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Einsteins Forschungsprogramm

Mit einer Theorie der Forschungsprogramme soll berücksichtigt werden, dass Wissenschaft keine Privatangelegenheit einzelner Forscher ist, die in einsamer Abgeschiedenheit ihren Visionen folgen und Interessen nachgehen. Wissenschaft hat überprüfbar, lehrbar und institutionalisierbar zu sein. Neben dem inneren Begründungszusammenhang steht sie immer auch in einem äußeren Entstehungs- und Verwertungszusammenhang. Gesellschaftliche Umwälzungen und polit-ökonomische Rahmenbedingungen werden dabei präzisiert durch Paradigmen, Erkenntnisinteressen und Themata.

Mit Paradigmen werden seit Kuhn die metaphysischen Überzeugungen und forschungspolitischen Annahmen bezeichnet, die den Entwurf der Theorien und die Planung der Experimente leiten. Die von Habermas im Wissenschaftsbetrieb vermuteten erkennnisleitenden Interessen beziehen sich demgegenüber eher auf die handfesten polit-ökonomischen Interessen, die in der jeweiligen Forschungsorganisation erkenntnisleitend wirksam werden. Und die Themata Holtons meinen darüber hinaus die individuelle Seite des Forschens, wie sie sich in den persönlichen Vorlieben, Werthaltungen und Orientierungen des jeweiligen Wissenschaftlers äußern.

Paradigmen, wie beispielsweise das geozentrische Weltbild, kennzeichnen die normale Wissenschaft. Wissenschaftliche Revolutionen lassen sich dann als Paradigmenwechsel beschreiben, wie z.B. der Übergang vom geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild. Das Paradigma leitet die Interessen bei der Auswahl und Gewichtung der Probleme wie bei der Erhebung und Interpretation der Daten, während die Themata spezieller die Methoden bestimmen, ob z.B. mit kreisförmigen Deferenten und Epizykeln, wie bei Ptolemäus und Kopernikus, gearbeitet wird oder mit Ellipsen, wie bei Kepler. Weitere Themata wären Korpuskular- oder Wellentheorie, Nah- oder Fernwirkungsprinzip.

Ein allgemeineres Paradigma ist das der exakten Wissenschaft. Geschaffen in der griechischen Antike von Thales über Euklid, Aristarch und Archimedes bis hin zu Ptolemäus, hatte der Aufbruch in die Moderne von Kopernikus über Kepler und Galilei bis hin zu Newton seine Revolutionierung zur Folge. Und im 20. Jahrhundert wurde es von Einstein und Heisenberg zum näherungsweise vereinheitlichenden Paradigma (NVP) verfeinert. In ihm umfassen jeweils in sich abgeschlossene Theorien einen logisch-mathematisch wie empirisch-experimentell überprüften Geltungs-, Güligkeits- und Genauigkeitsbereich, der möglichst sicher, weit und tief sein sollte.

Die von Staat und Wirtschaft vorgegebenen Ziele zur Verbesserung der Gesellschaft bestimmen die Interessen der Forschungspolitik, wenn z.B. neue Waffen oder Kraftwerke entwickelt werden sollen wie etwa Laserkanonen oder Fusionsreaktoren. Derartig anwendungsbezogene Forschung lässt den Forschern natürlich weniger Spielraum, ihren Themata zu folgen, als die Grundlagenforschung. Hinsichtlich der Grundlagen kann eine kontinuierlich-deterministische Theorie ggf. einer atomistisch-stochastischen vorgezogen werden.

Im Zuge der deutschen Großmachtpolitik nach der Reichsgründung 1871 kam es durch die großzügige Förderung von Naturwissenschaft und Technik zu einer gewaltigen Ausweitung des militärisch-industriellen Komplexes in Deutschland. Davon provitierten nicht nur die Schwerindustrie und der Energiesektor, sondern auch die chemische Industrie und das Verkehrswesen und nicht zuletzt die neuen Disziplinen Elektro- und Nachrichtentechnik. In der Elektrofirma seiner Familie bekam Einstein im Detail die Fortschritte in der Beleuchtungstechnik mit und konnte verfolgen wie im Verkehrswesen und der Nachrichtentechnik das Synchronisieren der Uhren vorgenommen wurde. Technische Anwendung und theoretische Reflexion gingen dabei Hand in Hand. Denn Physik ist ja seit Galilei immer zugleich quantitative Experimentalwissenschaft und mathematisch-spekulative Naturphilosophie.

Die folgenreiche Entdeckung des Wirkungsquantums wurde nicht zufällig um 1900 in Berlin gemacht. Planck konnte auf die weltweit beste Laborausstattung zurückgreifen. Denn die Untersuchung der Schwarzkörperstrahlung diente dem Ziel, verbesserte Temperatur-Messmethoden für die Schwerindustrie zu entwickeln.

Die großspurige politische Förderung von Naturwissenschaft und Technik zog eine Welle populärwissenschaftlicher Propaganda und Information nach sich. Das wirkte sich positiv auf die Verbreitung einer materialistischen Weltsicht aus, von der auch Einstein provitierte als er mit unbändigem Eifer Bernsteins naturwissenschaftliche Volksbücher verschlang. Die Lektüre befreite ihn von seiner frühen religiösen Prägung und ließ ihn fortan zu einem Freigeist werden, der keiner Religion oder Ideologie mehr traute. Zwischen 1888 und 1894 besuchte Einstein das Luitpold Gymnasium in München. Die dortigen Unterrichtsmethoden deprimierten ihn nachhaltig: Mir scheint es das Schlimmste, wenn eine Schule prinzipiell mit den Methoden der Angst, der Gewalt und der künstlichen Autoriät arbeitet. Solche Behandlungsmethoden zerstören die gesunden Gefühle, die Aufrichtigkeit und das Selbstvertrauen der Schüler. Damit produziert man den unterwürfigen Untertan.

Einstein war ein Spätentwickler von grüblerischer Natur, der mehr in der Freizeit als in der Schule lernte. Diese Neigung behielt er noch im Studium bei und wich auch nicht während seiner ersten Anstellung im Berner Patentamt zwischen 1902 und 1908 von ihr ab. Schon als Kind machte der Umgang mit einem Kompass auf ihn einen nachhaltigen Eindruck. Was bewirkte diese geradezu wundersame Bewegung der Magnetnadel? Welche verborgenen Kräfte walteten im Universum? Die Feldtheorie sollte ihn sein Leben lang in den Bann ziehen. Ein paar Jahre später ließ ihn die Euklidische Geometrie nicht mehr los. Wie war es möglich, allein durch Denken wahre Sätze über den Raum beweisen zu können? Angeregt durch die Volksbücher fragte er sich dann als Jugendlicher, was wohl geschehe, wenn man einem Lichtstrahl mit Lichtgeschwindigkeit nacheile? Sah man noch sein Spiegelbild? Existierte überhaupt ein ruhendes elektromagnetisches Feld? Mit ungestümer Leidenschaft stürzte er sich in das Studium der höheren Mathematik, um Maxwells Elektrodynamik zu verstehen. Alle Themen, die Einstein sein Leben lang beschäftigten, waren bereits in seiner Kindheit und Jugend versammelt. Das gedankliche Erfassen dieser außerpersönlichen Welt im Rahmen der uns gebotenen Möglichkeiten schwebte ihm halb bewußt, halb unbewußt als höchstes Ziel vor.

Zur Entspannung in gelegentlich nötigen Denkpausen pflegte er das Violinenspiel, mit dem er als Kind von fünf Jahren begonnen hatte. Auch diese Leidenschaft hielt sein ganzes Leben über unvermindert an. Neben Wissenschaft und Kunst bestimmte natürlich auch die Liebe Einsteins Leben. In der Jugend gehören alle Gedanken der Liebe; im Alter gehört alle Liebe den Gedanken, hat er einmal geschrieben. In diesem Sinne war Einstein früh gealtert. In seiner ersten Liebe zu Marie Winteler während seiner Schulzeit in der Schweiz fehlte ihm die Gemeinsamkeit sehnenden Suchens beim Enträtseln des Geheimnisvollen. Dem Seelenkampf seiner ersten gescheiterten Liebe entsprangen folgende Zeilen: Die angestrengte geistige Arbeit & das Anschauen von Gottes Natur sind die Engel, welche mich versöhnend, stärkend & doch unerbittlich streng durch die Wirren dieses Lebens führen werden. Seine zweite Liebe zu der Kommilitonin Mileva Maric während der Studienzeit vermittelte ihm den Rausch des Gemeinschaftsgefühls im Lieben und Studieren nur vorübergehend. Schnell erstarb der verzückte Überschwang im Alltag des Ehelebens. Dazu meinte er rückblickend: Die Ehe ist der erfolglose Versuch, einen Zufall zu etwas Dauerhaftem zu machen. Einsteins zweite Ehe war nur noch eine Zweckgemeinschaft, neben der er sein Leben lang wechselnden erotischen Freundschaften nachging. Wie stark er auf seine Eigenständigkeit wert legte, zeigen folgende Zeilen aus seinem Nachlaß:

Unbehaglich macht mich stets das Wörtchen ,,wir``

Denn man ist nicht eins mit einem andern Tier.

Hinter allem Einverständnis steckt

Stets ein Abgrund, der noch zugedeckt.

Dauerhaft unterhielt Einstein nur intellektuelle Freundschaften, etwa zu seinen Studienkollegen Michele Besso und Marcel Grossmann oder zu den ,,Akademikern`` Conrad Habicht und Maurice Solovine sowie in Princeton zu Kurt Gödel. Das Wesentliche im Leben eines Menschen von meiner Art, ist, wie er denkt und was er denkt, nicht was er tut oder erleidet, schrieb er später. Mit dem Philosophie-Studenten Solovine und dem Studenten der Mathematik Habicht, gründete Einstein 1903 die Diskussionsgemeinschaft Akademie Olympia. Zusammen lasen und besprachen sie Texte und Bücher verschiedener Philosophen und Wissenschaftler, wie Plato, Spinoza, Hume, Kant, Mill, Avenarius und Poincaré. Während seiner Studienzeit zwischen 1896 und 1900 hatte Einstein nebenher die Originalarbeiten und Bücher herausragender Physiker gelesen. Philosophisch anregend und nachwirkend waren dabei vor allem Machs Analyse der Empfindungen und seine Mechanik, historisch-kritisch dargestellt. Unter seinen Vorbildern dominierten neben Galilei und Newton noch Faraday und Maxwell sowie Kirchhoff, Helmoltz und Boltzmann. Für Einstein und seine Mitstreiter war es selbstverständlich, dass sie sich auch mit der Geschichte und Philosophie ihrer Fachwissenschaften beschäftigten.

Im Rahmen des Paradigmas der exakten Wissenschaft waren Theorien zu interpretierten Formalismen geworden, die dem Prinzip der Vereinheitlichung folgend immer mehr Einzelphänomene und Teiltheorien umfassten. Newton hatte aristotelische Bewegungslehre und archimedische Statik sowie Galileis Erd- und Keplers Himmelskinematik zu einer abgeschlossenen Theorie vereinigen können, die auf wenigen Definitionen, Postulaten und Axiomen basierte. Aus seinem Gravitationsgesetz folgen neben den Wurfparabeln auch die Ellipsenbahnen und Fluchthyperbeln der Planeten, Kometen und Raketen. Die Mechanik der Kontinua bezieht neben den deformierbaren Festkörpern auch Flüssigkeitsströmungen und Gasvolumina ein. Zudem sind Schall und Wärme mechanistisch verstehbar.

Nachdem der Astronom Hamilton um die Mitte des 19. Jahrhunderts versucht hatte, auch die Lichterscheinungen in den Formalismus der Mechanik einzubeziehen, konnte er umgekehrt zeigen, dass die Mechanik als geometrisch-optischer Grenzfall der Wellenoptik aufgefasst werden konnte. Danach entsprechen den Teilchenbewegungen die senkrecht zu den Wellenfronten sich im kontinuierlichen Medium fortpflanzenden Lichtstrahlen. Heron hatte schon um 300 das Reflexionsgesetz aus dem Prinzip des kürzesten Weges gefolgert; Fermat dann im 17. Jahrhundert aus dem Prinzip der kürzesten Zeit das Brechungsgesetz herleiten können. Die Verallgemeinerung zum Prinzip der kleinsten Wirkung durch Euler und Lagrange ermöglichte es Hamilton wiederum, Teilchenbahnen aus Extremalbedingungen für Wirkungswellen herzuleiten. Im Rahmen des Extremalprinzips sind die Bewegungsgleichungen dem Wirkungsintegral äquivalent, d.h. Wirkungsursache und Zielvorgabe sind einander gleichwertig!

Zu der Zeit als Galilei sich mit den Untersuchungen der Fall- und Wurfbewegungen beschäftigte und sein Teleskop in den Himmel richtete, erforschte Gilbert den Magnetismus und sah die Erde insgesamt als großen Magneten an. Nachdem Ampére den Zusammenhang zwischen elektrischem Strom und Magnetismus nachgewiesen hatte und Coulomb in Analogie zur Gravitationswirkung zwischen Massen eine Elektrizitätswirkung zwischen Ladungen ermitteln konnte, postulierte Faraday die Existenz von Feldlinien als Träger der Kraftwirkungen zwischen Ladungen, Strömen und Magnetpolen. Maxwell gelang es dann um die Mitte des 19. Jahrhunderts unter kreativem Einsatz des Energieerhaltungssatzes Magnetismus und Elektrizität in einer gemeinsamen Theorie der Elektrodynamik zu vereinheitlichen. Als Frucht dieser Vereinheitlichung konnte er die Existenz elektromagnetischer Wellen nachweisen und zeigen, dass Licht alle Eigenschaften dieser Wellen hatte. Neben der Newtonschen Mechanik war mit der Maxwellschen Elektrodynamik eine weitere abgeschlossene Theorie entwickelt worden. Die Unvereinbarkeit zwischen diskreten Ladungen und kontinuierlichen Wellen bestand aber weiter. Im Gegensatz zur Newtonschen Mechanik war mit dem elektromagnetischen Feld aber das Nahewirkungsprinzip untermauert worden, da sich die elektromagnetischen Feldwirkungen mit der endlichen Lichtgeschwindigkeit ausbreiteten. Und Einstein wies dann nach, dass sich die Maxwellsche Elektrodynamik hinsichtlich der Invarianz bei der Wahl verschiedener Bezugssysteme nicht wie die Newtonsche Mechanik verhielt.

Die mit dem Wirkungsquantum und der Elementarladung eingeführten Diskontinuitäten verschärften die Annahmen der Atomisten. Und die mit den Lichtwellen nach wie vor bestehenden Kontinuitäten wurden durch die Feldtheorie zugespitzt. In dieser Krisensituation der Physik trat Albert Einstein auf den Plan, ein Freigeist, der unverfroren und vorurteilsfrei genug war, die Krise einer grundsätzlichen Lösung zuzuführen. Seinen Werdegang persönlicher Dezentrierung hatte er mit der Befreiung vom Nur-Persönlichen und der Hinwendung zur nicht misstrauenswürdigen Ordnung in den Naturerscheinungen erreicht. Staunenswerte Naturerscheinungen, religiöse Bevormundung und autoritäres Gehabe in der Schule veranlassten ihn, vorzeitig das Müncher Luitpolt-Gymnasium zu verlassen und sein Glück in der liberalen Schweiz zu versuchen. Dort konnte er seinen Neigungen nach studieren und musizieren, verliebte sich allerdings so unglücklich, dass er sich weiter von seinen Mitmenschen entfernte. Während des Physikstudiums und vor allem durch seine umfangreichen privaten Studien seiner Vorbilder muss es ein für ihn berauschendes Erleben gewesen sein, in der Reflexion der Theorien-Entwicklung eine ähnliche Dezentrierung wahrzunehmen wie er sie persönlich und gesellschaftlich erfahren hatte. Bereits 1901 berichtet er über eine Arbeit zur Relativbewegung. In diese Zeit fallen auch seine Bemühungen darum, die Existenz der Atome nachweisen zu können. Das besonders durch Mach angeregte historisch-kritische Studium der Physik hatte reiche Früchte getragen.

In Einsteins Krisendarstellung der Physik geht es ihm zunächst um die Hervorhebung allgemeiner Gesichtspunkte, nach denen physikalische Thoerien überhaupt kritisiert werden können. Dabei unterscheidet er 1.) innere Vollkommenheit, 2.) äußere Bewährung sowie 3.) Einfachheit und Reichhaltigkeit einer Theorie. Die Anwendung dieser Aspekte auf die Kritik der Mechanik als Basis der Physik liefert folgende Präzisierungen:

  1. Mit der Kritik der Mechanik unter dem Aspekt der inneren Vollkommenheit knüpft Einstein an die philosophische Tradition des Rationalismus an, der heute spezieller unter dem Titel Kohärenztheorie der Wahrheit diskutiert wird. Demgemäß ergeben sich für ihn ernste Bedenken bei der Einverleibung der Wellenoptik in die Mechanik. Zudem nötige die Faraday-Maxwellsche Elektrodynamik zur Einführung elektrischer Massen und unterstelle die Existenz von Feldern im leeren Raume. Damit seien zweierlei Begriffselemente geschaffen: materielle Punkte mit Fernkräften und kontinuierliche Felder.
  2. Mit der Nennung des Aspektes der äußeren Bewährung folgt Einstein der philosophischen Tradition des Empirismus, der wahrheitstheoretisch gewendet als Korrespondenztheorie der Wahrheit diskutiert wird. Einstein bezieht sich zunächst auf die positivistische Newton-Kritik Machs. Nach ihm seien alle starren Koordinatensyteme als gleichwertig anzusehen und die Trägheit sei auf die Wechselwirkung der (schweren) Massen zurückzuführen (Machsches Prinzip). Weiter stört Einstein die Primitivität der mechanischen Basis: die Bewegungsgesetze seien zwar präzis, aber leer. Die Kraftgesetze böten einen Spielraum für Willkür. Diese Bewährungsgesichtspunkte hätten Konsequenzen für die Kohärenz der Theorie: es verschwänden die Unsymmetrien zwischen träger und schwerer Masse sowie potentieller und kinetischer Energie.
  3. Allgemeine thermodynamische Prinzipien, wie den 2. Hauptsatz, als Maßstab für die Vereinheitlichung anderer Theorien zu nehmen, führe nach Einstein zur Vereinfachung der theoretischen Basis wie zu größerer Reichhaltigkeit erklärbarer Naturbeobachtungen und experimenteller Meßergebnisse.

Neben der Kritik des mechanistischen Weltbildes ergibt sich nach Einstein eine zweite fundamentale Krise der Physik aus den Folgerungen des Planckschen Strahlungsgesetzes, die sowohl der Mechanik als auch der Elektrodynamik widersprächen. Es ergäben sich Konsequenzen für die Struktur der Strahlung wie für ein alternatives elektromagnetisches Fundament der Physik.

Nachdem Einstein 1902 eine Anstellung im Berner Patentamt gefunden hatte, die ihn nicht sonderlich anstrengte, konnte er nebenbei frei seinen kritischen Erkenntnisinteressen folgen und die Grenzen seiner Themata ausreizen, d.h. nach Ordnung und Gewissheit, Einheitlichkeit und Einfachheit streben. Sein Forschungsprogramm bestimmten auch naturphilosophische Überlegungen; ging es ihm doch in der Regel um das Grundsätzliche. Stets bemühte er sich um eine Grundlegung der Theorien durch wenige fundamentale Prinzipien. Mit ungewöhnlicher physikalischer Intuition und möglichst einfacher mathematischer Beweisführung arbeitete er die Unstimmigkeiten und Gültigkeitsgrenzen der Theorien heraus und bemühte sich nach seinem Maßstab der Vollkommenheit um eine Vereinfachung und Vereinheitlichung des physikalischen Theoriengebäudes. Unstimmigkeiten sah er in den Symmetriebrüchen der mathematischen Strukturen und die Gültigkeitsgrenzen der Theorien sollten seinen kosmischen Visionen gemäß möglichst weit hinaus geschoben werden. Die Durchbrüche in seiner berühmten Trilogie von 1905 gelangen ihm jeweils in den kritischen Übergangsbereichen zweier Theorien: Die Relativitätstheorie ergab sich aus Mechanik und Elektrodynamik, die Photonenhypothese aus Thermodynamik und Quantentheorie und der Nachweis der Atome durch die Brownsche Bewegung aus der Mechanik und der statistischen Physik. Einsteins Arbeiten handeln immer auch ein wenig von ihm selbst und bleiben klassischen Vorbildern verhaftet, die er in kongenialer Weise weiterführt.

Anlässlich seiner Aufnahme in Die Kaiserlich Deutsche Akademie der Naturforscher zu Halle, hatte Einstein 1932 eine kurze Selbstbiographie zu schreiben: Ich bin in Ulm als Sohn jüdischer Eltern am 14. März 1879 geboren. Mein Vater war Kaufmann, zog bald nach meiner Geburt nach München, später 1893 nach Italien. Bemerkenswert an diesem Beginn ist sein Selbstbewusstsein, das er zeigt, indem er 1932 ausdrücklich darauf hinweist Jude zu sein. Von reaktionären und nationalsozialistischen Akademiemitgliedern wurde das als Provokation empfunden. Nach der knappen Schilderung seines schulischen und universitären Werdegangs hebt er hervor: Seit 1914 bin ich bezahltes Mitglied an der Preuss. Akademie d. Wissensch. in Berlin und kann mich ausschließlich der wissenschaftlichen Forschungsarbeit widmen. Das war ganz nach seinem Geschmack, eine Forschungstätigkeit ohne Lehrverpflichtung. Zurückgezogen in seiner Bärenhöhle im Turmzimmer des Instituts konnte er sich ungestört seinen Studien widmen. Unter seinen zahlreichen Veröffentlichungen zählt er die wichtigsten zu folgenden Themen auf:

Brownsche Bewegung (1905)

Theorie der Planckschen Formel und der Lichtquanten (1905, 1917)

Spezielle Relativitätstheorie und Trägheit der Energie (1905)

Allgemeine Relativitätstheorie 1916 und später

Ferner sind Arbeiten über die thermischen Schwankungen zu erwähnen

sowie eine 1917 mit Prof. W. Mayer verfasste Arbeit über die einheitliche Natur von

Gravitation und Elektrizität.

Mit seiner Arbeit zur Brownschen Bewegung hatte er die Theorie stochastischer Prozesse in die Physik eingeführt und eine experimentelle Überprüfung der atomistischen Struktur der Materie allererst ermöglicht. Seine Analyse des Planckschen Strahlungsgesetzes schwarzer Körper hatte 1905 die implizite Annahme von Feldquanten des elektromagnetischen Feldes zutage gefördert und kann als erste Vorarbeit zur später so erfolgreichen Quantenfeldtheorie des Standardmodells angesehen werden. In seiner weitergehenden Analyse der Planckschen Formel von 1917 führte er die Schwarzkörperstrahlung auf elementare, zufällige Emission- und Absorptionsprozesse in den Atomen zurück. Dabei machte er die Annahme einer auch induzierten Emission; hatte also nichts geringeres als die erste LASER-Theorie formuliert! In seiner 1905 veröffentlichten speziellen Relativitätstheorie reformulierte er auf der Grundlage zweier (spezieller) Prinzipien die gesamte Elektrodynamik. Unter Zugrundelegung zweier (allgemeiner) Prinzipien vollendete Einstein 1916 mit der allgemeinen Relativitätstheorie die Gravitationstheorie Newtons in einem visionären Entwurf, der die Energieverteilung im Universum wechselwirkend mit der vierdimensionalen Raumzeit-Krümmung in Beziehung setzte. Mit der bescheidenen Erwähnung seiner Arbeiten über die thermischen Schwankungen sind seine Grundlagenarbeiten zur statistischen Mechanik gemeint, dann seine quantentheoretische Behandlung der spezifischen Wärme von Festkörpern und zur Quantenstatistik der Bosonen. An einer Vereinheitlichung von Gravitation und Elekromagnetismus im Rahmen seiner Theorie ist er aber gescheitert, obwohl er sich bis an sein Lebensende immer wieder damit beschäftigte. Das Problem ist bis heute ungelöst.

Wichtig für das Verstehen der Relativitätstheorie ist ihr Bezug auf Invarianzforderungen. Einstein ging es nicht um einen naiven Relativismus, sondern gerade umgekehrt darum, möglichst weitgehend von der Wahl des Bezugssystems unabhängige und im gesamten Universum gültige physikalische Gesetze zu formulieren. Der Unabhängigkeit der Gesetze vom Bezugssystem entspricht dabei die jeweilige Invarianz des Formalismus von der Rauzm-Zeit-Transformation. In seiner 1905 veröffentlichten Arbeit Zur Elektrodynamik bewegter Körper bereinigte er die Theorie von Asymmetrien, indem er von zwei Prinzipien ausging: das Prinzip der Relativität und das Prinzip von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit. Nach dem Relativitätsprinzip sollten für alle Koordinatensysteme, für welche die mechanischen Gleichungen gelten, auch die gleichen elektromagnetischen und optischen Gleichungen gelten. Mit Blick auf eine Grundlegung der physikalischen Theorien nahm Einstein also die Elektrodynamik zum Vorbild einer Revision der Mechanik.

Zusammenfassend lassen sich aus der Reformulierung der Elektrodynamik folgende Konsequenzen ziehen:

Je nach Invarianzforderung entstehen die jeweiligen Geometrien, die eine je verbesserte Zuordnung zu den Naturobjekten zulassen:

Von der Erlebnisinvarianz zur Relativitätstheorie

Invarianz Geometrie Theorie
Erlebnisinvarianz Anschauungsraum Gesunder Menschenverstand
Galilei-Invarianz Euklidische Geometrie Newtonsche Mechanik
Lorentz-Invarianz Minkowskische Geometrie Spez. Relativitätstheorie
Einstein-Invarianz Riemannsche Geometrie Allgem. Relativitätstheorie

Die Invarianzforderungen sind das entscheidende Kriterium für den Strukturreichtum der Geometrie wie der physikalischen Theorie. Dabei ist hervorzuheben, dass die Invarianzforderung der SRT in Verbindung mit der Gruppeneigenschaft (sowie Homogenität und Isotropie) der Bezugssytems-Transformationen die Existenz einer endlichen Grenzgeschwindigkeit für Naturobjekte zur Folge hat!

Die Gründe für eine Erweiterung der SRT zur ART folgert Einstein in den Grundlagen der allgemeinen Relativitätstheorie von 1916 aus einem schwerwiegenden erkenntnistheoretischen Argument und einer wohlbekannten physikalischen Tatsache: dem Machschen Prinzip und dem Äquivalenzprinzip. Damit das Kausalitätsgesetz in der Mechanik wirklich gelte, fordert er im allgemeinen Relativitätsprinzip: Die Gesetze der Physik müssen so beschaffen sein, daß sie in bezug auf beliebig bewegte Bezugssysteme gelten. Und da uns die Erfahrung die Existenz eines Kraftfeldes (nämlich des Gravitationsfeldes) gelehrt habe, welches die merkwürdige Eigenschaft hat, allen Körpern dieselbe Beschleunigung zu erteilen, sehe man daß die Durchführung der allgemeinen Relativitätstheorie zugleich zu einer Theorie der Gravitation führen muß; denn man kann ein Gravitationsfeld durch bloße Änderung des Koordinatensystems ,,erzeugen``. Die mathematische Präzisierung des allgemeinen Relativitätsprinzips läuft dann auf die Forderung hinaus: Die allgemeinen Naturgesetze sind durch Gleichungen auszudrücken, die für alle Koordinatensysteme gelten, d.h. die beliebigen Substitutionen gegenüber kovariant (allgemein kovariant) sind. Diese Invarianzforderung bzgl. beliebiger Koordinatensysteme bildet den Kern der gesamten Theorie und wird auch Einstein-Invarianz genannt. Da die ART zugleich Raum-Zeit-Theorie, Gravitationstheorie und Kosmologie sowie den Maßstab der Vollkommenheit für physikalische Theorien schlechthin abgibt, ist sie zum Modellfall für die gesamte Physik des 20. Jahrhunderts geworden: Es ist klar, daß man im allgemeinen eine Theorie als umso vollkommener beurteilen wird, eine je einfachere Struktur sie zugrunde legt und je weiter die Gruppe ist, bezüglich welcher die Feldgleichungen invariant sind. Als Gravitationstheorie modifiziert die ART Raum und Zeit nicht nur in Abhängigkeit der Geschwindigkeit, sondern auch als Folge der Gravitation.

Einsteins verschiedene Versuche, durch Abwandlungen der Geometrie, eine vereinheitlichte Feldtheorie zu formulieren, können bei Pais nachgelesen werden. Bis zu seiner letzten, nichtsymmetrischen Feldtheorie, ist es ihm aber nicht einmal gelungen, zumindest die Maxwellschen Gleichungen für das freie elektromagnetische Feld aus seinen erweiterten Theorien der Gravitation herzuleiten. Die Physiker Wheeler und Wisner haben 1957 eine Geometrodynamik ins Werk gesetzt, in der die Massen und Ladungen der Materie als topologische Knoten der Raumzeit angesehen werden können und insofern eine rein geometrische Feldtheorie formuliert, die ohne singuläre Feldquellen auskommt. 1965 hat dann der Mathematiker Penrose unter sehr allgemeinen und damit höchst wahrscheinlichen kosmologischen Randbedingungen bewiesen, daß Singularitäten der Raumzeit in der ART unvermeidbar seien. Derartige schwarze Löcher müssen demnach im Universum weit verbreitet sein. Viele indirekte Hinweise konnten bisher gesammelt werden, auch auf ein schwarzes Loch im Zentrum unserer Milchstraße. Neben schwarzen Löchern sagt die ART auch die Existenz von Gravitationswellen voraus. Aus dem exakt gemessenen Energieverlust der Rotation von Doppelsternen umeinander, konnte mit der phantastischen Genauigkeit von 14 Dezimalstellen im Rahmen der ART indirekt auf eine Abstrahlung von Gravitationswellen geschlossen werden. Ein weiterer Triumpf der ART ist im GPS zu sehen, mit dem Objekte auf der Erde auf weniger als einen Dezimeter genau geortet werden können. Mit dem differentiellen GPS sind sogar schon zentimetergenaue Positionierungen möglich. Neben ihrer herausragenden Bedeutung für die Kosmologie hat sich die ART damit auch in einem praktisch nützlichen Alltagsbereich bewährt.

Die Bedeutung der Genauigkeit der vielen Dezimalstellen in den Berechnungen der quantitativen Naturforschung zeigen auch die Folgerungen der Quantentheorie (QT), bildet sie doch die Grundlage der Elektronik, Nanotechnologie und Informationstechnik. In der technischen Anwendung des GPS sind ART und QT nicht theoretisch fundiert, aber auf praktisch nützliche Weise vereint. Funktionierende technische Anwendungen genügten natürlich nicht den visionären kosmologischen Ansprüchen des weltweisen Genies nach einem grundlegenden Verständnis der vereinheitlichten Feldtheorie aus ersten Prinzipien. Einstein hatte bereits einige Jahre darüber nachgedacht, als er der Preußischen Akademie 1923 einen Artikel vorlegte mit der Frage: Bietet die Feldtheorie Möglichkeiten für die Lösung des Quantenproblems? Seine Antwort läßt nicht lange auf sich warten: Ganz gewiß, wir müssen nur die Feldvariablen durch Feldgleichungen ,,überbestimmen``. So wie in seiner Gravitationstheorie und in der Maxwellschen Elektrodynamik sollten auch in der vereinheitlichten Feldtheorie aller Naturerscheinungen die Ereignisse durch Differentialgleichungen im Einklang mit ihren Anfangsbedingungen auf einer raumartigen Fläche kausal bestimmt sein. Die diskreten Qauntenbedingungen hatten sich in dieses Schema einzufügen. Für sein Programm der Überkausalität durch überbestimmte Feldvariable fordert der Klassiker folgende Voraussetzungen:

  1. Allgemeine Kovarianz wie in der ART,
  2. Übereinstimmung mit Gravitationstheorie und Elektrodynamik,
  3. Statische, sphärisch symmetrische Lösungen für die Materiegleichungen der Elementarteilchen, die die Felder überbestimmen.

Unter diesen Voraussetzungen dürfen wir hoffen, daß durch diese Gleichungen auch das mechanische Verhalten der singulären Punkte (Elektronen) mitbestimmt wird, daß auch die Anfangszustände des Feldes und der singulären Punkte einschränkenden Bediungunen unterworfen wird. Im Gegensatz zu seinen (modernen) Fachkollegen forderte der Klassiker Einstein keine Abschwächung, sondern eine Verstärkung des Kausalprinzips. 1929 hebt er in Forschungen und Fortschritte gegenüber der Subkausalität einer Beschränkung auf statistische Gesetze die Überkausalität seiner Feldtheorie hervor: Das Naturgeschehen scheint so weitgehend determiniert zu sein, daß nicht nur die zeitliche Folge, sondern auch noch der Anfangszustand weitgehend gesetzlich gebunden ist. Diesem Gedanken glaubte ich durch Aufsuchen überbestimmter Systeme von Differentialgleichungen Ausdruck geben zu müssen. Mit der Aufgabe, die Feldgleichungen für das totale Feld zu finden, ist der Physiker allerdings Zeit seines Lebens nicht fertig geworden.

Die Suche nach einer vereinheitlichten Feldtheorie aus kontinuierlich-deterministischer Elektrodynamik und Gravitationstheorie sowie diskret-statistischer Thermodynamik und Quantentheorie ist bis heute Gegenstand intensiver Forschungen geblieben. Im Fortgang seiner Entwicklung der speziellen zur allgemeinen Relativitätstheorie hatte sich Einstein vom Positivisten zum Klassiker geläutert. Fortan gehörte er zu denen, vor denen er früher immer gewarnt hatte, wie er selber lästerte. Jedenfalls erschien ihm die im Seienden verkörperte Vernunft, dargestellt in einer deterministisch-kausalen, kontinuierlich-holistischen Feldtheorie als das visionäre Ziel seines Strebens. Seiner Vision folgten allerdings nur noch wenige, darunter De'Broglie und Schrödinger, Bohm und Bell sowie 't Hooft.

Die jungen Physiker-Generationen folgten in der Regel der instrumentell-positivistischen Sichtweise der Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik, die von Bohr und Heisenberg zur modernen Physik erklärt worden war. Dabei gibt es interessante Parallelen zwischen Kopenhagener- und Frankfurter Schule, die beide unter ähnlichen politischen Bedingungen in der Weimarer Republik entstanden waren. So forderten die kritischen Theoretiker der Frankfurter Schule frühzeitig, Sprachkritik durch Gesellschaftskritik zu ersetzen und die Verengung auf Spielmarkenlogik und subjektlose Erfahrung durch eine Dialektik von Sozialphilosophie und Sozialforschung zu erweitern. Neben empirischen Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Faschismus und autoritärem Charakter, ging es den Dialektikern auch darum, aus den Spuren des unterdrückten Dialogs das Unterdrückte zu rekonstruieren, wie Habermas es einmal formulierte. Als Beispielfall ließe sich die Überlieferung des Atomismus von Demokrit über Epikur und Lukrez bis hin zu Bruno und Gallilei anführen.

Ähnlich wie die Dialektiker aus Frankfurt, kritisierten die Komplementaristen der Kopenhagener Schule den naiven Realismus und Objektivismus der traditionellen Physik. Denn für Heisenberg war es offensichtlich, dass die Objektivierung der Messergebnisse inkommensurabler Größen nur um den Preis einer prinzipiellen Unbestimmtheit zu haben sei. Die Kopenhagener richteten fortan ihr Augenmerk auf die Analyse des Messprozesses und suchten die Interpretationsprobleme des quantenmechanischen Formalismus durch eine Komplementarität von Naturphilosophie und Physik zu lösen. Die aus intensiven Diskussionen, insbesondere zwischen Bohr und Heisenberg, hervorgegangene Kopenhagener Interpretation (KI) kann in fünf Hauptpunkte zusammengefaßt werden:

KI1
Positivismus: Die Quantentheorie bezieht sich auf das atomare Naturgeschehen, wie es sich zeigt, wenn es mit realisierbaren Messgeräten untersucht wird.
KI2
Wahrscheinlichkeit und Wissen: Die Zustandsfunktion zur Beschreibung eines atomaren Systems meint lediglich die Wahrscheinlichkeitsamplitude, mit der Systemzustände sich entwickeln. Sie beinhaltet nur das Wissen, das wir von einem System haben können.
KI3
Unbestimmtheitsprinzip: Die methodische Forderung, Objekte zu beschreiben, hat eine Unschärfe in der Voraussage inkommensurabler Eigenschaften dieser Objekte zur Folge.
KI4
Korrespondenz und Komplementarität: Quantenzustände atomarer Systeme müssen mit Begriffen und Verfahren der klassischen Physik ausdrückbar sein. Die Individualität und Totalität der Quantenzustände hat eine Komplementarität und Unbestimmtheit der klassischen Begriffe und Verfahren zur Folge.
KI5
Abgeschlossenheit und Einheit: Physikalische Theorien sind im Rahmen ihrer Geltungsbereiche abgeschlossen. Korrespondenzregeln zwischen ihnen vermitteln Übergänge. Die erlebte Einheit der Natur sollte in der Einheit der Physik ausdrückbar sein.

Frei nach Horkheimer ließe sich ergänzen: Es gibt nun ein menschliches Verhalten, das die Natur selbst zu seinem Gegenstand hat. Dieses Verhalten wird im folgenden als das ,,kritische`` bezeichnet. Das Wort wird hier weniger im Sinn der idealistischen Kritik der reinen Vernunft als in dem der komplementären Kritik der Quantentheorie verstanden. Es bezeichnet eine wesentliche Eigenschaft der komplementären Theorie der Natur. Folgende Besonderheiten sind hervorzuheben:

Kritische Theorie

gibt dem blinden Zusammenwirken der Quantenzustände eine vernünftige Interpretation;

misst die als Zufall erscheinende Übereinstimmung zwischen Denken und Sein am Verhältnis vernünftiger Absicht und Verwirklichung;

hält das Verhältnis von Subjekt, Theorie und Gegenstand nicht für unveränderlich;

entnimmt der Naturgeschichte die Idee einer vernünftigen, der Allgemeinheit entsprechenden Einheit der Natur, die der Wechselwirkung bereits immanent ist;

Im Anschluss an die Unterscheidung zwischen System- und Handlungs- bzw. Wechselwirkungsebene, sehen kritische Sozialphilosophie und moderne Physik die Handlungszusammenhänge der Menschen bzw. die Wechselwirkungen der Atome mit Blick auf eine vernünftige Einheit der Gesellschaft bzw. Natur. Die Sicht des (kritischen) Klassikers Einstein dagegen folgt den allgemeinen Prinzipien der Systemebene, die den Handlungen bzw. den Wechselwirkungen gleichsam einen vernünftigen Rahmen vorgeben.

Die mit viel Wirbel und Propaganda zur Modernen Physik aufgebauschte Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik machte aus der Not, es nur mit Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu tun zu haben, die Tugend, dass es sich dabei lediglich um das Wissen handelte, das wir von einem atomaren System haben könnten. Dieses Wissen musste darüber hinaus die gesamte physikalische Situation des Experiments umfassen und garantierte insofern Vollständigkeit. Die Ergänzung der Wissensfunktion als Lösung der Zustandsgleichung durch Teilchenbahnen als Wirkung eines Quantenpotentials wurde damit überflüssig. Der Mathematiker von Neumann brachte die Quantenmechanik 1932 in eine mathematische Form, die bis heute Bestand hat und von den Abweichlern gerne als orthodox bezeichnet wird. Die atomaren Zustände werden darin als Vektoren in einem hochdimensionalen, komplexen Zustandsraum, dem Hilbertraum, dargestellt. Die Messoperatoren werden zu selbstadjungierten Operatoren, die auf die Zustandsvektoren anzuwenden sind, deren Dynamik durch unitäre Transformationen beschrieben wird. Als Wahrscheinlichkeitsmaß fungiert die Summe der Betragsquadrate der Eigenwerte bei der Entwicklung der Zustandsvektoren nach dem vollständigen System von Eigenfunktionen der Messoperatoren. Einem Theorem Gleasons zufolge ist ein solches Wahrscheinlichkeitsmaß sogar das einzig mögliche im Hilbertraum.

Von Neumann verfolgte 1932 mit seiner mathematisch rigorosen Formulierung der Quantenmechanik aber noch ein weiteres Ziel. Er wollte die Möglichkeit einer Ergänzung seiner Darstellung durch verborgene Variablen ausschließen. Dazu konnte er innerhalb seines Formalismus einen strengen mathematischen Beweis führen. Sein Beweis enthielt jedoch eine wesentliche, physikalisch unsinnige, Voraussetzung und wurde von den Physikern, die sich die Mühe machten, ihn nachzuvollziehen, nicht ernst genommen. 1935 trat Einstein wieder auf den Plan. Die Einfachheit und Reichhaltigkeit seiner Feldgleichungen blieben ihm zeitlebens die weitestgehenden Annäherungen an die Größe der im Seienden verkörperten Vernunft. Die moderne Quantenlehre dagegen führte er mit seinen Kollegen Podolsky und Rosen in eine Paradoxie, indem sich die Autoren fragten: Kann man die quantenmechanische Beschreibung der physikalischen Wirklichkeit als vollständig betrachten? Folgende Kurzfassung stellten die Physiker ihrer in den Phys. Rev. veröffentlichten Arbeit voran: In einer vollständigen Theorie gibt es zu jedem Element der Realität stets ein entsprechendes Element. Eine hinreichende Bedingung für die Realität einer physikalischen Größe ist die Möglichkeit sie vorherzusagen, ohne das System zu stören. In der Quantenmechanik schließt im Falle von zwei physikalischen Größen, die durch nicht-kommutierende Operatoren beschrieben werden, das Wissen von der einen das Wissen von der anderen aus. Damit ist entweder (1) die Beschreibung der Realität, die durch die Wellenfunktion in der Quantenmechanik gegeben wird, nicht vollständig oder (2) diesen beiden Größen kann nicht gleichzeitig Realität zukommen. Die Betrachtung des Problems, Vorhersagen bezüglich eines Systems auf der Grundlage von Messungen zu machen, die an einem anderen System, das zuvor mit dem ersteren in Wechselwirkung stand, ausgeführt wurden, führen zu dem Ergebnis, daß wenn (1) falsch ist, dann auch (2) falsch ist. Man wird so zu dem Schluß geführt, daß die Beschreibung der Realität, wie sie von der Wellenfunktion geleistet wird, nicht vollständig ist. Das saß! Die Autoren (EPR) messen die Quantenmechanik (QM) an dem Realismus, der Lokalität und der Vollständigkeit der SRT. Unter der Voraussetzung des Realitätskriteriums kann die QM nur entweder nichtlokal oder unvollständig sein. Die Preisgabe des Realitätsprinzips wäre für Einstein einem Abgleiten in die unwirklich-illusionäre Theorie von Gespensterfeldern gleichgekommen. Da er Realismus und Lokalität für unabdingbar hielt, stand die Quantenmechanik für ihn weiterhin in dem Ruch, unvollständig zu sein.

Kritische Wissenschaftler reflektieren ihr Denken und Handeln und so hat sich auch Einstein neben seiner fruchtbaren und kreativen Forschungsabeit immer wieder zur Wissenschaftsphilosophie und Erkenntnistheorie der Physik geäussert. In seiner Antrittsrede vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften behandelt Einstein 1914 die Prinzipien der theoretischen Physik. Das Programm der allgemeinen Relativitätstheorie ist formuliert; der Durchbruch zu einer logisch geschlossenen Form steht aber noch aus: Die Methode des Theoretikers bringt es mit sich, daß er als Fundament allgemeine Voraussetzungen, sogenannte Prinzipe, braucht, aus denen er Folgerungen deduzieren kann. Seine Tätigkeit zerfällt also in zwei Teile. Inspiration beim Finden der Prinzipien und Transpiration beim Herleiten der Folgerungen. Bei der Suche nach den Prinzipien gebe es keine erlernbare Methode, die zum Ziele führt. Der Forscher muß vielmehr der Natur jene allgemeinen Prinzipe gleichsam ablauschen, indem er an größeren Komplexen von Erfahrungstatsachen gewisse allgemeine Züge erschaut, die sich scharf formulieren lassen. Dazu gehören die Hauptsätze der Thermodynamik (Energieerhaltung, Entropiezunahme) ebenso wie die Relativitätsprinzipien in der Elektrodynamik und Gravitationstheorie. In der Quantentheorie dagegen fehle es an Prinzipien: So unzweifelhaft auch erwiesen ist, daß wir die Wärme auf Molekularbewegung zurückzuführen haben, so müssen wir heute doch gestehen, daß wir den Grundgesetzen dieser Bewegung ähnlich gegenüberstehen wie die Astronomen vor Newton den Bewegungen der Planeten. Einstein fahndete beharrlich nach einer Ebene von Ordnung und Gewissheit, die dem Chaos und der Wahrscheinlichkeit auf molekularem Niveau unterliegen müsse.

1918 äussert Einstein Prinzipielles zur allgemeinen Relativitätstheorie, indem er drei Hauptgesichtspunkte hervorhebt:

  1. Relativitätsprinzip: Die Naturgesetze sind nur Aussagen über zeiträumliche Koinzidenzen; sie finden deshalb ihren natürlichen Ausdruck in allgemein kovarianten Gleichungen.
  2. Äquivalenzprinzip: Trägheit und Schwere sind wesensgleich. Der symmetrische Fundamentaltensor repräsentiert damit nicht nur die metrischen Eigenschaften, sondern auch das Trägheitsverhalten der Körper und die Gravitationswirkungen.
  3. Machsches Prinzip: Das Gravitationsfeld ist restlos durch die Massen der Körper bestimmt.

Anlässlich des 60. Geburtstages Max Plancks äußert er sich in der Festrede zu den Prinzipien der Forschung. Darin kommt er auf den Beitrag des theoretischen Physikers zum Weltbild zu sprechen und folgert: Höchste Aufgabe der Physiker ist also das Aufsuchen jener allgemeinen elementaren Gesetze, aus denen durch reine Deduktion das Weltbild zu gewinnen ist. Zu diesen elementaren Gesetzen führt kein logischer Weg, sondern nur die auf Einfühlung in die Erfahrung sich stützende Intuition. Obwohl kein logischer Weg von den Wahrnehmungen zu den Prinzipien führe, wirke die prästabilierte Harmonie dennoch einschränkend genug, um nicht im Sumpf der Willkür und Beliebigkeit zu versinken. Von Leibniz zieht er dann den Bogen zu Planck: Die Sehnsucht nach dem Schauen jener prästabilierten Harmonie ist die Quelle der unerschöpflichen Ausdauer und Geduld, mit der wir Planck den allgemeinsten Problemen unserer Wissenschaft sich hingeben sehen. ... Eingedenk der von Planck versuchten Rückführung des Wirkungsquantums auf die Vakuumfluktuationen der Nullpunktsenergie beschließt Einstein seine Rede mit dem Appell: Möge es ihm gelingen, die Quantentheorie mit der Elektrodynamik und Mechanik zu einem logisch einheitlichen System zu vereinigen.

Als Antrittsrede zur Übernahme einer Professur an der Universität Leiden spricht Einstein 1920 über Äther und Relativitätstheorie. 1921 greift er in einer Festrede anlässlich der traditionellen Geburtstagsfeier für Friedrich den Großen in Berlin unter dem Titel Geometrie und Erfahrung das Problem mit der Geometrie in der Physik auf. 1905 hatte er den Äther in der Elektrodynamik überflüssig gemacht, 1915 dann aber wieder implizit eingeführt. Denn was war das Medium der Gravitationswellen, der Raumzeit-Verzerrungen, die durch stark veränderliche Energiedichten hervorgerufen wurden und sich mit Lichtgeschwindigkeit im Universum ausbreiteten? Die Raumzeit-Metrik bestimmt dabei zugleich Geometrie und Gravitation und legt damit auch den wechselseitigen Zusammenhang zwischen Energiedichte und Raumzeit-Krümmung fest. In ungewöhnlich vager Ausdrucksweise stellt Einstein fest: Der Äther der allgemeinen Relativitätstheorie ist ein Medium ohne mechanische und kinetische Eigenschaften, das jedoch die mechanischen und elektromagnetischen Ereignisse mitbestimmt. Geometrie und Raumzeit waren gleichsam physikalisiert und in dem allumfassenden physischen Wirkungszusammenhang des Kosmos einbezogen worden. Und so nimmt es nicht wunder, dass er sich reflektierend fragt: Wie ist es möglich, daß die Mathematik, die doch ein von aller Erfahrung unabhängiges Produkt des menschlichen Denkens ist, auf die Gegenstände der Wirklichkeit so vortrefflich paßt. Kann denn die menschliche Vernunft ohne Erfahrung durch bloßes Denken Eigenschaften der wirklichen Dinge ergründen? Hierauf ist nach meiner Ansicht kurz zu antworten: Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit. Einstein schlägt deshalb vor, von der rein axiomatischen Geometrie der Mathematiker eine praktische Geometrie für Physiker abzugrenzen. Um dies zu bewerkstelligen, brauche man im Falle der euklidischen Geometrie nur den Satz hinzuzufügen: Feste Körper verhalten sich bezüglich ihrer Lagerungsmöglichkeiten wie Körper der euklidischen Geometrie von drei Dimensionen; dann enthalten die Sätze der euklidischen Geometrie Aussagen über das Verhalten praktisch starrer Körper. Und er folgert: Die so ergänzte Geometrie ist offenbar eine Naturwissenschaft. Im Gegensatz zum Konventionalismus seiner frühen Phase, hält er die Frage nach der wahren Geometrie des Universums nunmehr für empirisch entscheidbar. Ob das nicht genau genommen ein Zirkelschluß sei, der auch nicht durch Verweis auf eine prästabilierte Harmonie entschärft werden könne, wird unter Wissenschaftstheoretikern bis heute kontrovers diskutiert. Selbstkonsistenzverfahren stehen dabei der methodischen Forderung nach einem schrittweisen und zirkelfreien Vorgehen beim Aufbau der Theorie gegenüber.

Über das Das Raum-, Äther und Feldproblem der Physik hat sich Einstein 1930 im Forum Philosophicum geäussert. Nach einleitenden Bemerkungen, die sich gegen eine apriorische Auffassung im Sinne Kants wenden, fasst der Physiker seine Überlegungen wie folgt zusammen: Vom Sinneserlebnis aus betrachtet scheint ... die Entwicklung des Raumbegriffes an folgendes Schema gebunden zu sein: körperliches Objekt; Lagebeziehungen körperlicher Objekte; Zwischenraum; Raum. Der Raum erscheint bei dieser Betrachtungsweise als etwas in demselben Sinne Reales wie die körperlichen Objekte. Obwohl der Raum als etwas durchaus Reales angesehen werden könne, blieb der Raum im Bewußtsein der Physiker bis in die jüngste Zeit ausschließlich das passive Gefäß allen Geschehens, das am physikalischen Geschehen selbst keinen Anteil hatte. Die Kraftwirkungen vermittelte ein Äther, der den Raum erfüllte und die materiellen Korpuskeln beherbergte: Der Äther galt nur als Sitz aller über den Raum hinweg sich geltend machenden Kraftwirkungen. Seitdem man erkannt hatte, daß bewegte elektrische Massen ein magnetisches Feld erzeugen, dessen Energie ein Modell für die Trägheit abgab, erschien auch die Trägheit als eine im Äther lokalisierte Feldwirkung. Aber dunkel blieben vorerst die mechanischen Eigenschaften des Äthers. Unterschied er sich überhaupt vom Raum? Nur Riemanns Genie, unverstanden und einsam, rang sich schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zur Auffassung eines neuen Raumbegriffes durch, nach welchem dem Raum seine Starrheit abgesprochen und seine Anteilnahme am physikalischen Geschehen als möglich erkannt wurde. Im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie wurde das metrische Feld dann zum Gravitationsfeld, mit dem der Äther wieder eingeführt werden konnte. Und so kommt Einstein auch auf den Grundcharakter der modernen Entwicklung der Theorie zu sprechen: Die Ausgangshypothesen werden nämlich immer abstrakter, erlebnisferner. Dafür kommt man aber dem vornehmsten wissenschaftlichen Ziele näher, mit einem Mindestmaß von Hyphothesen oder Axiomen ein Maximum von Erlebnisinhalten durch logische Deduktion zu umspannen. Denn das mathematische Problem der allgemeinen Relativitätstheorie bestand darin, die einfachsten Bedingungsgleichungen zu finden, die invariant unter beliebigen kontinuierlichen Koordinatentransformationen blieben. Die Reichhaltigkeit der Folgerungen aus diesem einfachen Prinzip ist bis heute nicht ausgeschöpft.

Zur Methodik der theoretischen Physik hat sich Einstein ebenfalls 1930 geäußert. Das Credo seiner Naturphilosophie formuliert er nunmehr folgendermaßen: Nach unserer bisherigen Erfahrung sind wir zum Vertrauen berechtigt, daß die Natur die Realisierung des mathematisch denkbar Einfachsten ist. Und er hält sogar in einem gewissen Sinn für wahr, daß dem reinen Denken das Erfassen des Wirklichen möglich sei, wie es die Alten geträumt haben. Die Quantentheorie läuft seinem reinen Denken allerdings nach wie vor zuwider: Ich glaube noch an die Möglichkeit eines Modells der Wirklichkeit, d.h. einer Theorie, die die Dinge selbst und nicht nur die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens darstellt.

Im März 1936 erscheint in der Zeitschrift The Journal of the Franklin Institute der Aufsatz Physik und Realität. Im einleitenden Kapitel Allgemeines über die wissenschaftliche Methode grenzt sich der Kosmologe vom Psychologen ab, geht aber aus vom gleichermaßen erlebten Alltagsgeschehen: Alle Wissenschaft ist nur eine Verfeinerung des Denkens des Alltags. Damit hängt es zusammen, daß die kritische Besinnung des Physikers sich nicht auf die Unterweisung der Begriffe seiner besonderen Wissenschaft beschränken kann, sondern daß er an der kritischen Betrachtung des viel schwierigeren Denkens des Alltags nicht achtlos vorbeigehen kann. Auf der Bühne unseres seelischen Erlebens erscheinen in bunter Folge Sinneserlebnisse, Erinnerungsbilder an solche, Vorstellungen und Gefühl. Im Gegensatz zur Psychologie beschäftigt sich die Physik (unmittelbar) nur mit den Sinneserlebnissen und dem ,,Begreifen`` des Zusammenhangs zwischen ihnen. Aber auch der Begriff der ,,realen Außenwelt`` des Alltagsdenkens stützt sich ausschließlich auf die Sinneseindrücke. Nachdem er die Begriffsbildungen im Denken von den Empfindungen im Erleben abgegrenzt hat, kommt er auf die Begreiflichkeit der Welt zu sprechen: Daß die Gesamtheit der Sinneserlebnisse zu beschaffen ist, daß sie durch das Denken ... geordnet werden können, ist eine Tatsache, über die wir nur staunen, die wir aber niemals werden begreifen können. Man kann sagen: Das ewig Unbegreifliche an der Welt ist ihre Begreiflichkeit. Erst komme die Intuition, dann die Wissenschaft; denn die Verknüpfung der elementaren Begriffe des Alltags-Denkens mit Komplexen von Sinneserlebnissen ist nur intuitiv erfaßbar. Der Wissenschaft gehe es dann um die logische Einheitlichkeit des Weltbildes wie um die logische Einfachheit seiner Grundlagen: Ziel der Wissenschaft ist erstens die möglichst vollständige begriffliche Erfassung und Verknüpfung der Sinneserlebnisse in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit, zweitens aber die Erreichung dieses Zieles unter Verwendung eines Minimums von primären Begriffen und Relationen. Im Anschluss an eine Diskussion der physikalischen Grundbegriffe erscheint Einstein dann eines sicher: Im Fundament einer konsequenten Feldtheorie darf neben dem Feldbegriff nicht der Partikelbegriff auftreten. Und so fällt sein Urteil über die Quantenmechanik natürlich wieder abschätzig aus; denn sie sei eine unvollständige Darstellung der wirklichen Gebilde, wenn auch die einzig zutreffende, welche sich auf die Grundbegriffe materieller Punkt und Kraft bauen lasse. Abschließend zieht er die Konsequenz: Der Unvollständigkeit der Darstellung entspricht aber notwendig der statistische Charakter (Unvollständigkeit) der Gesetzlichkeit.

Weiter mit der Ausarbeitung einer Feldtheorie beschäftigt, die als Fundament der Physik taugen sollte, scheint Einstein im Mai 1940 zu resignieren. Jedenfalls läßt er den Ausgang der Kontroverse zwischen den Verfechtern einer kontinuierlich-deterministischen Feldtheorie und dem Mainstream einer diskontinuierlich-statistischen Korpuskulartheorie offen. Seinen Aufsatz über Das Fundament der Physik in der Zeitschrift Science beginnt er mit der Wiederholung seiner Maxime Ordnung statt Chaos: Wissenschaft ist der Versuch, der chaotischen Mannigfaltigkeit der Sinneserlebnisse ein logisch einheitliches gedankliches System zuzuordnen. Nach einer abwägenden Diskussion von Korpuskular- und Feldtheorie gesteht er sich dann ein, daß wir eine allgemeine theoretische Grundlage der Physik, die man als logisches Fundament bezeichnen könnte, überhaupt nicht besitzen. Die Feldtheorie versage in der molekularen Sphäre und die Quantentheorie scheitere an Realismus und Vollständigkeit. Da bleibt ihm nur mit Lessing der Trost, dass das Streben nach der Wahrheit köstlicher sei als deren gesicherter Besitz.

Einsteins klassisches Forschungsprogramm wird unterdessen zu einem neoklassischen Programm erweitert. Im Forschungsprogramm der neoklassischen Physik geht es darum, die Prinzipien der klassischen Physik wiederzubeleben und auch die Mikrophysik in natürlicher Weise der Alltagsrationalität zugänglich zu machen. Folgende Parolen könnten als Richtlinien dienen, um zu sehen, wie weit die klassischen Prinzipien zwingend abgeschwächt werden müssen bzw. um zu prüfen, ob sie nicht vielleicht auch überzogen sind:

Gegenwärtig unterfallen folgende drei Theorien dem neoklassischen Programm. Die Bohmsche Mechanik, die stochastische Elektrodynamik und die Quantengravitation (QG). Eine Vereinheitlichung von ART und QFT wird in der Theorie der Quantengravitation versucht. Lee Smolin hat in seiner lesenswerten populärwissenschaftlichen Einführung Three Roads to Quantum Gravity beschrieben, und zwar über die Thermodynamik schwarzer Löcher, die Stringtheorie und die Schleifen-Quantengravitation. Ist die string theory aus den Schwierigkeiten der QFT beim Verständnis der Kernkräfte hervorgegangen, entstammt die loop quantum gravity dem Versuch, die QM im Rahmen der ART zu verstehen. 100 Jahre nach Einsteins berühmter Trilogie zur Klärung der Ungereimtheiten in den physikalischen Theorien seiner Zeit, ist die Situation heute wieder ganz ähnlich. Dem damaligen Bemühen, die Existenz der Atome nachzuweisen und ihre Stabilität zu erklären, entspricht das heutige Ringen darum, die Existenz schwarzer Löcher nachzuweisen und aus ihrer Dynamik das Schicksal des Universums zu erahnen. Aus der Thermodynamk der Brownschen Bewegung zum Nachweis der Atome ist die Thermodynamik schwarzer Löcher geworden, für die Entropie und Wärmestrahlung nachgewiesen wurden. Aus dem Wechselwirkungsbild des Austausches von Bosonen zwischen Fermionen über die Kopplung von Eich- und Materiefeld in der QFT des Standard-Modells ist die supersymmetrische Wechselwirkung von Saiten (strings) hervorgegangen. Die Schwingungszustände geschlossener Strings liefern dabei auch noch die Gravitonen als Quanten des Gravitationsfeldes.

Aber erst mit der loop quantum gravity (LQG) wird wieder das Einsteinsche Reflexionsniveau der ART nach weitestgehender Koordinatenunabhängigkeit erreicht. Mathematiker nennen das auch Invarianz unter Diffeomorphismen. In der Stringtheorie ist die Raumzeit bloß ein fixer Hintergrund, ein passives Gefäß, vor dem oder in dem die wechselwirkenden Strings ihre Weltflächen gestalten. In der LQG wird die background independence der ART ernst genommen und die damit verbundene Dynamisierung der Raumzeit mit ihrer Quantisierung verbunden.

Lee Smolin hat kürzlich in einem Übersichtsartikel zum Forschungsstand unter der Frage: How far are we from the quantum theory of gravity? zwei Postulate der LQG formuliert:

  1. The quantum theory of gravity is the quantization of general relativity, or some extension of it, involving matter fields, such as supergravity.
  2. The quantization must be done in a manner that preserves the bachground independence of classical general relativity, and hence exactly realizes diffeomorphism invariance.

Als Hauptergebnis der LQG gilt ihm: The states of the theory are known precisly. The Hilbert space H hoch diffeo of spacially diffeomorphism invariant states of general relativity in 3+1 dimensions has an orthonormal basis, whose elements are in one to one correspondence with the diffeomorphism equivalence classes of embeddings of certain labeled graphs, called spin networks. Aus der geometrischen Struktur der spin networks auf dem Planck-Niveau folgt auch die von Beckenstein und Hawking semiklassisch ermittelte Proportionalität zwischen der Entropie und der Horizontfläche eines schwarzen Loches. So wie die statistische Analyse der Brwonschen Bewegung auf die Existenz der Atome schließen ließ, steht die Entropie schwarzer Löcher im Einklang mit der Quantisierung des Raumes durch die spin networks. In Analogie zum quantisierten Magnetfluss in Supraleitern kann im Rahmen der LQG der durch die spin networks quantisierte ,,Raumfluss`` verstanden werden. Die ,,Flussströmung`` durch eine Fläche im Raum wird dabei mittels eines Linienintegrals über eine geschlossene Kurve bestimmt. Daher der Name Schleifen-QG. Da mit jeder Plancklänge von 10 hoch -33 cm ein ,,Raumbit`` verbunden werden kann, steckt in jedem cm hoch 3 die gigantische Information von 10 hoch 99 bit! Der Flächenanteil von 10 hoch 66 bit läßt den Informationsfluß im Raum beim ,,Planck-Computing`` weit über die schon phantastischen Möglichkeiten des ,,Quantum-Computing`` hinausgehen. Ist vielleicht sogar das ganze Universum ein gigantischer Computer, der mit den spin networks seines Raumes rechnet so wie wir mit den Nerven-Netzwerken unseres Gehirns denken? Momentan ist jedenfalls sehr viel Hirntätigkeit gefragt; denn die Analysen der Fluktuationen in der kosmischen Hintergrundstrahlung deuten darauf hin, dass rund 95% des (erfahrbaren) Universums nichtbaryonisch sind, d.h. nicht aus Elementarteilchen bestehen wie sie im Standardmodell vorkommen. Damit ist die Situation ähnlich wie vor 100 Jahren, als die Atome noch unbekannt waren und ihrer Entdeckung harrten.

Neben der kosmischen Erweiterung des Bewusstseins von der Plancklänge (10 hoch -35 m) bis hin zum Rand des Erfahrungshorizonts (10 hoch 28 m) und des neoklassischen Forschungsprogramms, sind es folgende philosophische Fragen die seit Einstein teilweise sogar mit empirisch-analytischen Methoden behandelt werden:

Raum
Welche Geometrie erwächst der Dynamik mikro- und makrophysikalischer Vorgänge? Warum ist der Raum dreidimensional?
Zeit
Wie hängen psychologische, thermodynamische und kosmologische Zeit zusammen?
Endlichkeit
Hat das Universum eine globale Raum-Zeit-Struktur? Ist die Zeit nur eine Illusion?
Atomismus
Bestehen alle Stoffe aus kleinsten, unveränderlichen Teilchen?
Objektivität
Zeigen sich in den physikalischen Größen die Dinge wie sie an sich sind?
Vollständigkeit
Entsprechen allen Eigenschaften der Realität physikalische Größen der Theorie?
Kausalität
Gehen die Ursachen den Wirkungen stets voran?
Determinismus
Bestimmen Anfangsbedingungen und Gesetze vollständig den zukünftigen Wirkungsverlauf?
Chaos
Haben ähnliche Ursachen ähnliche Wirkungen zur Folge?
Logik
Ist eine Messtheorie innerhalb der klassischen Logik formulierbar?
Wahrheit
Welche Kriterien garantieren die Wahrheit physikalischer Sätze?
Vereinheitlichung
Wie lassen sich die physikalischen Theorien vereinheitlichen?

Die Anregung, alle Wissenschaft aus einer Verfeinerung der Alltagspraxis zu entwickeln, hat vom methodischen Konstruktivismus bis hin zum methodischen Kulturalismus geführt, der die kumulative Entwicklung technischer Innovationen zum Maßstab der Kulturhöhe gemacht hat. Dabei sind Handlungs- und Systemebene, Teilchen-Wechselwirkung und Kosmologie, im GPS gleichsam zu einer Synthese empirisch-praktischer und spekulativ-theoretischer Wissenschaft gelangt. Aus dem Zusammenhang von Himmelsbeobachtung und Feldbestellung sowie Seefahrt und Navigation ist über die Jahrtausende das erdumspannende Satellitennetz geworden, das heute den bereits automatisierten Ackerbau und das Reisen per Autopiloten ermöglicht.


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Ingo Tessmann 2005-06-26