Getrieben vom Rhythmus der Lust spreizte sie sich bis zum Rand des Universums. Hier schien die Zeit stillzustehen. Voll Wohlgefühl schwebte sie dahin. War sie in Alberts Traum geraten? Schon als Kind hatte ihn die Frage beschäftigt, wie es wohl sei, einem Lichtstrahl mit Lichtgeschwindigkeit nachzueilen. Welch eine galaktische Vision. Die zäh sich dehnenden Uhren Dali's kamen ihr in den Sinn. Doch ihre surreale Hochstimmung wandelte sich in Unbehagen. Angsterfüllt wurde ihr klar, daß sie aus der Zeit gefallen war. Bedeutete das nicht ewige Jugend für sie, aber rasches Altern für die Zurückgebliebenen? War Sofie unterdessen zur Greisin zusammengeschrumpft? Die Einsamkeit der Zeitreisenden überfiel sie. War sie ins Zwillingsparadoxon verstrickt? Befand sie sich in einer parallelen Welt? Agierte sie im falschen Buch? Sie hatte Satz 5.6 vor Augen: Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. Wo war denn nur der Zettel? Hilde ruderte benommen im Bett herum ...

,,Aua! Was soll denn das?`` hörte sie Sofie empört aufschreien.

Hilde brauchte eine Weile der Besinnung: ,,Verzeih``, sagte sie, ,,aber ich suche einen Zettel.`` Sie richtete sich halb auf und sah sich um. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das fahle Dämmerlicht, das durch die Vorhänge ins Zimmer fiel. ,,Wie sieht es denn hier aus!`` rief sie entsetzt und ließ sich zurück ins Kissen fallen. Kurz darauf trieb es sie aber wieder hoch. Sie sprang auf und stand im Zimmer. Bett und Boden waren übersäht mit Frühstücks-Utensilien.

,,Mach doch nicht so'n Streß``, stöhnte Sofie und wälzte sich mühsam herum.

Hilde ging rasch zum Fenster und zog mit einem Ruck den Vorhang beiseite. Prüfend sah sie Sofie an. Der war vor Schreck die Decke entglitten. Verstört blinzelte sie ins helle Licht. Hilde entspannte sich und atmete behaglich aus. ,,Bin ich froh, daß Du nicht verschrumpelt bist während meiner Zeitreise``, sagte sie sichtlich erleichtert. Langsam trat sie ans Bett und strich zart über Sofies warme, feste Haut.

,,Was ist mit Dir?`` fragte Sofie verwirrt. ,,Warum sollte ich verschrumpelt sein?``

,,Es war bloß ein Traum``, erwiderte Hilde aufgeräumt. ,,Ich weilte mit nahezu Lichtgeschwindigkeit am Rand des Universums, als mir angsterfüllt dämmerte, nicht mehr zu altern. Ehe Sofie etwas erwidern konnte, saß Hilde schon vor dem Rechner. Hastig hackte sie auf der Tastatur herum:

 
evalf(1.0/sqrt(1.0-0.99^2)); 
evalf(1.0/sqrt(1.0-0.99995^2));

und erhielt die Egebnisse 7,088812050 und 100,0012500. ,,Wer ein Jahr mit 99,995% der Lichtgeschwindigkeit unterwegs ist, erfährt bei ihrer Rückkehr, daß inzwischen 100 Jahre vergangen sind.`` Fasziniert starrte sie auf den Bildschirm. Sofie stand unterdessen hinter ihr.

,,So schnell können sich nur Träumerinnen bewegen``, sagte sie mit ironischem Unterton.

,,Oder Elementarteilchen!`` erwiderte Hilde bestimmt.

,,Und Lichtwesen leben in ewiger Gegenwart``, entfuhr es Sofie.

Hilde schaute sie verwundert an. ,,Was ist eigentlich der Grund für die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit?`` Sie klickte die Einstein-Arbeit an und vertiefte sich in die entscheidende Passage: ,,Die Gruppeneigenschaft!`` rief sie aus und erläuterte, da Sofie sie mit leerem Blick betrachtete: ,,Neben der Invarianzforderung ist es die Eigenschaft der Bezugssystems-Transformation bei Hintereinanderausführung nicht aus dem Rahmen zu fallen. Denk `mal an die Zahlen. Wiederholte Additionen bleiben stets im Zahlenbereich. Genauso bleiben die Bezugssystems-Transformationen immer auf den Minkowski-Raum beschränkt. Sollte die endliche Lichtgeschwindigkeit andererseits der Grund für das endliche Universum sein? Wie das Beispiel der Kugeloberfäche zeigt, könnte es gleichwohl unbegrenzt sein ... ``

,,Aber was ist denn nun wirklich?`` fragte Sofie verwirrt. ,,Invarianz und Gruppeneigenschaft sorgen doch nur für die Stimmigkeit der Theorie. Hättest Du mich wirklich vergreist vorgefunden, wenn Du sehr schnell unterwegs gewesen wärst?``

,,Daran kann kein Zweifel bestehen; denn jede hat ja ihre Eigenzeit``, erwiderte Hilde überzeugt. ,,An Elementarteilchen läßt sich das Zwillingsparadoxon sicher nachweisen und seines Widersinns berauben.`` Hilde setzte sich auf den Boden und goß sich ein Glas Orangensaft ein. ,,Die Invarianzforderung garantiert die Objektivität. Die Theorie wird lediglich so formuliert, daß der besondere Bewegungszustand der Experimente keinen Einfluß auf die Ergebnisse hat.``

,,Aber hat Objektivität auch Realität zur Folge?`` warf Sofie ein während sie sich zu Hilde niedersetzte, den Zeigefinger ins Pflaumenmuß steckte und genüßlich ableckte.

,,Wenn Realität nicht nur das bedeutet, was wirkt, sondern für alle Menschen gleichermaßen akzeptierbar sein soll, muß sie objektiv sein. Die subjektiven Alltagserfahrungen sind als alleiniger Maßstab für Realität nicht hinreichend. Sinnestäuschungen, Vorurteile und religiöse Dogmen haben in der Naturerfahrung zumeist Unheil angerichtet``, ereiferte Hilde sich. Belustigt sah Sofie sie an. Ruhiger werdend fuhr sie fort: ,,Jedenfalls haben Freigeister wie Galilei und Einstein die Wissenschaft gerade dadurch vorangebracht, daß sie sich nicht von Nur-Persönlichem beherrschen ließen. Der ebene euklidische Raum ist ebensowenig real wie die Gleichzeitigkeit.``

,,Vielleicht stehen Lokalität und Vollständigkeit in einem ähnlichen Spannungsverhältnis``, leitete Sofie einlenkend zum nächsten Thema über. ,,Ist eine vollständige Theorie der Natur vereinbar mit der endlichen Wirkungsausbreitung?``

,,Nach Gödel vereitelt die Selbstbezüglichkeit in jeder hinreichend reichhaltigen Theorie ihre Vollständigkeit``, erinnerte sich Hilde.

,,Eine aufs Ganze zielende Theorie wäre womöglich nicht nur selbstbezüglich, sondern auch nichtlokal``, sinnierte Sofie.

,,Nichtlokale Effekte mit Überlichtgeschwindigkeit gibt es vielleicht in der Mikrowelt der Elementarteilchen. Unterhalb der Wirkungsgröße der Planck-Konstanten verschwimmen die Konturen. Wir haben ja gehört, daß Zeitpunkt und Richtung der Elementarvorgänge zufallsbedingt sind``, sagte Hilde.

,,Du meinst, Gesetzlichkeit und Kausalität gibt es nur im Großen?`` warf Sofie ein.

,,Das ist meine Vermutung``, bestätigte Hilde. ,,Im subatomaren Bereich könnten sogar die Wirkungen den Ursachen vorangehen und aus den Naturgesetzen würden Wahrscheinlichkeitshypothesen.`` Hilde machte eine Pause. ,,Jetzt dämmert mir wieder, was Niels auf den Zettel geschrieben hatte. Es ging um die Rolle der Sprache in der Physik. Offensichtlich ist die Alltagssprache nur im Bereich menschlichen Maßes sinnvoll. In mikro- und makroskopischen Dimensionen verliert sie ihre Gültigkeit.``

,,Das scheint mir offensichtlich``, schaltete Sofie sich ein. ,,Denn wie wir von Wittgenstein gelernt haben, reichen die Wortbedeutungen nur so weit wie die Lehr/Lernsituationen, in denen sie eingeübt worden sind. In der Relativitätstheorie hat Einstein den Begriffen Raum, Zeit und Materie eine neue Bedeutung verliehen. Insofern war er auch Sprachphilosoph.``

,,Womöglich hat Bohr in der Quantentheorie ähnliches vollbracht wie Einstein in der Relativitätstheorie``, ergänzte Hilde sinnend. Ihr Blick ruhte auf dem Zettel. Er war mit der Decke auf dem Boden gelandet. Langsam bahnten sich seine Zeilen einen Weg in ihr Unterbewußtsein.

Sofie hatte sich unterdessen an den Rechner gesetzt, um nach Post Ausschau zu halten. Eine unbestimmte Ahnung beschlich sie. Die erste Mail kam von Niels. Sofie klickte sie an und Nielsens Stimme erklang:

Hallo Mädels, wir müssen unser nächstes Treffen bis auf weiteres verschieben. Eine große Entdeckung steht bevor. Es geht um die Identifikation des Higgs-Teilchens. Näheres später. Ich werde mich wieder melden. Gruß und Kuß, Niels.

,,Kennst Du das Higgs -Teilchen``, rief Sofie in den Raum, ohne sich umzudrehen. Sie klickte die nächste Mail an.

,,Keine Ahnung``, entgegnete Hilde gedehnt.

Sofie las unterdessen in einer Mail Sagredos:

Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge. Welle und Teilchen sind komplementäre Bilder des Sonnenlichts.

Bei der Mail handelte es sich um einen Hypertext. Flugs zauberte Sofie das prachtvolle Gemälde Aufgehende Sonne Max Pechsteins auf den Bildschirm. Es wurde überdeckt von ein paar Zeilen:

Die Sonne hell erscheint in güldnen Bögen, Kreisen

Über Hügel blau in Waldes gelbe Schneisen

Weithin erstrahlt des Himmels blauer Morgen

Worin die Röte bleibt so wundersam verborgen

Und sieh: die Sonne im Erheben

Schöpft in geheimnisvoller Farbenpracht

Des Blattes grün und Pflanzenleben

Woraus sie meine Stimmung macht.


Sofie starrte gebannt auf das Bild. Sie schien in ein Lichtmeer zu tauchen. Komplementärfarben addieren sich zu weiß ging es ihr durch den Kopf. ,,Aber wo bleibt die Röte``, dachte sie laut.

Hilde trat hinzu und schaute eine Weile in die Farbenpracht. ,,Ganz einfach``, sagte sie. ,,Die Blätter absorbieren vornehmlich rotes Licht. Deshalb sind sie grün. Und der im kurzwelligen Streulicht blau erstrahlende Himmel filtert den lebensfördernden Anteil des Sonnenlichts ganz so wie gelb und blau sich zu grün subtrahieren.``

,,Dann ist das Bild ja eine Metapher für die lebensspendende Kraft des Sonnenlichts``, folgte Sofie dem Gedanken.

,,Und für die Welle-Teilchen-Komplementarität``, ergänzte Hilde, indem sie auf die Strahlenlinien und Kreisbögen wies.

Sofie klickte Sagredos Mail vors Bild: ,,Genau das wollte er uns wohl nicht nur schreiben, sondern auch zeigen.``

,,Warum streben wir nicht gleich den Blättern der Sonne entgegen?`` entfuhr es Hilde.

Sofie schaute sie verwundert an. ,,Mal wieder `n kleiner Ausflug?``

Hildes Blick schweifte über die Bücher im Zimmer. Die Elbe, ein Lebenslauf fiel ihr ins Auge. ,,Was hältst Du von einer Flußfahrt nach Berlin?`` fragte sie und nahm das Buch zur Hand.

,,Diesmal planen wir die Tour aber selbst``, entgegnete Sofie bestimmt und setzte sich an den Rechner.

Hilde schlug unterdessen das Buch auf. Mit dem Finger folgte sie dem verschlungenen Flußlauf: Hamburg, Geesthacht, Dönitz, Havelberg, Magdeburg, Wittenberg, Torgau, Dresden, Brandeis, Königgrätz und - ,,das Riesengebirge. Lebte dort nicht Rübezahl?`` fragte sie ahnend.

,,Vielleicht finden wir ja sogar Elfen ``, sagte Sofie verschmitzt.

Hilde griff nach einem Rucksack, verstaute das Buch, etwas Proviant und drängte zum Aufbruch. Der Mittagssonne entgegen, machten sie sich auf den Weg. Schon nach kurzer Zeit erreichten sie den Botanischen Garten, der zum Verweilen einlud. Sie suchten sich eine freie Bank und ließen sich nieder. Sofie sog tief den Duft der Blumen ein und lehnte sich entspannt zurück. Hildes Blick überstrich das vielfältige Grün. Nach einem Moment der Besinnung griff sie nach dem Lebenslauf und begann zu blättern. ,,Das ist ja interessant``, hob sie an. ,,An der Ur-Elbe beim heutigen Prag hausten bereits Vormenschen vor über drei Millionen Jahren! Auch die älteste menschliche Behausung in Europa befand sich an der Elbe vor etwa 750.000 Jahren. Dann folgten die Wanderungswellen, von denen Niels sprach: Ausgehend vom östlichen Mittelmeer durch das Donaugebiet dem Elbelauf nach.``

Hilde blickte Sofie an, die stumm mit geschlossenen Augen dasaß. Nach einer Weile sagte sie gedehnt: ,,Flußläufen zu folgen, liegt doch nahe. Wahrscheinlich hatten sich unsere Vorfahren einfach auf Flößen treiben lassen.``

,,Auf dem Rückweg können wir das auch``, erwiderte Hilde und stand auf. Sofie folgte ihr. Sie durchstreiften den Jenisch-Park und erreichten das Elbufer. Barfuß in flachen Wellen schlenderten sie in Richtung Hafen. Herausfahrende Schlepper kündeten von der Ankunft eines Ozeanriesens. Vom anderen Ufer wehten die Geräusche reger Betriebsamkeit herüber. Der helle Klang anschlagender Metallrahmen, das schrille Hupen von Lastfahrzeugen und die Warnsignale ausladender Hebebühnen. Ausflugsdampfer, Barkassen und Schuten sorgten für ständige Brandung. In einiger Entfernung gewahrten sie am Strand geselliges Treiben. Vor der Strandperle ließen sie sich nieder. Vom Wasser wehte ein kühler Hauch den Strand herauf. Dünne Wolken segelten bedächtig dahin und filterten wohltuhend das Sonnenlicht. Den Mädels fiel auf, daß ein alter Mann sie bemerkte. Er blickte sie mit wachen Augen an und lächelte verstohlen. Ihm gegenüber saß eine junge Frau, die etwas vorzulesen schien ... wir wollen Atome aufzeichnen in der Abfolge, wie sie ins Bewußtsein fallen ... das Muster nachzeichnen, das jede Impression und jedes Ereignis dem Bewußtsein aufprägt ... es sind diese hellsichtigen Augenblicke, diese Sensibilität für schockartige Überfalle, die mich zur Schriftstellerin machen. Unwillkürlich wandten Sofie und Hilde ihre Aufmerksamkeit dem fremden Gespräch zu. Am Anfang ist der Einfall, nicht das Wort hörten sie den Mann sagen. In ruhigem Tonfall fuhr er fort: Der Einfall bezeichnet den Übergang zum Organischen, er ist das Kind des Moments. Aufgabe der Dichtkunst ist es, die Zufallsquanten ihrer Beliebigkeit zu entreißen und sie in Beziehung treten zu lassen ...

,,Poesie und Physik``, merkte Hilde an. Des Dichters Muse drehte sich um ... ,,Hallo``, sagte Hilde: ,,Aufgabe der Physik ist es, die Zufallsquanten ihrer Beliebigkeit zu entreißen und sie in Beziehung treten zu lassen.``

Leicht verwundert sah der Dichter sie an und fragte schmunzelnd: ,,Welchem Märchen seid ihr denn entsprungen?``

,,Wir sind Elfen zwischen Urknall und Zerfall``, entfuhr es Sofie.

,,Mit Elfen hab' ich schon immer `mal den Wein teilen wollen``, freute sich der Dichter. ,,Setzt Euch zu uns!`` Sie machten sich bekannt und stießen an: ,,Auf die Philosophie!``

,,Das Aufzeichnen der Atome, wie sie ins Bewußtsein fallen``, begann Tibia nach einer kurzen Pause, ,,muß die Zufallsquanten in ihrer Beliebigkeit belassen! Andernfalls hätten wir es mit Physik zu tun.``

,,Wohl eher mit dem logischen Atomismus``, warf Sofie ein.

,,... der die Augenblicke bloß zu Perlenketten aufzieht. Ein poetischer Atomismus beläßt den Gestalten ihr Eigenleben``, sagte der Dichter bestimmt und setzte gedankenschwer hinzu: ,,Die Alltagswahrnehmungen, trivial, gewöhnlich, unbeseelt, sind beim Übertritt in die Quantensphäre kristallin zu verdichten.``

,,Kristallin wie Eisblumen, die dem Wasserdampf auf kühlem Glas erwachsen``, dachte Sofie laut.

Still in seiner Ecke sitzen und
zu tun haben wie die Natur:
Fühlen wie eins ins
andre sich wandelt,
Sonnenlicht zu Stärke,
Stärke zu Zucker,
Zucker zu Brantwein,
Sprit zu Licht ...

sprach der Dichter und hob sein funkelndes Glas: ,,Wo in Wissenschaft und Technik bleibt denn noch `was vom Quantengestöber, verrucht, belebend, spektakulär ... ``

,,Wir verbrachten gerade ein paar Tage im Quantengestöber bei DESY``, erwiderte Sofie und trank mit geröteten Wangen.

Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält

zitierte Tibia und ließ Faust ausrufen:

Ich schau in diesen reinsten Zügen
Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen

,,Wer in den reinsten Zügen der mathematischen Klarheit die wirkende Natur zu erschauen vermag``, setzte Hilde an, sprang auf und schrieb mit ausholenden Gesten die Gleichung E = m c2 in den Sand, ,,dem gerinnt Physik zur Poesie.`` Hilde hatte so lautstark gesprochen, daß es eigentlich viele hätten hören müssen. Nur wenige merkten auf. Bewußtseinsstufen trennten die vielen.

,,Poetik und Epistemik scheinen Dir zwei Seiten einer Medaille``, bemerkte der Dichter gelöst. ,,Der Gedankensprung ist die geistige Fortbewegungsweise. Hüpfen die Gedanken mit den Quanten?``

,,Dann wäre Poesie mit Physik unterfüttert``, zweifelte Tibia.

,,Das Sein bestimmt immer noch das Bewußtsein``, diktierte der Dichter, ein weiteres Mal das Glas hebend.

,,Warum sollten Erlebnisse nicht ebenso ursprünglich sein wie Ereignisse?`` gab Tibia zu bedenken.

,,Erlebnisse sind bloß bewußte Ereignisse``, erwiderte Hilde.

Sofie hatte den Eindruck, als walle Himmelsplankton auf. Quanten und Gedanken in buntem Durcheinander. Riesenhaft sprang ihr eine Schlagzeile ins Auge: Ein Quantensprung in der Informationstechnik. ,,Sind Bits die Quanten der Gedanken?``

,,Bits sind die Quanten der Computer``, antwortete Hilde. ,,Wir sollten die Wirkungseinheiten der Poesie, Physik und Informatik nicht durcheinanderwerfen. Aber insofern Sprechen auf Rechnen reduzierbar ist ... ``

,,Ihr seid ja betrunken!`` rief Tibia belustigt.

Nachdem sie sich verabschiedet hatte, machten sich die Mädels mit dem Dichter auf den Weg. Er hatte eine Dachwohnung mit Blick zur Elbe. Gemeinsam setzten sie sich auf den Balkon. ,,Schön ist es hier!`` begeisterte sich Sofie. Behaglich lehnte sie sich zurück. Auf dem Tisch gewahrte sie eine weitere Flasche Wein. Schweigend genossen sie die Atmosphäre. Vom Strand wehten zarte Gitarrenklänge herüber. Am Himmel begannen sich die Lichtpunkte der Sterne abzuzeichnen. Hilde hob ein dickes Buch vom Boden auf und blätterte interessiert darin. Sofie füllte die bereitstehenden Gläser: ,,Auf die Verbindung von Poesie und Aufklärung``, sagte sie beinahe feierlich.

,,Ja, ja``, vernahm sie den Dichter. Hellklingend stieß er mit ihr an. ,,Ich habe mich zeitlebens als Streiter für die Aufklärung ins Zeug gelegt. Zwei Triebe speisen meine Schreibe: Hier der Besen - dort der Pinsel.``

,,Für Wittgenstein war die Mathematik der Besen im philosophischen Haushalt``, erinnerte Sofie.

,,Mit dem Pinsel male ich Lyriden, Sternschnuppen aus dem Bild der Lyra, die sich der Vergesellschaftung im lyrischen Gedicht entgegensehnen ... ``

Darüber steht das marmorne Lächeln der unerbittlichen Natur, die uns mehr Sehnsucht als Geist verliehen hat modulierte Einstein die Stimmung.

,,... Die Augenblicke kommen aus der Diaspora und sehnen sich an einen gemeinsamen Sternenhimmel.``

,,Greifen Sie `mal zu Pinsel und Besen``, drängte Hilde und nahm vom Wein.

Straßen, die keine gute Wendung nehmen,
kennen wir zur Genüge.
Woher des Wegs? Aus der Irre.
Wohin die Fahrt? In den Dreck.
Vorbei an Motocross, Autocrash, Burkhardt's Rollender
Sommerdisco -
Ich nicht, ich will mich noch ein Stückchen
an der Böschung hochziehen,
Trauerweiden kitzeln meinen Augenrand.

Er griff zum TABU.

Ich hasse alle Heiligen, tot oder lebendig -
Mohammedanismus? Gottja,
das ist wiedermal sone Meinung für Milliarden ...

Was es nicht nur zu erkennen, sondern von der Sozialgeschichte unserer eigenen Nerven her zu bestreiten gilt, ist ein noch tief unter dem allgemeinen zivilisatorischen Verrottungshorizont anzusetzendes Fäulnissediment aus irrationaler Todessehnsucht und weltlicher Vorteilserschleichung, theokratischer Tyrannis und sinistrem Händlergeist, fundamentalistischer Halsstarrigkeit und irrlichterndem Emotionalismus, ethnischen Minderwertigkeitskomplexen und krankem Ehrgefühl, einem religiös kontaminierten Rechtsdenken und machistischer Frauenverachtung, Vetternwirtschaft und Bruderkrieg, eine Wahnsinnswelt, die man am besten sich selbst überlassen sollte.

,,Wenn da nicht der Waffenhandel wäre``, warf Hilde ein.

Für den Religionsverrückten
ist die Schnellfeuergarbe das schönste Gebet

Der Dichter legte das Buch auf den Tisch und schenkte Wein nach.

,,In Anbetracht des Sternenhimmels``, begann Sofie leise und schaute verklärt in die Weite, ,,ist es ein Trost zu ahnen, daß andere Lebensformen weniger unvollkommen ausgefallen sind.``

,,Und der blaue Planet im Universum keine Rolle spielt``, setzte Hilde hinzu.

,,Ho, ho! welch' dunkle Töne``, klärte der Dichter im Trüben. ,,Schließlich seid Ihr Gottes Antwort an Hiob, versteht Ihr? Ihr hättet den ganzen Streit zwischen den beiden beendet. Ich meine, er hätte einfach auf euch gezeigt und gesagt: Ich mach ne Menge Mist, aber so was wie sie kann ich auch machen. Versteht Ihr?`` Die Mädels lächelten verlegen. ,,Und dann, dann hätte Hiob gesagt: Na gut, okay, du hast gewonnen.``

Sofies Verlegenheit löste sich in Gekicher. Der helle Klang ihrer Stimme erschien ihr eigentümlich fremd. Sie klirrte wie ferner Kristallregen. Markant prägten sich ihr die Konturen ins Bewußtsein. Wer war eigentlich der Dichter? Seine ruhige, dunkle Tonlage wirkte körperlich auf sie ein. Wo immer ich gehe, stehe, sitze, liege oder fliege rast, flattert, flimmert, wedelt, taumelt, fegt und schwebt so viel poetischer Leuchtstoff auf meinem inneren Wahrnehmungsschirm vorbei, daß ich ihn in der Eile weder verbinden noch zur Ordnung rufen kann, und den ich ... in diesem vorläufigen Zustand einer ersten Anwehung festzuhalten suche. Russells Atome flimmerten ihr vor Augen.

,,In der Physik bezeichnen Quanten die kleinsten Wirkungseinheiten``, hörte sie Hilde sagen.

Und wieder die erregende Stimme des Poeten: ,,In der Poesie bezeichnen Quanten die zahllosen versprengten Lichteinfälle. Sie sind die kleinsten belebten Einheiten der Gedichte.``

,,Was wirkt hier eigentlich so belebend auf mich ein?`` wunderte sich Sofie im Stillen. Gierig trank sie einen großen Schluck Wein, stand behutsam auf und tastete sich durch die Wohnung. Mit einem langen Seufzer und leichtem Schwindel fiel sie entspannt auf ein Bett.

,,Das Sein bestimmt das Bewußtsein``, wiederholte Hilde die Marx'sche These des Dichters. Ihre Worte schienen ewig unterwegs zu sein ...

,,Momentan ist der Wein unser Sein``, sagte der Poet schmunzelnd.

,,Ob es eine Quantentheorie des Bewußtseins gibt?`` fragte sich Hilde nachdenklich.

Der Dichter sah sie spitzbübisch an und erhob sich: ,,Einfach mal wieder zwei mondbleiche Tittenpuddinge auf den Handtellern tanzen lassen``, erheiterte er sich und strebte ins Schlafzimmer.

,,Ich werde Hirnforscherin``, rief Hilde aus und erschrak über sich selbst. Silberglänzend lugte der Mond zwischen Wolkenfahnen hervor. Sie trat an die Brüstung. Vom Strand leuchtete rötlicher Feuerschein herüber. ,,Feuer und Wasser, Liebe und Haß, Vereinigung und Trennung ... ``, dachte sie und - sehnte sich nach Niels.

Die Mädels saßen am Bug einer Schute. In ihren Haaren spielte der Wind. Monoton tuckerte der Diesel. Spritzend zerteilten sie das Elbwasser stromaufwärts. Niemand auf dem Schiff nahm Notiz von ihnen. In der Morgendämmerung waren sie einfach an Bord gegangen. Die Sonne stand bereits tief im Westen. Hilde hatte den Lebenslauf auf dem Schoß. ,,Wir müßten bald in die Havel einbiegen``, sagte sie und blickte Sofie erwartungsvoll an. Die war den ganzen Tag über ziemlich wortkarg gewesen. Wehmütig schaute sie zumeist in die Ferne. Kurz vor Havelberg knickte der Elbelauf nach Süden in Richtung Magdeburg ab. Die Schute verlangsamte ihre Fahrt und bog geradewegs in die Havel ein. Mit Einbruch der Dunkelheit sahen sich die beiden nach einer Schlafgelegenheit um. Über aufgerollten Tauen breiteten sie eine Plane aus und machten es sich bequem.

,,Reich doch mal das Tauende rüber.`` Hilde schreckte hoch und spürte unter sich das Abwickeln der Rolle. Verwirrt sah Sofie sie an. Die beiden sprangen auf und sahen sich um. Die Schute hatte gerade festgemacht. Sie liefen über den Anleger ans Ufer. An der Böschung ließen sie sich ins taufeuchte Gras fallen. Sofie blickte in die Zweige einer Trauerweide. ,,Mist!`` hörte sie Hilde fluchen, ,,ich hab' meinen Rucksack liegen lassen.`` Trauerweiden kitzeln meinen Augenrand erinnerte Sofie entrückt und zog sich die Böschung hoch. Entgeistert blickte Hilde ihr nach. Sofie sprang auf und rief: ,,Schön ist es hier. Laß uns am Ufer weitergehen.`` Vielfältiges Blattgrün fächerte die Morgensonne. ,,Ich fühle mich wie neugeboren``, freute sie sich und lief in die Sonne. Gleich einer Elfe spielte sie mit den Lichtfingern. Als sie wieder ans Ufer traten, breitete sich Schilf vor ihnen aus. An seinem Rand schaukelte sanft ein Boot im See. Die Mädels blickten sich an. Kurzentschlossen wateten sie ans Schiff. Tümmler entzifferte Hilde am Bug. Das Boot schien leer. Voll Übermut sprangen sie hinein. ,,Aua!`` vernahmen sie überrascht die vertraute, aber empörte Stimme Albertos. Sofie fiel ihm flugs um den Hals. Benommen blinzelte er in die Morgensonne.

,,Wolltest Du nicht nach Bern?`` fragte Hilde sogleich.

,,Ich muß eingeschlafen sein``, sagte er wie zur Entschuldigung. ,,Na, Sofie, geht's Dir gut?`` Mit Freudentränen schmiegte sie sich an ihn.

,,Sofie hat sich in die Lyra verliebt. Ich hatte Mühe, ihren Zauber zu bannen``, klärte Hilde Alberto auf, indem sie vielsagend lächelte. Nach einer Pause fuhr sie fort: ,,Da Niels dem Higgs-Teilchen auf der Spur ist, wollten wir uns in Berlin umschauen.``

,,Und mir war nach Sommerfrische zumute``, entgegnete Alberto, nachdem er sich behutsam von Sofie befreit hatte. ,,Ich logiere in Einsteins ehemaligem Landhaus in Caputh. Das hier ist sein Segelboot, von dem er sich gern in Flauten gedankenversunken dahintreiben ließ. Ich habe noch Proviant an Bord``, fuhr er fort. ,,Beim Frühstück erzählt ihr mir, wie es euch ergangen ist. Anschließend können wir mit dem Studium Einsteins fortfahren. Niels hat mich auf dem Laufenden gehalten.``

Nachdem die beiden Albertos Vorräte geplündert und (fast) alles erzählt hatten, drängte es Sofie ins kühle Naß. Mit weit ausholenden Zügen schwamm sie auf den Havelsee hinaus. Sinnend blickte Hilde ihr nach. Alberto hatte sich unterdessen an den Bootsrand gesetzt und spielte mit den Füßen im Wasser. Hilde drehte sich um: ,,Was ist eigentlich das Higgs-Teilchen?`` fragte sie forschend.

Alberto dachte eine Weile nach, bevor er langsam zu antworten begann: ,,Das Teilchen ist nach dem Physiker Higgs benannt, der einen Mechanismus ersann, den Austauschteilchen der elektroschwachen Wechselwirkung Massen zu verleihen; und zwar aus der bei einem Phasenübergang freiwerdenden Energie.``

,,Dann erwachsen Massen nicht nur der Wechselwirkung energiereicher Strahlung?``

,,Ganz recht. Neben den von Dir angesprochenen sogenannten dynamischen Massen der Teilchen könnte es zudem Massen geben, die einem Phasenübergang des Vakuums entspringen. Das Vakuum ist wahrscheinlich sehr viel mehr als nichts.``

,,Wie im Frost auf dem Wasser Eisblumen wachsen?`` fragte Hilde.

,,So kannst Du Dir das vorstellen. In der Frühzeit des Universums kühlte sich der Energieblitz mit zunehmender Dehnung ab. Bis dem Higgs-Feld die Quanten ausfroren.``

,,D.h. im Vakuum gibt es womöglich ein Energiefeld, das bei einem Phasenübergang als Feldquant das Higgs-Teilchen erzeugt?``

,,Genau. Und diesem Teilchen sind die Physiker auf der Spur. Sein Energieäquivalent wird bei über 200 Giga Elektronenvolt (GeV) vermutet. Das ist die Energie, die ein Elektron beim Durchlaufen einer Spannungsdifferenz von 200 Milliarden Volt ... ``

Platsch! Das Gespräch wurde jäh unterbrochen. Hilde verschwand urplötzlich im See. Kurz darauf tauchte sie prustend wieder auf. Erheitert verfolgte Alberto den Übermut der Mädels im Wasser. Außer Atem zogen sie sich an der Bordwand hoch und plumpsten erschlafft ins Boot. Für einige Zeit trat Ruhe ein. Alberto schaute auf den See hinaus. Segler und Ruderboote hoben sich vom Wasser ab. ,,Wir können anfangen``, vernahm er Sofies Stimme und spürte ihren Blick auf sich ruhen. Er wandte sich um. Die beiden hatten es sich im Boot gemütlich gemacht und schauten ihn erwartungsvoll an.

,,So läßt es sich aushalten``, hob er an. ,,Einstein weilte allerdings nur drei Jahre hier. Von 1929 bis 1932. Im Januar 1933 besuchte er das California Institute of Technology und kehrte nie mehr nach Deutschland zurück. 1914 war er nach Berlin gezogen. Mit gemischten Gefühlen. Denn bereits 1901 hatte er die Schweizer Staatsbürgerschaft angenommen. Dem preußischen Obrigkeitsstaat stand er ablehnend gegenüber. Andererseits reizten ihn natürlich die Arbeitsmöglichkeiten an der Humboldt Universität. Vielleicht gab aber seine (zukünftige) zweite Frau den Ausschlag. Sie lebte seit langem in Berlin. Als Jude hatte er auch in der Schweiz Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche. So betätigte er sich als Hauslehrer und arbeitete zwischen 1902 und 1908 im Berner Patentamt. Die Stelle hatte er aber nur durch Vermittlung eines Freundes bekommen. Mit dem Anwachsen des Antisemitismus in Deutschland wurde Einstein zunehmend Zielscheibe öffentlicher Angriffe und persönlicher Bedrohungen. Sein offenes Eintreten für die Republik und seine Sympathie für den Sozialismus brachte natürlich die Faschisten gegen ihn auf. Selbst hat er sich einmal als Gefühlssozialisten bezeichnet.

Durch die experimentelle Bestätigung der von ihm vorhergesagten Lichtablenkung im Schwerefeld der Sonne wurde er 1919 weltberühmt. Er nutzte seine Popularität für öffentliche Auftritte, Kundgebungen und Vortragsreisen rund um die Welt. Als er 1922 den Nobelpreis bekam, bereiste er gerade Japan. Bemerkenswerterweise erhielt er den Preis aber nicht für die Relativitätstheorie, sondern insbesondere für die Photonenhypothese. Die Relativitätstheorie galt als zu spekulativ und wurde zudem mit moralischem Relativismus in Verbindung gebracht.``

,,Dabei zählt in ihr gerade die Invarianz als Grundprinzip``, warf Hilde ein.

,,Unter dem Einfluß der Faschisten galt die Relativitätstheorie in Deutschland als semitisch entartete Wissenschaft. Es wurden sogar Versuche einer Deutschen Physik begonnen.``

,,Welch ein Unsinn``, entfuhr es Sofie, ,,nationale physikalische Sätze sind doch ein Widerspruch in sich.``

,,Du sagst es``, fuhr Alberto fort. ,,So nimmt es nicht Wunder, daß fast die gesamte künstlerische und wissenschaftliche Elite auswanderte. Einstein ließ sich 1935 in Princeton nieder, wo er bis zu seinem Tod 1955 am Institute for Advanced Studies wirkte. Neben seiner Arbeit an der einheitlichen Feldtheorie engagierte er sich für Pazifismus und Zionismus, dem Streben der Juden nach einem eigenen Staat. Sein Haß der Faschisten veranlaßte ihn 1939 zum Schreiben eines folgenschweren Briefes an den amerikanischen Präsidenten Roosevelt, in dem er den Anstoß zum Bau der Atombombe gab.``

,,Ein Pazifist stößt den Bau der Atombombe an``, warf Sofie kopfschüttelnd ein.

,,Und was wäre geschehen, wenn Hitler die Bombe zuerst gehabt hätte?`` erwiderte Hilde aufgebracht.

,,Im Nachhinein läßt sich leicht urteilen``, vermittelte Alberto. ,,Wie die Schwierigkeiten des Manhatten Projekts gezeigt haben, waren die Faschisten nicht in der Lage, die Atombombe zu bauen. 1939 konnte das aber noch niemand sicher ausschließen. Deshalb halte ich Einsteins Anstoß zu der Zeit für gerechtfertigt. Später hat er sich entschieden gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe gewandt und klar die Gefahr des Wettrüstens und des Waffenhandels vorhergesehen.``

,,Wie hat er denn auf die Abwürfe der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki reagiert?`` fragte Sofie.

Ich beging einen großen Fehler in meinem Leben als ich den Brief an Präsident Roosevelt unterschrieb, in dem ich die Herstellung von Atombomben empfahl. Doch bestand eine gewisse Rechtfertigung - die Gefahr, daß die Deutschen sie herstellen würden zitierte Alberto.

,,Angesichts der von Hitler angestrebten Weltherrschaft nur zu verständlich``, warf Hilde ein.

,,Nichts ist praktischer als eine gute Theorie``, dachte Sofie laut.

,,Hatte Einstein auch direkt an der Entwicklung der Bombe mitgewirkt?`` wollte Hilde wissen.

,,Nein``, erwiderte Alberto. ,,Er hatte sich wissenschaftlich isoliert und galt als politisch unzuverlässig. In den USA formierten sich bereits die Antikommunisten. Ein Gefühlssozialist war ihnen natürlich verdächtig. Nach Kriegsende geriet sogar der wissenschaftliche Leiter des Manhatten Projekts , Robert Oppenheimer , unter den Verdacht antiamerikanischer Umtriebe, wie es damals hieß. Auf Betreiben des reaktionären Senators McCarthy verloren in den 50ern zahlreiche linksliberale Intellektuelle ihre Arbeitsmöglichkeiten. In Deutschland führte der Antikommunismus zu einer fatalen Rechtsblindheit. Ähnlich wie schon nach dem 1. Weltkrieg wurden vornehmlich Linke verfolgt. Demgegenüber gelangten sogar vormalige Faschisten wieder in Amt und Würde. Bis heute tut man sich hier schwer, den 8. Mai 1945 als Befreiung vom Faschismus zu feiern.``

,,Kein Wunder, daß Einstein mit den Deutschen nichts mehr zu tun haben wollte``, ergänzte Hilde.

,,Mit dem Humanisten Niels Bohr hat er sich trotz aller philosophischen Differenzen sehr gut verstanden``, fuhr Alberto fort. ,,Über ihre fruchtbaren Diskussionen der ontologischen und erkenntnistheoretischen Folgerungen aus der Quantentheorie werde ich Euch im Landhaus unterrichten.``

Alberto setzte die Segel, richtete sie aus und nutzte geschickt die seichte Brise zur Fahrt auf den See hinaus.

Next: Niels Bohr Up: Die Rätsel der Welt Previous: Ludwig Wittgenstein

Ingo Tessmann
Sun Aug 4 20:28:20 MESZ 1996