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Gegenwärtige Weltlage

Nach der Krisenbewältigung in der Physik komme ich zu Einsteins Beiträgen zur Weltpolitik. In der BUND-Studie Zukunftsfähiges Deutschland werden folgende Großereignisse hervorgehoben, die Ende des letzten Jahrhunderts wirksam wurden: Der Fall der Berliner Mauer und das Ende der bipolaren Welt, der wirtschaftliche Aufstieg Asiens und der verschärfte Standortwettbewerb in Europa, das Nebeneinander von Globalisierung und Neo-Nationalismus, die offene Wiederkehr von Gewalt, Rassismus und Krieg. Mit dem Zerfall des Sowjet-Kommunismus endete zwar der kalte Krieg zwischen Kapitalismus und Kommunismus, dafür erstarkte aber durch die vom militärisch-industriellen Komplex diktierte US-Aussenpolitik der Islamo-Faschismus. Schon während des 1. Weltkrieges hatte Deutschland die Gegner seiner Feinde in unverantwortlicher Weise gefördert, indem Lenin nach Russland transferiert wurde, um den Zaren zu stürzen und in islamischen Staaten der heilige Krieg gegen die Kolonialmächte angezettelt werden sollte. Diese verfehlte Aussenpolitik Kaiser Wilhelms während des 1. Weltkrieges begünstigte den Germano-Faschismus in der Weimarer Republik und führte geradewegs in den 2. Weltkrieg. Und im Zuge des kalten Krieges war es wiederum der Anti-Kommunismus, der die USA zu dem gefährlichen Spiel mit dem Feuer des Islamo-Faschismus verleitete. Die momentane Großmachtpolitik der USA ähnelt in fataler Weise derjenigen des deutschen Kaiserreiches.

Wie hatte sich Einstein den Kaisertreuen und Nationalsozialisten entgegengestellt und was können wir in der gegenwärtigen Weltlage daraus lernen? Mit dem Erstarken des Germano-Faschismus im Deutschland der 1920er Jahre hatte Einstein unter Zwischenrufen und tumultartigen Übergriffen von NS-Studenten während seiner Vorlesungen an der Uni oder bei öffentlichen Vorträgen zu leiden. Der antisemitische Hass der deutschvölkischen Schwachköpfe und Zukurzgekommenen gipfelte in Morddrohungen, die den Gelehrten und Weltbürger wiederholt zu Auslandsreisen nötigten. Hermann hat in seiner Biographie Einsteins nachgezeichnet wie es zu der beispiellosen Popularität des Eigenbrötlers und zu dem fanatischen Hass auf den Weltweisen hatte kommen können: Die erste Stufe zur Berühmtheit ist die Anerkennung unter den Fachkollegen. Die hat sich Einstein in den Jahren seit 1905 erworben. Bei der Salzburger Naturforscherversammlung 1909, als er zum erstenmal an einem wissenschaftliche Kongreß teilnahm, rühmte Max Planck die SRT als eine kopernikanische Tat. Die zweite Stufe ist das Interesse eines weiteren Kreises von Wissenschaftlern und allgemein Gebildeten. Im Falle Einsteins waren das die Philosophen und philosophisch Gebildeten, die gehört hatten, daß durch ihn Kant entthront worden sei. Fortan kommen auch die Gebildeten der Umgebung zu seinen Vorträgen in die Universität. In der dritten Stufe der Berühmtheit erwächst die Neugier des großen Publikums, und die Zeitungen steigen ein. Einsteins Ende 1919 schlagartig weltweit einsetzenden Ruhm kommentiert Hermann wie folgt: Diesen Durchbruch zum großen öffentlichen Interesse hatte der Zeitgeist bewirkt. Die Anerkennung der Einsteinschen Theorie durch britische Gelehrte war in Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg Balsam für den verletzten Nationalstolz. Und das musste ausgerechnet dem Anti-Nationalisten Einstein passieren, der nicht verstand, was die Leute eigentlich von ihm wollten und sich immer wieder vorkam, wie ein Schwindler, wie ein Hochstapler, der den Leuten gar nicht das bringe, was sie von ihm erwarteten.

Ruhm und Ansehen rufen aber auch Missgunst und Niedertracht hervor. Mit Einstein wurde nicht nur die ART gefeiert, sondern die theoretische Physik überhaupt sagenhaft aufgewertet. Das schürte den Argwohn der ohnehin den Theoretikern gegenüber skeptischen Experimentalphysiker. Kaum einer der praktisch arbeitenden Naturforscher verstand damals die ART. Paarte sich dieses Minderwertigkeitsgefühl mit verletztem Nationalstolz, wuchs es zu deutschvölkischem Hass aus, dem es gelegen kam, dass sein Opfer ein Jude war, der sich auch noch offen zum Sozialismus bekannte. Es war der Experimentalphysiker und Nobelpreisträger Philipp Lenard, ein deutschnationaler Antisemit, der angestachelt durch den Relativitätsrummel Anfang der 1920er Jahre die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft deutscher Naturforscher zur Erhaltung reiner Wissenschaft plante. Eine Bewegung braucht einen Kopf und einen Säbel, merkt Hermann dazu an. Der Hochstapler und Betrüger, primitive Antisemit und deutschvölkische Anti-Demokrat Paul Weyland diente sich Lenard 1920 als Propagandist und Stimmungsmacher an. Er verfasste Hetzschriften und organisierte Massenveranstaltungen, um die naive Volksseele in Wallung zu versetzen. Gegen den wissenschaftlichen Dadaismus der Relativitätstheorie wollte er das gesunde Volksempfinden mobilisieren. Am 3. Jan. 1921 greift Hitler die Stimmungsmache im Völkischen Beobachter auf, indem er gegen die jüdische Wissenschaft polemisiert: Wissenschaft, einst unser Volkes größter Stolz, wird heute gelehrt durch Hebräer, denen diese Wissenschaft nur Mittel ist ... zur bewußten planmäßigen Vergiftung unserer Volksseele und dadurch zur Herbeiführung des inneren Zusammenbruchs unseres Volkes. Ob der Volkstribun rhetorischer Hasstiraden wusste, wovon er sprach? Wohl kaum. Er schürte lieber die primitiven Gefühle der Zukurzgekommenen.

Sachlicher und heiterer ging es auf der Versammlung der deutschen Naturforscher und Ärzte im Sept. 1920 zu. Die Diskussion erinnerte Einstein später als Hahnenkampf über Relativität. Lenard ging es um die Veranschaulichung des Gravitationsfeldes in der ART. Daraufhin entgegnete Einstein: Was der Mensch als anschaulich betrachtet, ist großen Änderungen unterworfen, ist eine Funktion der Zeit. Ein Zeitgenosse Galileis hätte dessen Mechanik auch für sehr unanschaulich erklärt. Diese anschaulichen Vorstellungen haben ihre Tücken, genau wie der viel zitierte gesunde Menschenverstand. Unter den Gelehrten hatte Einstein die Heiterkeit über diese ironische Belehrung auf seiner Seite. Auf der Straße dagegen dominierte nicht der zur Wissenschaft verfeinerte gesunde Menschenverstand, sondern sein zum gesunden Volksempfinden verhunzter antisemitischer Rassismus.

Die Anschaulichkeit einer Theorie lag nicht nur Lenard, sondern auch Heisenberg am Herzen, wobei er in der Quantenmechanik den schon von Einstein in der speziellen Relativitätstheorie fruchtbar gemachten Positivismus Machs weiterführte. In seiner grundlegenden Arbeit Über den anschaulichen Inhalt der quantentheoretischen Kinematik und Mechanik ging es ihm darum, den Kampf der Meinungen um Diskontinuums- und Kontinuumstheorie, Korpuskeln und Wellen durch Beziehungen zwischen experimentell gegebenen Zahlen zu ersetzen. Heisenberg glaubte, die Entstehung der klassischen ,,Bahn`` so formulieren zu können: Die ,,Bahn`` entsteht erst dadurch, daß wir sie beobachten. Was mag Heisenberg zu einem derartigen Schritt in den Subjektivismus, gleichsam von der Seins- in die Erkenntistheorie, bewogen haben? Einstein hatte mit der allgemeinen Relativitätstheorie seinen Positivismus der frühen Phase überwunden. In seiner Feldgleichung hatte er einen objektiven Zusammenhang zwischen Materieverteilung und Raumzeit gefunden und mit dem Erfolg seiner Gravitationstheorie verknüpfte er seinen Maßstab der Vollkommenheit.

Der weltweite Relativitätsrummel hatte eine Flut popularisiert-vereinfachter bis hin zu propagandistisch-verzerrter Darstellungen zur Folge. Eine Vielzahl verkannter Genies sonnt sich bis heute im Ruhm Einsteins und versucht sich an ,,Verbesserungen`` oder ,,Widerlegungen`` seiner Theorie. Die von Einstein selbst verfasste, gemeinverständliche Schrift Über die spezielle und die allgemeine Relativitästheorie von 1917 erreichte im Nov. 1920 eine Auflage von 50 Tausend. Einstein selbst war der Rummel und die Reklame um ihn natürlich zutiefst zuwider: Von hochtönenden Phrasen und Worten bekomme ich eine Gänsehaut. Er hatte aber auch seinen Spaß daran und sparte nicht mit lustig verpacktem Hohn und Spott. Einer Dame, die ihm im Febr. 1920 sein Photo schickte und eine Widmung erbat, reimte er die Zeilen:

Wo ich geh' und wo ich steh'

Stets ein Bild von mir ich seh',

Auf dem Schreibtisch, an der Wand,

Um den Hals am schwarzen Band.

Männlein, Weiblein wundersam

Holen sich ein Autogramm.

Jeder will ein Kritzel haben

Von dem hochgelehrten Knaben.

Manchmal denk' in all dem Glück

Ich im lichten Augenblick:

Bist verrückt du etwa selber

Oder sind die andern Kälber?

Den Kälbern und Mitläufern aus dem Volk ging es nicht um das Verstehen seiner visionären mathematischen Kosmologie, sondern bloß darum, einem aufregenden Ereignis beizuwohnen, wenn er einen Vortrag hielt. Außenpolitisch wurde der Anti-Nationalist ironischerweise zu einem bedeutenden Kulturfaktor und Repräsentanten der deutschen Wissenschaft. Und so begab er sich in den 1920er Jahren vielfach auf Reisen. Dadurch entzog er sich auch der zunehmend erstarkenden reaktionären Strömungen im Deutschland der Weimarer Republik. Nationalismus und Antisemitismus breiteten sich nicht nur im Volk, sondern ebenso unter den Gelehrten der Naturforschergesellschaft aus. Auf ihrer Versammlung im Juli 1922 verteilten die deutschnationalen Getreuen Lenards ein Flugblatt gegen die Relativitätstheorie. Als ob es sich bei der Einsteinschen Theorie um eine politische Ideologie handelte. Nach der Ermordung Rathenaus spitzte sich die gereizte politische Atmosphäre derart zu, dass Einstein um sein Leben fürchten mußte und froh war, im Okt. 1922 nach Japan reisen zu können. Schon in seinem Aufruf an die Europäer hatte er sich während des 1. Weltkrieges seinen mehrheitlich patriotischen Zeitgenossen gegenüber für eine schnellstmögliche Beendigung des Völkermordens einsetzen wollen. Da sich nur zwei weitere Unterzeichner fanden, wurde der Aufruf aber nicht veröffentlicht.

Mehr Zuspruch fand Einstein im Völkerbund. Von 1922 bis 1932 war er Vertreter Deutschlands bei der Kommission für geistige Zusammenarbeit (Vorläufer der UNESCO) und hatte daher häufig Gelegenheit, sich zu Fragen der Friedenssicherung, Völkerverständigung, Friedenserziehung und des Pazifismus zu äußern. Während der Machtergreifung am 30. Jan. 1933 weilte Einstein im Ausland. Für ihn war der Germano-Faschismus eine Völkerwanderung von unten, ein Zertrampeln des Feineren durch das Rohe. Sein offenes Eintreten für Freiheit und Demokratie machte ihn in den USA zu einem Gegenspieler Hitlers. Die demokratischen Staaten könnten sich nur mit politischer Festigkeit und militärischer Stärke gegen die NS-Gewaltherrschaft behaupten. Hitler gegenüber relativierte der Freigeist Einstein sogar seinen Pazifismus.

Die Bemühungen emigrierter europäischer Wissenschaftler, die US-Regierung zur Finanzierung von Kernspaltungsexperimenten mit dem Ziel der Entwicklung einer Atombombe zu gewinnen sowie der Ablauf der Arbeiten wurden ausführlich von Herbig beschrieben. Die Physiker wussten, dass es keine Rettung gäbe, wenn es den Deutschen gelänge, die Atombombe zuerst herzustellen.

Im Juli 1939 informierten die ungarischen Physiker Szilard und Wigner Einstein über die kriegstechnischen Möglichkeiten, die sich aus der Uranspaltung mit Kettenreaktion und Massendefekt (E=mc2) ergeben könnten. Kurz darauf unterzeichnete er einen Brief an Präsident Roosevelt, in dem darauf hingewiesen wird, dass die Kernspaltung des Elements Uran zu einer wichtigen Energiequelle und insbesondere zur Herstellung neuer Bomben von höchster Detonationsgewalt nutzbar gemacht werden könne. Der amerikanischen Regierung wird empfohlen, den kerntechnischen Fragen die notwendige Aufmerksamkeit und Geldmittel zukommen zu lassen. Abschließend werden die Anstrengungen deutscher Wissenschaftler auf diesem Gebiet und personelle Verknüpfungen mit dem Auswärtigen Amt erwähnt. Diese Anspielung bezog sich auf die Familie der von Weizsäckers. Carl Friedrich arbeitete mit Heisenberg zusammen und sein Vater war als Aussenpolitiker tätig. Die Kollaboration der Weizsäckers und Heisenbergs mit den Nazis hat Einstein wohl zu Recht mit Argwohn verfolgt.

Die Unterzeichnung (oder auch Formulierung) des Briefes an Roosevelt war Einsteins einziger, wenn auch womöglich wichtiger Beitrag zur Entwicklung der Atombombe. An den wissenschaftlichen Arbeiten wurde er nicht mehr beteiligt, z.T. weil er sich inzwischen mit seinen vergeblichen Versuchen zur Formulierung einer einheitlichen Feldtheorie und seiner Ablehnung der Quantentheorie isoliert hatte, z.T. weil er als Kommunistenfreund als politisch unzuverlässig galt.

Einstein, nicht an der Entwicklung der Bombe beteiligt, erfuhr wahrscheinlich erst sehr spät, 1944 oder 1945, wie weit die Experimente vorangeschritten waren und dass eine Zündung möglich wäre. Trotzdem war er wahrscheinlich vorbereitet, als der Rundfunk am 6. August 1945 die Nachricht vom Abwurf einer Atombombe auf Hiroshima brachte. In einem Brief an den Japaner Shinohara hat er seinen Pazifismus wie folgt relativiert: Ich bin ein entschiedener, aber kein absoluter Pazifist, das heißt, daß ich der Anwendung von Gewalt unter irgendwelchen Umständen entgegentrete, ausgenommen, wenn ich mit einem Feind konfrontiert werde, der die Vernichtung von Leben als Ziel betreibt. Ich habe immer die Anwendung der Atombombe gegen Japan verdammt. Wie auch immer, ich war völlig machtlos, die verhängnisvolle Entscheidung zu verhindern, für die ich so wenig verantwortlich bin wie sie für die Handlungen der Japaner in Korea und China. Ich habe niemals gesagt, daß ich die Anwendung der Atombombe gegen die Deutschen gebilligt haben würde. Ich glaubte, wir müßten die Möglichkeit Deutschlands vermeiden, unter Hitler im alleinigen Besitz dieser Waffe zu sein. Das war die wirkliche Gefahr dieser Zeit. Ich bin nicht nur gegen den Krieg gegen Rußland, sondern gegen allen Krieg - mit obigem Vorbehalt.

Aus diesem Brief spricht auch die Ohnmacht, selbst des verantwortungsbewusstesten Wissenschaftlers, der im allgemeinen nicht über die Verwertung seiner Ergebnisse bestimmen kann. Selbst wo nicht direkt Rüstungsforschung betrieben wird, können wissenschaftliche, zumal naturwissenschaftliche Erkenntnisse meist militärisch wie zivil, zum Schaden oder Nutzen der Menschen verwendet werden. Darauf haben die Wissenschaftler jedoch meist keinen Einfluss.

Welche Lehren lassen sich daraus ziehen? Welche Konsequenzen hat Einstein daraus gezogen? Zunächst die: Wenn ich gewußt hätte, daß die Deutschen nicht mit Aussicht auf Erfolg an der Atomwaffe arbeiten, hätte ich nichts für die Bombe getan. ... Ich beging einen großen Fehler in meinem Leben - als ich den Brief an Präsident Roosevelt unterschrieb, in dem ich die Herstellung der Atombombe empfahl. Aber dabei blieb er nicht stehen. Bereits 1940 hatte sich Einstein in einem Rundfunkinterview in grundsätzlicher Weise zur Weltpolitik geäussert: Ich bin davon überzeugt, dass eine internationale politische Organisation nicht nur möglich, sondern unbedingt nötig ist, wenn die Zustände auf unserem Planeten für die Menschen nicht schlechterdings unerträglich werden sollen. Der Völkerbund hat versagt, weil er nicht auf einen teilweisen Verzicht der Souveränität der ihn konstituierenden Staaten gegründet war, und weil es an jeder Executivgewalt fehlte. Ein Weltstaat kann nur dann den Frieden sichern, wenn die ihn bildenden Staaten ihm alle ihre militärischen Machtmittel an die Hand geben. Und hinsichtlich der offensichtlichen Schwäche der entstehenden UN ergänzte Einstein 1946: Unter dem Begriff ,,Weltregierung`` verstehe ich eine Institution, deren Entscheidungen und Gesetze die einzelnen Mitgliedstaaten binden. Unter dem Eindruck der entsetzlichen Erfahrungen mit den Germano-Faschisten und seiner Weltbürgerlichkeit entsprechend, geht er weit über Kants Vorschäge zur Erlangung ewigen Friedens hinaus. Für den antinationalistischen Humanisten bricht Menschenrecht das Nationenrecht.

Einstein ist nach 1945 stets öffentlich gegen die Gefahr einer atomaren Selbstvernichtung der Menschheit aufgetreten, so auch am 13. Februar 1950 in einer Fersehsendung, in der er den Glauben, man könne Sicherheit durch nationale Bewaffnung erreichen, als Illusion entlarvt, die Militarisierung der Gesellschaft anprangert und die Unsinnigkeit des beginnenden Wettrüstens kritisiert. Und am 20. September 1952: ... Nur die radikale Abschaffung der Kriege und der Kriegsgefahr kann helfen. Dafür soll man arbeiten und entschlossen sein, sich nicht zu Handlungen zwingen zu lassen, die diesem Ziel zuwiderlaufen. Dies ist eine harte Forderung an das Individuum, das sich seiner sozialen Abhängigkeit bewußt ist. Aber es ist keine unerfüllbare Forderung ... .

Einstein hob auch besonders die politische Verantwortung der Naturforscher und Ingenieure hervor. So sagte er 1948 in seiner Botschaft an die Intelligenz: Da wir als Wissenschaftler die tragische Bestimmung haben, die schaurige Wirksamkeit der Vernichtungsmethoden zu steigern, muß es unsere feierlichste und vornehmste Pflicht sein, nach besten Kräften zu verhindern, daß diese Waffen zu den brutalen Zwecken gerbraucht werden, für die man sie erfand. Welche Aufgabe könnte für uns bedeutsamer sein? Welches soziale Ziel könnte unserem Herzen näherstehen?

Die nach dem Zerfall des Warschauer Paktes im Rahmen der Strategic Arms Reduction Talks (START) vereinbarten Abrüstungsverträge mindern zwar die Gefahren eines Atomschlages zwischen den Supermächten USA und Russland. Zugleich entstehen jedoch neue Gefahren des wieder stärker um sich greifenden Nationalismus und Rassismus. In Verbindung mit religiösem Fundamentalismus und den Armutswanderungen über die gefallenen Grenzen, wird auch in Zukunft die Gefahr sich ausbreitender Krisenherde akut bleiben. Die immer wieder aus Profitsucht und Machtstreben getätigten Waffenschiebereien lassen Einsteins Appell zwar naiv erscheinen, gleichwohl zählt die Stimmungsmache für ein friedfertiges Zusammenleben und die verstärkte internationale Kontrolle des Waffenhandels nach wie vor zu den politischen Hauptaufgaben.

Die USA haben durch ihren übertriebenen Anti-Kommunismus und in Verbindung mit der engen Verstrickung ihrer Politik im Waffen- und Ölgeschäft in fahrlässiger Weise den islamischen Fundamentalismus gefördert. Der neben dem Kapitalismus globalisierte Terrorismus wird eine Herausforderung der nächsten Jahrzehnte bleiben. Zudem hat der 11. September zu einer weltweiten Renaissance des Religionswahns geführt. Neben der Bedrohung durch den Islamo-Faschismus ist es die Energiepolitik und die Verschwendung der Naturressourcen, die durch den wirtschaftlichen Aufschwung in Asien zu einer globalen ökologischen Katastrophe als Folge des Klimawandels führen könnte.

Im Anschluss an die Evolutionstheorie kann Leben schlechthin als Problemlösen verstanden werden. Entwicklungsbestimmend ist dabei aber eine Vernunft, die dem Darwinschen Optimierungsverfahren zur Genverteilung und Phänotypenselektion folgt. Um dem Vorwurf des Darwinismus zuvorzukommen, zitiere ich aus The origin of species. Dort schreibt Darwin zusammenfassend: These laws, taken in the largest sense, being Growth with Reproduction; inheritance which is almost implied by reproduction; Variability from the indirect and direct action of the external conditions of life, and from use and disuse; a Ratio of Increase so high as to lead to a Struggle for Life, and as a consequence to Natural Selection, entailing Divergence of Character and the Extinction of less-improved forms. Mit genialer Intuition hat Darwin aus dem Wirken der Natur einen universalen Optimierungs-Algorithmus herausgelesen, der aus den Voraussetzungen Stoffwechsel, Selbstreproduktion und Mutation notwendig Selektion zur Folge hat. D.h. die Selektion ist eine Systemeigenschaft, die in Bioreaktoren schon vielfach bestätigt werden konnte. Als mathematisches Verfahren ist der Algorithmus universell einsetzbar. Er ist zwar einfach, hat aber den Nachteil sehr zeitaufwendig zu sein, weil er zufallsbasiert ist. Im Gegensatz zu Hitler, hatte Trotzki nicht nur hohle Phrasen gedroschen, sondern Darwin gelesen und verstanden. In seiner Autobiographie weist er darauf hin, dass Darwins Selektionsverfahren sehr schön den Zusammenhang von Zufall und Gesetzmäßigkeit im historischen Prozess demonstriere. Stehen doch die statistischen Schwankungen im Einklang mit der naturgesetzlichen Ordnung - ganz ähnlich wie in der statistischen Physik und Thermodynamik. Allgemein gesprochen, spiegelt sich das Gesetzmäßige des gesamten historischen Prozesses im Zufälligen wider. Will man die Sprache der Biologie gebrauchen, dann kann man sagen, daß sich die historische Gesetzmäßigkeit durch die natürliche Auslese der Zufälle verwirklicht. Auf dieser Grundlage entwickelt sich die bewußte menschliche Tätigkeit, die die Zufälle einer künstlichen Auslese unterwirft.

Der Darwinsche Algorithmus ergänzt im Rahmen der Naturgeschichte das Boltzmannsche Optimierungsverfahren zur Energieverteilung. Insofern setzen Menschen fort, was mit der Selbstentwicklung der Energie und der Gene begann; denn Optimierung ist die einfachste Form von Veränderung. Als Extremalprinzip (der kleinsten Wirkung) bei der Variation sogenannter Wirkungsintegrale erlaubt die Optimierung sogar die Ableitung der grundlegenden physikalischen Feldgleichungen. Den Invarianten der Gleichungen entsprechen dabei Erhaltungssätze physikalischer Größen. Die auch als Symmertrien formulierbaren Invarianzen sind es, die aus dem Quantenbit den dreidimensionalen Raum entstehen lassen. D.h. die Rotationsymmetrie des Raumes kann als Folge der sogenannten unitären Ur-Symmetrie aufgefasst werden.

Konflikt- und Ökosystemforschung werden wichtige Problemfelder kritischer Wissenschaft bleiben. Dabei fällt unter Konfliktforschung auch die Einübung in das rationale Argumentieren, wie es in den exakten Wissenschaften beispielhaft praktiziert wird, auch wenn man in der Regel von der idealen Sprechsituation noch weit entfernt bleibt. Die schon von Einstein und Russell unterstützte Pugwash-Organisation bemüht sich nach wir vor um die Perspektive eines Weges in der Gefahr, wie es C.F. von Weizsäcker einmal ausdrückte. Der noch im Russell-Einstein-Manifest angeprangerte struggle between Communism and anti-Communism hat sich unterdessen zu einem Kampf zwischen Kapitalismus und Anti-Kapitalismus entwickelt. Nur durch Abrüstung des militärisch-industriellen Komplexes und durch Aufklärung über die gemeinsamen Wurzeln aller Menschen, werden sich mit Blick auf eine vereinheitlichte Kosmologie Globalisierung und Demokratisierung in Einklang bringen lassen.


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Ingo Tessmann 2005-06-26