Ein formales System, das man in geeigneter Weise interpretieren kann, um einen Sachbereich angemessen zu erfassen, sollte sowohl konsistent wie auch vollständig sein. D.h. jedes ableitbare Theorem sollte in der vorgenommenen Interpretation einen wahren Satz ergeben, und alle wahren Sätze des Interpretationsbereiches sollten sich formal ableiten lassen. Kurt Gödel hat mit seinem 1931 veröffentlichten Unvollständigkeitstheorem gezeigt, daß diese Ansprüche i.a. unerfüllbar sind, da jedes formale System, das stark genug ist, um die Zahlentheorie zu formalisieren, prinzipiell unvollständig ist: Es gibt wahre Sätze, die sich nicht formal ableiten lassen. Die zunächst vermutete Äquivalenz zwischen Wahrheit und formaler Ableitbarkeit erwies sich damit als falsch. Die Frage danach, was uns berechtigt, einen Satz für wahr zu halten, der sich nicht ableiten läßt, ist u.a. damit beantwortet worden, daß wir aufgrund der vorgenommenen Interpretation des formalen Systems die Bedeutung des Satzes verstehen und uns dadurch von seiner Wahrheit überzeugen können. In neuerer Zeit hat vor allem Roger Penrose den Gödelschen Unvollständigkeitssatz als Argument in die Debatte um die Vergleichbarkeit der Fähigkeiten von Menschen und Maschinen (als Realisierung formaler Systeme) eingebracht:
Gödels Argument dreht sich vor allem um Verstehen. Es zeigt uns, wie man aus einem formalen System zu einem System außerhalb desselben kommt, indem man versteht, worüber das formale System etwas sagt. Es hat mit der Frage der Bedeutung von Symbolen zu tun, einer Dimension, die komputationale Systeme nicht besitzen: Ein komputationales System hat nur die Regeln, denen es folgt. Was man in der Mathematik machen kann, ist, über diese formalen Regeln hinauszugehen, indem man die Bedeutung der Symbole versteht und sieht, welche neuen Regeln auf diese Dinge anzuwenden sind. [1]