Bohrs Vorgehensweise bei seinem Bemühen, die Atome zu verstehen, kann wie folgt zusammengefaßt werden: Aus den Annahmen
mutmaßte Bohr
Bemerkenswert an der Argumentation Bohrs ist, daß er
Mit dem Erfolg des Bohr'schen Atommodells begann 1913 die Atomphysik. Aufgrund ihres diskontinuierlich-indeterministischen Charakters brach sie mit der Tradition und wird deshalb auch Moderne Physik genannt. Die kontinuierlich-deterministischen Theorien bis hin zur Relativitätstheorie Einsteins zählen seither zur Klassischen Physik. Dieser Wandel im physikalischen Weltbild läßt sich auch im Rahmen der Unterscheidung von traditioneller und kritischer Theorie verstehen. Trotz des Bruchs zwischen klassischer und moderner Physik sah Bohr von Anfang an die Wichtigkeit eines Übergangs zwischen beiden. Er führte mehrere Argumente ins Feld, die sich folgenden Bereichen zuordnen lassen:
Mit der Verträglichkeit von Theorien ist gemeint, daß physikalische Theorien in einem logischen Zusammenhang stehen müssen. Schließlich gibt es nur eine Natur, folglich sollte es auch nur eine Physik geben. Nehmen wir als Beispiel das bekannte Additionstheorem der Geschwindigkeiten:
Um Einsteins Theorie mit der Newtons in Einklang zu bringen, muß im Grenzübergang des Strebens von c gegen unendlich: eine mit der Theorie Newtons vereinbare Behauptung herauskommen: vr = v1 + v2. Einsteins relativistische Mechanik ist also eine Erweiterung der Newton'schen Mechanik. Letztere folgt aus ersterer unter der Annahme unendlich großer Lichtgeschwindkeit. Natürlich geht auch die Einstein'sche Kraftdefinition für in diejenige Newtons über. Und die Einsteingleichung der allgemeinen Relativitätstheorie liefert als Sonderfall das Newton'sche Gravitationsgesetz. Es gibt daher so etwas wie eine Theorien-Evolution. Einfache Theorien werden zu komplexeren erweitert oder vereinigt: Aristoteles, Galilei, Newton, Maxwell, Einstein. Offenbar war es das Anliegen Bohrs, zur Quantentheorie eine ähnliche Beziehung herzustellen, wie sie zwischen Einsteins Theorien und derjenigen Newtons bestand. Bohr verfolgte zugleich zwei Ziele:
Kommen wir zur Sprachphilosophie Bohrs. Ein grundlegendes Sprachproblem lieferte
die Ausdehnung seines Komplementaritätsgedankens auf den praktischen Meßvorgang.
Wie konnten Meßresultate klassischer Wellen oder Teilchen verstanden werden, die
atomaren Zustandsänderungen entsprangen? Bei der Beschreibung der Atome
verlor die Sprache der klassischen Physik offenbar ihre Gültigkeit.
Wenn wir an die Wittgenstein'sche Gebrauchstheorie der Bedeutung
denken, ist das natürlich ganz plausibel. Man kann
von Wortbedeutungen, die der Praxis des Meßgerätebaus entstammen, nicht
erwarten, daß sie in der Mikrowelt der Atome gelten.
Folgendes Beispiel mag das Problem verdeutlichen. Wir denken
an die Bahnkurve eines Tennisballs oder an die Umlaufbahn eines Planeten.
Beide Bewegungen lassen sich durch einfache geometrische Kurven beschreiben.
Zu jedem Zeitpunkt ist es möglich, Ort und Geschwindigkeit des Balls oder des
Planten zu bestimmen. Nun stelle man sich die Bewegung eines Elektrons um den
Atomkern vor. Eine Bahnkurve hat hier nur noch metaphorische Bedeutung.
Um den Ort des Elektrons zu bestimmen, muß man -Strahlung mit
einer Wellenlänge in der Größenordnung der Elektronenwellenlänge benutzen.
Die ist aber so energiereich, daß es unmöglich ist, neben dem Ort auch noch
die Geschwindigkeit des Elektrons zu ermitteln. Denn das Elektron würde
während der Messung aus der (metaphorischen) Bahn geworfen werden.
Und deshalb hat Bohr nur von stationären Zuständen und Übergängen
zwischen Energieniveaus gesprochen. Der Ausdruck Bahnkurve ist in der
Atomphysik offensichtlich bedeutungslos.
1920 besuchte
Bohr erstmals
Einstein in Berlin und 1922 erhielt er zugleich
mit Einstein den Nobelpreis, der ihn rückwirkend für 1921 bekam.
Sein vierter Sohn Aage kam zur Welt. Er wurde
ebenfalls Physiker und 1975 mit dem Nobelpreis geehrt. Im gleichen Jahr 1922
lernte Bohr den noch nicht 21jährigen Physikstudenten
Werner Heisenberg
kennen, mit dem er zukünftig eng zusammenarbeiten sollte. Bohr hatte zwar
mit seinem Komplemataritätsgedanken und ersten Korrespondenzregeln
den entscheidenden Durchbruch in der Quantentheorie erzielt. Eine ähnlich
abgeschlossene Theorie wie die Newton'sche Mechanik oder die Einstein'sche
Relativitätstheorie lag mit seiner Theorie der Atome allerdings noch nicht vor.
Ihre Entwicklung zog sich bis 1926 hin. Im Frühjahr 1922 wurde Bohr zu
Vorträgen über die Theorie der Atomstruktur nach Göttingen
eingeladen. Mit seiner philosophischen Haltung hatte er es schwer,
vor der hohen Schule der Mathematik zu bestehen. Auf Heisenberg machte er
gerade dadurch großen Eindruck. Er schrieb später darüber: ... fast
hinter jedem der sorgfältig formulierten Sätze wurden lange Gedankenreihen
sichtbar, von denen nur der Anfang ausgesprochen wurde und deren Ende sich im
Halbdunkel einer für mich sehr erregenden philosophischen Haltung verlor.
Auch Bohr verließ sich primär auf seine Intuition und erriet Zusammenhänge
lange bevor sie mathematisch exakt nachvollziehbar waren. Auf einem
Spaziergang sprach Heisenberg ihn darauf an. Bohr antwortete: Die
Bilder, die wir uns von den Atomen machen, sind ja aus Erfahrungen erschlossen,
oder, wenn Sie so wollen, erraten, nicht aus irgendwelchen theoretischen
Berechnungen gewonnen. Ich hoffe, daß diese Bilder die Struktur der
Atome so gut beschreiben, aber eben auch nur so gut beschreiben wie dies
in der anschaulichen Sprache der klassischen Physik möglich ist. Wir müssen
uns klar darüber sein, daß die Sprache hier nur ähnlich gebraucht werden
kann wie in der Dichtung, in der es ja auch nicht darum geht, Sachverhalte
präzis darzustellen, sondern darum, Bilder im Bewußtsein des Hörers zu
erzeugen und gedankliche Verbindungen herzustellen.
Auf die Frage Heisenbergs, ob überhaupt Aussicht bestehe, die Atome
jemals zu verstehen, antwortete Bohr nach einem Moment des Zögerns:
Doch. Aber wir werden dabei gleichzeitig erst lernen, was das Wort
verstehen bedeutet.
In den 20er Jahren war
Kopenhagen
neben Berlin und Göttingen zu einem international begehrten
Treffpunkt für Physiker geworden. Aus den Diskussionen und Untersuchungen
zur Quantentheorie entwickelten sie unter dem Einfluß Bohrs eine Sichtweise
der Atomphysik, die später Kopenhagener Deutung der Quantentheorie
genannt wurde. Nach einem Aufenthalt in Kopenhagen weilte Heisenberg
1924 in Berlin und diskutierte mit Einstein sein Vorhaben, eine Physik zu
entwerfen, in der nur noch beobachtbare Größen eine Rolle spielen
sollten. Einstein entgegnete: Vom prinzipiellen Standpunkt aus ist es
ganz falsch, eine Theorie nur auf beobachtbare Größen gründen zu wollen.
Denn es ist ja in Wirklichkeit ganau umgekehrt. Erst die Theorie entscheidet
darüber, was man beobachten kann. Und er fügte hinzu: Ihre Behauptung,
daß Sie nur beobachtbare Größen einführen, ist also in Wirklichkeit eine
Vermutung über eine Eigenschaft der Theorie, um deren Formulierung Sie sich
bemühen. Einstein wies darauf hin, daß es gleichgültig sei, was man
über die Natur wisse, wichtig sei allein, was die Natur wirklich
tue. Und so forderte er Heisenberg abschließend auf: Wenn Ihre Theorie
richtig sein soll, so werden Sie mir eines Tages sagen müssen, was das Atom
tut, wenn es von einem stationären Zustand durch Lichtaussendung zum anderen
übergeht.
Da prallten Realitätskonzepte aufeinander.
Bohr und Heisenberg war überhaupt nicht klar, wie über atomare
Vorgänge gesprochen werden könne. Sie sahen hier ein grundsätzliches
Problem und suchten nach neuen Begriffen; ähnlich wie Einstein eine
Revision der Raum-Zeit-Struktur vorgenommen hatte. Sie hatten
ein neues Sprachspiel zu spielen und angesichts der Meßresultate
atomarer Vorgänge in neuen Lehr/Lernsituationen quasi die Lektion der
Atome zu studieren. In seinem Buch Der Teil und das Ganze schreibt
Heisenberg: Wir haben zwar eine mathematische Sprache, das
heißt ein mathematisches Schema, mit Hilfe dessen wir die stationären
Zustände des Atoms oder die Übergangswahrscheinlichkeiten von einem
Zustand zu einem anderen ausrechnen können. Aber wir wissen noch nicht wie
diese Sprache mit der gewöhnlichen Sprache zusammenhängt. Natürlich
braucht man diesen Zusammenhang, um die Theorie überhaupt auf Experimente
anwenden zu können. Denn über die Experimente reden wir ja immer in der
gewöhnlichen Sprache, das heißt in der bisherigen Sprache der klassischen
Physik.
Obwohl auch Einstein mit der Relativitätstheorie ein neues Sprachspiel zum Reden über den Kosmos entwickelt hatte, blieben ihm die sprunghaft-zufallsbedingten Strahlungsübergänge in der Quantentheorie das Haar in der Suppe. Heisenberg machte sich nunmehr daran, eine abgeschlossene Quantentheorie zu entwerfen. Zunächst ging es ihm darum, präzise herauszuarbeiten, warum es keine Bahnkurven von Elektronen geben konnte. Er ging aus von den Energie- und Impulsbeziehungen der de'Broglie'schen Materiewellen:
Greifen wir die Situation der Orts- oder Frequenzmessung einer Elektronenwelle auf. Wenn wir an den Tennisball denken ist es überhaupt kein Problem, ihn zu filmen und aus der Zeitlupe exakt seine Bahnkurve aufzuzeichnen. Zu jedem Zeitpunkt sind Ort und Impuls des Balles bestimmbar. Ganz anders liegt der Fall aber beim Elektron. Denn im Unterschied zum sichtbaren Licht, das den Ball auf dem Film abbildet, liegt die Wellenlänge bzw. Frequenz des unsichtbaren Lichtes, die das Elektron registriert, in der gleichen Größenordnung wie die Elektronenwellenlänge. D.h. die Elektronenwelle erfährt bei der Messung der Frequenz eine Energieänderung bzw. bei der Messung des Ortes eine Impulsänderung:
Aus diesen Überlegungen leitete Heisenberg ganz allgemein seine sogenannten Unschärfebeziehungen ab. Ersetzen wir die Differenzen durch und durch , folgt:
t steht für die Zeit und q für den Ort. Diese Unbestimmtheitsrelationen
haben weitreichende Folgen. In ihnen begrenzt das Wirkungsquantum in
prinzipieller Weise die Genauigkeit, mit der Energie und Zeit bzw. Impuls
und Ort einer Materiewelle gemessen werden können.
Aus dem Produkt der beiden jeweiligen Größen geht hervor, daß die
Genauigkeit der einen nur auf Kosten der anderen gesteigert werden kann.
Allerings verloren auch in der Makrowelt des Kosmos die Alltagsbegriffe
von Raum und Zeit ihre Gültigkeit. Bedeutungen sprachlicher
Ausdrücke bleiben halt an die Lehr/Lernsituationen ihrer Einführung
gebunden. Und Begriffe, die wir im Umgang mit Tennisbällen erlernen,
können nicht einfach auf Elektronen oder Galaxien übertragen werden.
Heisenberg hatte bis 1926 eine algebraische Theorie gefunden, durch die er die Bohr'schen Korrespondenzregeln ersetzen konnte. Seine Algebra gestattete ihm die mathematisch exakte Berechnung von Übergangswahrscheinlichkeiten atomarer Zustände. Im gleichen Jahr gelang es dem Österreicher Erwin Schrödinger im Anschluß an de'Broglie eine allgemeine Wellengleichung der Materie zu formulieren, die mit der algebraischen Theorie äquivalent war. Eine schöne Bestätigung für den Bohr'schen Komplementaritätsgedanken. Die Physiker hatten leistungsfähige Rechenschamata gefunden, die in beeindruckender Weise die Meßergebnisse vorherzusagen gestatteten. Aber wie waren die mathematischen Schemata physikalisch zu verstehen? Bei Vielteilchensystemen, wie Molekülen, konnte die vieldimensionale Wellengleichung nicht mehr realistisch interpretiert werden. Und die algebraische Quantentheorie stellte sich als nichtkommutativ heraus, d.h.:
Wenn wir an das Rechnen mit Zahlen denken, ist natürlich immer das Kommutativgesetz erfüllt, d.h. ab - ba = 0. Bei i handelt es sich um die sogenannte imaginäre Einheit. Sie wird eingeführt beim Ziehen von Wurzeln aus negativen Zahlen: bzw. i2 = -1.
Die p und q sind keine Zahlen, sondern Operatoren, die auf Zustandsgrößen
bzw. Wahrscheinlichkeitsverteilungen anzuwenden sind. Mit den Operatoren
werden die meßtechnischen Operationen sozusagen in die Theorie
übernommen. Die Operatoren wirken auf die Wahrscheinlichkeitsverteilungen
wie Finger auf Knetmasse ...
In der Algebra der Atome enthalten die Unbestimmtheitsrelationen
sogenannte Kommutatoren. Derartige Ausdrücke kommen bereits in der
klassischen Mechanik vor. Wenn wir uns obige Relationen anschauen, hatte
Heisenberg damit einen Weg gefunden, zwischen klassischer Mechanik und
Quantenmechanik eine Korrespondenz herzustellen, wie Bohr sie
gefordert hatte. Denn mit dem Grenzübergang wird
pq -qp = 0. Ein Ergebnis wie es für einfache Zahlen gilt.
Betrachten wir etwas genauer wie Heisenberg vorging. Zunächst müssen wir aber verstehen, was ein Operator ist. Wenn wir an das normale Rechnen denken, z.B. an die Addition a + b zur Berechnung der Summe zweier Zahlen, dann läßt sich die Operation der Addition auch als Anwendung eines Summenoperators verstehen. D.h. a + b ist gleichbedeutend mit +(a,b). Die Zahlen sind zu Operanden, die Addition ist zum Operator geworden. Das ist wie beim Taschenrechner mit umgekehrt polnischer Notation. Setzen wir nun mit
Einsteins Photonenhypohtese und Bohrs Strahlungsübergänge voraus. Ferner bezeichnen wir durch und die atomaren Zustände mit den Energieniveaus En2 und En1. Dann folgt für den Energieoperator H und den Meßoperator A:
Der Stern steht für eine Besonderheit des Rechnens mit imaginären Zahlen. wird üblicherweise bezüglich der Zustände durch a = an1 n2 abgekürzt und als Matrixelement bezeichnet. Heisenberg nahm nun an, daß sich der Meßoperator A in harmonischer Weise, d.h. frquenzproportional, zur emittierten Strahlung ändert, die Zustandsgrößen aber konstant bleiben: A' und bezeichnen die zeitliche Änderung von A bzw. . Das ist ganz so wie bei der Geschwindigkeit zu verstehen: . Heisenberg erhielt folgendes Ergebnis:
Nimmt man als Ausdruck Bohr'scher Komplementarität die Konstanz von A, aber die zeitliche Änderung von an, kommt die Schrödinger'sche Grundgleichung der Wellenmechanik heraus:
Mit , d.h. ohne Zustandsänderung des Atoms durch
Emission oder Absorption von Photonen, folgt der Energieerhaltungssatz der
klassischen Mechanik. Aufgrund dieser Korrespondenz wird H Energieoperator
genannt.
Bohrs Welle-Teilchen-Komplementarität hatte in der mathematischen Äquivalenz von Schrödingers Wellengleichung und Heisenbergs Operatorengleichung ihre krönende Bestätigung gefunden. Obige Gleichungen der Quantenmechanik hatten Newtons Kraftgleichung der klassischen Mechanik ersetzt. Die Zahlen der klassischen Mechanik wurden zu Operatoren der Quantenmechanik. Wie man sich das im Bohr'sche Atommodell konkret vorzustellen hat, beantworten die verschiedenen Interpretationen der Quantenmechanik. Auf dem sogenannten 5. Solvay-Kongreß von 1927 entwickelten sich darüber zwischen Bohr und Einstein intensive Diskussionen .
Der jährlich von dem Industriellen Solvay finanzierte Kongreß stand unter dem Thema Elektronen und Photonen. Weiteren Auftrieb im Streit um die Quantentheorie löste Einstein 1935 mit einer Arbeit aus, die er in Princeton zusammen mit seinen Mitarbeitern Podolsky und Rosen ausgeheckt hatte. Durch Formulierung des später sogenannten EPR-Paradoxons versuchten die drei nachzuweisen, daß die Quantentheorie entweder nichtlokal oder unvollständig sei.