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Schall und Wahn

Hatten sich des Physikers Hoffnungen vielleicht unerwartet erfüllt und waren ihm endlich soweit die Augen aufgegangen, dass er unter Verwendung string- und feldtheoretischer Methoden so alltägliche Phänomene verstand wie die magnetischen Phasenübergänge beim Erwärmen von Eisen oder die turbulenten Verwirbelungen von Flussströmungen hinter Brückenpfeilern? Und hingen diese kritischen Phänomene der Physik vielleicht ihrer Struktur nach mit allgemeinen sozialen Problemen zusammen? Gab es nicht auch in der Gesellschaft bei der Annäherung an einen kulturellen Wandel zunehmend größer werdende Fluktuationen mit immer weiter reichenden Korrelationen zwischen scheinbar entlegenen Ereignissen, die dann gleichsam zu einem Phasenübergang in die nächste Kulturstufe führten? Hatte Boris vielleicht der Übergang von den Bürgerrechtsbewegungen der 1960/70er in die Ökonomisierungsbestrebungen aller Lebensbereiche seit den 1980/90er Jahren weitgehend demoralisiert und zutiefst deprimiert? Gleichsam im Takt mit den Schwingungsmoden der strings treibt Woody seinen Film synchron zu den Streicherrhythmen des 2. Satzes der 9. Symphonie Beethovens voran, einem Molto vivace (3/4), Presto (2/2) Alla breve. Wie Rexroth in seinem Werkführer ausführt, stellt dieser Satz ein bizarr ausschweifendes Gebilde dar, in dem der Komponist den Tanzrhythmus mit dem Fugenprinzip verknüpft und im bukolischen D-Dur-Trio einer Wiederholungsmanie frönt, die bei aller Aufhellung der Stimmung von einem Rauschdämon inspiriert scheint. Derart rauschdämonisiert schreckt Boris eines Nachts aus dem Schlaf. Seine Frau Jessica ist sofort alarmiert und will wissen, was los sei: I'm dying, I'm dying. Sie will den Notarzt rufen, aber: No! No, not now! No, not tonight. I mean, eventually. Dass alle Menschen einmal sterben müssten, beruhigt ihn nicht: It's unacceptable! Seine Panikattacke rührt auch daher, dass er die Einnahme seiner Psychopharmaka abgesetzt hatte: I won't have my mind befuddled by chemicals when I'm the only one who sees the whole picture for exactly what it is. Es ist vier Uhr morgens und der Innenarchitektin Jessica steht ein arbeitsreicher Tag bevor. Aber für wen denn, fragt Boris aufgebracht: Clients. Right. Wealthy bankers. To design their chic apartment, to fill it full of art and expensive possessions, so they can flaunt their money and be in the top 1% of this shameful, violent, prejudiced, illiterate, sexual repressed, self-righteous nation! I'm a man with a huge worldview. I'm surrounded by microbes. Sein messerscharfer Klarblick nimmt auch seine Ehe nicht aus: I see everything so clearly now. Everything! I married you for all the wrong reasons. You're brilliant. I wanted someone to talk to. You loved classical music, you loved art, you loved literature. You loved sex! You loved me! Eigentlich alles gute Gründe für eine Ehe, aber genau das war das Problem: It was rational, it made sense! On paper we're ideal. But life isn't on paper. Sagt es, wendet sich dem Fenster zu, macht es auf - und stürzt sich hinaus.

Wie der Zufall so spielt, landete der lebensmüde Physiker auf einer Markise, die seinen Sturz abfederte. Boris war noch einmal davon gekommen, wenngleich er eine Versteifung des rechten Kniegelenks zurückbehielt, die ihn fortan am Gehen hinderte. Meanwhile, I divorced Jessica, moved downtown and gave up. I eke out a meager living teaching chess to incompetend zombies. Rücksichtslos dem fehlerzogenen Nachwuchs seine Unfähigkeit und Dummheit vorwerfernd, sehen wir Boris weiter wie rauschdämonisiert den treibend an- und abschwellenden Streicherrhythmen Beethovens folgend, entnervt mit Kindern Schach spielen oder in der Kneipe beim Essen mit einigen verbliebenen Freunden zusammensitzen und über den nach wie vor in den USA grassierenden Rassismus und die Ungerechtigkeit lamentieren. Aber dann geschieht es. Nachdem der alte Sack einmal wieder ausnehmend grob die Mutter eines dieser vergötterten kleinen Schwachköpfe beleidigt hat, sehen wir ihn abends humpelnd auf dem Heimweg. Als er nun gerade so für sich allein in seine Wohnung hinaufsteigen will, wird sein eingespielter Lebensrhythmus jäh durch den Anruf einer Mädchenstimme aus der Müllecke unterbrochen: Sir! Der lebensüberdrüssige Alte wendet sich um und die Kamera schwenkt auf den Müll, aus dem sich eine leicht derangierte junge Frau herausschält und sich ihm kühnerweise nicht nur annähert, sondern auch noch flehentlich um etwas zu essen bittet. Aber wird sie ihn rumkriegen? Can you help me get something to eat? ... Please I'm so hungry! ... I haven't anything to eat all day ... Please, I'm desperate ... Er windet sich und wiegelt ab, wie er nur kann, aber endlich hat der alte Griesgram ein Einsehen und lenkt ein: God, stop that! You look terrible! What's wrong with you? Just ... All right. Come up for two minutes. That's it. And then ... Freudig erleichtert greift das Mädchen nach seiner Reisetasche und springt behend dem Außenseiter hinterher. In seiner Wohnung angekommen, wäscht sich der Zwangsneurotiker erst einmal die Hände - und zwar genauso lange wie es dauert, zweimal ``Happy Birthday'' zu singen; denn nur dann kann er hoffen, dass er alle Keime der lebensfeindlichen Außenwelt los geworden ist. Unterdessen taut die Ausreißerin sichtlich auf, streicht ihre Jacke ab und wundert sich natürlich über den Singsang ihres Gastgebers. Wichtiger für die Tochter aus Elysium ist allerdings das Gastmahl: I like oysters, blackened red fish, gumbo, crab legs, red-eyed ... Sie muss sich mit einer Dose Sardinen bescheiden. Langsam taut auch Boris auf - und beginnt sich sogar für sie zu interessieren, indem er sie nach ihrem Namen fragt: Melody. Melody Celestine. Melody Saint Anne Celestine. It's French. My mama's family was from New Orleans. I'm from Mississippi, ... Eden, Mississippi. Davon hat der Weltflüchtling natürlich noch nie etwas gehört und lästert über die hinterwäldlerische Provinzialität des Ortes. Aber - oh Wunder - die beiden kommen in ein Gespräch: So, what are you running away from? ... Home. Could you more specific, Melanie? Melody. Melanie was from GONE WITH THE WIND. Oh yeah. I preferred the one who played Scarlett. Why? Melanie was the nice one. She marries Ashley ... Ashley! What an imbecile! I couldn't stand him, I couldn't stand his wife, that goody two-shoes sexual nothing. Scarlett, bitch that she was, with those green eyes ... Die Erinnerung an den Leinwand füllenden, eigensinnigen wie verführerischen Blick aus den großen grünen Augen der jungen schönen Vivien Leigh lässt den Griesgram mit verklärtem Augenaufschlag ins Schwärmen geraten ... Die von ihm noch verkannte junge Schöne vor ihm, weiß an seine männliche Schwäche anzuknüpfen, fällt aber unversehens wieder in Ungnade: You know, I came in first dressed as Scarlett O'Hara in one of the pageants. My mom always used to keep me busy in all these beauty contests. That's why I didn't get to schooling much ... All right, my advice to you, go back home ... Oh, no, I'm never going back home ... You're a brainless little twit who won't last three days in New York. You'd be dead of starvation if I hadn't a heart as big as all outdoors.

War Boris mit Melody nicht viel nachsichtiger umgegangen als Rhett mit Scarlett, die er auf ihrer Flucht vor den Yankees einfach allein ließ, so dass sie selbst für sich sorgen musste und bildgewaltig im Gegenlicht vor der untergehenden Sonne auf dem fruchtbaren Acker melodramatisch dem ,,Allmächtigen`` ihren Schwur verkündete, nie wieder hungern zu wollen. GONE WITH THE WIND hat als weltweit erfolgreichster Film aller Zeiten Geschichte gemacht. Zeitgleich mit Whatever Works erschien 2009 zum 70sten Jahrestag der Uraufführung des Melodramas die digital remasterte HD-Version auf BD in der Ultimate Collector's Edition. So nimmt es nicht wunder, dass Woody Allen auf David O. Selznick's Verfilmung des gleichnamigen Romans von Margaret Mitchell über Geschichten aus dem alten Süden gleich mehrfach ironisch Bezug nimmt. Aber was hatte Margaret veranlasst, in einer nostalgisch-kitschigen Familiengeschichte, noch einmal den mit dem Winde verwehten alten Süden heraufzubeschwören? Der 1936 erschienene Roman wurde sogleich ein dauerhafter Bestseller. Und das in einer Zeit wirtschaftlicher Depression, die hohe Arbeitslosigkeit und damit einhergehende Verarmung und Entwurzelung nach sich zog. Der Börsenzusammenbruch 1929 hatte den roaring twenties ein jähes Ende gesetzt. Je deprimierender die Notlagen, desto grandioser die Luftschlösser. Das gilt nicht nur für die Religionen, sondern auch für das Melodrama. Die Flut der historischen Familienromane jener Zeit war Ausdruck einer allgemeinen ,,Renaissance des Südens``, die heute als ausgezeichnete Epoche in der Entwicklung der amerikanischen Literatur gilt. Mit diesem Strom schwimmend, hatte auch Margaret ihre eigene Familiengeschichte aufarbeiten wollen, stammten ihre Vorfahren doch aus einer Gegend im Süden, die sie mit dem Sehnsuchsort Tara wieder verklärend auferstehen lassen wollte. Richard King hat sich in der von David Minter herausgegebenen Norton Critical Edition des Romans The Sound and the Fury von William Faulkner über A Southern Renaissance einige Gedanken darüber gemacht, wie sie Ende der 1920er Jahre hatte entstehen und erst nach einer Generation Mitte der 1950er Jahre wieder hatte ausklingen können. Da ist zunächst die allgemeine These: the Renaissance was the product of the creative tension between the Southern past and the pressure of the modern world. Spezialisiert auf die besondere Situation wird daraus: the dissolution of the social and cultural context that nurtured these characteristics made way for the literary and intellectual resurgence in the South circa 1930. Aber war es überhaupt eine wesentlich intellektuelle oder eher eine religiöse Renaissance im Zuge des südstaatlichen Neo-Katholizismus? The Renaissance was less literary than religious; it was ``a search for images of existence which will express the truth that man's essential nature lies in his possesion of the moral community of memory and history.'' In Deutschland hatte Thomas Mann am Beispiel der Buddenbrooks den Verfall einer Familie kunstvoll mit dem allgemeinen Niedergang des Bürgertums verknüpft, indem er sich neben dem Katechismus wesentlich auf die Philosophie und Musik als ausgewiesene deutsche Kulturgüter stützte. In den USA war es die Legende vom Urbarmachen des Landes, the plantation legend, die entgegen der vom Norden ausgehenden industriellen Revolution den Süden bis tief ins 20. Jahrhundert hinein bestimmte. Die Erinnerung an den Big Dady der eigenen Familie reichte weit in die Geschichte des aus Frankreich stammenden Landadels zurück. Dessen aristokratische Umgangsformen des Southern Cavalier's standen der umtriebigen Yankee energy gegenüber und zur Abrundung der Ideologie des Südens, ``the devoted slave'' was contrasted with ``the confused freedman.'' All das bedenkt Woody Allen mit, wenn er die junge Ausreißerin aus dem ,,Paradies`` Eden, Mississippi, in der Yankee-Hochburg New York auftauchen lässt. Dabei wandelt Melody Saint Anne Celestine nicht nur auf den Spuren Stella Kowalski's, unterliegt der Verwandlung Galatea's, findet wie Cinderella ihren Märchenprinzen und lässt der Eliza Doolittle gleich eine wahre Bildungstortur über sich ergehen; zu allem Überfluss tritt sie auch noch in die Fussstapfen Benjy's, der bei Faulkner bekanntlich dem andauernden Grauen des twilight's ausgesetzt bleibt ...

Verfolgen wir nun weiter, wie es Melody gelingen wird, das dumpfe Zwielicht des religiösen Südens hinter sich zu lassen und im klaren Licht des aufgeklärten Nordens sesshaft zu werden. Nachdem sie erst einmal ihren gröbsten Hunger los geworden ist und Boris als zwar bellenden, aber nicht beißenden Hund erkannt hat, kommt sie auf den Punkt: Can I stay here? Stay here? What are you? Nuts? How old are you? I'm 21. Twenty-one? Yeah. You're 21 like I play for the Yankees. Twenty-one! You're are a professional athlete with that limb? Das lässt ihn natürlich wieder an ihr zweifeln, aber sie lässt nicht locker: All right, look, I don't want to go back. Okay? I want to make a new life here in New York. Wird sie es schaffen können? Boris sieht schwarz: You'll wind up a prostitute, like those Asian girls who came here full of high hopes. And then they wind up turning tricks to keep alive ... Look, you're a sweet kid. Stupid beyond all comprehension, but you're never survive here. You got nothing going for you. Zero. Zilch. You know, you may be beauty contest material in the Deep South, but this is the big time. Here you are a three. A five maybe after you bathe. Das Dummchen schießt unbekümmert weitere Böcke, aber letztendlich bekommt sie, was sie will: Did you get that limb playing for the Yankees? Imbecile child. Brainless inchworm. I didn't play for the Yankees! I was being sarcastic before. Oh, you ... I took it seriously. I usually get jokes. At the church's social, I was the comedian twice. I've a way with jokes. Yes. Realy? Spare me and just get out ... I just need a place to stay for a few nights, till I get on my feed. I don't have anywhere to go. And if you throw me out and I wind up an Asian prostitute, thats gona be on your conscience. Damit hat sie ihn mit seinen eigenen Waffen geschlagen - und so lenkt er ein: I give up. Sleep on the couch, imbecile. I'm too tired to prolong this brutal exchange between a bedraggled microbe and a nobel price thinker.

Frisch gebadet und lieblich herausgeputzt, dürfte die junge Schönheitskönigin aus dem Süden den alten Miesepeter am nächsten Tag leicht entwaffnet und sogleich zu vielerlei Unternehmungen überredet haben. Einige Tage später sehen wir die beiden gerade unter der Schrift: LET US HAVE PEACE aus dem hoch aufragenden, klassizistischen Mausoleum heraustreten und auf der breiten Vortreppe nebeneinander Platz nehmen. Während Melody in ausnehmend heiterer Stimmung zu sein scheint, ist Boris nach dem Anblick der Grant's Grabmale sichtlich deprimiert. Einer gottesfürchtigen Südstaatlerin macht die Totennähe wenig aus: My mom brought me up to believe that the good Lord has a plan that we're all a part of. He has His eye on the sparrow. Einem Freidenker wie Boris kann der Spatz nur Leid tun, aber Melody meint es ernst: I'm not getting into heaven though. I sinned. I made love before I was married. Plenty of friends have, but in my house, that's just unforgivable. I just couldn't resist Bobby Klaxon. Der alte Kostverächter will sie unterbrechen, aber die junge Schöne hatte das Glück, schon beim ersten Mal ihren Spaß zu haben. It was really beautiful! I mean, he was just this pretty boy guitar player in this amazing rock band. I mean, if you think you're a genius, he can double on the drums. All the girls had a crush on him, but he liked me. He was so sweet and sensitive and he caught the biggest catfish in Plaquemines County. ... Hey, you know, my mom always told me that it was gonna hurt the first time, you know, she said it was, you know, it's a woman's duty to just lie down, bear it and ... You know, she said there were a lot of perversions involved, and that, you know, it's God's will you shouldn't do it unless you were married and you planned to have kids and ... She said it could be dangerous, but I just felt like it was the most natural thing in the world. You know, it just felt right. And all the little extras were just fun. In der schönen Erinnerung an ihr erstes Mal schwelgend, beendet die junge Dame ihren sexuellen Exkurs mit sichtlich verklärtem Ausdruck: It was just what it was, you know, it was a nice moment behind the tent at the fish fry. Der alte Sack hat allerdings wenig Verständnis für die schönsten Momente im Leben süßer Mädels. That is the most disgusting story I ever heard. You and this adenoidal guitar player slaking your lust at some barbaric social function. Dass man keinen Spaß am Sex haben kann, findet Melody ziemlich verrückt. Und als sie den Kreis zwischen Sex und Tod zu schließen wagt, rastet Boris sogleich wieder aus: Boris, do you want be buried or cremated? All right, I really don't want to talk about that. Okay? I think I want to be cremated. All right, will you shut up, cretin? There's no worms.

Die Vorstellung, eingeäschert zu werden, erspart Melody nicht nur die Furcht davor, dass ihre Leiche einmal von Würmen zerfressen werden sollte; auch das Los einer Vampirin wird ihr nicht widerfahren können. Woody Allen variiert mit dem Dialog über Sex und Tod sein existentialistisches Hauptthema, das Boris schon in Love and Death umtrieb. Darüber hinaus ist Melody's Rede von der Natürlichkeit der Sexualität ein Verweis auf Faulkner, den der Filmemacher neben Shaw und Williams immer wieder anklingen lässt. In The Sound and The Fury heißt es bei Quentin bezeichnenderweise: Women are never virgins. Purity is a negative state and therefore contrary to nature. Und die Erwähnung des Spatzes ist ebenfalls mit Bedacht gewählt, spielt doch auch Faulkner wiederholt auf die Bibel an, wenn er z.B. Jason im Anschluss an die Predigt eines Methodisten bedenken lässt: Talking about peace on earth good will toward all and not a sparrow can fall to earth. Und warum verliebte sich Melody in einen Rockstar, der nicht nur Gitarre spielte, sondern auch trommelte? Hätte es nicht ebensogut ein Bluesman oder Jazzmusiker sein können? Eine Provinzschönheit kann natürlich nur einem Blender verfallen, der auch noch Schlagzeug spielt, weil Vertreter und Werbefritzen ebenfalls ,,Trommler`` genannt werden. Für Woody wird Melody darüber hinaus auf eine Melodie ohne Worte, ohne Inhalt, anspielen: auf den Schall und Wahn der Rockmusik. Und passend dazu ist 2010 der Film THE RUNAWAYS erschienen, in dem die Geschichte der gleichnamigen Mädchen-Band aus den 1970er Jahren erzählt wird. Die Bandleaderin Joan Jett und die Sängerin Cherie Currie waren gerade mal 15 als sie zu rocken begannen. Joan löste die RUNAWAYS schon bald wieder auf, gründete aber kurze Zeit später die BLACKHEARTS und landete 1981 mit I LOVE ROCK N'ROLL einen Riesenhit. Für den Soundtrack zum Film haben die beiden aus der twilight saga bekannten Jungschauspielerinnen Kristen Stewart und Dakota Fanning eine grandiose Einspielung von DEAD END JUSTICE hingerockt, die mit ihrem Schrei nach Gerechtigkeit zudem inhaltlich stimmt; für Woody aber dennoch ein auditiver Supergau bleiben dürfte. Im Vergleich mit dem stupiden gegenwärtigen Elektropop und Technosound waren die damaligen Ausreißerinnen gleichwohl revolutionär in der Man's World. Aber die Zeiten ändern sich. Während das NEON ANGEL Cherie auf die schiefe Bahn geriet, tourt Joan bis heute auf Konzertreisen um die Welt. Bevor aber Melody auf ein Rockkonzert gehen wird, hat sie sich des Nachts als Krankenschwester zu bewähren ...

The horror! The horror! Boris! Are you all right? What happened? No, I'm not all right. Are you sick? No. Did you have a bad dream? Yeah, it was terrible. Come here, it's okay. Oh, I can't ... Oh baby, you're sweating. Come sit down. Night sweats. I get them. I used to think it was AIDS, but it's just that I have a morbid fear of the dark - and you turned my night-light off! Oh, I'm sorry ... Well, here, I'll put something on TV. I saw the abyss. Dont't worry we'll watch something else. Oh, this is ... Yeah. Fred Astaire. Yeah. Leave that. That's good. Leave that. Eine köstliche Szene! Weil sie ihm unbedarft das Nachtlicht ausgemacht hatte, durchlitt Boris das Grauen und sah - in den Abgrund. Aber Melody weiß Rat und zeigt ihm im Fernsehen etwas anderes. Im Nachtprogramm läuft zum Glück gerade ein Film mit Fred Astaire. Das war seine Zeit - und er beruhigt sich wieder. Entspannt schauen beide TV. Wie einstmals die Marx Brothers Mickey wieder Zuversicht und Lebenssinn vermittelt hatten, gelang es diesmal Fred Astair, Boris auf den Lebenspfad zurück zu bringen. Die nächste gemeinsame Unternehmung wünschte sich Melody trotz seiner Einwände an die Freiheitsstatue. Dort angekommen freut sie sich mit kindlicher Begeisterung: Oh, my God, that's it! The actual one! I've only seen it in pictures. ``Bring me your tired, your poor, your huddled masses ...'' I'm suprised you know that, terrible as it is. I closed with it for the Miss Greenwood, Mississippi pageant. I think it's so moving. But the huddled masses were never welcomed with open arms. Soon as they came over, each ethnic group was met with violence and hostility. Each one has to claw and fight its way in. People always hated foreigners. It's the American way. Our pageants like to focus on the posives things about America. Yeah. The blacks were kidnapped from Africa! Chained in ships! My daddy says that the America bends over backwards for the blacks because we are guilty, and it's crazy. Oh, yeah, your daddy. Your daddy's a cracker. He's a bigot moron. Your daddy! Well, you are probably right, 'cause your are a genius, but for a little Mississippi girl like me, this is really exciting! So what kind of genius are you, anyway? What kind? Yeah, what are you genius at? Quantum Mechanics. Yeah, but what field? Like, music? Tja, da hatte das Dummchen wohl noch eine lange Bildungsreise vor sich. Boris litt zwar sichtlich unter ihrer Einfältigkeit, fand aber zunehmend Gefallen an ihr. Eingestehen konnte er sich das aber vorerst nicht. In einer der nächsten Szenen spitzt Melody die Situation jedoch derat zu, dass er Farbe bekennen muss. Boris kommt gerade nach Hause während sie das Essen zubereitet und dabei Fernsehen schaut: You know, it's been proven television eats away the brain. Oh, hi! Shoot. I was gonna surprise you. Sie möchte ihm nicht nur ein köstliches Mal vorsetzen, sondern beim Essen auch noch damit überraschen, dass sie einen Job gefunden hat, um ihm Miete zahlen zu können. Er dagegen will endlich ein ernstes Wort mit ihr reden, um sie wieder los zu werden: Listen, Melody, seriously, we have to talk. Oh, yeah. I know. We'll talk over dinner. It's almost done. Melody, you're a very nice young woman. Really, very nice. You have a lot of nice attributes, but, you know, you just can't continue to stay here ad infinitum. Yeah, yeah, but that's my news. Guess what? I got a job. I can start paying you rent. Rent? I don't want you to pay me rent. I want my life back. What kind of job? I start tomorrow as a dog walker. A dog walker? Oh, my God. Seriously ... Melody, don't you think you should go back home and finish high school, maybe even go to college? I thought the other night you were talking about how America has one of the worst education systems in the Old West. No, no, the Western world. Yeah, right, exactly, and how most colleges just turn out mindless zombie morons. You could benefit from classes.

Während Melody diese Beleidigung so stehen lässt, da sie sich an seine ständigen Ausfälle längst gewöhnt hat und sie mit Charme zu übergehen weiß, erklingt aus dem Fernseher der von Jackie Cleason & His Orchester gespielte Creamer/Johnson-Klassiker If I Could Be With You (One Hour Tonight) - und Boris horcht auf. What is that song? They played that song the first time I went out with Jessica. Where did you go? We went to a dance. We were both students at the university of chicago. She had a high IQ and a low-cut dress. Boy, they really don't write them like they used to. Oh, that's a cliché. Good Melody. You caught it. Well, you always get so mad when I do them. Yeah, I shouldn't really. Sometimes a cliché is finally the best way to make one's point. Der schöne Song und die Erinnerung an seine Jugend haben den alten Griesgram offensichtlich milde gestimmt und so sieht die junge Frohnatur die Gelegenheit für ein ungewöhnliches Geständnis gekommen: Boris, what would you say if I was to say that I was developing a little crush on you? I'd say don't. Why? Because anything deeper, more significant between us, is out of the question. Because why? Because it's too preposterous to even dignity with an answer. It is? Every single thing is against it. Our ages, our backgrounds, our brains, our interests. Not to mention, I have no desire to have a relationship with a woman, any woman, nor any urge to make love, nor any desire to be anything but isolated from the world. And, you know, you're a beautiful girl who should be meeting normal healthy man and going out. Yeah, but I don't like normal healthy man. I like you ... You're hallucinating! I'm sure you'll make some man very happy at a fish fry or a dog fight or however you people spend time. Eingedenk des Kompliments und ihrer Schönheit gewiss, setzt sie gleich noch einen drauf: So you could never think of marrying me? Have you lost your mind? Why on Earth would you even fantazise about such a thing? What could I offer you, but a bad temper, hypochondriasis, morbid fixations, reclusive rages and misanthropy? And what could you offer me? A character out of Faulkner, not unlike Benjy. Das ist wieder eine kaum zu überbietende Bosheit, die Melody nicht versteht, weil sie nicht lange genug zur Schule gegangen war, um Faulkners anspruchsvollsten Roman The Sound and The Fury lesen zu können. Aber vielleicht trügt ja der Schein und der alte Sack wollte das süße Mädel durch den Vergleich mit einem debilen, aber sensiblen Jungen gar nicht beleidigen, sondern lediglich darauf hinweisen, was ihm noch alles auf dem Erziehungsweg zur Erweiterung ihres Bewusstseins bervorstehe. Damit komme ich auf den ambinioniertesten Roman William Faulkners zurück: 1929 am Beginn der Southern Renaissance und der Weltwirtschaftskrise erschienen, ist THE SOUND AND THE FURY in vier Teilen komponiert wie eine viersätzige Symphonie: The pattern established by Faulkner's disposition of the novel's four sections can be viewed in a manner of different ways, and they have been seen, for example, as exemplifying different levels of concsiousness, as different modes of apprehension or cognition, contrasted states of innocence and experience; M. Coindreau speaks of them as four movements of a symphony. All these elements are present, and there is an over-all movement outward from Benjy's intensely privat world to the fully public and social world of the fourth section. Im Anschluss an Hegel's Phänomenologie des Geistes beginnt die Dialektik der Bewusstseinsbildung mit der sinnlichen Gewissheit und endet mit der Synthese des absoluten Geistes. Nicht zufällig hatte Faulkner die erste Seite seines Manuskriptes mit Twilight überschrieben. Benjy, der behinderte Sohn der Compsons, who loves three things: the pasture which was sold to Candace's wedding and to send Quentin to Harvard, his sister Candace, firelight. Der empfindsame Junge blieb sein Leben lang auf der Stufe der sinnlichen Gewissheit; er liebte die Wiese, die Blätter und Bäume, wärmte sich gerne am Feuer und folgte fasziniert dem filigranen Flammenspiel. Er sprach nicht, sondern dachte: Caddy smelled like leaves oder Caddy smelled like trees in the rain. Das debile Kind lebte in der zwielichtigen Schattenwelt aus Schall und Wahn, in der Geräusche nur empfunden wurden, aber keinen Sinn stifteten. Den Titel hatte Faulkner bei Shakespeare entlehnt, der in Macbeth dichtete:

Leben ist nur ein wandelnd Schattenbild:

ein armer Komödiant, der eine Stunde lang

sich spreizt und fuchtelt auf der Bühne, dann

nicht mehr gehört wird; eines Toren Fabel nur,

voll Schall und Wahn, jedweden Sinnes bar.

Bereits Plato hatte in seinem Höhlengleichnis das Leben als wandelnd Schattenbild beschrieben. Boris nahm 1998 in seiner Arbeit The wall of the cave wieder Bezug darauf: Very often a source of strong poetry and strong science is a good metaphor. My favorite one is Plato's cave: the parabel of the man sitting in a dark cave, watching the moving shodows on its wall. They think that the shadows are ``real'' and not just projections of the outside world. It seems to me that the latest stages of the ongoing struggle to understand interactions of elementary particles create a picture stunningly close to this parable. Plato hielt die Sinneseindrücke nur für die flüchtigen Erscheinungen einer jenseitigen Welt idealer Formen, die allenfalls mathematisch erfassbar seien. Die neuzeitliche Physik ist ihm mit der Entwicklung ihrer zeitgenössischen Theorien der Quantengravitation und Elementarteilchen weitgehend gefolgt, da sich die Theorien in Energiebereiche erstrecken, die um viele Größenordnungen jenseits jeglicher experimenteller Überprüfung liegen. Die ersten Prinzipien, nach denen die physikalischen Theorien entwickelt werden, müssen daher sehr sorgfältig gewählt werden, damit die Physik nicht zu Science Fiction wird. Yellnikoff fährt fort: It was understood long ago that compactness of the gauge group is likely to lead to the collimation of the flux lines and thus to quark confinement. This was first discovered by Wilson in the strong coupling limit of lattice gauge theories. The next step was the proof of quark confinement for the compact abelian gauge groups based on instanton mechanism. These theories arise from the non-abelian ones after partial symmetry breaking. Random fields of instantons (which are magnetic monopoles in 3d and closed rings of monopole trajectories in 4d) prevent propagation of charged objects and collimate the flux lines ... This approach is not directly extendable to the nonabelian theories and only partial progress was made in this field until recently. The new development is based on the old idea that gauge theories must allow an exact description in terms of strings representing the Faraday flux lines and also on a new concept of D-branes. Ideen und Konzepte, die sich in anderen Theorien bewährt haben, werden gerne übernommen und einem neuen Gegenstand angepasst. Die Eichtheorien sind im Bereich der messbaren Teilchenenergien äußerst erfolgreich gewesen und so ist zu hoffen, dass sich ihre Konzepte auch auf strings und D-branes übertragen lassen. Die den Randbedingungen Dirichlets genügenden Raumbereiche werden in Verallgemeinerung des Ausdrucks Membran brane genannt. Und die Vision dabei ist, dass unsere erfahrbare vierdimensionale Welt gleichsam eine ,,Membran`` in der fünfdimensionalen Raumzeit ist: A small improvement of Plato - the cave has five dimensions, while the wall - four. Platos Höhlengleichnis bezieht sich damit auf vierdimensionale Schatten an der Wand einer fünfdimensionalen Höhle: In general the spectrum of the boundary states is the spectrum of the corresponding field theory, denn our open string theory has only vector particles and only positive norms. Therefore it must be the Yang-Mills theory. This reminds of the standard deduction of the Einstein theory from the existence of massless tensor particles. Am Schluss äußert Boris die Hoffnung auf eine experimentelle Bestätigung seines Höhlengleichnisses. Wenn die Raumkrümmung auch groß sein mag, sich aber nur wenig ändert, we may hope to find the complete solution of the gauge fields-strings problem and perhaps even to discover experimental manifestations of the fifth dimension. Manche Physiker vermögen halt das ganze Bild zu sehen und über unsere 4d in die 5d Welt hinauszudenken. Wird aber Melody ihrem Pygmalion darin folgen können?


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Ingo Tessmann 2011-05-08