Wir glauben, daß die Rolle, die der Pazifist und Humanist Albert Einstein beim Bau der Atombombe spielte, nur aus seinen Erfahrungen in der Weimarer Republik und seiner Haltung gegenüber dem Faschismus verstanden werden kann. Der reaktionäre Justizapparat der Weimarer Republik ermunterte durch seine Einäugigkeit nationalistische und faschistische Elemente dazu, mit politischen Gegnern aufzuräumen. So wurde die Ermordung Rosa Luxemburgs kaum verfolgt, konnte sich Antisemitismus frei entfalten.
Zu Beginn des Jahres 1920 machte sich der erste organisierte Protest gegen Einstein bemerkbar: Studenten störten seine Vorlesung an der Berliner Universität. Einstein brach seinen Vortrag ab und verließ den Hörsaal. Die Hetze wurde angeführt von einer Gruppe Antisemiten, die sich unter der Bezeichnung Arbeitsgemeinschaft deutscher Naturforscher zur Erhaltung reiner Wissenschaft zusammengeschlossen hatten. Einer der Drahtzieher war der Experimentalphysiker Philipp Lenard. Im August 1920 veranstaltete die Arbeitsgemeinschaft in der Berliner Philharmonie eine Kundgebung gegen die Relativitätstheorie, die in antisemitischen Morddrohungen endete. Bald wurde sogar zweimal in einer Berliner Zeitung zum Mord an Einstein aufgerufen! Einen Höhepunkt fand der antisemitische und gegen Demokraten gerichtete Terror mit der Ermordung Erzbergers und des Außenministers Rathenau. Auch Einsteins Sicherheit war bedroht, und er wurde von Kollegen aufgefordert, Berlin zu verlassen.
Wohl auch wegen dieser unsicheren Lage unternahm Einstein in dieser Zeit viele Reisen ins Ausland, so im Jahre 1921 seine erste USA-Reise. International hatte seine Popularität durch die Bestätigung einiger Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie unterdessen ihren Höhepunkt erreicht. Im eigenen Land mußte er im September 1922 seine Rede zur Hundertjahrfeier der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte wegen der Morddrohungen absagen.
Mit der Machtergreifung der Faschisten in Deutschland wandelte sich Einsteins Einstellung zum Pazifismus: ,,Bis 1933 habe ich mich für die Verweigerung des Militärdienstes eingesetzt. Als aber der Faschismus aufkam, erkannte ich, daß dieser Standpunkt nicht aufrechtzuerhalten war, wenn nicht die Macht der Welt in die Hände der schlimmsten Feinde der Menschheit geraten soll. Gegen organisierte Macht gibt es nur organisierte Macht; ich sehe kein anderes Mittel, so ich es auch bedaure``(54., S. 84). Er ging sogar noch weiter, indem er in der ersten Wut die Belgier aufforderte, ihr Land mit der Waffe zu verteidigen. Im März 1933 sprach Einstein als Bekenntnis die Worte: ,,Solange mir eine Möglichkeit offensteht, werde ich mich nur in einem Lande aufhalten, in dem politische Freiheit, Toleranz und Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz herrschen. Zur politischen Freiheit gehört die Freiheit der mündlichen und schriftlichen Äußerung politischer Überzeugung, zur Toleranz die Achtung vor jeglicher Überzeugung eines Individuums. Diese Bedingungen sind gegenwärtig in Deutschland nicht erfüllt. Es werden dort diejenigen verfolgt, die sich um die Pflege internationaler Verständigung besonders verdient gemacht haben, darunter einige der führenden Künstler ... ``(8., S. 81).
Die gleichgültige Haltung seiner Kollegen war ihm unverständlich: ,,Deine Ansicht, daß der wissenschaftliche Mensch in den politischen, d.h. menschlichen Angelegenheiten im weiteren Sinne, schweigen soll, teile ich nicht. Du siehst ja gerade an den Verhältnissen in Deutschland, wohin solche Selbstbeschränkung führt. Es bedeutet, die Führung den Blinden und Verantwortungslosen widerstandslos überlassen. Steckt nicht Mangel an Veranwortungsgefühl dahinter?``(54., S 86). Da er sich zur Zeit der Machtergreifung gerade im Ausland aufhielt, kehrte Einstein nicht nach Deutschland zurück, sondern ging in die politische Emigration in die USA. Er hat es bis an sein Lebensende weder den deutschen Kollegen noch den Deutsche allgemein verziehen, was sie getan oder zugelassen, auf jeden Fall aber zu verantworten haben.
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Ingo Tessmann