Der Komiker und Nihilist Woody Allen
begleitet den Aufstieg und Niedergang des Medienkapitalismus seit den
1960er Jahren, indem er gleichsam als Hofnarr der formierten Gesellschaft den Eulenspiegel vorhält. In
seiner satirischen Literatur und humorvollen Filmkunst gelingt es ihm immer wieder, mit Witzen die Wahrheit
zu sagen und damit auf vortreffliche Weise Unterhaltung und Wissenschaft zu verquicken. Die Physik ist seit
dem 17. Jahrhundert Basiswissenschaft des technischen Fortschritts und
ihre Exponenten sind als die jeweilige
intellektuelle Avantgarde der Gesellschaft anzusehen. Außerhalb der Science Fiction spielen Physiker
in Literatur und Filmkunst gleichwohl eine untergeordnete Rolle. Bei Woody Allen wie schon bei seinem
Helden Friedrich Nietzsche, der die Physik in seiner fröhlichen Wissenschaft sogar hochleben ließ,
ist das zum Glück anders. Bereits in Mr. Big, Woody's Satire der Raymond Chandler Romane, lässt
der Komiker die Physikerin Heather Butkiss auftreten, um einen coolen Schnüffler mit dem Auftrag
zu betrauen, ,,Gott`` für sie aufzuspüren. In dem Filmdrama September überträgt der
Nihilist Allen dann dem Physiker Lloyd die Rolle, davon zu sprechen, dass die Natur des Universums
wie des Menschen ziemlich chaotisch, moralisch indifferent und unvorstellbar gewalttätig sei.
Einem gottlosen, wüsten Universum ausgesetzt irrlichtern die Menschen auf ihrem kleinen blauen Planeten
herum und sind dabei kaum mehr als stupid, selfish, greedy, cowardly, short-sighted worms, wie der
Physiker im Ruhestand, Boris Yellnikoff, gleich zum Auftakt von Whatever Works zum Besten gibt
und hinzufügt: On the whole, I'm sorry to say, we're a failed species. Von seinen Mitmenschen
erwartet Boris nicht mehr viel und so wird er nur noch selten enttäuscht. Seine ganze Geschichte
ist: Whatever Works. You know, as long as you don't hurt anybody. Any way you can filch a little joy
in this cruel, dog-eat-dog, pointless, black chaos. That's my story. Die Geschichte beginnt mit dem gleichen
Kammeraschwenk wie in Manhattan. Statt des Elaine's ist es das Café Vivaldi in New York.
Diesmal sitzen aber nicht zwei junge bis mittelalte Paare am Tisch, sondern drei alte Männer und einer
von ihnen ist Boris. Mit der Wahl des Namens nimmt Woody natürlich Bezug auf Love and Death,
in dem ein Boris Grouchenko im Stil seines Vorbildes Groucho Marx zwischen Krieg und Frieden mit
den Geschehnissen Sex und Tod rang. Der Nachname Yellnikoff dürfte auf den russischen Physiker
Alexander Polyakov
anspielen, der an der Princeton University arbeitet, und nur knapp den Nobelpreis
verfehlte. In Anknüpfung an Annie Hall wendet sich der Geschichtenerzähler immer wieder direkt
an das Publikum, den Zuschauer im Kino oder vor dem Heimbildschirm. Ein Physiker sieht halt mehr als
seine Artgenossen und so vermag auch Boris stets das ganze Bild wahrzunehmen, einschließlich
der vierten Wand hinter der Kamera. Und warum treffen sich die älteren Herren bevorzugt im Café
Vivaldi? Weil sie die Barockmusik lieben und Newton zu der Zeit seine mathematischen Prinzipien der
Naturphilosophie niederschrieb.
Das Drehbuch hatte Woody Allen bereits in den 1970er Jahren zu Papier gebracht und anlässlich eines Streiks der Drehbuchautoren 2008 wieder hervorgeholt, um nicht als Streikbrecher angeprangert zu werden. Welch ein Glück für uns, andernfalls wären wir vielleicht nie in den Genuss dieser großartigen Filmkomödie gekommen. Geschrieben für einen alternden Komiker und eine Jungschauspielerin, ist der Film im Kontext folgender Werke aus den 1970er Jahren zu sehen:
Der Komiker Larry David und die Jungschauspielerin Evan Rachel Wood können als Idealbesetzungen gelten. Den Amerikanern seit langem bekannt, ist Larry David unterdessen auch in Deutschland mit seinen HBO comedy series auf DVD zu haben. Die von ihm aus banalen Missverständnissen und groben Unhöflichkeiten entwickelten hochnotpeinlichen Situationen, in die er stilsicher immer wieder gerät, sind äußerst amüsant anzuschauen. Dabei knüpft Woody mit Larry und Evan an seine eigenen Erfahrungen als Komiker und Cineast an. Im Rampenlicht stehende Spaßmacher ebenso wie berühmt gewordene Filmkünstler kennen das Problem mit jungen Schönen, die ihnen nachstellen, um ihre Karriere zu befördern. Und so lässt Allen in Whatever Works eine junge Ausreißerin vom Lande auf ein alterndes New Yorker Genie treffen. Mit Stacey war es Woody selbst so ergangen und in Manhattan hat er seiner ungleichen Liebschaft ein grandioses filmästhetisches Denkmal gesetzt. Passend für eine Jungschauspielerin hatte Evan bereits in mehreren sehenswerten coming-of-age Filmen mitgespielt bis sie die weibliche Hauptrolle in Whatever Works übernahm:
Unterdessen Anfang 20, hat Evan
in der HBO Fernsehserie TRUEBLOOD die Rolle der ewig jungen
vampire queen Sophie-Anne aus New Orleans übernommen. Wie bei Larry knüpft Woody auch bei
Evan an ihre Medienerfahrungen an, die auf wundersame Weise bereits im alten Drehbuch enthalten
waren. Aber so wundersam ist das natürlich nicht; denn das Schwärmen jüngerer Frauen für reiche,
berühmte, mächtige oder geniale ältere Männer ist ein Jahrtausende altes Phänomen. Zudem zieht
es die ländliche Jugend von altersher in die verheißungsvolle Metropole. Und coming-of-age Geschichten
junger Frauen hatte bereits Jane Austen
in ihren Romanen ausgestaltet. Mehr noch als im aufgeklärten
England sind besonders im traditionellen Süden der USA bis heute Religionswahn und Aberglaube,
Hexerei und Vampirismus sowie die wunderlichsten Riten und Gebräuche verbreitet. Allen greift
diese Tendenzen in seinem virtuosen Drehbuch auf und verbindet sie zu einer unterhaltsamen
Bildungsreise, in der es nicht nur um wechselnde Liebschaften geht, sondern ganz grundsätzlich
aber humorvoll die großstädtische Zivilisierung hinterwäldlerischer Kulturen thematisiert wird.
Ähnlich weit abgelegen von den gesellschaftlichen Umwälzungen in Kalifornien und New York wie der Süden der USA ist auch der mittlere Westen. Dort wuchsen in den 1960er Jahren die Coen-Brüder auf. Im Bonusmaterial auf der BD ihres Films A Serious Man von 2009 sprechen sie von den Erinnerungen an ihre Kindheit in der jüdischen Gemeinde. Ihr Bar Mitzwar fand zwar mitten im weltweiten Umbruchsjahr 1967 statt; in der Weite des mittleren Westens kamen die Botschaften des Wandels jedoch nur sehr verlangsamt und äußerst spärlich an: Sex and Drugs and Rock'n'Roll beschränkten sich auf das gelegentliche Rauchen eines Joints im Schulklo und das unerhörte Lauschen der Rockmusik im Radio. Ganz ähnlich wie Woody's Held Boris Yellnikoff hat auch der um Ernsthaftigkeit bemühte Physiker Larry Gopnik der Coen-Brüder osteuropäische Vorfahren. Und das wohl nicht ohne Ironie an den Anfang des Films gestellte Motto speist sich sogar aus fernöstlicher Weisheit: Receive with simplicity everthing that happens to you. Nach diesem erbaulichen Vorspann, inszenieren die beiden Filmemacher eine angebliche Geschichte aus der jiddischen Sagenwelt, die sich vor 100 Jahren in einem kleinen, entlegenen Dorf zugetragen haben mochte. Während Dora, die Frau einer bescheidenen Heimstatt, gerade mit einem Pickel das Eis zerkleinert, tritt ihr Mann Velvel mit Feuerholz herein und entschuldigt sich für seine verlängerte Abwesenheit damit, dass er noch einen Bekannten, Reb Groshkover, getroffen und zu einem Besuch eingeladen habe. Diese gewöhnlich anmutende Bemerkung innerhalb des jüdischen Gemeindealltags hat auf die Frau allerdings eine höchst unerwartete Wirkung. Denn wie vom Donner gerührt hält sie inne und erstarrt geradezu. Ob Velvel denn nicht wisse, dass Reb bereits vor drei Jahren gestorben sei und ihnen schwerlich noch einen Besuch abstatten könne. Das wiederum verblüfft den Mann, der sich für einen Kopfmenschen hält und seine erinnerte Begegnung nicht als Halluzination einstuft. Aber da klopft es auch schon und ein Greis mit langem Bart, flacher Mütze und weitem Mantel tritt herein: Reb Groshkover. Nachdem sich der mysteriöse Gast der Frau vorgestellt und gesetzt hat, bietet sie ihm - wie zum Test - flugs eine Suppe an und fühlt sich in ihrem Misstrauen bestätigt, als er sie ablehnt. Sie hält ihn für einen von allen guten Geistern verlassenen dybbuk, in dem stattdessen ein verborgener Dämon hause. Kurzentschlossen macht die gute Frau die Probe aufs Exempel und rammt dem armen Mann den Eispickel in die linke Brust. Der ist darob nicht wenig erstaunt, fühlt sich langsam schwach werden und verlässt recht bekümmert das Haus: One knows when one isn't wanted. Die gutgläubige Jüdin bleibt unbeeindruckt und bekennt erleichtert: Blessed is the Lord. Good riddance to evil.
Diese Geschichte haben die Coen-Brüder erfunden, weil sie nicht nur an die jüdische, sondern auch
an die Filmgeschichte anknüpfen wollten. Früher wurde dem Hauptfilm stets ein in der Regel lustiger
Vorfilm vorangeschickt. Heute hat der Kinobesucher das Vergnügen leider nicht mehr, statt dessen muss
er die zumeist dümmlichen Werbespots über sich ergehen lassen. Als ihrer Phantasie entsprungen, haben
die Filmemacher den Vorfilm natürlich höchst passend zum Hauptfilm konstruiert; nimmt er doch im Kern
bereits die wichtigsten Themen und Bezüge vorweg, die den Zuschauer alsbald zu denken geben werden.
Aus dem Kopfmenschen Velvel ist der Physiker Lawrence Gopnik und aus der abergläubischen
Ehefrau seine zur Esoterik neigende Gattin Judith geworden. Aber nicht nur das Privatleben, auch
die Physik scheint sich nicht wesentlich weiter entwickelt zu haben. Dem Dibbuk der jüdischen
Mythologie vergleichbar geistert in der Physik noch immer Schrödingers Katze herum, die sich
gleichsam in einem Metazustand zwischen Leben und Tod befinden soll. Und mit Heisenbergs Interpretation
der Unschärferelation hat die Vagheit menschlichen Strebens in die Physik Einzug gehalten;
entsteht doch die Bewegungskurve eines Teilchens erst dadurch, dass wir sie beobachten. Aber wie
ernst nimmt Gopnik Heisenbergs Interpretation und Schrödingers Kritik daran? Und wie meistert
er sein Privatleben, nachdem sich seine Gesundheit, sein Bruder, der Nachbar, sein Eheleben, die
Kinder, ein Student und seine Karriere zu Problemen vervielfältigen, die ihn schließlich sogar
Rat bei den Rabbis suchen lassen. Vor den Paradoxien der Quantenmechanik war er in die Mathematik
geflüchtet. Nimmt er nun auch noch Reißaus vor den Unwägbarkeiten des Lebensalltags und sucht
sein Heil in der Religion? Aber Seelsorge ist natürlich nur eine Variante von Psychotherapie,
sie kann allgemeine Erleichterung im Gespräch anbieten und einige bewährte Ratschläge erteilen,
wie z.B.: receive with simplicity everthing that happens to you, oder: Meide dich selbst
und hilf deinen Nächsten. Aber wer sind die Nächsten außerhalb der Familie? Der reaktionäre
Nachbar, der mit seinem Sohn während der Schulzeit auf die Jagd geht oder die progressive
Nachbarin, die alle Tage nackt in der Sonne liegt und entspannt einen Joint genießt?
Zerrieben zwischen dem Reiz der Frauen und der Öde es Ehelebens wird auch der Physiker
Michael Beard in dem Roman Solar:
Er gehörte zu jener Sorte Mann - nicht
wirklich attraktiv, meist kahl, klein, dick und klug -, die auf gewisse schöne Frauen
erstaunlich anziehend wirkt. Jedenfalls wiegte er sich in dem Glauben, und er war bisher nicht
erschüttert worden. Zugute kam ihm dabei, dass manche Frauen ihn für ein Genie hielten, das
man retten musste. Immerhin hatte er den Nobelpreis erhalten für seinen profunden Beitrag
zum besseren Verständnis der Interaktion zwischen Materie und elektromagnetischer Strahlung.
Im Anschluss an Einstein war ihm nichts Geringeres gelungen, als die Photosynthese großtechnisch
für den Bau von Solarkraftwerken nutzbar zu machen und der Menschheit damit das Energieparadies
auf Erden zu bescheren. Aber so wie schon einmal die Menschen aus dem matriarchalen
Apfelbaum-Paradies vertrieben worden sein sollen, wird sich auch das patriarchale Solar-Paradies
nicht als nachhaltig erweisen geschweige denn überhaupt realisieren lassen. Ähnlich wie Larry
fühlt sich auch Michael vornehmlich in der Physik zu Hause und bemerkt erst nach der 11. Affäre
in seiner 5. Ehe, dass seine Frauen ebenfalls fremd gehen. Und wenn sie es auch noch mit einem seiner
jungen, intelligenten und attraktiven Mitarbeiter treiben, versteht der Chef keinen Spaß. Dabei hat
der ungestüme Kreative nicht nur das erotische Interesse seiner Frau gefunden, dem Novizen ist zudem
ein bahnbrechender Fortschritt bei der technischen Umsetzung des Beard-Einstein-Theorems gelungen.
Aber so leicht lässt sich der Alte nicht entmutigen; denn was bringe einem das Leben, wenn man nicht
nach Vervollkommnung strebe? Sind alle Lebensäußerungen nicht so vollkommen zu gestalten wie die in den
Symmetrien der E8 Lie Algebra vereinheitlichten physikalischen Wechselwirkungen? Ist das nicht das
Ziel aller eigenbrötlerischen Platonisten? Aber gibt es die im Seienden verkörperte Vernunft
überhaupt? Einstein hatte sein Leben lang von ihr geträumt, war allerdings nicht nur wiederholt als
Ehemann gescheitert, sondern auch mit der großen Vereinheitlichung der physikalischen Theorien auf
der Strecke geblieben. In jungen Jahren dominieren Unfälle die Sterbestatistik und nicht patentierte
Erfindungen lassen sich auch anders verwerten. Aus den komödiantischen zwischenmenschlichen
Verwicklungen eines alternden Physikers werden unversehens höchst tragische individuelle
Geschehnisse, die immer weitere gesellschaftliche, rechtliche und finanzielle Kreise ziehen
und nicht ohne schwerwiegende persönliche Folgen für den Helden der Geschichten bleiben. McEwan
beschreibt mit viel parodistischem Geschick und satirischem Bravour auf höchst unterhaltsame Weise
wie die hochfahrenden Ideen des Physikers an den vielen kleinen Alltagswidrigkeiten und den wenigen
großen gesellschaftlichen Zusammenhängen scheitern. Das dem Roman vorangestellte Motto Updikes mag
am Ende sogar ein wenig Trost spenden: Es tut ihm gut, gibt ihm das Gefühl, reich zu sein, so
über die Schwindsucht der Welt zu sinnieren, zu wissen, dass auch die Erde sterblich ist.
Der Titelheld Dirac des zweiten Romans über einen Physiker, den ich vergleichend diskutieren werde, hatte den Nobelpreis wirklich bekommen und gilt jedem fortgeschrittenen Physikstudenten als Inbegriff eines Genies. Nachdem Planck, Einstein und Bohr Anfang des 20. Jahrhunderts die Quantentheorie auf den Weg gebracht hatten, gelangen Heisenberg und Schrödinger mit der Matrizen- und Wellenmechanik erste mathematisch befriedigende Formulierungen, die 1926 zur Quantenmechanik vereinheitlicht wurden. Dirac knüpfte besonders an Einstein an, indem er den Gedanken der Invarianz bzgl. einer Transformation aus der Relativitätstheorie auf die Quantenmechanik übertrug und 1928 in einer bahnbrechenden Arbeit zu Papier brachte: The Quantum Theory of the Electron. Im Vorwort seines erstmals 1930 erschienenen Lehrbuchs The Principles of Quantum Mechanics stellte er seinen Grundgedanken besonders heraus: The growth of the use of transformation theory, as applied first to relativity and later to quantum theory, is the essence of the new method in theoretical physics. Für die außerordentliche Fruchtbarkeit seiner invarianten Quantentheorie des Elektrons erhielt er 1933 den Nobelpreis. Dirac war damit in der Elektronentheorie ein ähnlicher Durchbruch gelungen wie Einstein in der Gravitationstheorie. Die theoretischen Schwierigkeiten ebenso wie die Fülle der faszinierenden praktischen Konsequenzen beider Theorien sind bis heute bei Weitem nicht ausgeschöpft und werden den technischen Fortschritt noch über Jahrhunderte beflügeln. Die weltweit verbreiteten Navigationssysteme mögen als besonders populäre Beispiele dienen. Neben den nützlichen technischen Anwendungen einer Theorie ist es ebenso die visionäre kosmologische Horizonterweiterung, die den interessierten Menschen fasziniert und Sinn stiftet. Einsteins invariante Gravitationstheorie hat ein dynamisches Universum zur Folge, das sich gleichsam seine eigene Geschichte generiert, in die wir hier auf der Erde am Rande der Milchstraße mit unserem Sonnensystem eingebettet sind. Und Diracs invariante Elektronentheorie hat mit dem Verständnis des von Pauli nur postulierten Spins der Elektronen und dem visionären Existenzbeweis von Positronen den Ausblick auf eine verborgene Materieform eröffnet, die als Antimaterie nach wie vor die Phantasie der Physiker beflügelt. Am Ende seiner Arbeit hatte Dirac über die Möglichkeit von Übergängen zwischen Positronen und Elektronen geschrieben und sie in den Zusammenhang mit der Zeitumkehrbarkeit gebracht, mit dem Unterschied von Vergangenheit und Zukunft. Als Anderson 1932 das Positron tatsächlich im Experiment entdeckte, konnte es als Lösung der invarianten Elektronen-Wellengleichung Diracs verstanden werden. Feynman faßte den Triumpf Diracs in seiner Memorial Lecture zusammen: If we insist that particles can only have positive energies, then you cannot avoid propagation outside the light cone. If we look at such propagation from a different frame, the particle is traveling backwards in time: it is an antiparticle. Then, looking at the idea that the total probability of something happening must be one, we saw that the extradiagrams arising because of the existence of antiparticles and pair production implied Bose statistics for spinless particles. When we tried the same idea on fermions, we saw that exchanging particles give us a minus sign: they obey Fermi statistics. The general rule was that a double time reversal is the same as a 360 degree rotation. This gave us the connection between spin and statistics and the Pauli exclusion principle for spin 1/2. Was für grundlegende Folgerungen aus den einfachen Annahmen, dass die Teilchenenergie positiv und die totale Ereigniswahrscheinlichkeit eins sein müsse! Einfach faszinierend!!
Dietmar Dath stellt seinem Roman als Motto ein Textfragment Hans Wollschlägers voran: ... haben die Werte selbst ein magnetisches Feld um sich, das auch die Zerstörung anzieht ... In der Elektrodynamik werden die mit den Elektronenbewegungen verbundenen elektromagnetischen Felder bestimmt und in der Quanten-Elektrodynamik sind sowohl die Elektron-Positron - Übergangswahrscheinlichkeiten als auch die Zerstörung von Elektron-Positron-Paaren durch ihre Annihilation in Energie berechenbar. Magnetische Felder bestehen aus den Photonen als ihren Energiequanten, sie sind gleichermaßen so physisch-materiell wie die Elektronen selbst. Aber wie steht es mit den Werten? Sind sie nicht nur als moralisch-spirituell anzusehen und damit von anderer Kategorie als die Elektronen? Die Wahrscheinlichkeitsverteilungen, Möglichkeitsfelder und Führungswellen der statistischen Physik und Quanten-Elektrodynamik böten einen Übergang, eine Verbindung zwischen Physik und Ethik. Das Universum ist wertneutral, die Menschheit ist es nicht. In den vielen fortwährend miteinander kommunizierenden Gehirnen der Menschen werden ständig die verschiedenen Lebensmöglichkeiten miteinander verglichen und gewichtet, um endlich durch Invarianten zu Werten verdichtet zu werden, die es bis in die Formulierung der Menschenrechte gebracht haben. Eine soziale Physik war schon das Programm der Aufklärer gewesen, von den antiken Naturphilosophen bis zu den Naturdialektikern des 19. Jahrhunderts. Aber erst aus den im 20. Jahrhundert begonnenen Versuchen heraus, Relativitäts- und Quantentheorie in der statistischen Physik zusammenzubringen, sind die Perspektiven einer vereinheitlichten Kosmologie hervorgegangen, die nach physikalischer Chemie und Biophysik nunmehr auch eine Wirtschafts- und Gesellschaftsphysik Gestalt annehmen lassen. Dietmar Dath gehört zu den wenigen Schriftstellern, die sich dieser Entwicklung stellen und literarisch Ausdruck verschaffen. Den bisher in der breiten Öffentlichkeit wenig bekannten Physiker Paul Dirac (1902 - 1984) zum Helden eines Romans zu machen, kann gar nicht genug gelobt werden. Und so rätselhaft wie die Physik ist auch der Roman. Er beginnt mit einem Missverständnis beim Weitererzählen einer Äußerung der Frau von der Küste. Die hatte gesagt: Du mußt entscheiden, wer das Leben, wie es ist, nicht mehr braucht. Aber Nicole hatte bloß in Erinnerung behalten: Du mußt eintscheiden, wer sterben soll. Womöglich kann das Leben, wie es ist, einfach verändert werden. Warum gleich an das endgültige Sterben denken und nicht nur an das ständige Sterben bereits im Leben? Der Leser fragt sich sogleich: Wer ist die Frau von der Küste? Und ein Physiker denkt dabei natürlich in Verbindung mit dem Titelhelden an den Dirac-See. Wohnt die Frau von der Küste an seinem Ufer? Dann verbände Dath mit ihrer Bezeichnung Science Fiction und Fantasy. Elektronen-Positronen-Übergänge in den Nebeln von Avalon? Aber bleiben wir lieber beim Roman: Asche zu Asche, Kristall zu Kristall. Es ist ein Mißverständnis. Nur deshalb wird alles so schwierig für den Mittdreißiger und Computerprogrammierer Paul, der Nicoles Liebster ist, für den Mittdreißiger und Schriftsteller David, den Paul seinen besten Freund nennt, für den Mittdreißiger und Psychiater Christof, der mit Paul und David zur Schule gegangen ist, für die Mittdreißigerin und Wissenschaftlerin Sonja, für und über die David ein Buch geschrieben hat, für die Mittdreißigerin und Künstlerin Johanna, die früher einmal Pauls Liebste war, und endlich für die Mittdreißigerin und Hausfrau Candela, die in Wirklichkeit weder Hausfrau noch Mittdreißigerin ist. Ist sie vielleicht die Frau von der Küste? In dem Dirac-Buch, an dem David gerade arbeitet? Und was wird aus Nicoles Missverständnis? Man liest vom Anfang des neuen Reptilienzeitalters, weil man erfahren will, was aus Nicoles Mißverständnis wird, und das eigentlich Unheimliche daran ist, daß man, während man davon liest, die Gelegenheit verpaßt, diesen Anfang zu beobachten, weil einen die Lektüre am Hingucken hindert. Der Vorgang des Beobachtens ist vom Beobachten des Vorgangs zu unterscheiden. Die einen gucken, um zu sehen, die andern sehen eher selber nach was aus, beim Schauen. David geht bei seinem Dirac-Buch von der Frage aus: Gibt es Menschen, die es fertig bringen, die Welt genauer zu sehen, als sie ist? Wer es zu genau nimmt, zerstört, was er untersucht - oder erzeugt, was er gar nicht untersuchen wollte: In den Hochenergiebeschleunigern annihilieren Teilchen-Antiteilchen-Paare zu Energie - und aus der Energie, die ihre Massenäquivalente erreicht, entstehen wiederum Teilchen-Antiteilchen-Paare. Was dem Physiker die Energie bedeutet, die in allem wirkt und alles schafft, ist dem Programmierer die Information: Das Weltall selber ist die kürzeste Art, den Namen des Weltalls aufzuschreiben. Im Grenzfall fielen Energiegestalt und Informationsgehalt zusammen; denn jedes Bit setzt eine minimale Energiedifferenz voraus und die Anzahl der Bits zur Messung des algorithmischen Informationsgehalts wird aus der minimalen Länge des Programms bestimmt, das sich im Weltall gleichsam selbst entwickelt.
Dirac ist eine intellektuelle Herausforderung, gleichen doch die Romanfiguren zeitreisenden ladungskonjugierten Teilchen, die über dem Dirac-See fluktuieren wie die Kämme auf den Wellen Virginia Woolfs. Dietmar Dath gehört zu den wenigen Zeitgenossen, die sich gleichermaßen für Literatur und Physik interessieren. Künstlerische Annäherungen an die Physik sind aber auch über die Philosophie möglich. Durchzieht der Nihilismus Nietzsches die Filme Woody Allens, ist es bei den Coen-Brüdern die Sprachphilosophie Wittgensteins, der ihre Filme nachzukommen scheinen; denn: was man nicht sagen kann, muss man zeigen. Anlässlich ihres auf der Berlinale 2011 vorgestellten Films True Grit widmet DIE ZEIT ihnen in der Ausgabe 6/2011 einen ausführlichen Artikel. Nach vielen frühen Versuchen zur Nachahmung berühmter Filmszenen mit einer gebrauchten Super-8-Kamera ging Joel auf eine Filmschule und Ethan studierte Philosophie mit einer abschließenden Arbeit über das Spätwerk Wittgensteins. Das Ausloten der symbolischen und pragmatischen Grenzen der Sprache kann geradezu als Grundzug ihrer Filme angesehen werden. In seiner logisch-philosophischen Abhandlung ging es Wittgenstein darum, Ethik und Mystik durch Wahrheit und Klarheit gleichsam von innen her zu begrenzen. Mit den ,,Sprachspielen`` in seinen philosophischen Untersuchungen erweiterte er dann seine analytische Philosophie um eine Normenethik des Regelbefolgens. Und wiederum komplementär dazu, sind die Filme der Coen-Brüder gleichsam als ,,Filmspiele`` zu interpretieren, in denen gezeigt wird, wie Regelverstöße in ausweglose Situtationen führen. Gewohnheiten und Traditionen ebenso wie der Zufall und die Natur lassen sich nicht so einfach ignorieren oder überlisten. Immer wieder setzen die Filmemacher ihre Akteure Situationen aus, die klar und einfach scheinen, sich dann aber schnell beunruhigend unübersichtlich und erschreckend grausam entwickeln. Die Naturvorgänge, Lebensprozesse und Handlungweisen der Menschen zeitigen stets eine Eigendynamik, die die Menschen durch Missverständnisse und Entfremdungen günstigenfalls noch neben einander her leben lässt, falls sie sich zuvor nicht schon umgebracht haben sollten. Und was treibt die Menschen an bei ihren ,, Spielen``? Natürlich das Geld. Kein Problem, wenn man sich beim Geldscheffeln Zeit ließe und an die Regeln hielte. Aber in den Filmen der Coen-Brüder soll das Geld schnell und einfach erlangt werden. Das Spiel ist Ernst und bleibt doch ein Spiel. Nur Außenseiter, wie der Dude aus The Big Lebowski lassen sich Zeit und deshalb treibt zu Beginn des Films ein Windstoß einen Busch vor sich her, tief ins Bild, hoch über Los Angeles und weit in die Zukunft. Die Verwechslung des selbstgenügsamen Lebowski's mit einem stinkreichen Geschäftsmann gleichen Namens führt dann unversehens zu einer Verkettung von Umständen, die den Dude immer wieder hochbeschleunigt aus der Bahn zu werfen drohen. In The Man Who Wasn't There steht die Zeit scheinbar still und dreht sich wie eine Endlosschleife ins Leere. Aber dann will der Frisör Ed Crane sein Leben ändern, um der ewigen Wiederkehr des Gleichen zu entkommen. Dafür braucht er Geld und erpresst den Liebhaber seiner Frau. Wenig später muss er ihm in Notwehr die Halsschlagader aufschlitzen. Auch Jerry Lundegaard, der Autohändler in Fargo, will sich einen Traum erfüllen, auch dieser kostet Geld. Am Schluss sieht man, wie der Mörder an einer Häckselmaschine steht und eine Leiche zerstückelt, so wie man Zweige zerstückelt. Linda Litzke in Burn After Reading begehrt danach, begehrt zu werden, auch sie braucht Geld, und zwar für eine Schönheitsoperation (Bauch, Beine, Po). Am Ende sind alle Freunde tot, von Kugeln durchsiebt. Und in ihrem neusten Film True Grit, dem Remake eines feministischen Westerns aus dem Jahr 1969, projizieren die Coen-Brüder den nach wie vor grassierenden Vergeltungsdrang und die Geldgier der Menschen auf die Endphase in der Zivilisierung des ,,wilden Westens``. Im Rückblick erinnert sich darin die gleichermaßen rachsüchtige und geschäftstüchtige Heldin Mattie Ross wie sie vor nunmehr 25 Jahren als 14jährige Jugendliche einen Marshal mit ,,echtem Schneid`` anheuerte, um sich an dem Mörder ihres Vaters rächen zu können. Vor dem Bürgerkrieg war der Marshal noch ein verwegener Outlaw gewesen, der es sich selbstherrlich erlaubte, ,,Hochzinsbanken`` auszurauben. Bezüge zur gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise sind beabsichtigt, ist doch für die Coen-Brüder das ,,Leib-Seele-Problem`` im Kapitalismus längst durch das ,,Leib-Geld-Problem`` ersetzt worden. Umgekehrt gibt es einen signifikanten Verweis zwischen der gegenwärtigen Situation an der Wall Street und dem ,,wilden Westen`` bei Oliver Stone. Der verpasst im zweiten Teil seines Wirtschaftskrimis dem ,,Guten`` unter den Bankern bezeichnenderweise einen Handy-Klingelton mit der Erkennungsmelodie des Soundtracks aus dem Italo-Western The Good, The Bad and The Ugly von 1966. Und wie der Zufall so spielt, ist es derselbe Schauspieler, der in Wall Street und True Grit den ,,Bösen`` verkörpert. Beherrschen noch immer Wildwestmethoden das Wirtschaftsleben? Die Warenform hat jedenfalls vollends die Denkform vereinnahmt. Und so nimmt es nicht wunder, wenn das Geld auch alle Handlungsschemata einschließlich der Sprache beherrscht. Die wenigen nicht mit dem Geldstrom schwimmenden Außenseiter, wie der Dude oder Larry Gopnik, die noch in Ruhe einen Joint zu genießen wagen oder sich in die erhabene Natur hineinzudenken vermögen; diese rar gewordenen Selbstgenügsamen, selbst sie können sich dem Geld nicht mehr entziehen, es wird ihnen einfach aufgedrängt.