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Das Bohr'sche Atommodell

Niels Bohr wurde am 7. Oktober 1885 in Kopenhagen als mittleres von drei Kindern geboren. Sein Vater war Professor für Physiologie an der Kopenhagener Universität. Bohr verlebte eine sorglose, behütete Kindheit. Sein Vater war gleichermaßen in der englischen und deutschen Tradition verwurzelt. Häufig wurden Shakespeare und Goethe gelesen. Früh beteiligte sich Niels an häuslichen philosophischen Gesprächen. Mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Harald führte er endlose Diskussionen, die sie im Gesprächskreis der Universität fortsetzten.

Immer wieder beschäftigten sie sich mit der Frage des wechselseitigen Ausschließens und Ergänzens von Bewußtseinsstrom und Reflexion. Wiederholt las Bohr in dem Buch: Abenteuer eines dänischen Studenten und entwickelte daraus sein Konzept der Komplementarität: Obwohl die Erfahrung unzählige Male gelehrt hat, daß es möglich ist, quäle ich mich mit dem unlösbaren Rätsel ab, wie man denken, sprechen oder schreiben kann. Du siehst ein, mein Freund, daß Bewegung eine Richtung voraussetzt. Der Verstand kann nicht weiterkommen, wenn er nicht einer bestimmten Linie folgt, vorher muß er sie aber gedacht haben. Daher hat man bereits jeden Gedanken gehabt, bevor man ihn denkt. Jeder Gedanke - anscheinend das Werk einer Minute - setzt demnach eine Ewigkeit voraus. Das kann mich fast zum Irrsinn treiben.

Wie kann also irgendein Gedanke entspringen, wo er doch schon existiert haben muß, bevor er hervorgebracht wird? Wenn du einen Satz schreibst, mußt du ihn vor dem Aufschreiben im Kopf haben, bevor du ihn aber im Kopf hast, mußt du ihn gedacht haben, wie willst du denn sonst wissen, daß ein Satz formuliert werden kann? Und bevor du daran denkst, mußt du doch eine Idee davon gahabt haben, wie wäre es dir sonst eingefallen, ihn zu denken? Und so geht das bis in alle Ewigkeit weiter, und die Ewigkeit ist in einem Augenblick eingeschlossen.

Man kann offenbar nicht zugleich denken und über das Denken denken. Im Bewußtsein bleiben die Metaebenen hübsch getrennt. Im Traum, beim Sprechen und Schreiben purzeln sie wild durcheinander. Der Vorgang des Beobachtens ist vom Beobachten des Vorgangs zu unterscheiden, wer beides vermengt, wird irrsinnig. Soweit wollte Niels es natürlich nicht kommen lassen und so betrachtete er fortan sich zugleich ergänzende und ausschließende Begriffe als komplementär.

Harald studierte Mathematik und verbrachte nach der Promotion einige Jahre bei David Hilbert in Göttingen. Da Harald sich für Deutschland entschieden hatte, wählte Niels England zur Fortsetzung seiner Studien. Er hatte sich in die Elektronentheorie der Metalle eingearbeitet. In seiner 1911 vorgelegten und ausgezeichneten Dissertation behandelte er auch das Problem der magnetischen Eigenschaften der Metalle; allerdings ohne durchschlagenden Erfolg. Hatte er doch weder quantentheoretische noch relativistische Überlegungen berücksichtigt. Er sah in seinem Scheitern ein grundsätzliches Problem, das weiterer Untersuchungen harrte. Bevor er im Herbst 1911 nach England ging, heiratete er die Schwester eines Kommilitonen aus dem philosophischen Gepsrächskreis. Ihre Ehe währte lebenslang und wurde durch vier Söhne bereichert. Nach einem Zwischenspiel in Cambridge begann Bohr im März 1912 seine Arbeit bei Rutherford in Manchester.

Beim Beschuß von Goldfolie mit $\alpha$ - Teilchen (Heliumkernen) hatte Rutherford Resultate erhalten, die in einem Planetenmodell gedeutet werden konnten. Elektronen umkreisen darin in weiten Bögen den Atomkern, auf den die eigentliche Masse des Atoms entfällt. Weil bewegte Ladungen im Gegensatz zu bewegten Massen stets Energie abstrahlen, würden die negativen Elektronen allerdings sofort in den positiven Kern stürzen; denn Elektromagnetismus und Gravitation sind halt nicht dasselbe. Nun war andererseits seit 1885 bekannt, daß Elemente im Feuer eines Bunsenbrenners Licht in Frequenzfolgen $\nu_n$ emittieren, die Balmer für Wasserstoff in einer einfachen Formel ausdrückte:

\begin{displaymath}
\nu_n = const. \left({1 \over 4} - {1 \over n^2} \right)\end{displaymath}

n bezeichnet darin eine positive ganze Zahl. Bohr stand vor einem ähnlichen Problem wie Newton als er die Ellipsenbahnen der Planeten erklären wollte. Die Ellipsenbahnen waren bereits durch Kepler bestimmt worden. Newton gelang es mit Hilfe seiner Kraftdefinition, die Gesetze Keplers aus dem Gravitationsgesetz zu folgern. Mit dem Geniestreich seiner Gravitationstheorie hatte er nicht nur die Kepler'schen Gesetze erklärt, sondern ganz allgemein die Bewegung von Massen unter der Wirkung von Kraftgesetzen beschrieben. Planck führte das Wirkungsquantum ein, Einstein formulierte die Photonenhypothese und arbeitete das Welle-Teilchen-Dilemma heraus. Bohr suchte nunmehr Welle und Teilchen als komplementäre Zustände atomarer Vorgänge zu verstehen. In seinen 1913 veröffentlichten Arbeiten zum Aufbau der Atome und Moleküle postulierte er sogenannte stationäre Zustände der Elektronen. Weiter nahm er an, daß Emission und Absorption von Photonen durch sprunghafte Übergänge zwischen solchen Zuständen möglich sein sollten. Er schrieb: Die Energiemenge $\Delta E$, die ausgestrahlt wird bei dem Übergang des Systems aus einem Zustand, der n = n2, in einen, der n = n1 entspricht, ist daher unter der Voraussetzung homogener Strahlung mit $\Delta E = E_{n_2} - E_{n_1} = h \nu:$

\begin{displaymath}
\Delta E = {{2 {\pi}^2 m e^4} \over {h^2}}
 \left({1 \over {n_{2}}^2} - {1 \over {n_{1}}^2}\right) \end{displaymath}

Wir sehen, daß dieser Ausdruck das Gesetz erklärt, das die Linien in dem Wasserstoffspektrum verbindet. Neben den üblichen Abkürzungen steht m für die Elektronenmasse. Mit dem Geniestreich seiner Quantentheorie hatte Bohr nicht nur die Balmerformel erklärt, sondern den gesamten Aufbau des periodischen Systems der Elemente auf die Beschreibung stationärer Elektronenzustände zurückgeführt. Die Chemie wurde Teilgebiet der Physik!

Um die stationären Zustände berechnen können, griff Bohr allerdings auf die Elekrodynamik zurück. Er berechnete die Umlaufbahnen der Elektronen, nannte sie aber stationäre Zustände. Das war nur geraten; denn Atome konnte er nicht einfach unter ein Mikroskop legen! So hielt er sich an die Komplemente Welle und Teilchen. Für die Strahlungsübergänge griff er auf Einsteins Photonenhypothese zurück. Die strahlungslosen Zustände entsprechen dann dem Wellenbild. D.h. die der Frequenz des sogenannten Energieniveaus entsprechende Wellenlänge muß ganzzahliger Teil der Umlaufbahn sein. Im stationären Zustand handelt es sich aber überhaupt nicht um ein umlaufendes Teilchen. Die Elektronenwelle umhüllt vielmehr den ganzen Kern. Und die Strahlungsübergänge erfolgen nach den Einstein'schen Übergangswahrscheinlichkeiten. Dieses Zufallsmoment und die Sprunghaftigkeit des Überganges bildete fortan für Einstein den Stein des Anstoßes in der neuen Theorie.


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Ingo Tessmann
7/29/1998