Die Zweite Heimat

KUNST ODER LEBEN. Hermann und Clarissa, 1970. Hermann im Tumult des Oktoberfestes. Die Situation ist mehr `was für Familienmenschen: Ich aber haßte diese Nähe, die sich selbstverständlich gab, aber eigentlich genau das Gegenteil war: das Niederwalzen aller Gefühle mit dem Gewicht des Alltäglichen. Hermann plagen Zweifel an seiner Zukunft und seinem Talent. In all dem Trubel kommen ihm Zeilen Hesses in den Sinn:

Voll von Freunden war mir die Welt,
als mein Leben noch licht war.
Nun, da der Nebel fällt,
ist keiner mehr sichtbar.

Das Fest versinkt im Chaos randalierenden Nazi-Pöbels. Später beim Bier in der Kneipe beichtet der Kameramann von der Isarfilm Hermann seine NSDAP-Jugendsünden ... Hermann sieht seine Musiker-Freunde das Lokal verlassen. Er rennt ihnen hinterher. Aber sie sind nur mit sich selbst beschäftigt: Dieser Auftritt der Freunde bewies mir alles. Das konnten keine Lebewesen sein aus Fleisch und Blut. Sie waren Theaterfiguren, verblendet in ihrem Künstlerwahn. Ausgedacht für dekadente Bildungsbürger.

Die Nacht verbringt Hermann allein ein seiner Wohnung. Er bekommt Heimweh. Gegen halb drei klingelt Alex, um Alkohol zu schnorren. Er macht einen ziemlich heruntergekommenen Eindruck und redet vom Jahrhundert der Frauen. Hermann vermittelt er jedenfalls das Bild des untergehenden Mannes.

Konsul Handschuh, Chef der Isarfilm, lädt Hermann zu sich ein und bietet ihm das Erbe seiner Firma an. Hermann ist zu verblüfft, um sich gleich entscheiden zu können. Er bittet sich Bedenkzeit aus; zumal ihm auch der Kameramann ein lukratives Angebot für eine eigene Firma angeboten hatte. Hermann braucht einen Rat. Zögernd betritt er das Haus, indem Clarissa wohnt. Aber sie ist nicht da, sondern auf Tournee.

Hermann macht sich auf den Weg zur Hexenpassion - Melodrama in sieben Gesängen. Im Zug nach Heidelberg sieht er sich - sich selbst gegenübersitzen, wie er vor zehn Jahren nach München kam und im Steppenwolf las. Wie in Hypnose sieht er sich vor dem Magischen Theater stehen und das Spiel des Lebens spielen. Nach einer Irrfahrt durch Erinnerungen und Träume, verfolgt von den Gespenstern seiner Vergangenheit, gelangt er endlich ins Melkweg, Amsterdam. Nicht nur kunstvolle Gesänge erwarten ihn, sondern auch die Körper der sieben Frauen seines Lebens ...

Die Nacht verbringt er - mit Clarissa: Sie liegen, umgeben von Kleiderfetzen, nackt auf dem blanken Boden - merkwürdig verrenkt und vom Mondlicht ausgebleicht. Die beiden Körper sind so regungslos, daß man sie für tot halten könnte. Es scheint, als ob die beiden Liebenden nicht einmal atmen. Es ist der kleine Tod, wie die Franzosen den Höhepunkt des Liebesspiels nennen, der sie so dahingestreckt hat.

Als sie erwachen, fühlen sie sich endlich frei für einander, ohne die anderen. Doch Hermann ist schon bald wieder auf der Flucht - in dieses bedrückend enge, beschränkte, hoffnungslose, nach Scheiße stinkende Terrain, das wir Heimat nennen!

Unterwegs kommen ihm einige Zeilen der Hexenpassion in den Sinn:

Dein Herz ist wie die Nacht so hell,
ich kann es sehn,
du denkst an mich,
es bleiben alle Sterne stehn.