DIE ZEIT DER ERSTEN LIEDER,
stand in großen Lettern auf der Leinwand. Untermalt von sehnsuchtsvoll
lyrischen Klängen war die Totale Münchens
zu sehen. Pieter hatte Sofie davon erzählt. Sie schaute ihn verstohlen
von der Seite an. Interessiert folgte er dem Film. Chronik einer Jugend in
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Hermann, Herbst 1960.
Sie hatten mir meine erste, meine einzige Liebe zerstört,
sagte
Hermann bekümmert. Der Schauspieler Henry Arnold gefiel ihr. Seine
wachen, dunklen Augen, die weiche Stimme. Hermann kniete am Bett und
gelobte.
Erstens: Mit der Liebe soll es für alle Zeiten vorbei
sein. Zweitens: Ich schwöre, daß ich aus Schabbach und dem fürchterlichen
Hunsrück fortgehe. Drittens: Die Musik soll meine einzige Liebe sein und
meine Heimat.
Schabbach, dachte Sofie, was muß das für ein Kaff gewesen
sein? Langsam übertrug sich Hermanns Traurigkeit auf sie. Schräg vor ihr
saßen Chris und Janet, innig umarmt ...
Ich ging, hörte sie
Hermann sagen, und war eiskalt in der Seele.
Ich wollte nach München.
Das war für mich die Stadt der Künste, ... Endlich entschied ich allein,
was gut war oder böse, was schön, was erlaubt sein müßte... Ich wurde
zum zweien Mal geboren, diesmal nicht aus meiner Mutter, sondern aus
meinem eigenen Kopf. Ich zog aus, suchte ,,meine zweite Heimat``.
Sofie hatte Mühe, ihre Tränen zu unterdrücken. Wie schnell sich Pläne
zerschlagen konnten... Hermann saß unterdessen im Zug und unterhielt
sich mit einem älteren Fahrgast.
Ich kann mir nicht vorstellen,
älter als dreißig Jahre zu werden. Sind Sie Jesus? Nein! Aber wenn
Jesus fünfzig geworden wäre, dann wäre seine Religion nur eine
Jugendsünde gewesen und sonst gar nichts.
Allgemeine Heiterkeit. Sofie
mußte mitlachen.
Langsam tauchte sie in den Filmroman ein und überließ sich seiner Stimmung.
Am nächsten Tag wandelte Hermann, noch schüchtern, durch die Hallen der
Musikhochschule. An einer Treppe sah er eine Studentin die Stufen herunterkommen,
die sofort seinen Blick fesselte. Sie trug einen Cellokasten und war eine
Frau mit langen, dunklen Haaren und braunen Augen. Sie erwiderte Hermanns
Blick. Aber er rannte davon...