Einsteins bedingungsloses Eintreten für Frieden und Völkerverständigung fand seine Fortsetzung in der Haltung auf gesellschaftspolitischem Gebiet. Zwar war Einstein kein Marxist, doch hat er sich einmal selbst als ,,Gefühlssozialisten`` bezeichnet, und dies ist wohl seine treffendste Bezeichnung für seine politischen Einstellungen.
Die Gedanken zum wissenschaftlichen Sozialismus waren ihm fremd, es ist wahrscheinlich, daß er sie als eine Art Religionsersatz angesehen hat (auch wenn uns direkte Hinweise dazu fehlen). Jedoch blieb er nicht bei einem abstrakten Humanismus stehen, sondern machte sich sehr wohl sein Bild von einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaftsordnung: ,,Die wirtschaftliche Anarchie der kapitalistischen Wirtschaft von heute ist meiner Meinung nach die wahre Quelle``der sozialen Mißstände. ,,Die Produktion arbeitet für den Profit, nicht für den Verbrauch. Es sind keine Vorkehrungen getroffen, daß alle Arbeitsfähigen und -willigen stets eine Stellung finden; fast immer wird eine Armee von Arbeitslosen bestehen. Der Arbeiter lebt ständig in der Angst, seine Arbeit zu verlieren. ... Ich bin überzeugt, um diesen schweren Mißständen abzuhelfen, gibt es nur ein Mittel, nämlich die Errichtung einer sozialistischen Wirtschaft mit einem Erziehungssystem, das auf soziale Ziele abgestellt ist. In einer solchen Wirtschaft gehören dann die Produktionsmittel der Gemeinschaft, die sie nach einem bestimmten Plan benutzt. Man würde in einer solchen Planwirtschaft die Produktion den Bedürfnissen der Gemeinschaft anpassen, die zu leistende Arbeit unter die Arbeitsfähigen verteilen und jedem, Mann, Frau und Kind, den Lebensunterhalt garantieren. In der Erziehung würde man dafür sorgen, in jedem einzelnen neben seinen Gaben auch das Verantwortungsgefühl gegenüber seinen Mitmenschen zu pflegen und nicht wie in unserer heutigen Gesellschaft Macht und Erfolg zu verherrlichen`` (52., S. 131ff).
Bei allem Respekt klingt aus diesen Sätzen doch ein nicht geringes Maß an Naivität; als ob der Aufbau des Sozialismus ein problemloses Zuckerschlecken sei. Aber ganz so einfach ist es doch nicht: ,,Trotz allem darf man nicht vergessen, daß eine Planwirtschaft noch kein Sozialismus ist. Eine Planwirtschaft als solche kann auch eine vollständige Versklavung des einzelnen mit sich bringen. Der Sozialismus muß zuallererst einige äußerst schwierige sozialpolitische Fragen lösen, z.B.: Wie läßt es sich angesichts der weitreichenden Zentralisierung der politischen und wirtschaftlichen Macht vermeiden, daß die Bürokratie zu mächtig und anmaßend wird? Wie schützt man die Rechte des einzelnen? Wie bildet man aus ihnen ein demokratisches Gegengewicht gegen die Bürokratie?`` (ebd.)
Diese zuerst 1949 erschienenen Sätze sind deutlicher Reflex auf die Fehlentwicklungen und Probleme im Sovjetsozialismus. Einstein hat sich offensichtlich nicht, wie viele andere, von der Notwendigkeit des Sozialismus abbringen lassen. Die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit in der Person Albert Einstein, zusammenhängend mit seiner sozialen Haltung, hat er selbst wieder am besten beschrieben: ,,Mein leidenschaftlicher Sinn für soziale Gerechtigkeit und soziale Verpflichtung stand stets in einem eigentümlichen Gegensatz zu einem ausgesprochenen Mangel an unmittelbares Anschlußbedürfnis an Menschen und menschliche Gemeinschaften. Ich bin ein richtiger Einspänner ... `` (8., S. 8, 1930).
Nach diesen generellen Statements soll kurz auf die Haltung Einsteins zu den beiden wichtigen Revolutionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingegangen werden. Nachdem die ausweglose Lage den deutschen Generalstab 1918 zur Kapitulation gezwungen hatte, erreichten streikende Arbeiter und den Gehorsam verweigernde Soldaten die Abdankung des Kaisers und die Ausrufung der Republik durch einen widerstrebenden Friedrich Ebert. Die folgenden revolutionären Betrebungen der Arbeiter wurden von der sozialdemokratischen Staatsführung mit Hilfe der alten Reichswehr und nationalistischer Freikorps blutig niedergeschlagen (das bedeutete eine Spaltung der Arbeiterklasse in zwei Strömungen); und der reaktionäre kaisertreue Beamtenapparat wurde in die neue Republik übernommen. Obwohl der Privatbesitz an Produktionsmitteln nicht angetastet wurde, konnten sich in einigen Bereichen demokratische Umwandlungen halten.
Uns sind keine Äußerungen Einsteins zur Niederschlagung der Revolution bekannt, doch stand er den Veränderungen des Winters 1918/19 aufgeschlossen gegenüber (53., S. 189f) und mokierte sich über seine Kollegen, die sich von der Entwicklung bedroht fühlten oder sie sogar wie W. Wien aktiv bekämpften. Einstein war nicht Mitglied irgendeiner Partei, stand aber wohl der USPD nahe. Im Frühjahr 1920 wurde der Kapp-Putsch durch einen Generalstreik und bewaffneten Widerstand der Arbeiterschaft vereitelt. Das Scheitern des Putsches wurde von Einstein freudig begrüßt: ,,Wir sind froh darüber, daß der jüngste reaktionäre Putsch so jämmerlich fehlgeschlagen ist``(6.). In den zwanziger Jahren hielt er wiederholt Vorträge in der Marxistischen Arbeiterschule der KPD, vornehmlich zu Themen wie: ,,Warum braucht der Arbeiter die Relativitätstheorie? ``
Das Verhältnis Einsteins zur Sovjetunion war zwiespältig und hat sich im Laufe der Zeit geändert. Zunächst bewunderte er Lenin und begrüßte den Aufbau des Kommunismus (53., S. 39), ohne jedoch die konkrete Vorgehensweise in allen Punkten gutzuheißen. Später wurde seine Ablehnung grundsätzlicher, und er machte deutlich, daß er die parlamentarischen Demokratien dem Sozialismus in der UdSSR vorzog. 1921 unterzeichnete er den Aufruf des Auslands-Komitees zur Organisierung der Arbeiterhilfe für die Hungernden in Rußland, 1923 trat er in die Gesellschaft der Freunde des neuen Rußland ein, einer Organisation, die sich um freundschaftliche Beziehungen zwischen Deutschen und Sovjets, insbesondere auf kulturellem und wissenschaftlichem Gebiet bemühte.
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Ingo Tessmann