Zu den ,,Erkenntnissen von definitivem Character, den die Physik der speziellen Relativitätstheorie verdankt``, zählen für Einstein (5., S. 23):
Fasziniert von der ,,logischen Geschlossenheit des Newton'schen Begriffssystems``, die darin liege, ,,daß als Beschleunigungsursachen der Massen eines Systems nur diese Massen selbst auftreten'' (8., S. 154), vollendet Einstein bis 1916 mit der allgemeinen Relativitätstheorie Newtons Mechanik. Gemäß Erkenntnis a) geht es ihm im Rahmen einer Feldtheorie um die Behebung der drei schon von Newton und Mach hervorgehobenen Mängel des Gedankengebäudes:
Erkenntnis b) habe nun mit der unter e) genannten Erfahrungstatsache zur
Folge, ,,daß die Schwere eines Systems in genau bekannter Weise von
seiner Gesamtenergie abhänge'' (5., S. 24). Eine Theorie, die diesen
Zusammenhang nicht ,,in natürlicher Weise'' verständlich mache, sei
nach Einstein zu verwerfen. Zum Glück fällt ihm schon sehr bald ein:
,,Die Tatsache der Gleichheit der trägen und schweren Masse bzw. die
Tatsache der Unabhängigkeit der Fallbeschleunigung von der Natur der
fallenden Substanz, läßt sich auch so ausdrücken: In einem
Gravitationsfelde (geringer räumlicher Ausdehnung) verhalten sich die
Dinge so wie in einem gravitationsfreien Raume, wenn man in diesem statt
eines Inertialsystems ein gegen ein solches beschleunigtes
Bezugssystem einführt'' (5., S. 24f). Dieses Äquivalenzprinzip
habe zur Folge, ,,daß man eine Invarianz der Gesetze auch
bezüglich nichtlinearer Transformationen der Koordinaten im
vierdimensionalen Kontinuum zu postulieren habe'' (5., S. 25). Die
,,Brauchbarkeit des Grundgedankens der allgemeinen Relativitätstheoriemacht Einstein in Anknüpfung an die Poisson'sche Gleichung
plausibel, nach der das Gravitationspotential mit der Massendichte
über die Konstante k wie folgt zusammenhängt (5., S. 27f):
Für wird in der relativistischen Theorie des Gravitationsfeldes
der Tensor der Energiedichte
zu setzen sein. An die Stelle von
tritt der mit den Metrikkoeffizienten
verknüpfte Krümmungstensor
in der Formulierung der
Feldgleichung:
Diese Gleichung stellt die einfachste Gleichung dar, die invariant bzgl. der Gruppe der kontinuierlichen Koordinaten-Transformationen ist. Hieran knüpft Einstein seinen Maßstab der Vollkommenheit: ,,Es ist klar, daß man im allgemeinen eine Theorie als umso vollkommener beurteilen wird, eine je einfachere Struktur sie zugrunde legt und je weiter die Gruppe ist, bezüglich welcher die Feldgleichungen invariant sind`` (5., S. 29). Also am Widerstreit der Themata der Einfachheit (der mathematischen Struktur) und der Reichhaltigkeit (der Transformationsgruppe) sind physikalische Theorien zu entwickeln.
Im Vergleich mit den vielfältigen Alternativen der Allgemeinen Relativitätstheorie, hat sie sich bis heute behaupten können (57.). Zudem bewährt sich das von Weyl in die Einstein'sche Theorie eingeführte Prinzip der lokalen Eichinvarianz noch immer als eines der Grundprinzipien zur Vereinigung der Quantenfeldtheorien der Elementarteilchen (58., 59.).
Bevor wir auf die vielfältigen politischen Verstrickungen Einsteins eingehen, noch eine Bemerkung zur Namensgebung der Relativitätstheorie (57.). So wurde Einsteins Arbeit von 1905 bis etwa 1910 von Planck und Sommerfeld Relativtheorie genannt. Ab 1915 setzte sich dann die bis heute gebräuchliche Bezeichnung durch. Korrektere Bezeichnungen wie Kovarianztheorie oder Invariantentheorie hätten in der politischen und philosophischen Rezeption der physikalischen Theorien Einsteins weit weniger Anlaß zu verbaler Schaumschlägerei gegeben. In der Gegenwart scheint bei der Chaostheorie eine physikalisch ähnlich ungeeignete Namensgebung für die Theorie dynamischer Systeme vorzuliegen, die wiederum zu haltlosen polit-philosphischen Spekulationen Anlaß gibt. Die Diskussion der ausufernden semantischen Umweltverschmutzung wäre aber ein Thema für eine gesonderte Arbeit.
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Ingo Tessmann