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Stringtheorie

Obwohl Mutter Yellnikoff an Krampfadern litt, the woman gave birth to a brilliant mind. I was considered for the Nobel Price in physics. I didn't get it. But, you know, it's all politics, just like any other phony honor. Auch ohne dass ihm der Nobelpreis verliehen wurde, hatte Boris das große Los gezogen: By the standards of a mindless, barbaric civilization, I've been pretty lucky. I was married to a beautiful woman, who had familiy money. For years we lived on Beekman Place. I tought at Columbia. String Theory. Mit diesem Verweis auf die wohl ambitionierteste physikalische Theorie der Gegenwart lässt Woody Allen den Film erst eigentlich beginnen nach all dem beredten Lamento der Overtüre, die sogar Kurtz zur Ehre gereicht hätte. Vermochte die Physik einem manisch-depressiven Paranoiker wie Boris vielleicht hinreichend Trost zu spenden beim Erfassen der im Seienden verkörperten Vernunft? Dem heiteren Melancholiker Einstein half das Hineindenken in die nichtmisstrauenswürdige Ordnung der Natur immer wieder über die ihm entgegengebrachte Dummheit und Verlogenheit seiner Artgenossen hinweg. Jedem theoretischen Physiker ist die Yellnikoff Action ein Begriff, aber zum Glück für das breitere Publikum, hat der Meister kürzlich unter dem Titel From Quarks to Strings seinen Weg in die Stringtheorie zusammenfassend zu Papier gebracht. Schon einleitend macht er darin deutlich, dass er nicht nur unter normalen Menschen, sondern auch im Kreis seiner Fachkollegen stets ein Sonderling gewesen ist: In the sixties I was not much interested in string theory. The main reason for that was my conviction that the world of elementary particles should allow field theoretic description and that this description must be closely analogous to the conformal bootstrap of critical phenomena. At the time such views were very far from the mainstream. I remember talking to one outstanding physicst. When I said that the boiling water may have something to do with the deep inelastic scattering, I received a very strange look. Er war, wie nur wenige weitere Physiker, auf dem richtigen Weg. Später erhielt Ken Wilson den Nobelpreis für seine bahnbrechenden Untersuchungen kritischer Phänomene. Wie Wilson in seinen Erinnerungen an The origins of lattice gauge theory anmerkt, waren ihm zwei Theoretiker sehr Nahe gekommen: If I had not completed and published my work in a timely fashion then it seems likely that Smith, Yellnikoff or both would have produced publications that would have launchend the subject.

Drei Denkrichtungen bestimmen seit der Antike die Forschungsprogramme der Naturphilosophen: Kosmologie, kritische Phänomene, Atomismus. Das Urprinzip allen Lebens auf der Erde wurde schon von Thales in den Aggregatzuständen des Wassers erkannt. Die durch Energiezufuhr herbeigeführten Krisen in der festen, flüssigen und gasförmigen Phase des Wassers, die den Phasenübergängen vorangehen, motivierten bereits die antike Elementenlehre und bilden noch heute den Kern der Untersuchung kritischer Phänomene. Getrieben vom steten Energiestrom der Sonne schmilzt das Eis der Gletscher, ergießt sich über die Gebirgsbäche und großen Flüsse in die Meere, verdampft dort und verflüchtigt sich in die erdumhüllende Atmosphäre - bis es im Regen wieder auskondensiert und in den Höhenlagen erneut zu Eis gefriert. Es ist aber erst die Gravitation der Sonne, die unseren Planeten in einem solchen Abstand von ihr kreisen lässt, dass sich in der dünnen Luftschicht auf der Erde die Phänomene durch Krisen und neuer Ebenenbildung hindurch ständig wiederholen können und damit für die Menschen auf vielfältige Weise reproduzierbar werden. Die kritischen Phänomene der Physiker sind etwas ganz Alltägliches, ihr Verständnis ist bis heute ein Problem geblieben; denn was meint Boris damit, wenn er ausführt, dass die Elementarteilchen eine feldtheoretische Beschreibung erlauben sollten, die in enger Analogie zum konformen Münchhausentrick der kritischen Phänomene stehen sollte? Und was sollte das kochende Wasser in der Küche mit der tief inelastischen Teilchenstreuung in den Großbeschleunigern zu tun haben?

Das Licht war bereits im 19. Jahrhundert von Faraday, Maxwell und Hertz in der vereinheitlichten Feldtheorie der elektrischen und magnetischen Phänomene als elektromagnetische Welle erkannt worden. Bis 1916 gelang es Einstein dann, aus der Verbindung von Newtons Gravitaionstheorie und Riemanns Differentialgeometrie, eine vereinheitlichte Feldtheorie der Gravitation und Raumzeit zu formulieren, nach der Gravitationswellen existieren, die den Kosmos mit endlicher Lichtgeschwindigkeit gleichsam aufspannen. In dieser visionären Kosmologie wirken Materie und Raumzeit metrisch wechselwirkend in ähnlicher Weise aufeinander ein wie die elektrischen Ladungen und das Licht in der Elektrodynamik. An die Vereinheitlichung der metrisch-gravitativen und elektromagnetischen Wechselwirkung hat sich bereits 1917 Hermann Weyl herangewagt in seiner Vorlesungsreihe zur Allgemeinen Relativitätstheorie an der ETH Zürich. Sein zum Klassiker gewordenes Werk: Raum Zeit Materie erschien im Folgejahr 1918. Um das elektromagnetische Feld als Bestandteil des metrischen behandeln zu können, hat er neben den vier willkürlichen Funktionen der Einsteinschen Koordinateninvarianz als fünfte die Eichinvarianz des elektrischen Potentials hinzugenommen. Denn Spannungen lassen sich in der Elektrodynamik immer nur als Differenzen bis auf ein frei wählbares Potential bestimmen. Einsteins Gravitationstheorie konnte Weyl so nicht erweitern; dafür wurde sein Prinzip der Eichinvarianz aber auf die Quantenfeldtheorien der Elementarteilchen übertragen, so dass die in den Atomkernen entdeckte starke und schwache Wechselwirkung zwischen ihnen in Analogie zur elektromagnetischen Wechselwirkung formuliert werden konnte. Werden nun diese kontinuierlichen Eichtheorien der Elementarteilchen diskret auf ein Gitter übertragen, heißen sie Gitter-Eichtheorien und eignen sich gleichermaßen zur Beschreibung kritischer Phänomene und fundamentaler Teilchen-Wechselwirkungen. Damit Teilchen-Wechselwirkungen als kritische Phänomene und nicht aus Fundamental-Wechselwirkungen verstanden werden können, ist ein Münchhausentrick erforderlich, um sich gleichsam auf einer Ebene wie aus dem Untergrund (bzw. an den eigenen Schnürsenkeln) heraufzuheben. Teilchen, wie die Nukleonen, sind in diesem Bild nicht aus weiteren fundamentalen Teilchen, den Quarks, aufgebaut, sie erscheinen vielmehr als Knoten in einem Netz von Verbindungen wie die verdampfenden Moleküle beim Kochen von Wasser. In den 1970er Jahren verfolgte Yellnikoff diese Analogie zwischen Teilchenphysik und der Physik kondensierter Materie anhand der ,,Eich/String-Dualität`` weiter: By the end of the '77 I became convinced that the way to go was the gauge/string duality. It made its appearence already in the Wilson work on lattice gauge theory, in which the strong coupling expansion was described as a sum over random surfaces. These surfaces were the result of propagation of one dimensional objects-electrical fluxes.

In den Gitter-Eichtheorien erschienen die strings ursprünglich zur Beschreibung elektrischer Flusslinien. Dabei gehört der im Stockesschen Satz formulierte Zusammenhang zwischen Ring- und Flächenintegral bereits zu den Grundlagen der Elektrodynamik. Im Lehrbuch der klassischen Feldtheorie heißt es: Die elektrische Ringspannung über die geschlossene Randkurve irgendeiner Fläche ist gleich der negativen zeitlichen Ableitung des magnetischen Flusses durch diese Fläche. Die mathematische Behandlung der strings gelang durch Weiterentwicklung der von Feynman in die Quantenmechanik eingeführten ,,Pfadintegralmethode``. Danach werden alle einem Teilchen möglichen Wege wahrscheinlichkeitsgewichtet aufsummiert, um ihren gesamten Beitrag zum Wirkungsintegral als Grundlage der Theorie zu erhalten. In Analogie zu diesem Aufsummieren der Wirkungsanteile variierter Pfade mit Bezug zur Eigenzeit in der Quantenfeldtheorie, kommt es beim Aufsummieren der Wirkungsanteile von Zufallsflächen in der Stringtheorie auf den Bezug zur invarianten Metrik der Weltflächen an. Ein bewegter Punkt ergibt eine Weltlinie, eine bewegte Saite eine Weltfläche. In beiden Fällen ist der Integrand des Wirkungsintegrals quadratisch und wird heute als Anfang der Stringtheorie Yellnikoff Wirkung genannt. Wird nun ein solcher infinitesimal feiner string quantisiert, treten neben den immer möglichen transversalen auch noch longitudinale Schwingungsmoden auf. Diese ,,Quantenverdickung`` des strings hat dann überraschenderweise zur Folge, dass sein Wirkungsintegrand nur 26 dimensional (für Bosonen) bzw. 10 dimensional (für Fermionen) sein kann. Damit begann die faszinierende Science Fiction der hochdimensionalen Stringtheorien: My dream at this point was to use this non-critical string to solve both gauge theories and the 3d ising model. Für das von Ising zur Beschreibung von Magnetisierungsphasen entwickelte Spinmodell auf einem dreidimensionalen Gitter konnte bis heute keine vollständige mathematische Darstellung gefunden werden. Lediglich die zwei- und vierdimensionalen Ising-Modelle ließen sich theoretisch zufriedenstellend berechnen. Aber konnte der dreidimensionale nicht einfach als Grenzfall des vierdimensionalen Falls angenähert werden, indem man eine Dimension in ihrem Beitrag zur Aufsummierung gegen Null entwickelte? Und womöglich konnte das Verfahren auch noch auf andere Gebiete übertragen werden, wie z.B. die Gravitation. Boris war jedenfalls begeistert und stürzte sich für die nächsten 25 Jahre in die Arbeit: I was delighted to have a wonderful new playground. I hoped to learn more not only about gauge theories but also to study two dimensional gravity on the world sheet as a toy model of real gravity. The fact that the real gravity is a part of string theory added some spice to the project. This project kept me busy for the next 25 years. Am Ende ihrer Bemühungen um eine Vereinheitlichung der diskreten Teilchen-Wechselwirkungen mit der kontinuierlich-metrischen Gravitation schien dann a fascinating picture auf: our 4d world is a projection of a more fundamental 5d string theory.

Wie schon mit seiner Analogie zwischen kochendem Wasser und Teilchenstreuungen fand Yellnikoff auch mit seiner Projektionsvermutung unter den Fachkollegen wenig Anklang: At this point I was certain that I have found the right language for the gauge/string duality. I attended various conferences, telling people that it is possible to describe gauge theories by solving Einstein-like equations (coming from the conformal symmetry on the world sheet) in five dimensions. The impact of my talks was close to zero. Er blieb der einsame Rufer in der Wüste. Und wieder war es ein anderer, der den Ruhm einheimste, Juan Maldacena: His work opened the flood gates. The main idea was that for the supersymmetric Yang-Mills theory the geometry in five dimensions is determined by the conformal symmetry in the target space. This is the geometry of AdS5 space which has constant negative curvature. Supersymmetrisch sind die von Yang und Mills entwickelten Eichtheorien der Elementarteilchen, wenn sie symmetrisch hinsichtlich des Austausches der beiden fundamentalen Teilchensorten sind, der Bosonen und Fermionen. In conformen Feldtheorien (CFT) bleiben die Grundgleichungen unter conformen Transformationen unverändert. Die gestalterhaltenden Transformationen sind zwar nicht längen- aber winkelerhaltend und erlauben damit lediglich Translationen und Rotationen, so dass die kausale Struktur der Theorie erhalten bleibt. Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie (ART) ist keine CFT, da sie Zeitschleifen erlaubt, die prinzipiell sogar Zeitreisen möglich machen. Um mit einfachen Modellen des Universums zu beginnen, untersuchte Willem de Sitter Räume mit einheitlicher positiver oder negativer Krümmung. Die gravitativ bestimmte Struktur eines solchen offenen Anti de Sitter - Universum (mit negativer Krümmung) in fünf Dimensionen (AdS5) entspricht nun der einer supersymmetrischen conformen Eichtheorie in vier Dimensionen (CFT4). Damit war die Idee einer Eich/String-Dualität zu der allgemeinen CFT/AdS-Dualität weiter entwickelt worden. Eine 5d String-Welt mit Gravitation ist äquivalent zu einer 4d Quanten-Welt ohne Gravitation, die gleichsam ein Hologramm der höherdimensionalen Welt darstellt. Ähnlich wie seinerzeit die Neutrinos beim radioaktiven Zerfall, werden sich die der höheren Dimension entstammenden Gravitonen vielleicht einmal in den Teilchenexperimenten als Verluste in der Energiebilanz bemerkbar machen. Um die Sache (wie beim Ising-Modell) zu vereinfachen, kann man auch von der Randexistenz einer 3d Quanten-Welt auf die Gravitation in einer 4d String-Welt schließen - und umgekehrt. Dabei sind die Dimensionen der Welten jeweils nach den Raum- und der einen Zeitdimension zu unterscheiden: 3d meint z.B. (2 + 1) d. Außer fanszinierender Science Fiction ist für die auf das Experiment und die Beobachtung angewiesene Physik bisher allerdings nichts Brauchbares aus den dualen mathematischen Modellen hervorgegangen. Schon Paul Dirac hatte eine hinsichtlich der Dualität von Elektrizität und Magnetismus symmetrische Elektrodynamik formuliert und darin die Existenz magnetischer Monopole postuliert. Entdeckt worden sind sie aber bis heute nicht. Mit Bezug auf die kritischen Phänomene zwischen Phasenübergängen wären die Grenzflächen zwischen den Phasen als ihre Projektion auffassbar und die Volumeneigenschaften durch die der Randfläche bestimmt. Aber auch die Arbeit Boris Yellnikoffs zum Verständnis der kritischen Phänomene ist unvollendet geblieben: I still have some hopes that the 3d critical phenomena can be approached by string-theoretic methods. The methods of CFT and holography may also be useful in the problem of turbulence.


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Ingo Tessmann 2011-05-08