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Jane Austen und Virginia Woolf

Zwischen der Schriftstellerin Jane Austen (1775-1817) und der Intellektuellen Virginia Woolf (1882-1941) liegen rund 100 Jahre, nämlich die Zeit in England jeweils um 1800 und 1900 herum. Im Zuge der Jugendbewegung wurde Virginia Woolf nach 1968 neben Simone de Beauvoir zu einer Kultautorin in der zweiten Welle der Frauenbewegung. Ihren Schlüsseltext zur Emanzipation der Frau veröffentlichte sie 1929: A Room of One's Own. Der Essay Ein Zimmer für sich allein geht auf zwei Vorträge zurück, die sie 1928 in Cambridge gehalten hatte. Ihr Zeitgenosse Paul Dirac (1902-1984) arbeitete zur gleichen Zeit am gleichen Ort in seinem Zimmer für sich allein an The Principles of Quantum Mechanics. Es war sicher kein Zufall, dass Woolfs Moderne Romankunst und Diracs Moderne Physik im gleichen intellektuellen Milieu der damaligen Zeit entstanden. In Frankreich ließen sich Parallelen zwischen Literatur und Physik bei Proust und de Broglie, in Deutschland bei Döblin und Heisenberg sowie in Österreich bei Musil und Schrödinger herausarbeiten.

Ihre Gedanken zu Modern Novels hatte Woolf bereits 1919 begonnen und als geniale Schriftstellerin vermochte sie ihre theoretischen Visionen in einem literaturästhetisch bahnbrechenden Roman auszugestalten: The Waves erschien 1931. Im Gegensatz zu dem intellektuell stimulierenden Milieu, das Woolfs Schreibtalent herausforderte und zu neuen Ufern drängte, konnte Austen ihre Schreibfreude nur im engen Familienkreis erproben. Welche Voraussetzungen sind notwendig für die Schaffung von Kunstwerken?, fragt sich Woolf und hebt neben dem Talent mit Recht die Lebensbedingungen hervor. Arme, ungebildete und in Abhängigkeit lebende Frauen können schwerlich Kunstwerke hervorbringen; denn das Schreiben als Kunst zu betreiben, unterscheide sich von einer Methode, sich selbst auszudrücken. In ihrem Essay Jane Austen thematisiert Virginia Woolf 1923 auch die Grenzen ihrer Vorgängerin. Kluge Charakterzeichnungen und bravouröse Satiren machen ihre Romane zu einem Lesevergnügen, aber Laster, Abenteuer, Leidenschaft bleiben außerhalb und viele Impressionen kommen einfach nicht vor. In ihrem letzten Roman Persuasion jedoch, beginnt sie zu entdecken, daß die Welt größer ist, geheimnisvoller und romantischer, als sie gedacht hatte. Neben dem Dialog kommen Reflexion und Kontemplation hinzu. Leider verstarb Jane Austen zu früh, um die Grenzen ihrer Liebesromane formal wie inhaltlich weiter überschreiten zu können.



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ingo 2009-06-14