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Einleitung

Mädchenträume von der großen Liebe im Eheglück gestalten die Romane Jane Austens und Stephenie Meyers. Ist das der Grund für den anhaltenden Erfolg bei den Leserinnen dieser Autorinnen, die immerhin 200 Jahre der Zivilisierung trennen? Der erste Band twilight der Vampirromanze zwischen dem ewig 17jährigen Schönling Edward und der wohlriechenden Schülerin Isabella erschien 2005 im gleichen Jahr wie die erfolgreiche Hollywood-Verfilmung des 1796 begonnenen Romans Pride and Prejudice. Der Jane Austen - Boom strebte gerade seinem zweiten Höhepunkt zu. 1998 schrieben die amerikanischen Autorinnen Linda Troost und Sayre Greenfield in ihrem Buch Jane Austen in Hollywood einleitend: The past few years have seen a proliferation of Jane Austen adaptions. Between 1970 und 1986 seven feature-lenght films or television miniseries, all British, were produced based on Austen novels, in the years 1995 and 1996, however, six additional adaptions appeared, half of them originating in Hollywood and the rest influenced by it. Zwischen 2006 und 2007 erschienen fünf weitere Austen-Filme, drei erneute Roman-Verfilmungen sowie die Filmversion des Buches The Jane Austen Book Club Karen Joy Fowlers und die Verfilmung der Austen-Biographie Becoming Jane. A Life von Jon Spence. Fowler wie Meyer übertragen gekonnt Charaktere und Beziehungsstrukturen aus den Liebesromanen Austens in die amerikanische Gegenwart. Dabei geht die Auflage der Meyer-Romanzen unterdessen in die Millionen. Am 3. August 2008 berichtet USA TODAY, dass innerhalb der ersten 24 Stunden nach Erscheinen des letzten Bandes Breaking Dawn der twilight saga allein in den USA 1,3 Mill. Exemplare verkauft worden seien. Und anlässlich der Veröffentlichung ihres Fantasy-Romans Seelen in Deutschland berichtete DPA am 11. August 2008, dass die drei ersten Bände der Vampirromanze eine Auflage von rund 6,5 Mill. erreicht hatten. Weltweit liegt die Auflage gegenwärtig bei über 100 Millionen. Damit dürfte Stephenie Meyer an die Welterfolge J.R.R. Tolkins und J.K. Rowlings anknüpfen. BÜCHER, das Magazin zum Lesen, widmet dem Fantasy-Genre in der Ausgabe 2 des Jahres 2009 einen Schwerpunkt und weiß zu berichten, dass von den Harry Potter - Romanen bisher über 325 Mill. verkauft worden seien.

Dass massenwirksame Klassiker-Verfilmungen das Lesen ihrer literarischen Vorlagen befördern und populäre Fantasy-Romane ebenso zum Wiederlesen der Klassiker beitragen können, ist ein bedenkenswertes Phänomen der POP-Kultur. Wie Helmut Pesch in seiner Theorie und Geschichte der Fantasy ausführt, lassen sich die Motive der Fantasy bis auf die Ursprünge der Menschheit zurückführen. Ihren weltweiten Boom erreichte die Fantasy aber erst mit der POP-Kultur in der Folge der Jugendbewegung in den 1960er Jahren. Phantasie an die Macht!, lautete eine Parole der Zeit. Konkrete Utopien alternativer gesellschaftlicher Verhältnisse waren das Gebot der Stunde. Aber nicht die feministische Science Fiction Ursula LeGuins machte das Rennen, sondern die patriarchale Fantasy J.R.R. Tolkins wurde in den 70er und 80er Jahren des letzen Jahrhunderts zum Bestseller. In der Zeit kultureller Umbrüche entstand überhaupt erst das Genre Fantasy als anerkannter Teil des Buchmarktes neben den bereits etablierten Gattungen der Krimis oder Detektivgeschichten, der Science Fiction und des Horrors bzw der Schauergeschichten oder gothic novels. Als Urheber der Detektivgeschichten gilt Edgar Allan Poe, der das Genre 1841 mit The Murders of the Rue Morgue begründete. Der Ursprung der SciFi-Gattung kann ebenfalls auf das Jahr genau datiert werden: 1818, als Mary Shelley ihren Roman Frankenstein publizierte. Und die erste Schauergeschichte: The Castle of Otranto hatte Horace Walpole bereits 1764 veröffentlicht. Die Schrecknisse in düsteren Gemäuern, in denen lüsterne Wüstlinge verängstigten Jungfrauen nachstellen, erfreuten sich schnell großer Beliebtheit und Jane Austen parodiert sie bereits in einem ihrer Romane. Eine weitere gelungene Parodie der populären Buchmarkt-Genres ist gerade Junot Diaz gelungen in seinem Roman: Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao.

Als Spielformen der Fantasy unterscheidet Pesch folgende Varianten: die mythologische, historische, abenteuerliche, magische, unheimliche oder ironische Fantasy. Alle Spielformen können natürlich in einem Roman vereinigt werden und darüber hinaus sind Motive der SciFi und des Horrors integrierbar. In der postmodernen Fantasy verschwimmen die Konturen mehr und mehr. Und ebenso kommt es in neuerer Zeit zu einem crossover zwischen trivialer Fantasy und anspruchsvoller Literatur. Der Literaturtheoretiker Northrop Frye hat in seiner Anatomy of Criticism 1957 je nach Aktor-Welt-Beziehung folgende Stufenfolge für die Literaturkritik unterschieden: Myth - Romance - Realism - Irony. Ob derartige Einteilungen für eine angemessene Würdigung literarischer Werke hinreichen, wird sich zu zeigen haben. Basis jeglicher Werkkritik, egal ob es sich um ein Werk des ,,Heiligen`` oder des Profanen, der Kunst oder des Trivialen, der Wissenschaft oder der Magie handelt; immer geht es um Gefallen, Machart und Kontext. Daran werden alle Werke der folgenden Autorinnen zu messen sein. Werke, die ein Millionenpublikum begeistern, gefallen offensichtlich. Aber sind sie auch gut gemacht? Und in welchem historischen, gesellschaftlichen, religiösen oder philosophischen Zusammenhang sind sie zu sehen?

Der wichtigste Kontext in Verbindung mit Jane Austen und Stephenie Meyer ist natürlich der Feminismus; wenngleich hard core Feministinnen eher abfällig urteilen: Diverse Fräulein auf dem Weg in den Ehehafen. War Austen zu ihrer Zeit noch eine Ausnahme-Autorin, die nicht einmal unter ihrem Namen Romane veröffentlichen konnte, dominieren unter ihrem Publikum bis heute die Frauen. 200 Jahre nach Austen kann Frau Meyer zwar problemlos Romane unter ihrem Namen veröffentlichen, aber gelesen wird auch sie überwiegend von Mädchen und jungen Frauen. Es gibt offensichtlich typische Frauen- und Männerliteratur, wobei Liebesromane und Fantasy vornehmlich von Frauen, Science Fiction und Horror eher von Männern gelesen werden. Dass Frauenliteratur nicht nur nach den Vorlieben der Leserschaft verstanden werden sollte, sondern als Beitrag zur sexuellen Emanzipation, kann dem Weg durch die Literaturwissenschaft Christa Bürgers entnommen werden. Und Mariella Rausch beginnt ihren Aufsatz über Frauenliteratur im Spiegel der Zeit mit den Worten: Unter Frauenliteratur im allgemeinen versteht man jene Literatur, die sich mit frauenspezifischen Themen und der Gefühls- bzw. Gedankenwelt von Frauen auseinander setzt. Im engeren Sinn versteht man unter Frauenliteratur emanzipatorische Literatur von Frauen, über Frauen und für Frauen. Im weiteren Sinn Literatur, die ihren Gegenstand aus spezifisch weiblicher Sicht darstellt, welche auf historisch und gesellschaftlich bedingten besonderen Erfahrungen der Frau unter patriarchischen Verhältnissen beruht. Danach kann das Schaffen Jane Austens selbstredend als Frauenliteratur bezeichnet werden. Aber handelt es sich auch um feministische Frauenliteratur? Devoney Looser führt 1995 in der Einleitung zu ihrer Essay-Sammlung Jane Austen and Discourses of Feminism fünf Argumente dafür an, Jane Austen im Kontext des Feminismus zu interpretieren:

  1. Jane Austen konnte ihre Romane nur anonym veröffentlichen und setzte sich damit dem Risiko aus, entdeckt zu werden. Darin drückt sich eine offensichtlich feministische Haltung aus.
  2. Selbstbestimmte Frauen des 18. Jahrhunderts waren Aufklärungs-Feministinnen, da der Ausdruck Feminismus erst Mitte des 19. Jahrhunderts gebräuchlich wurde.
  3. Jane Austen vermochte nicht direkt feministisch zu schreiben. Sie verfolgte vielmehr einen raffinierten Feminismus, der aus ihrer subtilen Ironie herauszulesen ist.
  4. Von ihrer Gestaltung schicklicher Liebesgeschichten ausgehend, die stets mit der konventionellen Heirat enden, kann auf die patriarchalen Beschränkungen für Frauen der damaligen Zeit geschlossen werden.
  5. Die Charakterisierung ihrer Heldinnen als starke, intelligente Frauen ist Ausdruck ihres Feminismus.

Unter den um 1800 herum in England herrschenden Bedingungen der protestantisch-konstitutionellen Monarchie als Frau ironische Romane zu schreiben, kann wohl feministisch genannt werden. Aber wie sieht es zu Beginn des 21. Jahrhunderts in den USA aus? Die protestantisch-konstitutionelle Demokratie gewährt den Frauen die gleichen Rechte und Möglichkeiten, ihr persönliches Glück zu erstreben, wie den Männern. Wenn eine Frau also heute mit Bezug auf Jane Austen Romane schreibt, setzt sie sich damit dem Verdacht aus, wieder hinter die gesellschaftlichen Fortschritte - insbesondere der Jugendrevolte in den 1960er Jahren - zurückfallen zu wollen.

Ausgehend vom raffinierten Feminismus Jane Austens wird über den offen intellektuellen Feminismus Virginia Woolfs der Bogen gespannt werden müssen bis hin zur dritten Welle der Frauenbewegung im zeitgenössischen Diskurs des Feminismus, wie Looser ihn in dem genannten Sammelband vereinigt hat. Die Anglistin und Fantasy-Autorin Stephenie Meyer ebenso wie die Bibelwissenschaftlerin und Schriftstellerin Zeruya Shalev und die Rechtsgelehrte und Intellektuelle Juli Zeh sind dabei beispielhaft am gleichen Maßstab des aufgeklärten Humanismus zu messen, wie er sich im Fortgang der Zivilisierung der Kulturen bisher herausgebildet hat. Abschließend werden sich daraus die Fragen ergeben, warum es bisher keinen Virginia Woolf Buch Club gegeben hat und ob womöglich im Zuge des nahezu weltweiten neokonservativen Rollbacks eine neue Frauenbewegung im Schwange ist, die sich wieder eher den Religionen oder Spiritualismen als der Philosophie oder Wissenschaft verpflichtet fühlt.


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ingo 2009-06-14