Next: Über dieses Dokument ... Up: Zur Vereinheitlichung der Philosophie Previous: Vom Konstruktivismus zur Struktur

Zur Perspektive einer vereinheitlichten Philosophie

In der Perspektive einer wissenschaftlichen Weltanschauung geht es mir darum, pseudowissenschafliches Wunschdenken mit wissenschaftlicher Methodologie zu verbinden. Wie bereits einleitend bemerkt, werde ich die skizzierten Lager und zitierten Personen auf ihre Gemeinsamkeiten hin interpretieren. Die Suche nach Invarianten und Optimierungen natürlicher Vorgänge und gesellschaftlicher Veränderungen vermag Wissenschaft und Philosophie gleichermaßen zu fundieren. Aufgrund des offensichtlichen Erfolgs von Invarianzforderungen und Optimierungsstrategien in den Natur- und Ingenieurwissenschaften, ist es an der Zeit, sie auch auf Philosophie und Sozialwissenschaften zu übertragen. Erlanger Konstruktivisten, Kopenhagener Komplementaristen sowie Stuttgarter Synergetiker haben damit bereits begonnen.

Die knapp skizzierten Lager und Personen seien mit ihren Kernthesen vorab wiederholt.

Bevor ich die Lager in einer gemeinsamen Halle unterzubringen versuche, will ich die Gräben nicht verschweigen, die von den Lagerverwaltern selbst gerne ausgehoben werden.

Da sind zunächst die Betonköpfe des orthodoxen Marxismus zu nennen, die eine vereinheitlichte Philosophie nur nach der Überwindung des Kapitalismus für möglich halten. Den Burggraben um die Lagermauern der Frankfurter vertiefen aber auch Aufklärungskritiker, die sich nach der Geistesaristokratie einer absolutistischen Ständegesellschaft zurücksehnen oder in die postmoderne Beliebigkeit eines naiven Relativismus flüchten.

Den Graben um die Kopenhagener heben Modellplatonisten und Instrumentalisten weiter aus. Die einen produzieren mathematische Modelle und unterstellen Strukturisomorphien zwischen Modell und Realität. Die anderen bescheiden sich mit dem praktischen Erfolg beim Experimentieren und technischem Konstruieren.

Die Problemlöse-Strategen umpflügen ihren Acker mit der Gebetsmühle des Münchhausen-Trilemmas. Danach sollen Begründungen angeblich nur zirkulär, dogmatisch oder infinit sein können. Daß sprachlich-deduktive Ableitungen prinzipiell unvollständig bleiben, hat allerdings schon Gödel gezeigt. Hätte Popper die Tischlerei gerafft, wäre ihm aufgefallen, daß Dinge ohne viel Gerede einfach zueinander passen können. Die Sorgfalt des Handwerks war seine Sache nicht. Und so verlegte er sich lieber auf das weniger verbindliche Argumentieren, anstatt sich mit theoretischen Begründungen und praktischen Rechtfertigungen abzuplagen.

Glücklicherweise dienen handwerkliches Können und technische Präzision den methodischen Kulturalisten als Ausgang ihrer Rekonstruktionen. Schauen wir zu, wie grabenfüllend ihr Ansatz ist. Das Programm eines methodischen Kulturalismus, der mit wissenschaftlicher Methodologie die Gesellschaft zu verbessern trachtet, scheint mir am aussichtsreichtsten, um die Einseitigkeiten naiver Naturalismen und Kulturalismen zu überwinden. Dabei ermöglicht es der Rückgriff auf die Struktur technischer Innovationen, das Programm einer wissenschaftlichen Weltauffassung wieder aufzunehmen, ohne allerdings das wissenschaftliche Kind mit dem neopositivistischen Bade auszuschütten. Neben dem primären Interesse an einer wissenschaftlichen Weltanschauung, sind es die im Prinzip der methodischen Ordnung und im Kulturprinzip formulierten Grundannahmen, die an die Stelle des Basis- und Sinntheorems treten. Und die von den Neopositivisten gesehenen Konsequenzen ihrer Theoreme sind gemäß Abstraktions- und Ideationsverfahren durch Invarianz- und Homogenitätsforderungen sowie der Struktur technischer Innovationen folgend durch Optimierungsverfahren zu ersetzen. Invarianzen und Optimierungen stellen nicht nur eine vereinheitlichte Physik in Aussicht, sondern liefern auch die Perspektive zur Vereinheitlichung der Philosophie. Mit Bezug auf die genannten Lager sei die Perspektive kurz erläutert.

Kritische Theoretiker bestimmen das Wesen der Aufklärung durch die Technik. Das ist nicht nur negativ gemeint; denn es geht ihnen zudem um eine Verbesserung der Gesellschaft zum Richtigen hin: unter den gegebenen technischen Bedingungen. Sowohl in Habermasens Universalpragmatik als auch in seiner Theorie kommunikativen Handelns fehlen Reflexionen des materiellen Substrats der Kommunikationen. Mit seinem zeitlogischen Anschluß an die Sprechakttheorie gelingt es Weizsäcker aber, den materiellen und kommunikativen Aspekt des Handelns, kurz Energie und Information, im Quantenbit (Ur) zu vereinigen. Diese auf Invarianzen und Optimierungen beruhende Perspektive ist weit genug, eine Brücke zu schlagen zwischen den Gesellschaftsveränderern der kritischen Theorie, den Problemlöse-Strategen des kritischen Rationalismus und der Praxisbewährtheit des methodischen Kulturalismus.

Da sich auch die Problemlösungen in der Praxis zu bewähren haben, sind es die prädiskursiven und präaktiven Konsense, die einen philosophischen Anfang allererst ermöglichen. Denn auch ein Philosoph hat sich in die umgangssprachlich strukturierte und technisch funktionierende Alltagswelt einzuleben, bevor er mit dem Reflektieren beginnen kann. Dabei bieten ihm die prädiskursiven Konsense einen Mittelweg zwischen überzogenem Letztbegründungsanspruch und einer unaufhebbaren Fraglichkeit von Hypothesen. Und die präaktiven Konsense der technischen Praxisbewährtheit bilden die materielle Basis jeglicher Diskurse. Eine philosophische Vorentscheidung zugunsten irgendeines Lagers ist überflüssig. Denn die Variationsbreite eines naturgesetzlich reagierenden Organismus widerspricht nicht der Freiheitsperspektive einer zwecksetzungsautonomen Person. Und die formalen Abbildungsbeziehungen zwischen einer propositionalen Sprache und der Welt sind weit genug, einer auffordernden Sprache der Kooperation Raum zu lassen. D.h. verständigungsorientiertes und instrumentales Handeln, interaktiver und kognitiver Sprachgebrauch, ergänzen einander in der Doppelstruktur des Handelns. Eine für Dialektiker und Komplementaristen selbstverständliche Einsicht.

Nicht nur das Anfangsproblem, sondern auch das seit Hume immer wieder thematisierte Induktionsproblem läßt sich beiläufig erledigen. Philosophen zerbrechen sich bis heute den Kopf darüber: Wie kann ich aufgrund einzelner Erfahrungen auf alle schließen? Wie kann ich aufgrund einer Messung am bestimmten Ort zu bestimmter Zeit auf den Ausgang anderer Meßergebnisse schließen? Lebewesen lösen das Problem implizit und Physiker explizit durch Invarianzforderungen. Bereits die Newton'sche Mechanik ist Galilei-invariant. D.h. neben der Homogenität und Isotropie von Raum und Zeit , sind Kraftmessungen unabhängig davon, ob sich die Bezugssysteme der Messungen mit konstanter Geschwindigkeit zueinander bewegen. Raum und Zeit werden dabei als absolute Größen angesehen, auf die alle Geschwindigkeiten bezogen werden können. In der Maxwell'schen Elektrodynamik wird die Galilei-Invarianz zur Lorentz-Invarianz verallgemeinert. D.h. die elektromagnetischen Feldmessungen sind unabhängig davon, ob sich die Bezugssysteme der Messungen mit konstanter Geschwindigkeit bzgl. relativierter Raum-Zeit-Koordinaten zueinander bewegen. Und mit der Einstein-Invarianz der allgemeinen Relativitätstheorie (ART) werden die Messungen des Gravitationsfeldes unabhängig davon, ob sich die Bezugssysteme mit beliebiger Geschwindigkeit bzgl. beliebiger Koordinaten zueinander bewegen. Vorhersagen der ART können mit einer relativen Genauigkeit von bis zu 10-14 gemessen werden. Das Induktionsproblem dürfte also mit hinreichender Präzision gelöst sein. Die in den Relativitätsprinzipien vereinigte Raum-Zeit-Invarianz und der damit vereinigte Energie-Impuls-Erhaltungssatz sind es, die das Induktionsproblem erledigen. Denn jede Bestätigung ihrer Folgerungen, liefert auch eine Bergründung für die Annahmen, daß es nicht darauf ankommt, wann und wo Messungen vorgenommen werden.

Der durch die Invarianzforderungen formalisierten Dezentrierungstendenz im phsikalischen Weltbild geht die kulturinvariante Zweckrationalität der Technik voran. Am Beispiel der Techniken von Rad und Draht hebt Janich in seiner Struktur technischer Innovationen die Kumulatitivität der Technikentwicklung hervor. D.h. Technik

In der Technikentwicklung lassen sich Alternativen finden zu den Einseitigkeiten der sprachkritischen, soziologischen und historischen Relativierungen:

Voruntersuchungen zur Kumulativität der nichtherstellenden Praxis des Geldwesens hat bereits Marx vorgelegt. Und Heisenberg hob die Kumulativität der physikalischen Theoriendynamik hervor, die auch an verallgemeinerten Invarianzforderungen aufzeigbar ist, z.B. von der Galilei-Invarianz bis hin zum allgemeinen Relativitätsprinzip Einsteins. Beim Geldwesen sind die Verallgemeinerungen der Tauschwert-Abstraktionen zu nennen, z.B. von der Naturalwirtschaft zur Kreditwirtschaft. Und bei den betrachteten philosophischen Lagern reichen die Invarianzen von der unparteiischen Suche nach der bestmöglichen Problemlösung über die Veränderung der Gesellschaft zum Richtigen hin durch bestmögliche Nutzung der Ressourcen bis hin zum kosmisch-invarianten Ur einer allgemeinen Theorie der Erfahrung.

Auf der Grundlage der angedeuteten allgemeinen Theorie der Erfahrung sollten sich Natur- und Sozialphilosophie verbinden lassen. Die nichtkommutative und nichtlokale Struktur des quantenmechanischen Zustandsraumes stellt einen angemessenen Rahmen zur Verbindung der Individualtität und Totalität sowohl atomarer als auch persönlicher und gesellschaftlicher Zustände dar. Mit den Meßoperatoren gehört das Meßsubjekt bereits zum Formalismus, der damit die Bedingungen seiner Prüfbarkeit enthält. Diese Verbindung von Subjekt und Objekt in einer selbstbezüglichen Theorie ist das Kennzeichen einer kritischen Theorie, die sich keiner Isolierung und Subjektlosigkeit der Erfahrung schuldig macht. Wie formulierte es Horkheimer: Was jeweils gegeben ist, hängt nicht allein von der Natur ab, sondern auch davon, was der Mensch über sie vermag. Eine Objektivierung hat nicht nur in der Sozialforschung, sondern auch in der Quantentheorie eine Unbestimmtheit in der Voraussage inkommensurabler Eigenschaften zur Folge.

Im Rahmen der Synergetik sind bereits Methoden der mathematischen Physik auf die Sozialforschung übertragen worden. Mathematische Modelle individuellen Verhaltens im sozialen Feld werden analog zu den Zustandsänderungen von Elektronen im elektromagnetischen Feld berechnet: Die Mastergleichungen zur Formulierung der Verhaltensdynamik in Populationen folgen aus der statistischen Beschreibung mikrophysikalischer Zustandsänderungen durch die v. Neumann-Gleichung für den statistischen Operator. Dieser phänomenologischen Analogie zwischen den physikalischen Zustandsvektoren im Hilbertraum und dem menschlichen Verhaltensrepertoir könnte eine Entsprechung zwischen den quantenmechanischen Produktzuständen durch Interferenzen und der Überlagerung von Stimmungen im menschlichen Erleben zugrunde liegen. Nicht nur atomare Zustände interferieren, sondern auch Persönlichkeitszustände interagierender Individuen scheinen verschränkt zu sein. Der Realabstraktion durch die Umstellung der Lebenswelt auf die Systemimperative entspräche die Zustandsreduktion durch das Experiment. D.h. der Natur im Experiment erginge es ähnlich wie dem Menschen im Kapitalismus.

Die Optimierungsstrategien der Technik und die Invarianzforderungen methodischer Rekonstruktionen eignen sich gleichermaßen zur Vereinheitlichung von Natur- und Sozialwissenschaften sowie verschiedener Philosophien. Es bleibt zu hoffen, daß dieser theoretische Vereinheitlichungsansatz zur Ausgestaltung der freien Monodoxie beiträgt und praktisch die Diskriminierungen zwischen Geschlechtern, Rassen, Religionen und Klassen abzubauen hilft.

Es dürfte deutlich geworden sein, daß der technische Fortschritt nicht naiv als Gradmesser sozialen Wandels angesehen wird. Nicht die konkreten Ausprägungen der Technik unter dem Diktat der Kapitalverwertung und des Lustprinzips sind gemeint, die z.B. mit der Automobiltechnik und dem Massentourismus die Biospähre zum Technotop wandeln. Vielmehr geht es um die in den Ausprägungen je verbesserten Basis-Technologien der Wandlung, Lagerung und des Transportes von Energien, Materialien und Informationen, die es auf die nichtherstellenden Praxen zu übertragen gilt. Die Informationsgesellschaft könnte z.B. eine Alternative zur Autogesellschaft abgeben.



Next: Über dieses Dokument ... Up: Zur Vereinheitlichung der Philosophie Previous: Vom Konstruktivismus zur Struktur
Ingo Tessmann
4/11/1999