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Philosophie als Orientierungswissenschaft

In den Mythen, Religionen und Kulturen finden die Menschen Rückhalt und Geborgenheit. Ein szientistisch verengtes Wissenschaftsverständnis, das sich diesem Orientierungsbedürfnis der Menschen versagt, taugt natürlich nicht zur Philosophie. Vielmehr ist es die Aufgabe der Philosophie, in Anknüpfung an das Alltagsverständnis menschlicher Lebensbemeisterung, den Bogen bis hin zu den kosmologischen Visionen der Naturwissenschaft zu spannen. Das Orientierungsbedürfnis der Kinder wird zunächst durch die Erzieher und Lehrer befriedigt. Die Kinderfragen danach, warum wir leben und sterben, essen und trinken, uns freuen und leiden müssen, sprengen von vornherein den Rahmen der Umgangssprache.

Es ist das Verdienst der analytischen Philosophie , auf den wesentlichen Anteil der Sprache beim Philosophieren aufmerksam gemacht zu haben. Auch die Kinderfrage, was denn wohl außerhalb des Weltalls sei und wer Gott erschaffen habe, verweist zurück auf die Sprache. Die Umgangssprache dient trivialerweise dem Umgang der Menschen miteinander, sie reguliert ihr Zusammenleben. Schon diese banale Einsicht lehrt uns die Beschränktheit der Sprache. Zudem ist unser Gerede mehr oder minder vage, was uns Mißverständnisse immer wieder vor Augen führen. Der Gültigkeitsbereich und die Vagheit unseres Geredes sind prinzipieller Natur und bleiben auch in der Wissenschaft bestimmend; werden dort aber durch Mathematik und Technik quantifizierbar und überprüfbar. Der Gültigkeitsbereich unserer Umgangssprache erstreckt sich lediglich auf das menschliche Zusammenleben in der Biosphäre der Erde. Das Wort außerhalb z.B. reicht demnach nicht weiter als seine Einführungssituation, wie z.B. außerhalb des Zimmers, des Hauses, der Erdatmosphäre. D.h. Worte machen nur Sinn, wenn Einführungs- und Verwendungssituation ähnlich sind. Auf das Weltall bezogen, ist unsere Umgangssprache also bedeutungslos. Aufklärung über Sinn und Bedeutung unseres Geredes ist nach wie vor erste Aufgabe der Philosophie. Sonst bleiben wir die Affen im Kulturwald. Viele Probleme beim Verständnis der Mythen, Religionen und Philosophien werden so zu Scheinproblemen, die man getrost vergessen oder den Pfaffen überlassen kann.


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Ingo Tessmann
1/31/2000