Ingo Teßmann
Juni 2003
Albert Einstein und Thomas Mann gelten als die Repräsentanten der Physik und Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrunderts. Im Anschluß an biographische Skizzen ihrer Persönlichkeitsentwicklungen werden vergleichende Betrachtungen ihrer Erkenntnisweisen versucht. Dabei zeigt sich, daß beider Leben bestimmt war durch eine Flucht aus dem Nur-Persönlichen ins Platonisch-Ideale der Physik bzw. Literatur. Dem Entsagungs- und Einsamkeitsmotiv folgend, gingen ihre Biographien im Werk auf. Einsteins menschheits-invariante Persönlichkeit sensibilisierte ihn für das Erschauen der Naturinvarianten und Manns Talent zu fabulieren, ließ ihn die symbolische Existenzform des Künstlers wählen. Die jeweilige Schicksalsfähigkeit ihres Talents bewährte sich in einer Entwicklung zur Klassik. Den abgeschlossenen Theorien der Physik entsprechen dabei die episch gebundenen Ideenkompositionen der Literatur. Einsteins Invariantentheorien korrespondieren mit der Mannschen Orientierung an der Kompositionskunst des strengen Satzes. Ist Einsteins Vollkommenheitsanspruch in der Physik bis heute leitend geblieben, fehlt es dagegen in der Literatur an Nachfolgern Thomas Manns. Aber nur aus einer Wiederbelebung der Vollkommenheitsansprüche der Erkenntnis-Künstler Einstein und Mann heraus, scheint es mir möglich zu sein, die nach wie vor drängende Aufgabe einer Universalisierung des Humanismus aus dem Geiste der Zivilisation einer Lösung näherzubringen. Der Weg in die Weltgesellschaft ist unvermeidbar und nur aus einer Verbindung der beiden Kulturen, dem literarischen Geist und der physikalischen Theorie, denkbar. Nur so werden die großen Erzählungen vom Raumschiff Erde, der europäischen Zivilisation und dem amerikanischen Experiment in Einklang gebracht werden können.
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