = {t_0 \over {e^2 / m_e c^3}} \approx 2 * 10^{39},   ...
...,  
\mu = {{\rho ( c / H )^3 } \over m_p } \approx 10^{78} \end{displaymath}

c steht für die Lichtgeschwindigkeit, e für die Elementarladung, G für die Gravitationskonstante, H für die Hubblekonstante sowie mp und me für Protonen- und Elektronenmasse. Dirac kommentiert seine ,,Großen Zahlen`` wie folgt: The large numbers are to be regarded, not as constants, but as simple functions of our present epoch, expressed in atomic units. We may take it as a general principle that all large numbers of the order 10 power 39, 10 power 78 ... turning up in general physical theory are, apart from simple numerical coefficients, just equal to t, t power 2 ... where t is the present epoch expressed in atomic units. Könnte sich in dieser Large Number Hypothesis (LNH) eine deep connection in Nature between cosmology and atomic theory verbergen? Dirac vermutete das und leitete drei Porportionalitäten daraus ab:

\begin{displaymath}G \sim   t^{-1},      N \sim   t^{2},       R \sim   t^{1/3} \end{displaymath}

Die Gravitations,,konstante`` G ebenso wie die Nukleonenzahl N und die Ausdehnung R des Universums ändern sich gemäß LNH mit der Zeit. Das aus kosmischen und atomaren Größen gebildete Verhältnis in der Einheit von Raum zu Masse und Zeit bleibt dabei aber konstant in der Größenordnung 1:

\begin{displaymath}{{G \over H_0}   :   {{h^3 \epsilon_0} \over {{m_p}^3 e^2}}}   \approx   1 \end{displaymath}

h bezeichnet das Wirkungsquantum und epsilon steht für die Dielektrizitätskonstante. Die Gravitationskonstante als veränderlich anzunehmen, kann als einigermaßen kühn angesehen werden; denn zu Dirac's Zeiten waren noch nicht die Dunkle Materie und Dunkle Energie entdeckt worden. Und woraus bzw. worein sollten die Nukleonen entstehen oder vergehen? Weder Partonen noch Quarks waren als Bausteine der Nukleonen in Betracht gezogen worden. Lediglich die schon von Planck gleichsam als Quantenuntergrund vermutete Nullpunktsenergie stand als Reservoir für die Bildung und den Zerfall von Elementarteilchen zur Verfügung. Sie bildet womöglich auch den Grund des Dirac-See's, bestimmt die Kosmologische Konstante und liegt der Dunklen Energie zugrunde.

Pauls aus kosmischen zu atomaren Größenordnungen gebildeten Zahlenverhältnisse haben es Paul angetan. Was steckt dahinter? Zufall oder Notwendigkeit? Die Random Reality Chaitin's oder der Determinismus Einsteins? Dietmar lässt Pauls Herz höher schlagen beim Bereden der Untersuchungen zur Zufälligkeit Chaitin's, der gezeigt hat, daß es wahre Aussagesätze in der Arithmetik gibt, deren Beweise solche Zufallskonstrukte sind - irreduzibel wahr, sozusagen beliebig trotz Exaktheit. An David gewandt, fährt Paul fort: Nimm das zusammen mit seinen anderen, eng damit verwandten Gedanken, wonach man bei denjenigen Systemen, die sich reduzieren lassen, nie beweisen kann, daß die einmal gefundene Reduktion schon die kürzeste ist und es nicht noch eine kürzere gibt, und du hast eine ziemlich ... bodenlose Welt. Daß einem ... fast schwindlich werden kann, bei diesem Zahlenkram. In Exploring Randomness stellt Chaitin jedem Interessierten die LISP-Implementation der Turing-Maschine zur Verfügung, um selbst nachvollziehen zu können, dass ihre Haltewahrscheinlichkeit dem reinen Zufall entspricht, also nicht vom idealen Münzwurf unterschieden werden kann. Beweise sind die höchst seltene Ausnahme, Wahrheiten ohne Gründe, Ereignisse ohne Ursache der astronomisch häufige Regelfall. Wie Yourgrau hervorhebt, ging es Gödel ebenso wie Wittgenstein darum, die Grenzen formaler Methoden beim Erfassen intuitiver Begriffe aufzuzeigen. Im Anschluss an Gödels Unvollständigkeitssatz der höheren Prädikatenlogik hatte Turing am Modell seiner universalen Rechenmaschine die Grenzen der Berechenbarkeit ausgelotet. Und Chaitin fasst in The Unknowable zusammen: In a nutshell, Gödel discovered incompleteness, Turing discovered uncomputability, and I discovered randomness - that's the amazing fact that some mathematical statements are true for no reason, they're true by accident. There can be no ``theory of everything,'' at least not in mathematics. Maybe in physics! Wenn Theorien schon ihren konstruktiven Bezug auf die Alltagspraxis verlieren, sollten sie wenigstens die Laborpraxis im Auge behalten. Darum hatten sich Bohr und Heisenberg bemüht, darüber allerdings den realistischen Blick auf das Universum verloren. Für Einstein war die Quantenmechanik deshalb unvollständig. Aber hatte er sich mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie nicht viel zu weit ins Unermessliche möglicher Universen verflüchtigt? Gödel konstruierte im Rahmen der Einsteinschen Theorie ein Universum, das Zeitschleifen zulässt und damit Zeitreisen ermöglicht. Was hatte diese Zeit noch mit unserer Intuition zu tun? Auch Einstein hielt die Zeit für eine Illusion, da seine Gravitationstheorie gerade invariant bezüglich beliebiger kontinuierlicher Raumzeit-Transformationen sein sollte. Seinem Anspruch auf Objektivierung der physikalischen Größen tat das aber keinen Abbruch. Gödel dagegen hielt 1949 in seiner remark about the relationship between relativity theory and idealistic philosophy die Zeit nur noch für etwas rein Ideelles und damit der Wahrheit gleich, die sich nicht auf formale Beweisbarkeit reduzieren lasse. Im Gegensatz zu dem ungläubigen Realisten Einstein war Gödel gläubiger Idealist, der nicht vom Alltagserleben ausging, sondern die Wirklichkeit lediglich als schwachen Abglanz der Ideen ansah; ganz so wie Plato in seinem Höhlengleichnis. Aus dem mathematischen Paradies eines Ideenhimmels idealer Formen lassen sich Mathematiker nicht so leicht vertreiben.

In Logik und Mathematik grassiert seit Hilbert der Formalismus; ein Konstruktivismus wird nur von Minderheiten verfolgt. In Kunst und Technik ist es umgekehrt, wenngleich sich auch Filmkünstler wie die Coens oder Computerwissenschaftler wie Chaitin in Filmspielen oder Computersimulationen mit dem Ausloten der Sagbarkeit oder Berechenbarkeit beschäftigen können. Mit dem 1899 von Elster und Geitel formulierten Zerfallsgesetzt der Radioaktivität hielt der objektive Zufall Einzug in die Physik. Ebenfalls um die Jahrhundertwende wandelte Planck die Statistik der angeregten atomaren Oszillatoren in den erwärmten Hohlraumwänden zur Erzeugung der Schwarzkörperstrahlung so ab, dass er das erstmals genau gemessene Strahlungsgesetz erklären konnte. Neben den äußeren thermischen Schwankungen hatte er zudem innere Quanten-Fluktuationen der Atome anzunehmen. Die genaueren Zusammenhänge dieser Entdeckungen sind im klassischen Lehrbuch Westphals zu finden. Eine weitere Quelle des Zufalls zeigte 1908 Poincaré auf, indem er bemerkte, dass kleinste Änderungen in den Anfangsbedingungen nichtlinearer dynamischer Systeme mit der Zeit nahezu beliebige Abweichungen zur Folge haben können. Dieses ,,deterministische Chaos`` hat mit der lange bekannten Turbulenz einen dritten Forschungsbereich neben Thermodynamik und Quantenmechanik in die statistische Physik integriert, der auch die kritischen Phänomene unterfallen, denen Boris mit string- und feldtheoretischen Methoden beizukommen versuchte. Eine Einführung in die Theorie nichtlinearer Systeme kann Argyrissens Erforschung des Chaos entnommen werden. Atomares und kosmisches Naturgeschehen überschneiden sich nicht nur in den vielfältigen kritischen Phänomenen der irdischen Biosphäre, sondern ebenso im Alltagshandeln der Menschen, lassen es immer wieder aus dem Ruder laufen oder sich auf ein gemeinsames Glück hin entwickeln. Woody Allen und die Coen-Brüder ebenso wie Ian McEwan und Dietmar Dath verstehen es in besonderer Weise, diesen diffusen Kontext kunstvoll aufzubereiten. Und da meldet sich auch schon die Künstlerin Johanna, die wohl niemanden sonst erreicht hat: Hey, Paul, entschuldige, aber deine Arbeit kann jetzt warten, echt, ich muß das wem erzählen, ... daß man nur lange genug nichts für die Karriere tun muß, einfach gar nicht, als Künstlerin, ... denn rate mal, wer jetzt plötzlich aus dem Nichts in Berlin eine Einzelausstellung machen soll, weil das dieser Regina Sroh aus Jerusalem so in den Kopf kommt, genau, ich nämlich, weil ich nämlich mit der Frau seit Israel in mehr oder weniger regelmäßigem Mail-Verkehr stehe ... und ihr die Sachen fotografiert oder gescannt habe und geschickt, einfach so, regelmäßig, dieses Projekt über Nicole und dich - das Video, auf dem du nicht auftauchen wolltest, das ganze Diorama, die Supertramp-Musik, die Texte, das magnetische Feld ums Glück, das die Zerstörung anzieht, dieser Komplex, weißt du, mein Konkurrenzding zu Davids Buch ist es ja auch, natürlich, ich meine, ihr kommt da ja vor, und ich selber, ... die will wirklich das Projekt als ein Werk, ein zusammenhängendes Ding behandeln ...

Im Gegensatz zum Kunstprojekt ist der Kosmos kein Werk, kann aber als zusammenhängendes Ding behandelt werden, trotz aller Zufälligkeit, die natürlich jedem planvollen Kunstwerk abgeht. Der Zufallswirklichkeit des Mathematikers Chaitin entspricht der stochastische Holismus des Physikers Sidharth. Der knüpft in seinem Chaotic Universe auch an Dirac an, wenn er from the Planck to the Hubble scale voranschreitet. Wird das Universum dabei als statistisches Ensemble von N Teilchen aufgefaßt, bleibt es lediglich bis zu einer endlichen Länge l bestimmbar, wenn R die Ausdehnung des betrachteten Systems bezeichnet: l = R / Wurzel(N). Da die Teilchenfluktuationen aus dem Nullpunktsfeld eine Massen- bzw. Energiefluktuation zur Folge haben, lässt sich aus den makroskopischen Größen des Weltalls das mikroskopische Wirkungsquantum abschätzen zu:

\begin{displaymath}\hbar \approx (\Delta m c^2) T = {{G \sqrt{N} m^2 T} \over R} = {{G \sqrt{N} m^2} \over c} \end{displaymath}

h bar bezeichnet h / (2 pi), m die Protonenmasse, c die Lichtgeschwindigkeit und T das Weltalter. Indem Sidharth die Elementarteilchen als Quantum Mechanical Black Holes behandelt, knüpft er an Einstein und Dirac an. Seine Verbindung von Gravitations- und Teilchentheorie bringt im Rahmen der statistischen Physik Kosmologie und Atomismus zusammen. Bekanntlich endet die Gültigkeit der Einsteinschen Theorie an den Ereignishorizonten schwarzer Löcher. Nun sind Singularitäten der ,,Raumzeitmaterie`` nicht nur als galaktische Gravitationszentren, sondern auch als kleinste Elementarteilchen deutbar. Bei einem schwarzen Loch der Planckmasse M von rund 10 hoch (-8) kg hätte die Compton-Wellenlänge gerade die Größenordnung seines Ereignishorizontes und läge damit genau im Bereich der Plancklänge von L etwa 10 hoch (-35) m.

\begin{displaymath}L = {{G M} \over {c^2}} \approx {{\hbar } \over {M c}} \approx 10^{-35} m \end{displaymath}

Im Bereich der Planckmasse ist die Energiedichte eines Quantum Mechanical Black Hole's so groß, dass sich Gravitationskollaps und Strahlungsdruck die Waage halten. Ein zur Nukleonengröße von etwa 10 hoch (-15) m expandiertes schwarzes Loch hätte bereits die Masse eines ganzen Berges von rund 10 hoch 12 kg. Und seine Dichte wäre auf ca.  10 hoch 56 kg / Kubikmeter abgefallen. Damit dominierte die Gravitation das Universum nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen.

Der Ereignishorizont innerhalb des Universums beschränkt unsere Sicht auf einen kleinen Ausschnitt, in dem sich wiederum unzählige schwarze Löcher befinden, an die wir ebenfalls nur bis zu ihrem jeweiligen Ereignishorizont heranzureichen vermögen. Diese bloß ausschnittsweise Erfahrbarkeit unseres Universums wird noch verfielfacht durch den Untergrund der Dunklen Materie und Dunklen Energie, aus der das Universum zu 95% bestehen soll. Darüber hinaus vermögen Theoretiker in die Zeit vor dem ,,Urknall`` zurückzurechnen und unsere Welt gleichsam eingebettet als ,,Membran`` in einer höheren Dimension aufzufassen. Die Ahnungen unseres Unwissens übersteigen also in phantastisch riesenhaften Ausmaßen die winzig kleinen Bereiche unseres Wissens. Kein Wunder, dass es sich zumeist als völlig zufällig erweist und nur äußerst selten bewiesen werden kann. Anstatt sich weiterhin rückwärtsgewandt an die einfältigen Mythen und Legenden in den Religionen zu halten, wäre ein wenig Ehrfurcht der Menschen vor einem Wissen, das stimmt, wünschenswert und zudem mehr Begeisterung im Ausblick auf die faszinierende Science Fiction angemessen, sich in die astronomisch weiten Welten unseres Unwissens hineinzudenken. Der Phyiker Karl Svozil hat dazu die Untersuchungen der Mathematiker zur Zufälligkeit und Unentscheidbarkeit auf die Physik erweitert. Mit Bezug auf die Romanfiguren Dietmar Dath's verschmelzen gleichsam der Informatiker Paul und der Physiker Paul. Einleitend stellt Karl ein Motiv seines Buches besonders heraus: The recognition that what is often referred to ``randomness'' in physics might actually be a signature of undecidability for systems whose evolution is computable on a step-by-step basis. Die von Bohr und Heisenberg an der Quantenmechanik immer wieder hervorgehobene ,,Komplementarität`` zwischen Wellen- und Teilchenphysik ist auch in der Informatik anzutreffen; denn complementarity is a feature which can be modelled by experiments on certain finite automata. Letztlich ist es die ,,Innensicht``, die wir stets nur haben können und uns auf eine Selbstbezüglichkeit einschränkt, sei es das Bewusstsein im Selbsterleben unseres Gehirns oder die Biosphäre als Lebensäußerung der Erde in der Milchstraße: The recognition of the importance of intrinsic perception, of a ``view from within,'' might be considered as a key observation towards a better understanding of undecidability and complementarity.

Inkonsistente Selbstbezüglichkeit hebt sich selber auf, weist über sich hinaus: wie das magnetische Feld ums Glück, das die Zerstörung anzieht. In der Technik erzeugen die bipolaren Magnete selbst das Feld, an dem sie sich ausrichten. Und schon so einfache Systeme wie magnetische Mehrfachpendel, zeigen völlig chaotische Bewegungsformen. Ist es so auch beim Glück zusammenlebender Menschen? Das Weihnachtsfest feiern die Freunde bei Paul und Nicole. Christof ist seit drei Tagen tot, noch nicht beerdigt. Man redet nicht über ihn, man hat jetzt drei Tage über ihn geredet, man hat es satt. Der befreundete Psychiater hatte Nicole behandelt, in ihrem Asperger-Syndrom aber eher eine Psychose vermutet. Oder war es umgekehrt und Nicole half dem Arzt - womöglich bis in den Tod? Hatte nicht die Frau von der Küste ihr gesagt: Du mußt entscheiden, wer sterben soll? Entscheidbarkeit hat Komplementarität zur Folge. Wie sollte Nicole sich entscheiden? Paul oder Christof? Und David? Der Autor für den Autor ist ja nur das Leben in einem Leben, hat nur die Innensicht in der Innensicht und - mit Johanna gesprochen, die sich gerade bei Paul aufhält: ,,David gibt seine Dirac-Schwarte auf. Hab' vorhin mit ihm telefoniert - er klingt nicht einmal zermürbt oder so, eher optimistisch, als ob er froh ist über die Entscheidung. ... Das Literarische ist insgesamt ein Irrweg, sagt er - jedenfalls dann, wenn man, ich zitiere, nur aus dem schlechten Allgemeinen und dem geklauten Leben anderer Leute die Stoffe holt. Er plant jetzt, sich endlich dreinzufinden in die Rolle als äh Journalist,- will weitere Bücher schreiben, aber halt journalistische statt dichterische. ... `` Romanessays statt Romane? Wie macht man Literatur aus Physik?, fragt sich Dietmar im Nachwort seines Romanessays und antwortet sogleich: Am besten man läßt es bleiben; hier wurde es nirgends versucht. Denn Physik und Literatur sind nicht einfach zwei Sprachen, aus denen man in die je andere übersetzen könnte, sondern zwei Arten der Welterschließung, ... Diracs Wissenschaft ist in diesem Buch daher genau wie Nicoles angeblicher Irrsinn einfach das Medium, in dem diese beiden Menschen ihre jeweilige Haltung zu dem Problem der Wahrheitsfindung in kapitalistischen Gesellschaften verwirklichen. Ich möchte diese beiden Haltungen beschreiben und ehren; sie scheinen mir anständiger und fruchtbarer als die sogenannte Normalität. Mehr, als zu diesem Zweck erforderlich ist, zeige ich vom Irrsinn und von der Physik nicht. Paul Dirac sah die Welt genauer als sie ist. Neben den bekannten Elektronenzuständen berechnete er auch noch solche mit negativer Energie. Jenseits des realen Meeres gibt es einen imaginären See. Die ganze Welt besteht aus Materie und Antimaterie, zu den Elektronen kommen noch die Positronen. Fast so selten wie die Antiteilchen sind die Ausnahmemenschen mit Asperger-Syndrom, die Genies und Wahnsinnigen. Ihnen ist es zuweilen möglich, in den Dirac-See einzutauchen. Was dem Künstler die Muse, ist dem Wissenschaftler die Frau von der Küste. Wer sie im Traum erlebt oder zu treffen vermag, dem erscheint das ganze Bild. Ein Genie wie Boris Yellnikoff sieht nicht nur die vierte Wand, ihm erschließt sich sogar die fünfte Dimension - als Quelle der Gravitation. Aber warum ist die Gravitaion so klein im Vergleich mit der starken Kernkraft? Wie die aus atomaren und kosmischen Naturkonstanten gebildeten Zahlenverhältnisse zeigen, ist sie um 40 Größenordnungen kleiner!? Um das zu verstehen, hat sich die Physikerin Lisa Randall in die 5-dimensionale Braneworld der Stringtheorie begeben. Dabei reichen die Visionen von den hochdimensionalen Räumen schon über 150 Jahre zurück.

Das mathematische Genie Karl Friedrich Gauß hatte bereits 1828 in seinen Disquisitiones generales circa superficies curvas mit seiner Flächentheorie die Differentialgeometrie begründet und den Horizont auf eine nichteuklidische Geometrie beliebiger Dimension erweitert. Wie Mainzer in seiner Geschichte der Geometrie hinzufügt, verallgemeinerte Bernhard Riemann den Ansatz seines Lehrers 1854 zu einer allgemeinen Theorie n-dimensionaler differenzierbarer Mannigfaltigkeiten. Anlässlich seiner Berufung an die Preußische Akademie der Wissenschaften hielt Albert Einstein am 2. Juli 1914 in Berlin seine Antrittsrede. Darin hob er besonders die Arbeitsweise des theoretischen Physikers hervor: Die Methode des Theoretikers bringt es mit sich, daß er als Fundament allgemeine Voraussetzungen, sogenannte Prinzipe, benutzt, aus denen er Folgerungen deduzieren kann. Dieses Vorgehen hatte den faszinierenden Entwurf seiner Allgemeinen Relativitätstheorie gezeitigt, in der die physikalische Gravitation mit der Geometrie einer 4-dimensionalen differenzierbaren Mannigfaltigkeit verwoben worden war. Der Akademiepräsident Max Planck merkte darauf mit nicht ganz verstohlener Ironie an, dass Einsteins eigentliche Liebe derjenigen Arbeitsrichtung gehört, in der sich die Persönlichkeit am freiesten entfaltet. Freilich droht dabei am ehesten die Gefahr, sich gelegentlich in allzu dunkle Gebiete zu verlieren. Eine empirische Bestätigung der hochabstrakten Gravitationstheorie stand noch aus und so fasste Einstein im gleichen Jahr 1914 Die formale Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie für die Akademie zusammen. Was für Dirac die Frau von der Küste gewesen sein könnte, war für Newton der Apfel aus dem Garten und für Einstein - der Mann vom Dach. Einem Dacharbeiter hatte der Physiker seinerzeit beim Blick aus dem Fenster im Berner Patentamt zugeschaut und sich dabei vorgestellt, was wohl passiere, wenn der Mann vom Dach fiele. Im freien Fall wäre es ihm nicht möglich zwischen Trägheit und Schwere zu unterscheiden. Eine Theorie, die das nicht in natürlicher Weise verständlich machte, stand noch aus - und so begab er sich an die Arbeit. Ein Genie sieht halt mehr als seine Zeigenossen und problematisiert auch noch das Selbstverständliche. In der Folge erschienen trotz der widrigen Umstände während des 1. Weltkrieges mehrere weitergehende Untersuchungen zur Einsteinschen Theorie. Vorschläge zur Erweiterung um eine 5. Dimension ließen nicht lange auf sich warten. 1927 ging Einstein in den Sitzungsberichten besonders auf die Arbeiten Kaluzas und Kleins ein: Seit der Aufstellung der allgemeinen Relativitätstheorie waren die Theoretiker unablässig bemüht, die Gesetze der Gravitation und Elektrizität unter einen einheitlichen Gesichtspunkt zu bringen. Weyl und Eddington haben dies Ziel durch eine Verallgemeinerung der Riemannschen Geometrie unter Benutzung eines allgemeinen Ansatzes für die Parallelverschiebung der Vektoren zu erreichen gesucht. Kaluza dagegen ist grundsätzlich anders vorgegangen. Er bleibt bei der Riemannschen Metrik, bedient sich aber eines Kontinuums von fünf Dimensionen, das er durch die ,,Zylinderbedingung`` gewissermaßen zu einem Kontinuum von vier Dimensionen reduziert. Im Gegensatz zu den Arbeiten von Weyl und Eddington kommt Einstein hinsichtlich der Arbeiten Kaluzas und Kleins zu einem ausnehmend positiven Urteil: Zusammenfassend kann man sagen, daß Kaluzas Gedanke im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie eine rationelle Begründung der Maxwellschen elektromagnetischen Gleichungen liefert und diese mit den Gravitationsgleichungen zu einem formalen Ganzen vereinigt.

Parallel zur Erweiterung der Gravitationstheorie um eine 5. Dimension wurde die Elektronentheorie um Antiteilchen bereichert. Kosmologie und Atomismus hatten noch nicht zusammengefunden. Aufgrund der unablässigen Propaganda der Kopenhagener Schule für die mit der Quantenmechanik angeblich einhergehende Revolutionierung der Klassischen Physik, nahm das Interesse für die Relativitätstheorie bei den talentierten jungen Nachwuchsforschern zunehmend ab. Fortan stand die Moderne Physik hoch im Kurs. Dieser Trend verstärkte sich wesentlich, als nach dem 2. Weltkrieg die in den Teilchenbeschleunigern erreichten Energien immer mehr exotische Teilchen messbar machten und in der Folge die schwachen radioaktiven Kräfte mit den elektromagnetischen und starken Kernkräften in einem Standardmodell vereinigt werden konnten. Diese bahnbrechende Vereinigung der drei atomaren Wechselwirkungen erfolgte aber ausschließlich in der flachen Minkowskischen Raumzeit der speziellen Relativitätstheorie. Die Gravitation in der gekrümmten Riemannschen Raumzeit der allgemeinen Relativitätstheorie blieb außen vor. Umso begeisterter waren die Teilchentheoretiker dann, als die aus ihren Modellen entwickelten Stringtheorien auch solche Anregungen zeitigten, die als Gravitonen gedeutet werden konnten, ohne sich die Komplikationen durch die Riemannsche Geometrie einzuhandeln. Unterdessen ist aus der Stringtheorie eine Braneworld hervorgegangen, für die Lisa Randall einen Mechanismus entwickelt hat, der es verständlich macht, warum die Gravitation im Vergleich zum Elektromagnetismus um rund 38 Größenordnungen kleiner ist. In ihrem Buch Warped Passages erzählt sie von dem Weg dorthin, der Ende der 1990er Jahre mit der Frage begann: ``What if there were a higher-dimensional universe in which the particles and forces we know about don't travel in all dimensions, but are confined to fewer dimensions on a lower-dimensional brane?'' Im Gegensatz zu den speziellen atomaren Kräften, erstreckt sich die universale Gravitation über alle branes. We therefore assumed that Standard Model particles were confined to one brane, and that the particles responsible for supersymmetry breaking were sequestered on another. Die Wechselwirkungen zwischen den branes vermitteln nun Teilchen, die Randall im Anschluss an Kaluza und Klein KK particles nennt. Sie haben die interessante Eigenschaft, dass ihre Masse mit der Größe der Zusatz-Dimension abnimmt. Large dimensions and a brane could therefore conceivable explain why gravity is so much feebler than the other forces. Für die 5. Dimension, in die die 4-dimensionalen branes eingebettet sind, kann nun eine speziell gekrümmte Geometrie angenommen werden, die Randall warped geometry nennt. Und one of the amazing consequences of warped geometry is that size, mass, and even time depend on position along the fifth dimension. Dadurch kann die Gravitation in ihrer Wirkung von der Gravitybrane auf die Weakbrane, in der wir leben, um die vielen Größenordnungen kleiner sein. Sind wir damit der großen Vereinheitlichung aller Wechselwirkungen ein Stück näher gekommen? All forces, including gravity, might be unified at hight energies in the warped geometry we're considering! Randall beschließt ihr Buch mit der gespannten Erwartung darauf, ob die Niederenergie-Abschätzungen ihrer Braneworld Theory womöglich in den gerade laufenden Experimenten am CERN zutage treten könnten. Es wäre überaus faszinierend, wenn tatsächlich Hinweise auf die Existenz von KK particles gefunden werden sollten, die der 5. Dimension entstammten.

Yellnikoff hatte in seiner Vorlesung zu Ehren Oskar Kleins die String theory as a universal language behandelt: String theory is a beautiful and dangerous subject. On one hand it is a top achievement of theoretical physics exploiting the most advanced and daring methods. On the other - without a guidance from the experiment it can easily degenerate into a collection of baroque curiosities, some kind of modern alchemy looking for philosopher's stone. This danger can be somewhat reduced if we try to study string theory in connection with some concrete physical problem and then extrapolate the gained experience to the Planck domain unreachable by experiments. This is a well established strategy in theoretical physics. For example one can learn about the Cherenkov radiation while studying supersonic aerodynamics. Wie der Überschallknall so die Überlichtfarbe ... And usually there is the ``back-reaction'': the technical progress at the frontier turns out to be helpful in solving the old problems. Thus, it is conceivable that string theory will provide us with the language for the future theoretical physics. In this lecture I will examine a number of problems in which the language of string theory is appropriate and effective. We begin with the problem of quark confinement. The task here is to find the string description of the color-electric flux lines emerging in QCD. Recently there has been a considerable progress in this field. Die Nichtisolierbarkeit der quarks ist nach wie vor ein Problem beim Verständnis der starken Kernkraft in der Quanten-Chromodynamik QCD, dem Analogon zur Quanten-Elektrodynamik QED im Standardmodell. Als Wechselspiel von Confinement and Liberation beschreibt Yellnikoff 2004 auch seinen eigenen 40jährigen Weg von der Festkörperphysik in die Stringtheorie: This is a review of topics which haunted me for the last 40 years, starting with spontaneous symmetry breaking and ending with gauge/string/space-time correspondence. ... My first encounter with it happened in 1964 when Sasha Migdal and myself (undergraduates at that time) rediscovered the Higgs mechanism. The idea of this work was given to us by the remarkable condensed matter physicist, Anatoly Larkin. He said that in superconductors there are no massless modes, presumably because of the Coulomb interaction, and advised us to apply this to particle physics with gauge fields. Der von Higgs 1964 in der Festkörperphysik zum besseren Verständnis der Supraleitung formulierte Mechanismus ist 1967 auf die Teilchenphysik übertragen worden. Um den Symmetriebruch der elektroschwachen Wechselwirkung zu beschreiben, der ihren W- und Z-Bosonen als den Austauschteilchen zwischen Materie- und Eichfeld die Massen verleiht, wird also ein universeller Quantenuntergrund angenommen, wie er sich in supraleitenden Festkörpern gezeigt hat. Damit basieren die kritischen Phänomene der Festkörperphysik nicht nur die Stringtheorie, sondern auch die Teilchenphysik. Anlässlich der Entdeckung des kritischen Phänomens der Supraleitung vor 100 Jahren werde ich darauf zurück kommen. Im Gegensatz zu den W/Z-Bosonen ist das Higgs-Boson des Standard-Modells bisher nicht gefunden worden und die Physiker weltweit warten gespannt auf die Ergebnisse der Experimente, die gerade am LHC im CERN durchgeführt werden.

Boris Yellnikoff hatte der Physik schon als Student originelle Anregungen zu geben vermocht, den Nobelpreis später aber knapp verfehlt. War das vielleicht nicht sogar besser so? Michael Beard hatte ihn bekommen, aber: Dieses Gefühl geistigen Erstickens angesichts militanter Blödheit, er kannte es nur zu gut. Weltumspannende Dummheit war mittlerweile sein Geschäft. Aus dem genialen Physiker war ein schnöder Geschäftsmann geworden! Wie hatte es dazu kommen können? Ian McEwan erzählt das tragi-komische Schicksal eines fallenden Genies in drei Teilen, die sich über die Jahre 2000, 2005 und 2009 erstrecken. Angefangen hatte es 1972, als der Jungforscher eine subtile, und daher bislang übersehene, Symmetrie in der Quanten-Elektrodynamik entdeckte. McEwan zitiert aus der Laudatio anlässlich der Nobelpreis-Verleihung: Beards Theorem hat gezeigt, dass die bei der Interaktion von Strahlung und Materie stattfindenden Ereignisse sich kohärent über im Vergleich zur Größe von Atomen sehr großen Entfernungen fortpflanzen; darüber hinaus gleicht die Art ihrer Fortpflanzung den Flussdiagrammen komplexer Systeme. Dabei wird der topologische Kern von Michael Beards Idee sichtbar ... im Handeln der Gruppe (der speziellen Lie-Gruppe E8, einer der sperrigen Bewohner von Platos Reich), das die komplexen Interaktionen zwichen Licht und Materie entwirrt und choreographiert und in eine Folge logischer Schritte auflöst. Wenn sich daraus nicht eine technische Verwertung für den Einstieg ins Sonnenzeitalter machen ließe. Schließlich basierte der LASER auch auf Kohärenz und war zu einem Milliardenmarkt geworden. Zudem war es im Labor bereits gelungen, LASER-induzert die Kernfusion zu zünden, wie sie seit Milliarden von Jahren bereits in unserem zentralen Sonnenkraftwerk abläuft. Des Professors Firmen-Mitarbeiter Tom Aldous war 2000 optimistisch und drängte seinen Chef zur Tat: Sonnenenergie - künstliche Photosynthese der Spitzenklasse -, dazu müsste nanotechnologische Grundlagenforschung betrieben werden. ... Das könnte unsere Chance sein! Der Nobelpreisträger blieb skeptisch und richtete sein Interesse zunächst auf die Windenergie, um eine für Windturbinenschaufeln unter turbulenten Bedingungen optimale Form entwickeln zu lassen. Tom ließ sich aber nicht entmutigen. Er arbeitete einen Entwurf aus zur nanotechnologisch basierten Quantenkohärenz in der Photosynthese. Davon hatte auch schon der Teufel im Kreis der Hexen von Eastwick geträumt, realisieren konnte es bisher allerdings keiner. Nun beschäftigte sich der ungestüme und attaktrive Jungforscher leider nicht nur mit Beard's Theorem, sondern auch gleich noch mit Beard's Ehefrau. Das zog eine Folge von Verwicklungen nach sich, in deren Verlauf ein weiterer Liebhaber der Frau in Erscheinung trat und der vielversprechende Jungforscher zu Tode kam. Zum Glück hinterließ er dem Professor seine Aufzeichnungen: Verquastes Zeug, organische und anorganische Chemie, vermengt mit ein paar Bemerkungen zur Quanteninformation und einige obskuren Unterabteilungen des Beard'schen Theorems. Das Ganze bewegte sich auf eine theoretische Beschreibung des Energieaustauschs bei der Photosynthese zu. Einige Konstruktionsskizzen hatte Aldous ebenfalls angefertigt. Wenn das nicht aussichtsreich sein sollte ...

2005 war Beard endlich klar geworden, dass sein Assistent Recht gehabt hatte und der Nobelpreisträger schickte sich an, mit dem Gewicht seiner Auszeichnung, bei Investoren um Geld zu werben: Die Grenzen des Wachstums sind erreicht. Die Fakten sind bekannt. Sie haben die Wahl - das Projekt Mensch braucht sichere und saubere Energie, oder es wird scheitern. Entweder zeigen Sie, der Markt, sich der Lage gewachsen und werden auch noch reich dabei, oder Sie gehen zusammen mit allen anderen unter. Wir sitzen alle im selben Boot, es gibt kein Entkommen ... So ähnlich hatte es bereits 1972 geklungen, unterdessen war aber die Weltbevölkerung von knapp 3,5 auf über 7 Milliarden angewachsen und noch im 21. Jahrhundert würden die weltweiten Ölvorräte auf ewig verpulvert worden sein. Ganz zu schweigen vom Wegschmelzen des gesamten Arktiseises bis 2050. Beard war fast nur noch auf Achse und wenn er dieser Tage allein war, las er, trank er, aß er, saß am Telefon, vor dem Internet oder vorm Fernseher, reiste zu Tagungen - oder er schlief. Er war auf niemand angewiesen, war sich selbst genug, sein Kopf ein Tummelplatz für Gelüste und Träumereien. Wie viele kluge Männer, denen Objektivität über alles geht, war er im Grunde seines Herzens Solipsist, und tief in seinem Herzen saß ein Klümpchen Eis,- das nur eine Frau zu schmelzen vermochte. 2009 war es dann endlich soweit, das Projekt konnte realisert werden - in der Chihuahuawüste nahe der mexikanischen Grenze, wo die Sonne sengte, die Cola kochte und die Leiber rot brannten. Genau dort sollte das Sonnenlicht mit hoher Konversionsrate das Wasser in seine Bestandteile zerlegen. Der Professor hielt die Einweihungsrede der Anlage: Das Team habe Wunder vollbracht, schmeichelte Beard seinen Zuhörern; was zunächst nur ein Traum gewesen sei, dann ein Wust hektischer Berechnungen, dann eine langwierige Testphase im Labor und schließlich eine Reihe von Konstruktionszeichnungen, sei nun hier in der Wüste zur technischen Realität geworden. ... Doch wie großartig ihr Forschungs- und Enwicklungsprojekt auch sei, es blicke auf eine lange Vorgeschichte zurück. 1789 habe man zum ersten Mal Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt, 1839 zum ersten Mal das Prinzip der Brennstoffzelle diskutiert. Unzählige Biologen und Physiker hätten sich der Erforschung der Photosynthese gewidmet. Einsteins Photovoltaik und die Quantenmechanik hätten ebenso ihren Beitrag geleistet wie die Chemie, die Materialwissenschaften, die Proteinsynthese. ... Ja, es gebe noch einen größeren historischen Zusammenhang. Jeder hier wisse, dass im umfassendsten Projekt überhaupt, in jenem seit Milliarden Jahren laufenden Prozess der Umwandlung von Licht und der Spaltung von Wasser durch die Pflanzen bei ihrer Selbstversorgung die Erdatmosphäre mit Sauerstoff angereichert worden sei - dies sei der Motor der Evolution. Von diesem Prozess hätten sie sich inspirieren lassen, ihn nachzuahmen versucht. Aber in der Natur gibt es keine Moral und ein Mensch gilt nicht mehr als ein Photon. Auf dem Höhepunkt des Erfolgs holt seine dunkle Vergangenheit den Physiker ein - und er fällt so tief wie er sich hoch gearbeitet hatte.

Michael Beard erblickt am Ende nicht nur ein malignes Melanom auf seiner Haut, zudem setzen smarte Patentanwälte ihm nach und ein rachsüchtiger Exliebhaber einer seiner Frauen lauert ihm auf. Lawrence Gopnik geht es da am Schluss kaum besser, erwartet er doch im Angesicht eines herannahenden Tornados von seinem Arzt - das Todesurteil. Insofern kann man Solar und A Serious Man als schwarze Komödien ansehen, die mit den Mitteln der literarischen Satire und der filmischen Ironie das Scheitern von Kopfmenschen in gefühligen Milieus inszenieren. Da ergeht es Dirac und Nicole ebenso wie Boris Yellnikoff wesentlich besser. Weil es die Frauen sind, die ihre hochfliegenden Ideen im Lebensalltag erden? Die Mädchen vom Pool, Violetta im Rollstuhl und die Frau von der Küste wie auch die Ausreißerin aus dem Süden und die New Yorker Hellseherin vermitteln den strauchelnden Genies genau das rechte Maß an Lebensklugheit, mit der sie in gefühligen Milieus bestehen können. Nun hat allerdings Woody Allen die Wahrsagerin in seinen Filmen Helena und die femme fatale sogar Maria Elena genannt. Gab die antike Helena nicht Anlass zur Zerstörung Trojas? Sie war aber die Schönste, die Hellseherin war Cassandra,- der man allerdings nicht glaubte. Weil sie hässlich war oder die Götter sie verflucht hatten? Die schöne und intelligente Stringtheoretikerin Lisa Randall hat die Existenz von KK-Teilchen vorhergesagt. Ist sie damit auch eine ,,Wahrsagerin``? Stringtheorie can easily degenerate into a collection of baroque curiosities, some kind of modern alchemy looking for philosopher's stone, hatte Boris in seiner Klein lecture zu bedenken gegeben und die Stringtheorie eher als universale Sprache denn als physikalische Theorie angesehen. Okkultisten meinen die Stimmen von ,,Geistern`` zu hören oder sich auf ,,Seelenwanderung`` begeben zu können. Das sind natürlich nur belanglose Hirngespinste, aber es gibt noch heute viele Menschen, die sich von selbsternannten ,,Hellsehern`` das Geld aus der Tasche ziehen lassen. Schon Kepler verdiente sich sein Geld mit Horoskopen, für seine physikalischen Gesetze interessierte sich kaum jemand. Sollte sich das bis heute etwa nicht geändert haben? Woody Allen und die Coen-Brüder parodieren in ihren Filmen gerne Okkultismus und Religion. Aber Künstler und Wissenschaftler sind die regelbestätigenden Ausnahmen dafür, dass die Menschen in den USA wie in Deutschland mehrheitlich noch gläubig-religiös (faith) sind. Warum nur sind sie nicht kosmisch-religiös und glauben (believe) nicht an die im Seienden verkörperte Wahrheit und Schönheit oder an die - Braneworld? Kosmische Religiösität erlangt man beim kreativen Studieren der Naturwissenschaften oder im Schaffensprozess von Kunstwerken. Nun sind Genies äußerst selten und die ,,Kreativwirtschaft`` heißt bloß so. Umgangssprachliches Palavern und nächtliche Traumbilder stellen sich ganz von alleine ein. Ein Studium der Sprachphilosophie oder Mathematik, der Filmkunst oder Musik ist dafür nicht erforderlich. Die Menschen sind halt faul, ängstlich und gierig, wie der Archäologe und Historiker Ian Morris nicht müde wird zu wiederholen. Und Woody Allen lässt Gabe in Husbands and Wives bekennen, dass chronische Unzufriedenheit und spießiger Stumpfsinn den Lebensalltag der meisten Menschen bestimmten. Ihre Trägheit und Angst überwinden unsere Artgenossen danach nur durch die triebhafte Gier nach Lustgewinn und Schmerzvermeidung: Sex and Drugs and Rock'n'Roll? So ähnlich sieht es auch Melody: As cruel as life is, I miss participating in the world. And I even miss people, even the inchworms and the cretins, because I don't really think they're bad, I think they're just scared. Die Menschen sind wie sie sind, eigentlich weder schlecht noch gut, häufig bloß frustriert oder verletzt.

Das Lust- und Hochgefühl vermittelnde Belohnungssystem im Hirn beschränkt sich nicht auf die Vermeidung von Schmerz, es ist universell: auch das Weltverstehen und Problemlösen kann Spaß machen. Bevor sie ihren großen, dunklen Fremden getroffen haben, bereitet es alten Menschen wie Helena viel Freude und Vergnügen, sich vorzustellen, einmal wiedergeboren zu werden oder bereits gelebt zu haben. Was das heißen und wie das möglich sein soll, interessiert sie nicht. Bei ihr helfen Illusionen ähnlich über Depressionen hinweg wie Medikamente. Womöglich ist es uns sogar eingeboren, ständig zu phantasieren, Wunschvorstellungen zu hegen und uns Träumen hinzugeben. Anders ist die Lebenswirklichkeit wohl gar nicht zu ertragen, zumal die rohe Natur zur Zeit der Herausbildung unseres Gehirns ziemlich bedrohlich und angsteinflößend gewesen sein muss. Das wirkt bis heute nach. Dabei sind die Übergänge zwischen Träumereien, Phantasien, Wunschvorstellungen, Inspirationen und Gedankenketten fließend. Roy wäre vielleicht ein guter Arzt geworden, Essayist oder Wissenschaftsjournalist,- zum Romancier oder Künstler taugt er nicht. Schreibtalent ist angeboren, ebenso wie das Asperger-Syndrom auf der anderen Seite des Spektrums zwischen Phantasie und Verstand. Helena sieht nur die schlichten Bilder ihrer Wunschvorstellungen, Boris dagegen unsere Lebenswelt als Projektion einer faszinierenden, hochdimensionalen Braneworld. Damit Vorstellungen mehr als nur Hirngespinste sind, müssen sie überprüfbar gemacht werden und am Leben oder in der Natur scheitern können. Dazu ist Logik, Mathematik und Technik erforderlich. In der spirituellen Praxis bleibt die herbeiphantasierte ,,Energie`` einfaches Wunschdenken. In der physikalischen Praxis dagegen, können aus energiereichen Gammaquanten Elektronen-Positronen-Paare entstehen und wieder zu Energie annihilieren. Im Unterschied zu den alltäglichen Hirngespinsten, die die Menschen immer wieder weben, um sich bei Laune zu halten, sind die Positronen, das Higgs-Boson oder die Braneworlds sehr viel mehr als das. Geschult an der Mathematik und Physik seiner Zeit, erfand Dirac eine Elektronenwellen-Gleichung, indem er die spezielle Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik zusammenbrachte. Eine Überprüfung seines Existenzbeweises des Positrons war in zweifacher Weise möglich: formal-mathematisch und experimentell-physikalisch. Beim Higgs-Boson und den Braneworlds gibt es bisher nur formal-mathematische Existenzbeweise. Aber immerhin; das ist sehr viel mehr als bloßes Gerede über ,,Geisterstimmen``, ,,Seelenwanderung`` oder einen ,,Schöpfergott``. Dass viele Menschen solchem Gerede schon seit langer Zeit Wert beimessen, heißt natürlich nicht, dass es irgendwie bedeutsam oder sinnvoll wäre. Die Menschen reden viel, wenn der Tag lang ist, einfach weil sie sich langweilen. Schon Goethe ließ Faust darüber lästern: Der Mensch glaubt, wenn er nur Worte hört, dass sich dabei doch auch was denken lassen müsse. Und wie sieht es der Nihilist Basarow in Turgenjews Väter und Söhne? Man beweise mir einen Satz und alles ist gesagt. Das ist das Credo der metaphysischen Nihilisten (trotz Chaitin's Random Reality). Persönliche Erfahrung oder kollektive Zustimmung ist noch lange kein Beweis. Um das Beweisen zu lernen, unterziehe man sich der ärztlichen und juristischen ebenso wie der mathematischen und physikalischen Praxis!

In seinen transdisziplinären Reflexionen der Wissenschaft im 20. Jahrhundert hat der Methodische Kulturalist Dirk Hartmann Die philosophischen Grundlagen der Psychologie aus den Alltagspraxen heraus entwickelt. Das Buch kann im Anschluss an Lorenzens konstruktive Wissenschaftstheorie gelesen werden und rundet Einsteins Verständnis von Physik und Realität ab. Nach dem ,,Begreifen`` des Zusammenhangs zwischen den Sinneserlebnissen in der physikalischen Praxis geht es in der psychologischen Praxis um die Erinnerungsbilder, Vorstellungen und Gefühl. Terminologisch beginnt Hartmann mit der einfachen wie grundlegenden Unterscheidung zwischen Dingen und Geschehnissen. Von Weizsäcker fängt in seiner Rekonstruktion der Physik mit Unterscheidbarkeit und Zeitlichkeit noch eine Ebene tiefer an. Für die Psychologie setzt Hartmann seine Begriffspyramide im Anschluss an Lorenzen fort, indem er unter den Geschehnissen Regungen und Bewegungen voneinander abgrenzt und die Regungen wiederum in Verhalten und Handlungen unterteilt. Diese primitiven Termini führen bereits dazu, dass in den physikalischen und psychologischen Praxen nicht mehr naiv anthropozentrisch über tierisches Verhalten oder naturalistisch über menschliches Handeln gesprochen werden kann. In der Alltagssprache geht das meistens bunt durcheinander, obwohl anhand der Beispiele Steine, Pflanzen, Tiere, Menschen leicht vier Seinsebenen voneinander abgrenzbar sind. Dabei unterscheiden sich die Regungen der Lebewesen grundsätzlich von den Bewegungen der Steine. Und Tiere können natürlich nicht Handeln, sie verhalten sich bloß. Mit Blick auf die Unterscheidung psychologischer Praxen grenzt Hartmann weiter die psychiatrische-, pädagogische-, eignungsdiagnostische-, forensische-, arbeitsorganisatorische und die individuelle Konflicktlösungspraxis voneinander ab. In die eignungsdiagnostische Praxis zur Messung seines IQ's hatte sich Boris begeben und Nicole suchte wiederholt Christof's psychiatrische Praxis auf. Larry und Helena reichten die ärztlichen Praxen nicht. Der eine suchte sein Heil in den theologischen Praxen dreier Rabbis, während die andere ihr Glück in der esoterischen Praxis der Hellseherin fand (falls sie nicht lieber dem Alkohol zusprach). Frei von all diesen therapeutischen Anfechtungen bleibt Michael Beard. Vielleicht weil er bereits in seinem Theorem und später mit der Realisierung des Photosynthese-Kraftwerks die Grenzen zwischen Mechanismen und Organismen überwunden hatte? Aber verhielt es sich mit der künstlichen Photosynthese nicht ähnlich wie mit der künstlichen Intelligenz? Mit dem Photosynthetisieren ist das Pflanzenleben bei Weitem nicht erschöpft und Menschen können immer wieder die Grenzen der Berechenbarkeit sprengen. Makroskopische, kohärente Vielteilchen-Quantenzustände in Proteinstrukturen bilden die Basis der künstlichen Photosynthese bei Beard. Dabei war das Phänomen der Quantenkohärenz schon beim LASER, der Supraleitung und Suprafluidität erfolgreich umgesetzt worden. 1972 hatten Bardeen, Cooper und Schrieffer den Nobelpreis bekommen für ihre 1957 veröffentlichte Theorie der Supraleitung. Zuvor hatte Bardeen die Auszeichnung schon einmal anteilig erhalten: für die Erfindung des Transistors am 23. Dez. 1947 in den Bell Labs. McEwan knüpft passenderweise daran an, wenn er Beard's Beweis seines Theorems auf das Jahr 1972 verlegt. Zudem veröffentlichte Meadows im gleichen Jahr seine Computersimulationen zu den Grenzen des Wachstums. Die physikalische Basis der künstlichen Intelligenz wie der künstlichen Photosynthese ist die Festkörperphysik. In dieser auch Physik der kondensierten Materie genannten Disziplin zwischen Kosmologie und Atomismus zeigen sich die vielfältigsten kritischen Phänomene.

Die Festkörperphysik ist aus der Vielteilchenphysik hervorgegangen und wurde besonders durch die Tieftemperaturtechnik vorangetrieben. In Abhängigkeit äußerer Ordnungsparameter, wie z.B. Temperaturhöhe oder Magnetfeldstärke, wird dabei untersucht, wie sich beispielsweise die Wärme- oder Stromleitfähigkeit in verschiedenen Materialen ändert. Nachdem Ende des 19. Jahrhunderts Sauerstoff und Sickstoff und ab 1908 in Leiden sogar Helium verflüssigt werden konnte, zeigte sich, dass die Materialien bei Temperaturen in der Nähe des absoluten Nullpunkts ihre Eigenschaften zum Teil sprunghaft änderten. Damit traten bei tiefen Temperaturen ähnliche kritische Phänomene auf, wie sie zuvor nur bei Phasenübergängen infolge hoher Temperaturen bekannt waren. Planck hatte um 1900 zum Verständnis der Schwarzkörperstrahlung seine Quantenhypothese formuliert und aus der ersten ,,Quantisierung`` des atomaren harmonischen Oszillators 1912 die Existenz einer Nullpunktsenergie gefolgert. Einstein übertrug die Quantenhypothese 1905 auf das elektromagnetische Feld und konnte mit seiner Photonenhypothese in einfacher Weise den photoelektrischen Effekt erklären. An diese Arbeit knüpfte Beard 1972 mit seinem Theorem an, das die künstliche Photosynthese im Vergleich mit der pflanzlichen so weit fortentwickelte wie der Quantencomputer zukünftig den Boole'schen Rechner verbessern wird. Dabei werden Quantencomputer einen qualitativen Sprung im Bereich der praktisch berechenbaren Probleme ermöglichen, indem sie jetzt noch exponentiell mit der Problemgröße wachsende Aufgaben polynomial lösbar werden lassen. Analog dazu gelang es Beard in seinem Kraftwerk, die durch Spiegel konzentrierte Sonnenstrahlung in vervielfachter Dichte der Solarkonstanten fast vollständig in Wasserstoff zu speichern. Nach der ersten ,,Quantisierung`` des elektromagnetischen Feldes nahm Einstein sich 1907 die ,,Quantisierung`` des einfachsten Kristallgitters vor und konnte mit der impliziten Phononenhypothese den Abfall der spezifischen Wärme bis hinab zum absoluten Nullpunkt verständlich machen. 1911 gelang dann den Leidenern Tieftemperaturphysikern um Heike Kamerlingh Onnes die Entdeckung der Supraleitung im Quecksilber. D.h. ab einer Temperatur von unterhalb 4,2 Kelvin verlor das Quecksilber abrupt jeglichen elektrischen Widerstand. Wie war dieses verblüffende kritische Phänomen zu verstehen? In der Ausgabe 6/2011 des Physik Journals wird der Erkenntnisfortschritt auf dem Weg Von Leitungsketten zur Paarhypothese nachgezeichnet. Offensichtlich durchlaufen die Elemente vom absoluten Nullpunkt bis hinauf zu dem 15 Millionen Kelvin heißen Fusionsplasma in der Sonne eine Vielzahl von Zustandsänderungen und Phasenübergängen, die an Niveauhöhen oder Symmetriebrüchen zu erkennen sind. Paul Ehrenfest klassifizierte deshalb die verschiedenen Formen der Phasenübergänge und nachdem aus der allgemeinen Quantenmechanik erste Quantenfeldtheorien der Elementarteilchen entwickelt worden waren, übertrug Cooper zum Verständnis des Elektronengases in Metallen feldtheoretische Methoden auf die Festkörperphysik. Dabei zeigte sich, dass der supraleitende Zustand ein makroskopischer, kohärenter Vielteilchen-Quantenzustand ist, der die Elektronen als gekoppelte Paare mit entgegengesetztem Spin und Wellenvektor auftreten lässt und im Gitter widerstandsfreie Stromleitung ermöglicht. Bis heute sind Tausende Materialien entdeckt worden, die noch bis zu Temperaturen von 55 Kelvin supraleitend sind.

Bardeen hatte die Quantenmechanik zum Verständnis der Halbleiterstrukturen in Festkörpern herangezogen. Das ermöglichte ihm die Berechnung von Leitungsbändern und ,,unbesetzten Zuständen``, die sich als Löcher so bewegten, als wären sie entgegengesetzte Ladungen. Als solche gleichsam hinter dem Küstenstreifen verborgene Löcher im Dirac-See konnten auch die Positronen aufgefasst werden. Cooper hatte quantenfeldtheoretische Methoden auf die Festkörperphysik übertragen und Dirac's Elektronenwellengleichung wurde ebenfalls quantenfeldtheoretisch behandelt. So ist es bis heute geblieben. Dabei hatte Yellnikoff bereits als Student das Symmetriebrechungsschema beim Verständnis der Phasenübergänge in Festkörpern auf die Teilchenphysik übertragen. Dieser ,,Higgs-Mechanismus`` unterlegt dem gesamten Universum im Nullpunktsfeld eine der Supraleitung in Festkörpern ähnliche Struktur. Ist damit nicht eher die Festkörperphysik fundamental, schlicht die Alltagsphysik kritischer Phänomene? Zum Streit der String- und Relativitätstheoretiker haben sich nunmehr noch die Festkörperphysiker gesellt. Laughlin äußert sich in seinem Abschied von der Weltformel zur Neuerfindung der Physik wie folgt: Sieht man unser Verständnis der Natur als mathematisches Konstrukt an, so bedeutet das etwas völlig anderes, als wenn man es als empirische Synthese betrachtet. Die eine Sichtweise stellt uns als Herrscher des Universums heraus, die andere macht das Universum zum Herrscher über uns. Der Vorwurf trifft alle auf theoretische Vereinheitlichung zielende Theorien. Denn die Einheit haben wir längst vor uns - im Universum. Auch das wusste natürlich bereits Goethe: Die Natur ist weder Kern noch Schale, alles ist mit einem Male. Und einen Begriffsrealismus, der mit alltäglichen Worten oder mathematischen Symbolen eine wirkliche Existenz verbindet, vertreten nur Platonisten - oder Theologen. Laughlin fährt fort: Die Natur wird nicht allein durch eine Grundlage von Gesetzen auf mikroskopischer Ebene gesteuert, sondern durch starke und allgemeine Ordnungsprinzipien. So funktionieren Transistoren, LASER und Supraleiter. Und der Festkörperphysiker setzt noch einen drauf: Ich bin zunehmend davon überzeugt, dass alle und nicht nur einige der uns bekannten physikalischen Gesetze aus kollektivem Geschehen hervorgehen.

Die statistische Physik würde zur Rahmentheorie der quantitativen Experimentalwissenschaft. Nach seinen einleitenden Thesen zu den Fehlentwicklungen in der Physik der letzten 100 Jahre, spannt Laughlin einen kühnen Bogen über die den physikalischen Forschungsprozess leitenden Erkenntnisinteressen. Angefangen beim kritisierten Gesetz der Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis über das Eingeständnis eines Lebens mit der Unbestimmtheit und dem Hervorgehen von Gesetzen aus der Ordnung kollektiver Emergenz bis hin zum begrüßten Zeitalter der Emergenz. Aber ist die Anerkennung von Emergenz in der Wissenschaft nicht ein Rückfall in Mystizismus und Esoterik? Womöglich hat die Wissenschaft das Kind bereits mit dem Bade ausgeschüttet. Beim Streit der Naturphilosophen und Wissenschaftstheoretiker hilft eine Rückbesinnung auf die physikalische Praxis. In der Physik sollte das Experiment entscheiden, welche Theorie stimmt, so auch bei der Theorie der Forschungsprogramme Kosmologie, Statistische Physik, Atomismus. Für einen Festkörperphysiker gilt: Phasen sind ein ursprünglicher und gut erforschter Fall von Emergenz. Dabei ist nicht der Phasenübergang von Bedeutung, sondern die emergente Exaktheit, die ihn notwendig macht und die setzt den Kontext einer Umgebung voraus. In der Tat! Die isolierende Betrachtung von Teilchen wie von Menschen ist sinnlos, weil es sie isoliert überhaupt nicht gibt. Die meisten Inkonsistenzen, Paradoxien und Fehlinterpretationen der Formalismen rühren daher: wie z.B die unendliche Selbstenergie des Elektrons in der Elektrodynamik, die Singularitäten in der Allgemeinen Relativitätstheorie, die Divergenzen in den Quantenfeldtheorien, die Unvollständigkeit der Quantenmechanik oder der Kältetod des Universums. Sowohl die Annahme punktförmiger Teilchen als auch des Raumzeit-Kontinuums ist übervereinfachend. Demgegenüber ist das physikalische Ordnungsprinzip der Emergenz anzuerkennen, nach dem gerade die kollektive Instabilität für die regulatorische Kontrolle relevant ist. Für den Festkörperphysiker Laughlin sind Kosmologie und Atomismus gleichermaßen gescheitert; denn allein die politische Natur kosmologischer Theorien erkläre, wie sie so problemlos mit der Stringtheorie verschmelzen konnten, einem mathematischen Korpus, mit dem sie eigentlich wenig gemeinsam haben, und die Gesetzmäßigkeit im mikroskopischen Maßstab sei durch die höheren Ordnungsgesetze der Welt längst belanglos geworden. Das Bemühen, die Natur nach Maßgabe von Symmetrieprinzipien und ihren Brechungen zu beschreiben, haben die Festkörperphysiker mit den Teilchentheoretikern gemeinsam. Und so knüpft auch Woit in seinem Buch Not Even Wrong daran an, indem er die Stringtheorie besonders dafür kritisiert, dass sie noch nicht einmal falsch sein könne. Einleitend hebt der Quantenfeldtheoretiker hervor: the positive argument of this book will be that historically, one of the main sources of progress in particle theory has been the discovery of new symmetry groups of nature, together with new representations of these groups. The failure of the superstring theory program can be traced to its lack of any fundamental new symmetry principle.

Zum Abschluss meiner Anmerkungen zu den vier Medien, in denen Kunst und Wissenschaft am Beispiel der Filmkunst, Literatur und Physik zusammengebracht worden sind, möchte ich eine systematisierde Zusammenfassung wagen. Ich beginne mit dem Vielteilchenansatz, der den Anfang in der statistischen Physik wie in der Physik der kondensierten Materie bildet. Er kann als grundlegend für alle quantitativen Erfahrungswissenschaften angesehen werden. Angewandt auf die Festkörperphysik hat Laughlin aus dem Vielteilchenansatz das physikalische Ordnungsprinzip der Emergenz entwickelt, nach dem die kollektive Instabilität in der Nähe kritischer Übergangsbereiche bestimmend ist für die regulatorische Kontrolle des untersuchten Systems. Zugleich als Verallgemeinerung und Präzisierung dieses recht ungefähren ,,Emergenzprinzips`` kann Hermann Hakens Forschungsprogramm der Synergetik angesehen werden, das er 1969 erstmals in einer Vorlesung bekannt machte: Synergetics is an interdisciplinary field of research. It studies self-organization in complex systems. Self-organization means that a system achieves its spatial structure and/or functions without specific interference from agents outside the system. Complex system means a system composed of many elements or parts that can produce complicated structures or behaviors. Gewonnen hatte Haken seine Einsichten in die Selbstorganisation komplexer Systeme am Beispiel der Erzeugung des kohärenten Lichts im LASER. Aus der LASER-Theorie hat er dann ein allgemeines Prinzip der Selbstorganisation entwickelt, für das er ein sogenanntes Versklavungstheorem beweisen konnte. Dieses Haken-Theorem aus seinen Advanced Synergetics besagt grob gesprochen, dass es in hinreichend komplexen, nichtlinearen dynamischen Systemen kritische Bereiche gibt, in deren Nähe die Dynamik durch wenige Ordnungsparameter bestimmt wird. Bei der Strukturbildung in Gasen, Flüssigkeiten oder Mineralien beispielsweise ,,konkurrieren`` dabei unzählige mögliche Strukturen unter den gegebenen Randbedingungen, je nach Geometrie oder Temperatur, um die stabilsten Formen. Bis sich schließlich, was auch sehr schnell gehen kann, eine stabile Struktur ausbildet. Das erinnert natürlich stark an einen Darwin'schen Algorithmus. Und so wird sich zwischen Versklavungstheorem und Darwin'scher Optimierung ein ähnlicher Zusammenhang herstellen lassen wie zwischen Boltzmann'scher und Darwin'scher Optimierung.

In die Evolution hatte Beard die Entwicklung seines Photosynthese-Kraftwerks eingeordnet. Der technische Fortschritt als Motor der industriellen Revolution folgt dabei dem gleichen Evolutionsprinzip wie die permanente Revolution in der Geschichte. Trotzki weist in seiner Autobiographie nebenbei darauf hin, wie diensteifrig das Zufällige dem Gesetzmäßigen hilft. Allgemein gesprochen, spiegelt sich das Gesetzmäßige des gesamten historischen Prozesses im Zufälligen wider. Will man die Sprache der Biologie gebrauchen, dann kann man sagen, daß sich die historische Gesetzmäßigkeit durch die natürliche Auslese der Zufälle verwirklicht. Auf dieser Grundlage entwickelt sich die bewußte menschliche Tätigkeit, die die Zufälle einer künstlichen Auslese unterwirft. Man muss die Gelegenheiten zu nutzen wissen, ein durchgängiges Thema in den Filmen Allens und der Coens. Zufall und Notwendigkeit schließen sich nicht aus, sie ergänzen einander ebenso wie die physikalischen Wechselwirkungen und menschlichen Interaktionen. Im Beweis des Haken-Theorems wird gezeigt, wie sich aus den mikroskopischen Teilchen-Wechselwirkungen globale Ordnungsparameter herausbilden. Solche allgemeinen Ordnungstrukturen bestimmen auch die Symmetrien der Translations- und Eichinvarianz, die für den Fortgang der Quantenfeldtheorien der Elementarteilchen so bedeutsam werden sollten. Die ,,emergenten`` Ordnungsprinzipien unseres Alltags sind es, die zur Formulierung der Theorien anleiten, der sie selbst folgen. Das ist ganz so wie bei den Magneten, deren Bewegungen dem Feld folgen, das sie selbst erzeugen. Gibt es vielleicht einen Zusammenhang zwischen dieser Harmonie der Selbstkonsistenz und dem ,,Magnetfeld des Glücks``, von dem Dart mit Wollschläger Johanna fabulieren lässt? Allerdings entstünde die Zerstörung des Glücks nicht aus der Anziehung, sondern aus dem Symmetriebruch in der Harmonie durch Inkonsistenz in der Selbstbezüglichkeit. Schon in der antiken Elementenlehre wurde ein Zusammenhang zwischen den vier Naturelementen und Körpersäften hergestellt und die Gesundheit und das Glück auf die Harmonie in ihrem Zusammenspiel zurückgeführt. Heutzutage lässt sich das gestörte Wirkungsverhältnis der Hormone oder Neurotransmitter durch Medikamente wieder ins Lot bringen;- falls nicht schon Illusionen oder Alkohol ausreichten.

Seit der Antike hat es in der Naturphilosophie drei wesentliche Paradigmenwechsel gegeben. Den ersten vor etwa 2500 Jahren vom Mythos zum Logos, den zweiten im 17. Jahrhundert von der spekulativen Philosophie zur quantitativen Experimentalwissenschaft und den dritten im Laufe des 20. Jahrhunderts von der Klassischen zur Modernen Physik. Während die ersten beiden Entwicklungssprünge als unstrittig gelten, sind sich die Gelehrten beim dritten Paradigmenwechsel höchst uneinig, worin genau er bestehen mag. Die Quantenphysiker der Kopenhagener Schule sehen die Moderne Physik durch ihre positivistisch-instrumentelle Interpretation des quantenmechanischen Formalismus bestimmt. Über die Quantenmechanik und Physik hinausdenkende Naturphilosophen sehen das Paradigmatische der Modernen Physik eher in dem zufällig-selbstorganisatorischen Aspekt, der sich in den Realwissenschaften ganz allgemein aus dem kausal-deterministischen Denken herausgebildet hat. Der Zivilisationsprozess kann neben den Paradigmenwechseln in der Naturphilosophie weitergehend nach den menschlichen Vermögen der Praxisreflexion, technischen Ideation und formalen Abstraktion verfolgt werden. Galilei gelang dabei durch Auszeichnung idealer Bewegungsformen im Vakuum die erste Abstraktion einer Kinematik, die einer Invarianzforderung genügte, die heute Galilei-Invarianz oder Trägheitsprinzip genannt wird und die Unabhängigkeit der Experimente bzw. Gesetze von gleichförmig zueinander bewegten Bezugsystemen meint. Diese spezielle Translationsinvarianz bzgl. eines dreidimensionalen euklidischen Raumes galt noch in der Newton'schen Mechanik, musste für die Maxwell'sche Elektrodynamik aber von Einstein zur Translationsinvarianz bzgl. des vierdimensionalen Minkowski-Raumes und hinsichtlich seiner Gravitationstheorie weiter zur Translationsinvarianz bzgl. des vierdimensionalen Riemann'schen Raumes erweitert werden. Mit der Eichinvarianz der Elektrodynamik (ED) kam eine weitere Invarianzforderung ins Spiel, der die Quantenmechanik (QM) zu genügen hatte, wenn sie mit der ED zusammengebracht werden sollte. Und umgekehrt hatte die kausal-deterministische ED der zufällig-indeterministischen QM zu genügen. Das gelang mit der Quantenfeldtheorie QED. In der QM wird der Ortszustand eines Teilchens durch die Wahrscheinlichkeitsamplitude psi(x) erhalten. In der QED dagegen bezieht sich die Wahrscheinlichkeitsamplitude auf die Feldgröße phi(x) am Ort x des Raumzeit-Kontinuums, d.h. auf psi(phi(x)). Damit gelang die Verbindung der Elektronentheorie Dirac's mit der elektromagnetischen Feldtheorie Maxwell's. Indem das Materiefeld der Elektronen der Eichinvarianz genügte, hatte es gerade ein Eichfeld zur Folge, das dem bekannten elektromagnetischen Feld entsprach und gemäß Äquivalenzprinzip mit dem Materiefeld einen Austauschstrom unterhielt. Nach diesem wahrhaft schönen Wechselwirkungsbild konnten später auch die Kernkräfte ins Standardmodell integriert werden. Ausgenommen von dieser Vereinheitlichung der fundamentalen Naturkräfte blieb aber weiterhin die Gravitationstheorie.

Im Gegensatz zu den unstrittigen Invarianzforderungen, scheiden sich die Geister bis heute darüber, wie die Wahrscheinlichkeitsamplituden in der QM und QED zu interpretieren seien. Ist der Unterschied zwischen Wärmeschwankungen und Quantenfluktuationen wirklich wesentlich? Warum kann es analog zur Thermodynamik (TD) keine Statistische Physik der QM und ED geben? Die Antwort ist so einfach wie verblüffend: Weil Bohr, Heisenberg und von Neumann das bestritten und ihre Argumente nach wie vor so viel Gewicht haben, dass das Interpretationsproblem der quantenmechanischen Wahrscheinlichkeit seit nunmehr über 100 Jahren die Gemüter umtreibt. Aber was hatte die Kopenhagener dazu getrieben, alle seit den 1920er Jahren aufgekommenen Alternativen zur positivistisch-instrumentellen Sicht der QM propagandistisch zu bekämpfen? Die Eitelkeit der Entdecker? Ideologische Vorurteile? Die Skurrilität der QM? Das kulturelle Umfeld der Weimarer Republik? Alles zusammen sicherlich und noch viel mehr. Ich werde gleich darauf zurückkommen. Zunächst bleibt festzuhalten, dass es sich gegenüber der objektivierbaren Wahrscheinlichkeit in der statistischen Physik der TD oder des radioaktiven Zerfalls, in der QM wie in der Entscheidungs- oder Spieltheorie um eine subjektive Wahrscheinlichkeit handeln soll, die auf den Einfluss des Experiments am Naturgeschehen zurückzuführen sei. Aber werden nicht auch in der TD Experimente gemacht? Wie die Untersuchungen Dürr's zur Bohm'schen Mechanik als einer statistischen Physik der QM und de la Pena's zur stochastischen Elektrodynamik zeigen, gibt es detailreich ausgearbeitete Alternativen zur subjektiv interpretierten Wahrscheinlichkeit in der QM und QED. Die haben sich bisher aber weder im Kreis der Fachkollegen noch in der breiten Öffentlichkeit Aufmerksamkeit verschaffen können. Nach wie vor wird allenthalben der Kopenhagener Deutung der QM das Wort geredet, sowohl in den Lehrbüchern als auch unter Wissenschaftsjournalisten und Kulturschaffenden. Und so nimmt es nicht wunder, dass ebenfalls Woody Allen und die Coen-Brüder der Kopenhagener Schule anhängen. Oder trügt vielleicht der Schein?

Woody lässt Melody als des Physikers gelehrige Schülerin mit Hilfe physikalischer Begriffe flirten. Damit vermengt er auf unterhaltsame Weise Alltags- und Wissenschaftspraxis. Und genau dieses ungewöhnliche Reden Melody's ist es auch, das Randy so für sie einnimmt. Einen Kuss genießt sie nicht einfach, sie kommentiert zudem physikalisch seine Wirkung: Entropy. Boris explained it. It's why you can't get the toothpaste back in the tube. Und Randy ergänzt leicht irritiert: You mean, once something happens, it's difficult to put it back the way it was? Neben dieser phänomenologischen Irreversibilität, die aus der Entropiezunahme folgt, geht Melody sogleich auf den mikrophysikalischen Grund dafür ein, der in der Zufälligkeit des Glücks zu sehen ist und in der Wahrscheinlichkeitsdefinition der Entropie ausgedrückt wird: I mean, Boris says love is all about luck. I think so, too, but isn't that just because we're young and we think we're going to live forever and then we grow old and get diabetes, and ... Damit hat Melody wieder den Zeitrichtungsaspekt der Entropiezunahme für das Leben angesprochen. Randy wechselt zurück zum Wahrscheinlichkeitsaspekt: Maybe. Look, I do agree there's not much you can be sure of in this world, but ... Und Melody fällt dazu das Unbestimmtheitsprinzip der QM ein: Have you ever heard of Heisenberg's Uncertainty Principle? ... You know, the observer influences the experiment? Und was liegt ihr nun wohl näher, als wohlgewählt zum Sex überzuleiten? It's just like when my mother makes love to one of the guys she's living with a certain way when they're alone, but when she's in front of the other guy, she does it differently. Das kann natürlich nicht nur als Witz aufgefasst werden oder auf die Vorlieben des Dritten im Bunde verweisen, sondern auch als Kritik daran, dass die Unschärferelation etwas mit dem Beobachter zu tun haben sollte: Wer sich nicht schämt, lässt sich durch Beobachtung auch nicht vom Sex ablenken. Hatten womöglich Vorurteile Heisenberg zum Einnehmen seiner Interpretation bewogen? Und wie meinen es die Coens? The Uncertainty Principle. It proves we can't ever really know what's going on. Das klingt ziemlich seriös, ist aber eher ironisch gemeint; denn Prognosen der QED sind schon auf sagenhafte 12 Stellen genau berechnet und gemessen worden. Im Labor hat Larry sicher keine Probleme, wohl aber im Leben. Und darauf bezieht sich der ironische Kommentar zur Unschärferelation. Er kritisiert die Übertragung von Alltagsvorurteilen auf die Physik. Und so hatte es schon Schrödinger gemeint, dessen Paradoxie Gopnik als Frage im Raum stehen lässt: Schroedinger's paradox: Is the cat dead or is the cat not dead? Wenn die QM allgemeingültig sein sollte, müssten die mikrophysikalischen Zustandsüberlagerungen von Quantenobjekten auch für Lebewesen gelten; was offensichtlich absurd ist: Also ist die QM unvollständig!? Whatever Works könnte man einmal mehr mit Woody anmerken, aber Boris sollte es eigentlich genauer wissen wollen. Dass und wie es funktioniert reicht im Alltag aus, aber Physiker wollen auch wissen warum die QM funktioniert.

Nun ist es an der Zeit, aus dem Hörsaal ins Proseminar zu wechseln. Zur Wiederholung des Gehörten gibt es Greenberger's Compendium of Quantum Physics und als Sammlungen der klassischen Originalarbeiten stehen Wheeler's Quantum Theory and Measurment und Ludwigs Wellenmechanik zur Verfügung. Wer wie Melody - vor ihrer Bekanntschaft mit Boris - noch nie etwas von der Quantenmechanik gehört hat, lese das Buch Skurrile Quantenwelt, das die Autorin - noch als Schülerin - für den Übergang zwischen Schule und Universität geschrieben hatte. Was ist so skurril an der Quantenwelt? Die Nichtlokalität! D.h. zwischen Quantenobjekten sind langreichweitige, instantane Korrelationen möglich, die z.B. einmal zur kosmischen Teleportation, sicheren Datenübertragung oder hochparallelen Datenverarbeitung genutzt werden könnten. Der Grund dafür ist das besondere Superpositionsprinzip, nach dem Quantenzustände so überlagert werden können, dass sie lange miteinander verschränkt bleiben, auch wenn sie sich schon weit voneinander entfernt haben sollten. Fliegen z.B. zwei Elektronen aus einem gemeinsamen Spinzustand heraus mit nahezu Lichtgeschwindigkeit in entgegengesetzte Richtungen, stellt sich immer dann, wenn zufällig der Spin des einen Elektrons ausgerichtet wird, instantan der entgegengesetzte Spin des anderen Elektrons ein. Derartige sogenannte EPR-Experimente gehen auf ein Gedankenexperiment in der Arbeit der Autoren Einstein, Pololsky, Rosen zurück und sind seit den 1980er Jahren vielfach wiederholt und variiert worden. Für Einstein war das seinerzeit der Grund, an der Vollständigkeit der QM zu zweifeln, denn Elemente der Realität, wie der Spin eines Elektrons, konnten ja nicht davon abhängen, dass sie gemessen wurden. Da mussten noch verborgene Variablen übersehen worden sein. Dieses esse est percipi mochten Theologen glauben, aber doch nicht Realisten. Die Kopenhagener dagegen fühlten sich durch die EPR-Experimente bestätigt und erhielten erheblichen Auftrieb in der Wissenschaftswelt und breiten Öffentlichkeit. Dabei zeigt sich all das Kuriose der Nichtlokalität in der Quantenwelt bereits in den berühmten Doppelspalt-Experimenten, die sogar mit verzögerter Wahl zwischen Teilchen- oder Wellenaspekt ausgeführt werden können. Für die Kopenhagener Instrumentalisten Bohr und Heisenberg war schon das Grund genug, an der Objektivität der Experimente zu zweifeln und bei der Interpretation des Formalismus den subjektiven Faktor mit einzubeziehen. Die Realisten Planck und Einstein dagegen hielten an der objektiven Interpretation im Rahmen der statistischen Physik fest. De'Broglie, Bohm und Bell sind ihnen darin gefolgt und Dürr hat in seinem Lehrbuch Bohmian Mechanics im Detail eine statistische Physik der Quantenmechanik ausgearbeitet. Wenngleich sie alle einsame Rufer in der Wüste geblieben sind, zeichnet sich für das 21. Jahrhundert womöglich eine Renaissance der Klassischen Physik ab.

Laughlin sieht das Zeitalter der Emergenz anbrechen, wobei es statt Emergenz besser durch Synergetik charakterisiert werden sollte. Im Vergleich mit der Ökonomie könnte man auch in der Physik von einer Neoklassik sprechen. Wie Söllners Geschichte des ökonomischen Denkens zu entnehmen ist, folgte auf die durch Adam Smith begründete Klassische Ökonomie im 19. Jahrhundert die Neoklassik, die das makroökonomische Denken durch die mikroökonomische Analyse ergänzte. Ordnungspolitisch wurde der Liberalismus der Klassiker wie der Neoklassiker von der Marx'schen Kritik der Politischen Ökonomie über den Ordoliberalismus bis hin zum Wohlfahrtsstaat als Gegenstand der Allgemeinen Theorie Keynes vorangebracht, die während der 1950er Jahre eine Neoklassische Synthese ermöglichte. Die von Lucas initierte Gegenbewegung der 1970er Jahre wurde Neue Klassische Makroökonomie genannt und enthielt unter den Voraussetzungen rationaler Erwartungen und ausgeglichener Märkte auch einen Monetarismus, der auf Friedman zurückging und von ihm weiterwickelt die neoliberale Deregulierungspolitik des Wohlfahrtsstaates beflügelte. Durch den Ausbruch der noch anhaltenden Finanzkrise 2008, ist der Monetarismus aber wieder zugunsten des Keynesianismus ins Hintertreffen geraten. Ideologien und Paradigmen leiten nicht nur die ökonomischen Forschungsprogramme, sondern auch die physikalischen. Bei Ian McEwan ist es die Künstliche Photosynthese, die finanziert werden muss und in dem zur gegenwärtigen Finanzkrise gedrehten Film Wallstreet II Oliver Stone's kümmert sich der ,,Gute`` unter den Bankern um die Finanzierung eines LASER-Fusionsprojekts. In Wallstreet I ging es in den 1980er Jahren noch um die Rettung einer Fluggesellschaft. Nicht die Ökologie war Stone's Thema; sein Film zielte vielmehr darauf, die ruchlose Profitgier in ihrer Auswirkung auf die abhängig Beschäftigten anzuprangern. Im neuen Film dagegen hintertreibt der ,,Böse`` die Finanzierung alternativer Energien, indem er sein Geld im Ölgeschäft einsetzt. Eine Alternative zu den fossilen Energieträgern ist auch die Kernenergie. Seit der ersten drohenden Katastrophe in Harrisburg 1979, haben die Grünen in Deutschland allerdings die Energiewende auf ihre politische Agenda gesetzt. Das Freiburger Öko-Institut lieferte 1980 die Machbarkeitsstudie, die nach dem SuperGAU in Tschnernobyl 1986 für den Report Strom ohne Atom aktualisiert wurde. Unterdessen ist die Angst der Deutschen vor den eigenen AKW's so groß geworden, dass die Kernschmelzen im fernen Fukushima sogar die fraktionsübergreifende Proklamation einer Energiewende zur Folge gehabt haben. Diese besondere Verbindung von Finanzkrise und Energiewende in Deutschland verspricht sehr interessant zu werden, ist aber das Thema für eine andere Arbeit.

Ich komme auf die Neoklassische Physik zurück, die analog zur Neoklassischen Ökonomie damit beginnt, die phänomenologische Thermodynamik durch eine mikrophysikalsiche Analyse zu ergänzen. 1851 hatten Clausius in Berlin und Kelvin in Glasgow den Energieerhaltungssatz als allgemeines physikalisches Prinzip erkannt. Da in Verbindung mit den Energieumwandlungen stets Abwärme entsteht, kann es kein Perpetuum Mobile geben. Wie bei Mason nachzulesen ist, formulierte Clausius die beiden Hauptsätze der Theromdynamik sehr allgemein: Die Energie der Welt ist konstant und Die Entropie der Welt strebt gegen ein Maximum. Analog zu den Zustandsgleichungen der Thermodynamik für die Energie, können in der Makroökonomie Zustandsgleichungen für das Kapital formuliert werden. 1866 wandte sich Maxwell der mikrophysikalischen Analyse des idealen Gases im Rahmen der Newton'schen Mechanik zu und konnte ein Verteilungsgesetz für die Geschwindigkeiten der Teilchen herleiten. Damit war aus dem atomistischen Vielteilchenansatz erstmals ein quantitativer Zusammenhang zwischen Mikro- und Makroebene hergestellt worden. Für die zeitliche Entwicklung einer Teilchenverteilung, d.h. eines sich nicht im Gleichgewicht befindlichen realen Gases, leitete Boltzmann 1872 seine später nach ihm benannte kinetische Gleichung ab. Die Boltzmann-Gleichung verallgemeinerte und dynamisierte das Maxwell'sche Verteilungsgesetz. Nunmehr konnte eine allgemeine quantitative Beziehung hergestellt werden zwischen der mikroskopischen Teilchenverteilung und den makroskopischen Änderungen, wie Temperatur oder Druck, der sich entwickelnden Gase, Plasmen oder sonstigen Teilchenströmungen. Einen ähnlich grundlegenden Zusammenhang zwischen einer Teilchenverteilung und der Größe eines makroskopischen Zustandes konnte Boltzmann 1877 dadurch bestimmen, dass er die Entropie S als proportional zum Logarithmus der thermodynamischen Wahrscheinlichkeit W berechnete. Mit der Boltzmann-Konstanten k ergibt das: S = k ln(W). Gemäß der Maxime zur Bestimmung relativer Häufigkeiten, wird W dabei aus dem Verhältnis der jeweiligen speziellen Realisierungsmöglichkeiten des Zustandes zu allen Möglichkeiten der unterscheidbaren Teilchen berechnet. In einem Gas mittlerer Temperatur bewegen sich z.B. nur wenige Teilchen sehr langsam, so dass die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens entsprechend gering ist. Für ,,schwach`` von einem Wärmebad umgebene Gase berechnete Boltzmann das nach ihm benannte exponentiell mit der Energie der Teilchen abfallende Verteilungsgesetz. Je höher die Energie eines Teilchens ist, desto seltener ist es bzw. desto geringer seine Wahrscheinlichkeit. Um sein Strahlungsgesetz abzuleiten, knüpfte Planck um 1900 an Boltzmann an, musste aber die Abzählmethode abändern, damit seine berechneten zu den gemessenen Werten passten. D.h. die Anzahl ununterscheidbarer Energiequanten war über die Anzahl unterscheidbarer elektrischer Oszillatoren zu verteilen. Im Gesetz der Schwarzkörperstrahlung verbinden sich Wärmeschwankungen zur Temperatur T und Quantenfluktuationen zur Frequenz f in dem Energieverhältnis h f / k T. Zur Thermostatistik ist noch eine Quantenstatistik hinzugekommen, die sich nach dem Spin der Teilchen richtet. Teilchen mit ganzzahligem Spin - wie die Photonen - folgen der Bose-Einstein-Statistik und Teilchen mit halbzahligem Spin - wie die Elektronen - folgen der Fermi-Dirac-Statistik. Im Grenzfall vernachlässigbarer Quantenwirkungen gehen die Quantenstatistiken in die Thermostatistik über.

Bei tiefen Temperaturen dominieren die Quanteneffekte das Zusammenspiel der Teilchen, z.B. im Elektronengas, das sich im Metallgitter sogar noch zu Paaren zu struktuieren vermag und Supraleitung ermöglicht. Auch ein skurriler Quanteneffekt. Aber was hat das mit einem abweichenden Wahrscheinlichkeitsverständnis aufgrund des Messeingriffs zu tun? Gibt es die Supraleitung nur, wenn wir sie beobachten? Was Heisenberg seinerzeit so verblüffte, waren nicht die Vielteilcheneffekte, sondern die Einzelteilchenbewegungen. Den Doppelspaltversuch kann man auch hintereinander mit einzelnen Elektronen durchführen und das Ergebnis unterscheidet sich durch Interferrenz genauso vom Einzelspaltversuch wie beim gleichzeitigen Vielteilchenstrahl. Die Lösung der von Schrödinger aufgestellten Teilchenwellengleichung liefert die jeweils richtige Wahrscheinlichkeitsamplitude. Aber worauf bezieht sich die daraus berechenbare Wahrscheinlichkeitsdichte und -Verteilung? Heisenberg wich der Frage aus, indem er die zugegebenermaßen skurrilen Teilchenbahnen ignorierte bzw. für unmöglich erklärte und nur noch algebraisch die Zustände der Teilchen betrachtete, die gemessen werden konnten. In seiner legendären Untersuchung Über den anschaulichen Inhalt der quantenmechanischen Kinematik und Mechanik versteigt er sich zu folgender ,,Prägnanz``: Ich glaube, daß man die Entstehung der klassischen ,,Bahn`` prägnant so formulieren kann: Die ,,Bahn`` entsteht erst dadurch, daß wir sie beobachten. Sein heißt Wahrgenommensein? Wenn die Teilchenbahnen vom Beobachter bzw. Messeingriff abhängen, dann liegt ein subjektiver Wahrscheinlichkeitsansatz nahe. Andererseits hatte Bohm die Schrödingergleichung 1952 im Anschluss an De'Broglie so umformuliert, dass sie - ganz so wie im Vielteilchenansatz der statistischen Physik - in zwei gekoppelte Teile zerfiel: in eine Wellen- und eine Teilchengleichung. Nach Bohm beschreibt die Wellengleichung das Führungsfeld, das in die Gleichung der Teilchen eingeht und deren Bahn bestimmt. In den 1960er Jahren hatte sich Bell intensiv mit der Mechanik Bohms und Heisenbergs beschäftigt und war zu dem Ergebnis gekommen, dass die von Bohm aus dem ,,Quantenpotential`` berechneten Teilchenorte sich als die von Heisenberg geleugneten verborgenen Variablen erweisen. Die konnten als einem instantan wirkenden Potential folgend, natürlich nur nichtlokal sein. D.h. die möglichen Teilchenorte waren bereits vor der Messung korreliert. Die Annahme lokaler Variablen dagegen widersprach nach Maßgabe seiner nach ihm benannten Ungleichung den quantenmechanischen Vorhersagen. Akzeptiert man also die Nichtlokalität der Natur, lässt sich eine genauso objektiv realistische Interpretation in der Quantenmechanik verwenden wie in jeder anderen Theorie der statistischen Physik auch. Dürr ist das 40 Jahre nach Bell mit seiner Bohm'schen Mechanik als Grundlage der Quntenmechanik gelungen. In seiner Darstelltung der Bohmian Mechanics bestimmt einfach die Wellengleichung das Verteilungsgesetz nach dem sich die Teilchen bewegen. Im Unterschied zum idealen Gas ist die Boltzmann-Verteilung lediglich durch die ,,Schrödinger-Verteilung`` zu ersetzen. Die ist als Lösung der Wellengleichung Schrödingers zwar wesentlich komplizierter, ändert aber nichts Prinzipielles. Beim Doppelspalt-Versuch ist es also nicht der Beobachter, der stört, sondern die nie zu vermeidenden anfänglichen Unschärfen der Teilchenorte haben in Verbindung mit den besonderen mikrophysikalischen Verhältnissen die Unschärferelation und die skurrilen Teilchenbahnen in der Quantenwelt zur Folge.

Dürr gliedert in seiner Bohm'schen Mechanik die Quantenmechanik so selbstverständlich in die statistische Physik ein wie seinerzeit Boltzmann die Thermodynamik. Es bleibt aber der Umstand, dass zusätzlich zu den Quantenfluktuationen noch die Wärmeschwankungen hinzukommen, die dann im Rahmen der Bose- und Fermi-Statistik zu behandeln sind. Eine aus unscharfen Anfangsbedingungen herrührende Unschärfe der Teilchenbahnen ist auch in der Chaosforschung bekannt. Poincaré hatte sie etwa zeitgleich zur Quantentheorie in der Himmelsmechanik aufgespürt, erst nach der Entdeckung des ,,Lorenz-Attraktors`` ist sie 1963 wieder aufgegriffen worden. Aber was ist letztlich der Grund für die immer vorhandene Unschärfe in den Anfangsbedingungen bei der Entwicklung physikalischer Systeme, seien es nun Quanten-, chaotische oder synergetische Systeme? Temperaturschwankungen und Eingriffe durch die Messungen können ja ausgeschlossen werden, bleiben womöglich nur noch das Nullpunktsfeld und die grundsätzliche Voraussetzung der Objektsisolierung. Dann wäre gerade die Forderung nach Objektivierung der Mikrowelt der Grund für die prinzipielle Quantenunschärfe, die im Makrokosmos zumeist vernachlässigt werden kann. Und das Nullpunktsfeld im Quantenvakuum? Auch davon wird in der Regel abgesehen, obwohl es als Dunkle Energie das mit 70% wesentlichste Energiereservoir des Universums wäre. Es könnte die kosmologische Konstante in Einsteins Gravitations-Feldgleichung bestimmen und die Maxwell'sche Elektrodynamik - analog zum Bezug der Bohm'schen Mechanik zur QM - zu einer statistischen Physik der ED machen. De la Pena und Cetto heben in ihrer Introduction to Stochastic Elektrodynamics hervor, that every physical field fluctuates on a microscopic scale, including the vacuum fields. Und the vacuum state of the radiation field is seen as a real (as apposed to virtual), all pervading stochastic field, as real as any other electromagnetic field. ... This field is seen as the source itself of the stochastic behaviour of matter on the microscopic scale, and therefore also, in principle, as the source of quantum behaviour. This is the central premise of stochastic electrodynamics. Die Berücksichtigung eines allumfassenden ,,Zufallsfeldes`` im Quantenuntergrund, wie es bei Plancks Analyse der Schwarzkörperstrahlung erstmals 1911/12 in Erscheinung trat, hat Stochastische Prozesse zur Folge, die alle physikalischen Felder real fluktuieren lassen.

Wie Mantegna und Stanley in ihrer Introduction to Econophysics einleitend hervorheben, waren es Mathematiker, die erstmals stochastische Prozesse in die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften einführten. So formalisierte Pareto bereits 1897 den random walk und arbeitete mit Potenzgesetz-Verteilungen: y prop. x-z. Kurz darauf und zeitgleich zu Plancks Untersuchung der Schwarzkörperstrahlung arbeitete Bachelier unter Poincaré an seiner Dissertation: Théorie de la spéculation, in der er ebenfalls Zufallsprozesse formalisierte, um die Preisbildung von Optionen in spekulativen Märkten abzuschätzen. Ähnlich wie der Chaosforschung in der Physik erging es aber auch der Spekulationstheorie in der Ökonomie. Bis in die 1960er Jahre hinein blieb sie nahezu unbeachtet. Hatte Boltzmann seine Entwicklungsgleichung für Teilchenverteilungen formuliert, die der Newton'schen Mechanik genügten, führte Einstein 1905 bei seiner Analyse der Brown'schen Bewegung eine Diffunsionsgleichung ein, die ebenso wie in der Spekulationstheorie Bachelier's auf einem Gauß'schen Zufallsprozess basierte. Damit konnte er in einfacher Weise die von den Wassermolekülen verursachten Pollenbewegungen in der Suspension quantifizieren und erstmals auf die wirkliche Molekül- bzw. Atomgröße schließen. Eine lesenswerte Gesamtschau dieser natürlichen Zufallsprozesse von der Atomdiffusion zur Ausbreitung von Lebewesen und Ideen findet sich in Vogls Buch Wandern ohne Ziel. Aus den ersten einfachen Diffusionsgleichungen sind unterdessen nach Maßgabe der jeweiligen Problemstellungen verschiedene stochastische Differentialgleichungen entwickelt worden, die allesamt die Theorie dynamischer Systeme im Rahmen der Synergetik und statistischen Physik bereichert haben. In welcher Weise dabei von einer subjektiven oder objektiven Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden kann, hängt ersichtlicherweise von der Problemstellung ab. Sind die Zufallsprozesse in der Physik von Boltzmann bis Dürr objektiv naturgegeben, werden für sozio-ökonomische Vorgänge in der Regel subjektive Schätzungen der Wahrscheinlichkeitsmaße unter Unwissenheit oder Risiko vorgenommen werden müssen. Eine konstruktive Deutung des Dualismus in der Wahrscheinlichkeitstheorie hat Paul Lorenzen aufgezeigt, indem er Zufallsaggregate konstruierte und bewies, dass deren Wahrscheinlichkeitsfelder Kolmogorowfelder sind.

Die Visionen der statistischen und Festkörperphysiker, der Chaosforscher und Synergetiker haben ihre Orte in überprüfbaren Theorien gefunden. Dabei funktioniert Heisenbergs Quantenmechanik praktisch so gut wie Bohms Mechanik. Whatever Works? Kommt es nicht auch noch auf die Konzeption an, auf die Stimmigkeit im Kontext der anderen Theorien? Hatte Heisenberg seine QM nicht einfach als etwas Besonderes herausstellen wollen, weil Schrödingers Version ihm den Rang abzulaufen schien? Die Abgrenzung seiner Quantenalgebra als Moderne Physik gegenüber der bloß klassisch analytischen Darstellung bei Schrödinger? In seiner bereits zitierten Arbeit spricht er vom Kampf der Meinungen um Diskontinuums- und Kontinuumstheorie, Korpuskeln und Wellen und fordert dazu auf, an die Stelle der gewohnten kinematischen Begriffe Beziehungen zwischen konkreten experimentell gegebenen Zahlen zu setzen. Denn weil alle Experimente der Unschärferelation genügten, sei durch die Quantenmechanik die Ungültigkeit des Kausalgesetzes definitiv festgestellt. Abschließend zieht er dann aus der algebraischen Vertauschungsrelation als Grundlage der Unschärferelation den normativen Schluss: Die Physik soll nur den Zusammenhang der Wahrnehmungen formal beschreiben. Allein die Zahlen seiner Matrizenmechanik sollen entscheident sein, nicht die Führungswellen als Lösungen der Schrödingergleichung. Und es soll vor allem kein Anschluss an die gewohnte Physik gesucht werden. Dürr bringt in der Einleitung seiner Bohmian Mechanics den Widerspruch auf den Punkt, indem er ausdrücklich auf den Bezug zur gewohnten Physik hinweist: The most important message of this book is that quantum mechanics, as defined by its most general mathematical formalism, finds its explanation in the statistical analysis of Bohmian Mechanics following Boltzmann's ideas. So war ja schon Planck vorgegangen und hatte allein aus der statistischen Mechanik das Wirkungsquantum als Folge der wirklichen Korpuskularstruktur der Materie gewonnen. Dürr spitzt es zu auf: Whenever you say particle, mean it! Und wenn man mit Boltzmann und Planck sorgfältig und umsichtig wahrhafte Teilchenphysik betreibt, then there is no measurement problem. Das ganze Gerede von der Modernen Physik, die prinzipiell und unwiderruflich mit der Klassischen Physik gebrochen habe und von ihr abgegrenzt werden müsse, war vielleicht nur eine Folge der übertriebenen Eitelkeit und Überheblichkeit einiger ihrer Urheber. Die Formalismen sind durch die Fehldeutungen natürlich nicht falsch geworden. Und so werden womöglich auch die Quantenfeldtheorien in der neoklassischen Physik des 21. Jahrhunderts aufgehen.

Weinberg datiert die Geburt der Quantenfeldtheorie (QFT) auf das Jahr 1926, als Born, Heisenberg und Jordan nach der quantentheoretischen ,,Umdeutung`` und der Bestimmung des ,,anschaulichen Inhalts`` der Kinematik und Mechanik erstmals eine ,,Quantisierung`` des freien Strahlungsfeldes vornahmen. In gleicher Weise wie vormals die ,,Quantisierung`` der harmonischen Oszillatoren der Strahlungsquellen auf algebraische Erzeugungs- bzw. Vernichtungsoperatoren für deren Quantenzustände geführt hatte, erhielten die Quantentheoretiker nunmehr den gleichen Formalismus für die Feldoperatoren. Wie die unendliche Selbstenergie des Elektrons zeigte, war die Verbindung von kontinuierlichen Feldern mit punktförmigen Ladungen in der Elektrodynamik nicht wirklich gelungen. In der QFT vervielfachte sich das Problem zur ,,Ultraviolett-Katastrophe``, da es alle Energieniveaus für kurze Wellenlängen betraf. Dart nennt Valerie am See denn auch sinnigerweise Violetta, ,,Valerie mit lila drin``. Ebensowenig wie isolierte, punktförmige Ladungen stabil sind, kann es allein lebensfähige Menschen mit Asperger-Syndrom geben. Und so sprengt Violetta das Leben Nicols, die vorerst noch eine Rettung im Dirac-See sucht. Aber auch die Besetzung sämtlicher Löcher im Dirac-See behob die irrealen Divergenzen nicht. Wie Dirac 1933 ermittelte, schufen die besetzten Zustände negativer Energie sogar noch weitere Divergenzen in Verbindung mit den Wirkungen der Untergrundladung des Nullpunktsfeldes. Ähnlich wie das Singularitätenproblem in der Gravitationstheorie, könnte wohl nur eine endliche Länge im Raumzeit-Kontinuum die divergenten Energien prinzipiell begrenzen. Um die aus dem Ruder laufenden Rechnungen der QFT fortan mit den endlichen Messergebnissen weniger fundamental in Einklang zu bringen, wurden die Parameter der Theorie vorerst einfach ,,neu justiert``, ein Verfahren, das Renormierung genannt wurde und - hervorragend funktionierte. Whatever Works? Eine Rezepteliste von Ad-hoc Hilfen ist einer physikalischen Theorie natürlich unangemessen. Theoretische Prognosen sollten aus ersten Prinzipien folgen. Die sollten allerdings lange auf sich warten lassen. Wie Boris bereits erwähnte, gelang es erst Anfang der 1970er Jahre, aus den Gemeinsamkeiten zwischen Teilchenphysik und kritischen Phänomenen nicht nur der Stringtheorie, sondern auch der QFT zum Durchbruch zu verhelfen. Wilson spricht 1982 rückblickend in seiner Nobel lecture über: The renormalization group and critical phenomena. Danach erstrecken sich die Phasenübergängen vorangehenden Fluktuationen über viele Längenskalen und zeigen in ihren Korrelationen eine Universalität, die allgemein durch Fixpunkt-Bewegungen beschrieben werden können. Bei der Formalisierung dieser universellen Skalentransformationen erhielt Wilson eine Transformationsgruppe, mit der er nicht nur die kritischen Phänomene und Turbulenz behandeln konnte, sondern auch die Renormierungsprobleme der QFT lösen half.

In der Festkörper- und Teilchenphysik ebenso wie in der Theorie der Phasenübergänge und kritischen Phänomene funktioniert das Renormierungsverfahren ganz hervorragend. Leider versagt es in der Graviationstheorie. Eine ,,Quantisierung`` der allgemeinen Relativitätstheorie (ART) ist deshalb grundsätzlich nicht möglich. Eine Vereinheitlichung mit der QFT gelingt aber näherungsweise, da die Translationsinvarianz der ART als eine Form von Eichinvarianz geschrieben werden kann. Wie Weinberg in Gravitation and Cosmology hervorhebt, ist dabei das Äquivalenzprinzip der QFT entscheident, damit es in Analogie zur elektroschwachen Wechselwirkung für die Gravitaionswechselwirkung ein Graviton mit Spin 2 als Austauschboson zwischen Materie- und Eichfeld geben kann. Eine Vereinheitlichung von QM und ART allein gelingt in der sogenannten Schleifen-Quantengravitation (LQG). In ihr wird - wie in der ART - die allgemeine Einstein-Invarianz vorausgesetzt und die Existenz einer minimalen Länge angenommen, die mit der Plancklänge identifiziert wird. Als invariant fungieren dabei aber nicht das infinitesimale Linienelement, sondern Ringintegralen analoge Schleifen bzgl. eines ,,Raumflusses`` auf dem Planckniveau. Mit Hilfe von Spin-Netzwerken sind bereits Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren für Flächen und Volumina berechnet worden. Die Raumzeit der ART wird also allererst aus dem Quantenvakuum heraus erzeugt: Alles aus dem Nichts? Wie Bojowald im Heft 3/2011 des Physik Journals weiter ausführt, lässt sich im Rahmen der LQG sogar durch den ,,Urknall`` hindurch zurückrechnen. In Verbesserung der ART ist die LQG aufgrund der minimalen Länge singularitätenfrei! Die mit der Quantenstatistik verbundenen minimalen Phasenraumzellen hatten schon die Divergenzen der Thermostatistik verschwinden lassen. Eine Teilchenphysik innerhalb der LQG steht allerdings noch aus. Diesen Anspruch auf Vereinheitlichung aller Wechselwirkungen hat sich die Stringtheorie auf ihre Fahnen geschrieben.

Eine populärwissenschaftliche Darstellung der fast 40jährigen Geschichte der Stringtheorie hat Chalmers 2007 für Physics World verfasst unter dem Titel: Stringscape. 1987 erschien die erste Monographie zur Superstring theory von Green, Schwarz, Witten. Als einführendes Lehrbuch ist nach wie vor das Standardwerk String Theory von Polchinsky verbreitet, das erstmals 1998 veröffentlicht wurde. Chalmers knüpft in seiner historischen Übersicht an den Streit zwischen Smolin und Susskind an. Der ,,Relativitätstheoretiker`` Smolin zählt zu den Mitbegründern der LQG; in der Stringtheorie vermisst er die methodische Klarheit und konzeptionelle Geschlossenheit der ART und kritisiert vor allem die mangelnde empirische Prüfbarkeit und die astronomische Vieldeutigkeit der Kompaktifizierungen. Susskind dagegen hält es für besonders reizvoll, die gesamte Natur einmal aus den vielfältigen Anregungen einzelner plancklanger strings verstehen zu können. Die rund 10 hoch 500 Möglichkeiten, die es dabei gibt, aus den 10-dimensionalen Modellen durch Kompaktifizierung ein jeweils realistisches 4-dimensionales Modell zu erhalten, sieht er nicht als Nachteil an. Aus der vieldeutigen Not eine eindeutige Tugend machend, ist unser Kosmos für Susskind ein ,,Zufallsuniversum``, das sich gleichsam einem Darwin'schen Algorithmus folgend, unter den gerade obwaltenden Randbedingungen des Quantenuntergrunds im Nullpunksfeld, als das einzigartige hatte herausbilden können, in dem wir leben.

Entstanden war die Stringtheorie 1968 aus der Teilchenphysik heraus. Einen ersten Durchbruch auf dem Weg zur großen Vereinheitlichung gelang 1974 John Schwarz, indem er nachwies, dass geschlossene Strings genau jene Anregungen zeigten, die masselosen Bosonen mit Spin 2 entsprachen, und damit als Gravitonen angesehen werden konnten. Obwohl die bosonischen Strings nur 26-dimensional formulierbar waren, war das für Susskind gleichwohl eine große Sache, denn die Stringtheorie beschrieb nicht nur die Gravitation, sie machte sie als Konsequenz der Theorie notwendig! Den zweiten Meilenstein erlangten Green und Schwarz 1984 mit einer konsistenten supersymmetrischen Stringtheorie in 10 Dimensionen, die der speziellen orthogonalen Symmetriegruppe SO(32) genügte und damit die gleichen E8 Symmetrien aufwies wie das Standard-Modell der Teilchenphysik. Hinter diesem Durchbruch zur Superstringtheorie stand allerdings die ernüchternde Aussicht auf fünf verschiedene Theorien, die sich nach offenen und geschlossenen strings ebenso wie nach ihren jeweiligen Anregungsformen und -richtungen unterschieden. Fünf Stringtheorien für denselben Gegenstand! Aber ist das so ungewöhnlich? Die Quantentheorie umfasst mit denen nach Heisenberg/Schrödinger, Dirac/Feynman und Bohm/Dürr immerhin schon drei Theorien für ein und denselben Gegenstand. Der bislang letzte Entwicklungssprung in der Superstringtheorie gelang 1995 Edward Witten, der anhand von Dualitäts-Betrachtungen zeigen konnte, dass die fünf 10D Teiltheorien alle einer 11D Meta-Theorie angehörten, auch M-, Matrix- or Magische Theorie genannt. ,,Dual`` waren ihm dabei z.B. Theorien als T duality hinsichtlich der ,,Zirkularisierung`` ihrer Extradimensionen nach R bzw. 1/R, oder als S duality, wenn sich eine starke Kopplung in der einen Theorie wie eine schwache Kopplung in der anderen verhielt. Zwei weitere Meilensteine zum Ausklang des letzten Jahrhunderts waren natürlich: Maldacenan's AdS/CFT duality zwischen Stringtheorie und QFT sowie Randall's Alternative zur Kompaktifizierung durch Einführung von Braneworld-Modellen mit warped geometry.

Green, Schwarz, Witten leiten ihre Superstring theory mit einem Kapitel zu The Early Days of Dual Models ein und vergleichen darin den Beginn der Stringtheorie durch Veneziano mit dem der Quantentheorie durch Planck: In 1900, in the course of trying to fit experimental data, Planck wrote down his celebrated formula for black body radiation, ... that directly led, as we all know, to the concept of the quantum. In the 1960s, one of the mysteries in strong interaction physics was the enormous proliferation of strongly interacting particles or hadrons. Planck wurde gleichsam empirisch genötigt, von der in Boltzmanns statistischer Mechanik implizit enthaltenen Korpuskularannahme Gebrauch zu machen. Zuvor wurde zwar schon von Teilchen gesprochen, jetzt mussten sie ernst genommen werden. Erst Dürr hat diesen Erkenntnisweg 100 Jahre später abgeschlossen. Soweit ist die Stringtheorie noch nicht gediehen. In der Teilchenphysik der frühen 1960er Jahre ging es erst einmal darum, ein wenig Ordnung in die aus den verschiedenen Energie-Impuls-Kanälen bei den Streuexperimenten gewonnenen Ergebnisse zu bringen. This was the ``duality'' hypothesis, the hypothesis that s- and t-channel diagrams give alternative or ``dual'' description of the same physics. 1968 gelang es Veneziano dieses duale Modell in eine Streuformel zu kleiden, deren Vielteilchen-Verallgemeinerung interpretiert werden konnte - als a model of a relativistic string, the invention of what we would now call closed strings. Mathematisch konsistente Formulierungen bosonischer bzw. fermionischer strings im Rahmen der Lie Algebra erlaubten in der Folge aber nur Theorien für 26 bzw. 10 Dimensionen. Diese ,,Science Fiction`` und the failure of dual models to incorporate the parton-like behavior of strong interactions in certain kinematic regimes was one of the chief reasons for their demise as theories of strong interactions. Fortan machte in der Teilchenphysik das Quark-Modell das Rennen. Was blieb, war aber die Aussicht auf eine große Vereinheitlichung. Damit beginnt Polchinski a first look at strings: One of the main themes in the history of science has been unification. Newton verband in seiner Mechanik Galileis Wurfparabeln und Keplers Planetenbahnen, Maxwell vereinigte in seiner Elektrodynamik Elektrizität und Magnetismus, Hamilton führte in seiner Mechanik geometrische und physikalische Optik zusammen, Boltzmann schuf mit seiner statistischen Mechanik einen Rahmen für die Integration von Mikro- und Makrophysik, Einstein verwob in seiner ART Geometrie und Gravitation, Kaluza suchte die Verbindung von Gravitation und Elektromagnetismus in der 5. Dimension und im Standardmodell gelang eine Vereinheitlichung der elektromagnetischen, schwachen und starken Wechselwirkung nach Maßgabe des Vielteilchen-Schemas von Phasenübergängen und Symmetriebrüchen - bis hin zur Supersymmetrie: Each of these ideas - grand unification, extra dimensions, and supersymmetry - has attractive features and is consistent with the various tests of the Standard Model. Das Einbeziehen der Gravitaion ins Standardmodell scheitert allerdings an der Renormierbarkeit der vereinigten Theorie. Und so kommt Polchinsky zu dem Schluss: There is presently only one way known to spread out the gravitational interaction and cut off the divergence without spoiling the consistency of the theory. This is string theory. Beispielhaft werden die vielversprechenden Leistungen der Stringtheorie aufgezählt: In particular, if one tries to construct a consistent relativistic quantum theory of one-dimensional objects one finds: Gravity, a consistent theory of gravity (at least in perturbation theory), grand unification, extra dimensions, supersymmetry, chiral gauge couplings, no free parameters, uniqueness.

Für die Stringtheoretiker ist die Natur ein einzigartiges mathematisches Konstrukt. Und so scheint es Boris am Ende ähnlich wie Faust ergangen zu sein: Habe nun, ach! Philosophie, / Mathematik und Medizin, / Und leider auch Stringtheorie! / Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. / Da steh ich nun, ich armer Tor ! / Und bin so klug, als wie zuvor. Am Ende hat er sich der Magischen Theorie ergeben und ist erleichtert, dass sich das Universum endlich erklären lässt. Aber erklärt sie auch den Vorfall, über den Woody in seinem K. O. der Stringtheorie berichtet? Als ich am Freitag erwachte, brauchte ich, weil sich das Universum ausdehnt, länger als sonst, um meinen Morgenmatel zu finden. Deshalb brach ich mit Verspätung zur Arbeit auf, und weil rauf und runter relative Begriffe sind, fuhr der Aufzug, den ich nahm, zum Dach hinauf, wo es sehr schwierig war, ein Taxi zu rufen. Aber dafür bewegte sich das Taxi mit Überlichtgeschwindigkeit und nach einem Abstecher ins Römische Imperium - trat flugs die neue Sekretärin, Miss Lola Kely, herein. Die Frage, ob alles aus Tielchen oder aus Wellen besteht, mag noch offen sein, Miss Kelly jedoch besteht eindeutig aus Wellen. Und also näherte ich mich Miss Kelys Gravitationsfeld und merkte wie meine Strings vibrierten. Ich wollte nur eins: meine schwachen Eichbosonen um ihre starken Gluonen schlingen, durch ein Wurmloch schlüpfen und ein wenig quantentunneln. Da aber setzte mich die Heisenberg'sche Unschärferelation außer Gefecht. Wie sollte ich handeln, wenn ich ihre genaue Position und Geschwindigkeit nicht bestimmen konnte? Trotz allem fand er noch Zeit und Muße dafür, einen Wunsch vorzubringen und bat sie um einen englischen Muffin mit Muonen und Tee. ,,Mit Vergnügen``, sagte sie kokett lächelnd und verbog sich zu einer Calabi-Yau-Mannigfaltigkeit. Er merkte noch, wie seine Kopplungskonstante in ihr Schwachfeld vordrang, ... fand sich später aber auf dem Boden wieder - mit einem blauen Auge von der Größe einer Supernova. Wie sollte er damit vor seiner Frau bestehen? Die Physik kann mit Ausnahme des schönen Geschlechts wahrscheinlich alles erklären, aber meiner Frau habe ich erzählt, das Veilchen komme daher, dass sich das Universum zusammenziehe, statt sich auszudehnen, und ich hätte einfach nicht aufgepasst. Gut nur, dass Faust und Boris gerade keine Frau hatten,- aber wie lange noch? Denn mit der Hexe Trunk im Leibe, sah er Helenen bald in jedem Weibe. Musste Faust noch in teuflischer Manier eine Unschuld vom Lande verführen, wurde Boris 200 Jahre später von einer betrunkenen Ausreißerin zum Sex genötigt. Und aus der mythisch schönen Königin Helena war eine lebenspraktische Hellseherin geworden.

Die Filmkomödie Whatever Works kann auch als Parodie der Faust-Tragödie gesehen werden. Und über die Stringtheorie macht Woody sich in seinen anarchischen Kurzgeschichten lustig; sind es doch die hochkomplexen Calabi-Yau-Mannigfaltigkeiten, die es kompaktifizerend ermöglichen, aus den vieldimensionalen Räumen der Stringtheorie, die erfahrbare 4-dimensionale Welt zu erhalten. In 5000 Jahre Geometrie zitieren die Autoren aus dem Vortrag Riemanns Über die Hypothesen, welche der Geometrie zu Grunde liegen, den der Mathematiker 1854 in Göttingen vor einem breiten Publikum zum Besten gab. Als Beispiele für stetig veränderliche, mehrfach ausgedehnte Größen führt Riemann auch die Orte der Sinnengestände an und endet mit einem visionären Ausblick: Nun scheinen aber die empirischen Begriffe, in welchem die räumlichen Massbestimmungen gegründet sind, der Begriff des festen Körpers und des Lichtstrahls, im Unendlichkleinen ihre Gültigkeit zu verlieren; es ist also sehr wohl denkbar, dass die Massverhältnisse des Raumes im Unendlichkleinen den Voraussetzungen der Geometrie nicht gemäss sind. Die Mannigfaltigkeiten Riemanns mit reeller Maßbestimmung sind von Kähler zu komplexen Mannigfaltigkeiten mit spezieller hermitischer Metrik verallgemeinert worden. Wie Polchinski weiter ausführt, sind die von Calabi und Yau untersuchten Mannigfaltigkeiten wiederum spezielle Kähler-Mannigfaltigkeiten. Eine hermitische Metrik entgrenzt den reellen Raum gleichsam ins magisch Imaginäre und lässt eine über die höheren Dimensionen hinausgehende Anschaulichkeit vermissen. Die rund 10 hoch 500 Möglichkeiten einer Calabi-Yau-Kompaktifizierung in der 10D Superstringtheorie sind kaum noch anders als satirisch zu inszenieren. Konsequenterweise üben sich die Abweichler der LQG in Bescheidenheit und knüpfen wieder an den von Einstein gehegten Anspruch auf logische Geschlossenheit einer Theorie an. Ebenso wie sich die Planeten in der Mechanik Newton's in einem externen Raum bewegen und damit wie die Schauspieler auf einer separaten Bühne agieren, vibrieren auch die strings gleichsam vor räumlicher Kulisse. In der ART dagegen kommt der Raummetrik zur Bestimmung der Krümmung wie der Gravitation eine Doppelbedeutung zu. Der ART ist nichts ,,äußerlich``, Ursachen und Wirkungen sind selbstkonsistent aufeinander bezogen. Und so bleibt es auch in der LQG, in der die Bezugsystems-Invarianz der ART ins Extrem einer allgemeinen ,,Hintergrund-Unabhängigkeit`` getrieben wird. Die Naturgesetze bzw. physikalischen Sätze gelten raumzeit-unabhängig, also ohne jegliche Voraussetzung einer Zeit oder eines Raumes bzw. einer Raumzeit. Der Raum wird selbst erst hervorgebracht aus den invarianten Schleifen bzgl. der primären Spin-Netzwerke. Es ist aber nicht der phantastische hochdimensionale Raum der Stringtheorie, sondern der ganz gewöhnliche dreidimensionale Raum der ART. Denn vom Planckniveau bis hin zur Ausdehnung der Atomkerne sind es immerhin 20 Größenordnungen, über die aus den diskreten ,,Flächen- und Raumquanten`` asymptotisch ein kontinuierlicher Raum aufsummiert wird. Die der Einstein'schen Feldgleichung analoge, aber zeitfrei gültige Wheeler - De Witt - Zustands-Gleichung des Universums lässt dann erst die ,,Zeitschichtungen`` zu, aus denen - neben vielen Parallelwelten - auch unsere einzigartige Erfahrungswelt hervorgehen mag.

Schwingende ,,Saiten`` in einem flachen, aber hochdimensionalen Raum oder schleifeninvariante ,,Raumflüsse``, die eine dreidimensionale Mannigfaltigkeit generieren: es bleiben mathematische Konstrukte. Theoretiker mögen dem noch folgen können, Experimentatoren versuchen sich da lieber an einer empirischen Synthese. Sie untersuchen die Natur nur noch insoweit, wie sie sich zeigt, wenn sie mit realisierbaren Messgeräten untersucht wird. Aber bestimmt nicht die Theorie, was messbar ist? Wäre ohne Einsteins Prognose irgendjemand auf die Idee gekommen, die Ablenkung des Lichts eines Fixsterns im Schwerefeld der Sonne zu messen? Eddington's Bestätigung Einsteins machte den Urheber der ART 1919 schlagartig weltberühmt. ,,Raumkrümmung`` und ,,Relativität`` wurden zu geflügelten Worten, obwohl kaum jemand die ART verstand und ihre Verquickung von Geometrie und Gravitation als ausnehmend unanschaulich galt. Die den Weltruhm des Juden Einstein mit Argwohn verfolgenden Deutschnationalen machten daraus der ,,jüdischen Physik`` einen grundsätzlichen Vorwurf. Die ,,Deutsche Physik`` hatte demgegenüber ,,anschaulich`` zu sein. Wie Hentschel in seinen Interpretationen weiter ausführt, galten den angelsächsischen Pragmatikern und Empiristen Quanten- und Relativitätstheorie schon länger als typisch deutsche ,,mathematisch-metaphysische Delirien``. Während Einstein sich offensiv gegen diese engstirnig-anthropozentrische Forderung nach Anschaulichkeit verwahrte, scheint Heisenberg den Vorworf der ,,Unanschaulichkeit`` sehr ernst genommen zu haben. Er war jung, wollte Karriere machen und ebenfalls weltberühmt werden; es aber nicht dem Zufall überlassen. Mit dem Ungestüm der Jugend deutete er in seiner grundlegenden Arbeit Über den anschaulichen Inhalt der Quantentheorie die bisherigen Grundbegriffe der Physik um und forderte eine allein auf die Wahrnehmungen bezogene Interpretation des Formalismus. Glich er in seinem Überschwang nicht dem Baccalaureus aus dem Faust, der da ausrief: Dies ist der Jugend edelster Beruf! / Die Welt, sie war nicht, eh ich sie erschuf. Heisenbergs mit dem Messeingriff in der Laborpraxis begründete Unschärferelation sollte ihn in der Tat weltberühmt machen. Gegenüber dem ins Weltall hinausdenkenden Einstein, verhielt er sich damit wie Homunculus, der gefangen in seinem Glaskäfig bekennt: Das ist die Eigenschaft der Dinge: / Natürlichem genügt das Weltall kaum, / Was künstlich ist, verlangt geschloßnen Raum. Die skurrilen instantanen Quantenkorrelationen zeigen sich nur unter extrem künstlichen Laborbedingungen. Demgegenüber sind die instantanen Vielteilchenkorrelationen in den Fluktuationen beim Erreichen kritischer Bereiche vor Phasenübergängen ebenso allgegenwärtig wie die bizarren chaotischen Attraktoren in den vielfältigen Wetterphänomenen. Schon der kleine Boris hatte all das bei Mutti in der Küche an der Oberfläche kochenden Wassers gesehen. Und Einstein folgte bereits als Kind einem Lichtstrahl und fragte sich, ob er dabei wohl noch sein Spiegelbild sehen könne. So geheimnisvoll wie die isolierbaren Quantenkorrelationen sind auch die universalen Gravitationswellen, die allerdings zu schwach sind, um direkt gemessen werden zu können. Die mit ihnen von schnell umeinander rotierenden Doppelsternen abgestrahlte Energie ist mit der ART auf sagenhafte 14 Stellen genau berechenbar. Aber das sind nur theoretische Indizien, keine experimentellen Beweise.

Schließen möchte ich mit dem Höhlengleichnis, das den Film Woody Allen's und die Physik Alexander Polyakov's durchzieht. Im ,,Höhlengleichnis`` vergleicht Sokrates uns Menschen mit Gefangenen, die in einer Höhle sitzen, an Kopf und Händen gefesselt, mit dem Blick auf die Höhlenwand gerichtet. Weit hinter ihnen brennt in der Höhle ein Feuer. Hinter dem Rücken der Gefangenen werden Figuren vorbeigetragen, deren Schatten im Lichte des Feuers sich auf der Höhlenwand abzeichnen. Diese Schatten halten die Gefangenen für die Wirklichkeit. Was könnte ein befreiter Gefangener seinen ehemaligen Leidensgenossen von der Realität erzählen? Carl Friedrich von Weizsäcker deutet das Gleichnis in dreifacher Weise: moralisch-politisch, mathematisch-physikalisch und seelisch-mystisch. Dabei kategorisiert er in jeder Weise nach den Symbolen in der Höhle und außerhalb: innere Schatten, innere Figuren, äußere Schatten, äußere Gegenstände und - die Sonne. Moralisch-politisch: Alltagshandeln, Gesellschaft, Moral, Ideen und - ,,das Gute``. Mathematisch-physikalisch: Sinnesempfindungen und Wahrnehmungen; physikalische Gesetze und Einschränkungen; mathematische Definitionen, Sätze und Beweise; allgemeine Prinzipien und - ,,das Eine``. Seelisch-mystisch: Gefühle und Stimmungen; Wollungen und Vorstellungen; Anlagen und Archetypen; Kultur und Zivilisation sowie - ,,die Unio Mystica``. Für einen Idealisten ist die jeweilige ,,Sonne`` vorgegeben, ganz so wie das Zentrum unseres Planetensystems. Ein Materialist dagegen erfreut sich an Gleichnissen nur in der Poesie. Er abstrahiert aus den Invarianten der Handlungen, Wahrnehmungen und Gefühlen erst methodisch nachvollziehbar das, was der Idealist einfach dogmatisch voraussetzt. Die Mathematik beginnt mit dem Zählen und Zeichnen und abstrahiert daraus die Zahlen und Figuren. Das Messen von Entfernungen, Dauern und Gewichten steht am Anfang der Ideationen von Länge, Zeit und Materie in der Physik. Sieht man von den Realisationsmängeln der physikalischen Grundgrößen ab, sind ihre Begriffe auch rein mathematisch behandelbar - und mit dem Ziel auf das ,,das Eine`` der Vereinheitlichung zugänglich. Und so ist es kein Zufall, dass sich bereits Kaluza vor seiner Vereinheitlichung von ART und ED mit dem Höhlengleichnis beschäftigt hatte. Unsere 4d ART-Welt ist gleichsam der Schatten einer 5d ART/ED-Welt. Daniela Wuensch hat in ihrer lesenswerten Biographie Theodor Kaluzas seinen Erkenntnisweg in die 5. Dimension nachzuzeichnen versucht. Für Yellnikoff in Whatever Works ist die Lebenswelt seiner Zeitgenossen auch bloß der Schatten oder eine Projektion der wirklichen Welt. Nur er sieht immer wieder das ,,ganze Bild``, ebenso wie Randall und Polyakov: our 4d world is a projection of a more fundamental 5d string theory. Wer so viel Weitblick hat, den deprimiert natürlich die chronische Unzufriedenheit und der spießige Stumpfsinn seiner Mitmenschen, so dass er sie nur noch für Höhlenmenschen einer evolutionären Fehlentwicklung hält: On the whole, I'm sorry to say, we're a failed species. Was als Minimalkonsens bleibt, ist lediglich: Whatever Works, sowohl im Leben wie in Kunst und Wissenschaft.

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Ingo Tessmann 2011-06-26