Albert Einstein
wurde im Jahr 2000 von der Zeitschrift
TIME
zur ,,Person of the Century`` gekürt. Und Thomas Mann
gilt dem Kritiker Reich-Ranicki
als
Wegbereiter
in der Literatur des 20. Jahrhunderts. Menschen, die mit Erfolg für
etwas Neues eintraten, waren sie beide; allerdings jeder in seiner Welt. In der
Meerfahrt mit Don Quijote, die Thomas Mann 1934 zum ersten Mal nach Amerika führte,
gerät der Dichter ins Grübeln über die Zeitverschiebung während der Atlantik-Überquerung.
Er beschließt seine Gedanken, indem er sich zur Raison ruft: Was für Schuljungengedanken!
Aber ist es nicht so, daß der kosmologischen Weltbetrachtung im Vergleich mit ihrem Gegensatz,
der psychologischen, etwas Pueriles anhaftet? Wobei ich mich der blanken, kugelrunden
Kinderaugen Albert Einsteins erinnere. Ich kann mir nicht helfen: die humane Erkenntnis,
die Vertiefung ins Menschenleben hat reiferen, erwachseneren Charakter als die
Milchstraßenspekulation - in tiefstem Respekte möchte ich's wahrhaben. ,,Dem
einzelnen``, heißt es bei
Goethe
, ,,bleibe
die Freiheit, sich mit dem zu beschäftigen, was ihn anzieht, was ihm Freude macht, was
ihm nützlich deucht; aber das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch.``
Während sich der Geistesaristokrat der Lektüre des Don Ouijote zuwandte, das auch zu
den Lieblingsbüchern Einsteins zählte, reflektierte der Geistesakrobat mit Kinderaugen
die Gültigkeitsgrenzen der Quantenmechanik. Interpretierte der Literat sein Leben lang
des Menschen innere Natur und bediente sich dabei der subtilsten sprachlichen Ausdrucksweisen,
versuchte der Physiker Zeit seines Lebens die äußere Natur zu verstehen und nutzte dafür
die entwickeltsten mathematischen Darstellungsformen.
Goehte war noch Natur- und Weltkind in einem. Einstein blieb Naturkind und Mann war
bestrebt, in der Welt erwachsen zu werden. Goethes Naturgläubigkeit blieb ihm fremd,
obwohl der Weimarer für ihn das Vorbild darstellte, das
Newton
für Einstein war. Goethes Interesse erstreckte sich noch über den gesamten Bereich der
Kultur. Als Universalgelehrter war er zugleich Staatsbeamter, Dichter und Naturforscher.
Sein Anspruch an den Staatsmann, in den Künsten und Wissenschaften gleichermaßen gebildet
zu sein, erneuerte das antike Bildungsideal. Im Verlauf der industriellen Revolution ist
davon nicht viel erhalten geblieben. Sir Charles Snow beklagt 1959 in seiner ,,Rede
Lecture``: The Two Cultures
and the scientific revolution, die
Ignoranz der ,,Intellektuellen`` gegenüber den Naturwissenschaften: So
wird also das großartige Gebäude der modernen Physik errichtet, und die Mehrzahl der
gescheitesten Leute in der westlichen Welt versteht ungefähr genauso viel davon wie ihre
Vorfahren in der Jungsteinzeit. Eine wohl etwas zugespitzte Formulierung. Gleichwohl
wußte Snow, wovon er sprach; denn ähnlich wie Goethe war er Staatsbeamter, Romancier
und Physiker. Snows Polemik wird nach wie vor kontrovers diskutiert.
Selten wird aber der Versuch
unternommen, die je verschiedenen Denkweisen in der wissenschaftlichen und literarischen
Kultur gemeinsam darzustellen. Und so werde ich mich erkühnen, vergleichende Betrachtungen
der Erkenntnisweisen Albert Einsteins und Thomas Manns in Angriff zu nehmen. Goehte hatte
sich noch eingehend mit der Naturphilosophie Newtons beschäftigt. Einstein trat Newtons
Erbe an und vollendete sein Werk. Das Interesse für Literatur war bei ihm allerdings
nicht sehr ausgeprägt; denn die Lektüre der Buddenbrooks empfand er als
,,Strafarbeit``. Thomas Mann andererseits erschien ein mathematischer Text als
ein phantastischer Hokuspokus, ein Hexensabbat verschränkter Runen, wie er in seinem
Prinzenmärchen Königliche Hoheit schreibt. Jeder lebte in seiner Welt. Was
führte die beiden Geistesheroen zusammen? Es war ein gemeinsamer Feind: Adolf Hitler.
Als ,,Bruder Hitler`` wird noch von ihm die Rede sein; denn auch er entstammte der
,,deutschen Kultur`` der Denker, Dichter und Musiker.
Einstein hatte bereits 1932 Aufnahme im Institute for Advanced Study
in Princeton gefunden. Mann war 1933 über Frankreich zunächst in die
Schweiz nach Zürich emigriert. Zwischen 1938 und 1941 war er ,,Lecturer in the
humanities`` an der Princeton University.
Danach siedelte
er nach Kalifornien über und kam 1953 wieder zurück in die Schweiz.
Die Arbeit im politischen Widerstand der Immigranten gegen den Germano-Faschismus
führte die beiden Repräsentanten der Physik bzw. Literatur wiederholt zusammen.
Ihre Persönlichkeiten konnten kaum verschiedener sein. Einstein galt als ein
Mann von großer Güte und allgemeiner Freundlichkeit. Jedes wichtigtuerische Gehabe
war ihm fremd. Sowohl in seiner Denkweise wie in seiner Lebensweise war er frei von
konventionellen Äußerlichkeiten, heißt es in der Festschrift ,,Wirkung und
Nachwirkung`` anläßlich seines hundertjährigen Geburtstages 1979. Thomas Mann
dagegen gefiel sich in der Pose des repräsentierenden Großschriftstellers.
Sein stets korrektes Auftreten trug ihm bei Brecht den Namen ,,Stehkragen`` ein.
Reich-Ranicki hebt in Thomas Mann und die Seinen hervor: Empfindlich war er wie
eine Primadonna und eitel wie ein Tenor. Er war ichbezogen und selbstgefällig, kalt,
rücksichtslos und bisweilen sogar grausam. Er hatte einen ausgesprochenen Hang zum
Theatralischen, die Leidenschaft für das Komödiantische. Seine stärkste Passion war
die Eigenliebe. Obgleich er in der Öffentlichkeit stets steif und förmlich
auftrat, sich gleichsam mit einer Schicht aus Ironie und Würde umgab und auf dem
Habitus des Repräsentanten und Großschriftstellers den größten Wert legte, war er
in Wirklichkeit ein Neurotiker. Wie seinem Tonio Kröger war ihm das
Künstlertum inneres Aberteuer genug; da mußte er zumindest äußerlich
die Form wahren. Seine äußere Erscheinung, der
Zug ins Hochgeknöpfte, korrekt Manierliche und fast Beamtenhafte war immer zugleich
auch Maskerade, heißt es bei Fest. Einstein empfing demgegenüber Damen sogar nackt
unter aufwallendem Morgenrock, lief in Strickjacke und Pantoffeln oder gleich barfuß
herum und streckte den Photographen in aller Öffentlichkeit die Zunge heraus, was
man bei Hermann nachlesen kann. Und weiter: Das Repräsentieren empfand er als
Affentheater. Auch diente er nicht gerne als Renommierbonze und Lockvogel.
Gesellschaften sah er als Zeitverschwendung an, denen er nicht als ,,Tafelaufsatz``
dienen wollte. Er war so uneitel und selbstlos, daß ihn nicht nur Ehrungen und
Auszeichnungen langweilten; vielmehr kam es sogar vor, daß er Checks, die er für
Veröffentlichungen erhielt, nicht etwa einlöste, sondern bloß als Lesezeichen
verwendete. Lebenslang pflegte er den Humor, erging sich in heiterer Gelassenheit
und mied auch nicht die Selbstironie: Um mich für meine Verachtung für jede
Art von Autorität zu bestrafen, machte mich das Schicksal selbst zu einer Autorität.
Er gehörte später zu denen, vor denen er früher immer gewarnt hatte. So klang das
dann bei den 68ern, die sich auch gerne auf die Schippe nahmen.
In ihrem Sinn für Humor haben wir einen ersten gemeinsamen Wesenszug der beiden
Repräsentanten zu sehen. Thomas Mann gilt als Meister in der literarischen
Verfeinerung der Ironie. Er war ein Virtuoser im Umgang mit Parodie
und Travestie, Humoreske und Satire. Ihren Feind, den GRÖFAZ, zeichnete dagegen
ausgesprochene Humorlosigkeit aus. Ebenso fremd war ihm jegliche Selbstironie.
Ergehen konnte er sich aber in der typisch deutschen Schadenfreude.
Einstein und Mann waren im Grunde recht einsam - wie alle Genies,
die primär in ihrem Werk aufgehen und sich nicht unmittelbar
ihren Mitmenschen zu öffnen vermögen. In Mein Weltbild schreibt der
Physiker um 1930, wie er die Welt sehe: Mein leidenschaftlicher Sinn für soziale
Gerechtigkeit und soziale Verpflichtung stand stets in einem eigentümlichen
Gegensatz zu einem ausgesprochenen Mangel an unmittelbarem Anschlußbedürfnis
an Menschen und an menschliche Gesellschaften. Ich bin ein richtiger ,,
Einspänner``, der dem Staat, der Heimat, dem Freundeskreis, ja, selbst
der engeren Familie nie mit ganzem Herzen angehört hat, sondern all diesen
Bindungen gegenüber ein nie sich legendes Gefühl der Fremdheit und des
Bedürfnisses nach Einsamkeit empfunden hat, ein Gefühl, das sich mit dem
Lebensalter noch steigert. Man empfindet scharf, aber ohne Bedauern die Grenze
der Verständigung und Konsonanz mit anderen Menschen. Wohl verliert ein
solcher Mensch einen Teil der Harmlosigkeit und des Unbekümmertseins, aber er
ist dafür von den Meinungen, Gewohnheiten und Urteilen der Mitmenschen
weitgehend unabhängig und kommt nicht in die Versuchung, sein Gleichgewicht
auf solch unsolide Grundlage zu stellen. Der kreative Produktionsdrang war seine Passion, der
er sich gänzlich überließ. Planck gegenüber äußerte Einstein einmal: Der
Gefühlszustand, der zu solchen Leistungen befähigt, ist dem des Religiösen oder
Verliebten ähnlich; das tägliche Streben entspringt keinem Vorsatz oder Programm, sondern
einem unmittelbaren Bedürfnis. Ganz ähnlich formulierte es Thomas Mann in seiner Erzählung
Schwere Stunde. Über das Talent heißt es dort: In der Wurzel ist es ein
Bedürfnis, ein kritisches Wissen, eine Ungenügsamkeit, die sich ihr Können nicht ohne
Qual erst schafft und steigert. Und zur Inspiration seines dichterischen Schaffens befragt,
schreibt er in seinen autobiographischen Schriften: Meine Arbeiten sind nicht derart,
daß sie auf einem Einfall stünden. Es gehören sehr viele dazu, und die ,,Inspiration``
besteht eigentlich nur in dem Vertrauen darauf, daß sie sich einstellen werden. Der Zustand
der Konzentration ist ein Zustand körperlich-seelischen Wohlseins, des Hörens und Schauens,
in welchem aus dem inneren Vorrat irgend etwas sich lustbetont und hoffnungsvoll hervortut und
mich glauben macht, daraus könne, wenn ich damit umgehe, etwas Merkwürdiges werden.
Menschen in derart kreativen Glückszuständen sind nur in Gesellschaft einsam, nicht wenn
sie allein sind. Goethe hatte es in seinem Wilhelm Meister zu reimen vermocht:
Wer sich der Einsamkeit ergibt,
ach! der ist bald allein;
ein jeder lebt, ein jeder liebt
und läßt ihn seiner Pein.
Ja! laßt mich meiner Qual!
und kann ich nur einmal
recht einsam sein,
dann bin ich nicht allein.
Schuberts Vertonung dieser Zeilen sprach sie gleichermaßen an. Außer Schuberts
Melodienreichtum gab es allerdings wenige Überschneidungen im Musikgeschmack der beiden.
Seit ihrer Kindheit spielten sie für den Hausgebrauch Violine, allein, im Duo oder Trio.
Während aber Mann für Beethoven und über alles für Wagner schwärmte, fühlte sich
Einstein zu Bach und Mozart hingezogen. Wagner fand er geradezu widerwärtig und
Beethoven zu leidenschaftlich.
Was für Gemeinsamkeiten mag es zwischen einem
Physiker und einem Schriftsteller geben, um eine vergleichende Betrachtung ihrer
Erkenntnisweisen zu versuchen? Geht es einem Schriftsteller überhaupt um Erkenntnis
und nicht bloß um den schönen Schein und den theatralisch-komödiantischen Effekt,
um seichte Unterhaltung und Kurzweil gar? Thomas Mann war Künstler genug, um stets
dem Anspruch Ibsens zu folgen:
Leben heißt - dunkler Gewalten
Spuk bekämpfen in sich.
Dichten - Gerichtstag halten
Über sein eignes Ich.
Dieses Bekenntnis stellte er seiner 1903 veröffentlichten Novelle Tristan voran. Dem Lebenskampf eine dichterische Form zu geben, Leben und Kunst in Einklang zu bringen, darin gipfelte die Existenz des Geistesaristokraten und Großschriftstellers Thomas Mann. Sein gesamtes Werk durchziehen mehrere Ebenen: Zunächst ist er ein virtuoser Erzähler, der früh sein episches Talent erkennt und verfeinert, wobei er immer auch verhüllt von sich selbst erzählt. Des weiteren bleibt er klassischen Vorbildern verhaftet, deren Werke in seinen Erzählungen und Romanen stets lebendig bleiben, indem er sie sich kongenial anverwandelt. Und schließlich unterliegt seiner erzählten Oberflächenstruktur eine ,,mythisch-typische`` Unterwelt, die einer symbolischen Struktur folgt und seinen realistischen Erzählstrom gleichsam ,,mythopoetisch`` unterläuft. Die Themen seiner Werke hat er selten erfunden, meistens gefunden, in der eigenen Biographie, der Tagespresse, der Kulturgeschichte und in den Mythen. Davon wird noch genauer die Rede sein. Künstler und Wissenschaftler eint jedenfalls das Interesse für Musik, Mythos und Philosophie. Neben der ägyptischen, griechischen, hebräischen und germanischen Mythologie, die Thomas Mann intensiv studierte, zählen zu seinen Geistesheroen neben Wagner vor allem Schopenhauer und Nietzsche sowie Goethe und Schiller. Die intellektuelle Auseinandersetzung mit ihnen bezeugen zahlreiche Vorträge und Essays, die er begleitend zu seinen Romanen oder eigenständig zur Selbstvergewisserung schrieb. Ergänzt werden diese Denkübungen und Rechtfertigungen durch eine Fülle von Briefen und Tagebüchern, die gerade mit in einer neuen Ausgabe seiner Werke erscheinen, der Großen Kommentierten Frankfurter Gesamtausgabe (GKFA) . Aus den ersten Bänden der GKFA wird noch ausführlich zu zitieren sein. Darüber hinaus ist aber nach wie vor auf die bewährte Gesamtausgabe von 1974 zurückzugreifen.
Um sich an der kühlen Strenge Bachs oder der wärmenden Heiterkeit Mozarts zu
erfreuen, griff Einstein immer wieder zur Violine, die er auf Reisen
stets dabei hatte. Das Violinenspiel verschaffte ihm Entspannung
und diente der Inspiration. Seine philosophischen Interessen folgten Hume und
Spinoza. Aber auch Schopenhauer hatte er gelesen. In Mein Weltbild
führt er z.B. aus: An Freiheit des Menschen im philosophischen Sinne
glaube ich keineswegs. Jeder handelt nicht nur unter äußerem Zwang, sondern
auch gemäß innerer Notwendigkeit. Schopenhauers Spruch: ,,Ein Mensch
kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will``, hat mich
seit meiner Jugend lebendig erfüllt, und ist mir beim Anblick und beim
Erleiden der Härten des Lebens immer ein Trost gewesen und eine
unerschöpfliche Quelle der Toleranz. Dieses Bewußtsein mildert in
wohltuender Weise das leicht lähmend wirkende Verantwortungsgefühl und
macht, daß wir uns selbst und die andern nicht gar zu ernst nehmen; es führt
zu einer Lebensauffassung, die auch besonders dem Humor sein Recht läßt.
Und in einer Passage aus dem Vortrag,
den er 1918 anläßlich des 60. Geburtstages Max Plancks hielt,
heißt es: Zunächst glaube ich mit Schopenhauer, daß eines der stärksten Motive,
die zur Kunst und Wissenschaft hinführen, eine Flucht ist aus dem Alltagsleben mit seiner
schmerzlichen Rauheit und trostlosen Öde, fort aus den Fesseln der ewig wechselnden
eigenen Wünsche. Es treibt den feiner Besaiteten aus dem persönlichen Dasein heraus
in die Welt des objektiven Schauens und Verstehens; es ist dies der Sehnsucht vergleichbar,
die den Städter aus seiner unübersichtlichen Umgebung nach der stillen Hochgebirgslandschaft
unwiderstehlich hinzieht, wo der weite Blick durch die stille, reine Luft gleitet und sich
ruhigen Linien anschmiegt, die für die Ewigkeit geschaffen scheinen. Eine geradezu
poetische Umschreibung für die Haltung des Geistesakrobaten, der von sich selber
behaupten konnte: Das Wesentliche im Leben eines Menschen von meiner Art, ist,
wie er denkt und was er denkt, nicht was er tut oder erleidet. Einstein äußerte
sich ebenso neben seinen vielen wissenschaftlichen Publikationen in zahlreichen Aufsätzen,
Reden und Briefen zur geistigen Situation der Zeit, die seit 1987 mit in seinen
gesammelten Werken erscheinen, den Collected Papers of Albert Einstein
(CPAE), Princeton. Auch der Physiker
Albert Einstein hat seine Probleme in charakteristischer Weise behandelt. Motiviert durch
naturphilosophische Überlegungen, ging es ihm in der Regel um das Grundsätzliche. Stets
bemühte er sich um eine Grundlegung der Theorien durch wenige fundamentale Prinzipien.
Mit ungewöhnlicher physikalischer Intuition und möglichst einfacher mathematischer
Beweisführung arbeitete er die Unstimmigkeiten und Gültigkeitsgrenzen der Theorien heraus
und bemühte sich nach seinem ,,Maßstab der Vollkommenheit`` um eine
Vereinfachung und Vereinheitlichung
des physikalischen Theoriengebäudes. Unstimmigkeiten sah er in den Symmetriebrüchen der
mathematischen Strukturen und die Gültigkeitsgrenzen der Theorien sollten seinen kosmischen
Visionen gemäß möglichst weit hinaus geschoben werden. Auch Einsteins
Arbeiten handeln immer auch ein wenig von ihm selbst und bleiben klassischen
Vorbildern verhaftet, die er in kongenialer Weise
weiterführt. Den mythopoetischen Verknüpfungen in den Werken Manns entsprechen dabei die
mathematischen Strukturen der Theorien Einsteins. Wie weit diese Andeutungen in den Beziehungen
zwischen den beiden Kulturen reichen mögen, wird noch ausgeführt werden.
Das detaillierte Studium der Gesamtwerke dieser beiden Geistesheroen würde Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Im folgenden wird es mir deshalb lediglich darum gehen, beispielhaft und in groben Skizzen, den am Ideal der Vollkommenheit orientierten Vergeistigungen nachzuspüren, in denen sie jeweils ihren Lebenskampf mit der menschlichen bzw. kosmischen Natur austrugen. Gelang Einstein dabei der Aufstieg in die Höhen der heiteren Gelassenheit des Weisen, bemerkte Mann gelegentlich: Auf geistige, steigernde Art nach der Natur zu arbeiten, ist das Allervergnüglichste. Ironische Distanz und ein ausgeprägter Sinn für Humor war beiden eigen und ich werde wiederholt darauf zurückkommen. Im 2. Kapitel werde ich mich mit ihrem persönlich-biographischen Werdegang beschäftigen. Dabei wird sich zeigen, daß beide schon im zweiten Lebensjahrzehnt ihr Grundthema fanden, das prägend für ihr ganzes Schaffen werden sollte. Ebenso bezeichnend für beide gleichermaßen war ihre ungewöhnliche Begabung und die frühe Reife, souverän damit umzugehen. Die Schule war ihnen dabei allerdings nur lästig und ihre außerordentliche Bildung gewannen sie vornehmlich im Selbststudium. Gegenstand des 3. Kapitels wird das eigentliche Thema dieser Arbeit sein, nämlich skizzenhaft die Erkenntnisweisen der beiden herauszuarbeiten und auf ihre Gemeinsamkeiten hin zu untersuchen. Wenige Grundthemen bestimmten ihre Werke, die sie variantenreich auszugestalten wußten. Was dem einen das physikalische Gespür und die Handhabung der Mathematik unter Nutzung der Invariantentheorie war, bedeutete dem anderen seine Menschenkenntnis und der virtuose Umgang mit der Sprache in Orientierung an die Kompositionskunst der Musik. Im 4. Kapitel werden die Wirkungen und Nachwirkungen ihrer Werke beispielhaft zu verfolgen sein. Beide wurden schnell von unbekannten Außenseitern zu gefeierten Vertretern ihres Faches erkoren. Gleichwohl gab es aus Niedertracht und Mißgunst immer wieder oberflächlich-haltlose und primitiv-unsachliche Kritik an ihren Werken. Vollends unerträglich wurde die Situation mit der Machtübernahme der Germano-Faschisten, die sie nach jahrelangen Auseinandersetzungen zur Emigration zwang. Folgerungen, die für eine Vereinheitlichung der beiden Kulturen brauchbar sein sollten, werden im 5. Kapitel gezogen. Schriftsteller haben wiederholt in ihren Werken wissenschaftliche Erkenntnisse verwendet oder sogar Werke nach wissenschaftlichen Prinzipien zu konzipieren versucht. Derartige Ansätze sind auch umgekehrt von den Wissenschaftlern zu fordern, nämlich wissenschaftliche Theorien in literarischen Formen vorzutragen. Auch dazu hat es löbliche Beispiele gegeben. Im Ausblick schließlich wird der Hoffnung Ausdruck verliehen, ob es nicht möglich sein sollte, die Spezialisierungen in den Schulbüchern wieder rückgängig zu machen oder ihnen zumindest entgegenzuwirken, indem literarisch Anschluß an die großen Erzählungen der Menschheit gesucht wird. Eine Synthese von Geist und Kunst, wie sie Thomas Mann vergeblich versucht hat, wäre als nach wie vor lohnende Aufgabe zu einer Synthese von Geist und Zivilisation auszuweiten.