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Zur Wissenschaftsphilosophie Einsteins

In seiner Antrittsrede vor der ,,Preußischen Akademie der Wissenschaften`` behandelt Einstein 1914 die Prinzipien der theoretischen Physik. Das Programm der allgemeinen Relativitätstheorie ist formuliert; der Durchbruch zu einer logisch geschlossenen Form steht aber noch aus: Die Methode des Theoretikers bringt es mit sich, daß er als Fundament allgemeine Voraussetzungen, sogenannte Prinzipe, braucht, aus denen er Folgerungen deduzieren kann. Seine Tätigkeit zerfällt also in zwei Teile. Inspiration beim Finden der Prinzipien und Transpiration beim Herleiten der Folgerungen. Bei der Suche nach den Prinzipien gebe es keine erlernbare Methode, die zum Ziele führt. Der Forscher muß vielmehr der Natur jene allgemeinen Prinzipe gleichsam ablauschen, indem er an größeren Komplexen von Erfahrungstatsachen gewisse allgemeine Züge erschaut, die sich scharf formulieren lassen. Dazu gehören die Hauptsätze der Thermodynamik (Energieerhaltung, Entropiezunahme) ebenso wie die Relativitätsprinzipien in der Elektrodynamik und Gravitationstheorie. In der Quantentheorie dagegen fehle es an Prinzipien: So unzweifelhaft auch erwiesen ist, daß wir die Wärme auf Molekularbewegung zurückzuführen haben, so müssen wir heute doch gestehen, daß wir den Grundgesetzen dieser Bewegung ähnlich gegenüberstehen wie die Astronomen vor Newton den Bewegungen der Planeten. Einstein fahndete beharrlich nach einer Ebene von Ordnung und Gewißheit, die dem Chaos und der Wahrscheinlichkeit auf molekularem Niveau unterliegen müsse.

1918 hat der Physiker mit der allgemeinen Relativitätstheorie als Meisterwerk des zwanzigsten Jahrhunderts etwas ausnehmend Logisches, Formvolles und Klares geschaffen und bereits zur Kosmologie erweitert. Anläßlich des 60. Geburtstages Max Plancks äußert er sich in der Festrede zu den Prinzipien der Forschung. Im Anschluß an die bereits zitierte Charakterisierung des Künstlers und Wissenschaftlers kommt er auf den Beitrag des theoretischen Physikers zum ,,Weltbild`` zu sprechen und folgert: Höchste Aufgabe der Physiker ist also das Aufsuchen jener allgemeinen elementaren Gesetze, aus denen durch reine Deduktion das Weltbild zu gewinnen ist. Zu diesen elementaren Gesetzen führt kein logischer Weg, sondern nur die auf Einfühlung in die Erfahrung sich stützende Intuition. Obwohl kein logischer Weg von den Wahrnehmungen zu den Prinzipien führe, wirke die prästabilierte Harmonie dennoch einschränkend genug, um nicht im Sumpf der Willkür und Beliebigkeit zu versinken. Von Leibniz zieht er dann den Bogen zu Planck: Die Sehnsucht nach dem Schauen jener prästabilierten Harmonie ist die Quelle der unerschöpflichen Ausdauer und Geduld, mit der wir Planck den allgemeinsten Problemen unserer Wissenschaft sich hingeben sehen. ... Eingedenk der von Planck versuchten Rückführung des Wirkungsquantums auf die ,,Vakuumfluktuationen der Nullpunktsenergie`` beschließt Einstein seine Rede mit dem Appell: Möge es ihm gelingen, die Quantentheorie mit der Elektrodynamik und Mechanik zu einem logisch einheitlichen System zu vereinigen.

Als Antrittsrede zur Übernahme einer Professur an der Universität Leiden spricht Einstein 1920 über Äther und Relativitätstheorie . 1921 greift er in einer Festrede anläßlich der traditionellen Geburtstagsfeier für Friedrich den Großen in Berlin unter dem Titel Geometrie und Erfahrung das Problem mit der Geometrie in der Physik auf. 1905 hatte er den Äther in der Elektrodynamik überflüssig gemacht, 1915 dann aber wieder implizit eingeführt. Denn was war das Medium der Gravitationswellen, der ,,Raumzeit-Verzerrungen``, die durch stark veränderliche Energiedichten hervorgerufen wurden und sich mit Lichtgeschwindigkeit im Universum ausbreiteten? Die ,,Raumzeit-Metrik`` bestimmt dabei zugleich Geometrie und Gravitation und legt damit auch den wechselseitigen Zusammenhang zwischen Energiedichte und ,,Raumzeit-Krümmung`` fest. In ungewöhnlich vager Ausdrucksweise stellt Einstein fest: Der Äther der allgemeinen Relativitätstheorie ist ein Medium ohne mechanische und kinetische Eigenschaften, das jedoch die mechanischen und elektromagnetischen Ereignisse mitbestimmt. Geometrie und Raumzeit waren gleichsam physikalisiert und in dem allumfassenden physischen Wirkungszusammenhang des Kosmos einbezogen worden. Und so nimmt es nicht wunder, daß sich unser Genie reflektierend fragt: Wie ist es möglich, daß die Mathematik, die doch ein von aller Erfahrung unabhängiges Produkt des menschlichen Denkens ist, auf die Gegenstände der Wirklichkeit so vortrefflich paßt. Kann denn die menschliche Vernunft ohne Erfahrung durch bloßes Denken Eigenschaften der wirklichen Dinge ergründen? Hierauf ist nach meiner Ansicht kurz zu antworten: Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit. Einstein schlägt deshalb vor, von der rein axiomatischen Geometrie der Mathematiker eine praktische Geometrie für Physiker abzugrenzen. Um dies zu bewerkstelligen, brauche man im Falle der euklidischen Geometrie nur den Satz hinzuzufügen: Feste Körper verhalten sich bezüglich ihrer Lagerungsmöglichkeiten wie Körper der euklidischen Geometrie von drei Dimensionen; dann enthalten die Sätze der euklidischen Geometrie Aussagen über das Verhalten praktisch starrer Körper. Und er folgert: Die so ergänzte Geometrie ist offenbar eine Naturwissenschaft. Im Gegensatz zum ,,Konventionalismus`` seiner frühen Phase, hält er die Frage nach der ,,wahren Geometrie`` des Universums nunmehr für empirisch entscheidbar. Ob das nicht genau genommen ein Zirkelschluß sei, der auch nicht durch Verweis auf eine prästabilierte Harmonie entschärft werden könne, wird unter Wissenschaftstheoretikern bis heute kontrovers diskutiert. ,,Selbstkonsistenzverfahren`` stehen dabei der methodischen Forderung nach einem schrittweisen und zirkelfreien Vorgehen beim Aufbau der Theorie gegenüber. Ich werde darauf zurückkommen.

Über das Das Raum-, Äther und Feldproblem der Physik hat sich Einstein 1930 im ,,Forum Philosophicum`` geäußert. Nach einleitenden Bemerkungen, die sich gegen eine ,,apriorische`` Auffassung im Sinne Kants wenden, faßt der Physiker seine Überlegungen wie folgt zusammen: Vom Sinneserlebnis aus betrachtet scheint ... die Entwicklung des Raumbegriffes an folgendes Schema gebunden zu sein: körperliches Objekt; Lagebeziehungen körperlicher Objekte; Zwischenraum; Raum. Der Raum erscheint bei dieser Betrachtungsweise als etwas in demselben Sinne Reales wie die körperlichen Objekte. Obwohl der Raum als etwas durchaus Reales angesehen werden könne, blieb der Raum im Bewußtsein der Physiker bis in die jüngste Zeit ausschließlich das passive Gefäß allen Geschehens, das am physikalischen Geschehen selbst keinen Anteil hatte. Die Kraftwirkungen vermittelte ein Äther, der den Raum erfüllte und die materiellen Korpuskeln beherbergte: Der Äther galt nur als Sitz aller über den Raum hinweg sich geltend machenden Kraftwirkungen. Seitdem man erkannt hatte, daß bewegte elektrische Massen ein magnetisches Feld erzeugen, dessen Energie ein Modell für die Trägheit abgab, erschien auch die Trägheit als eine im Äther lokalisierte Feldwirkung. Aber dunkel blieben vorerst die mechanischen Eigenschaften des Äthers. Unterschied er sich überhaupt vom Raum? Nur Riemanns Genie, unverstanden und einsam, rang sich schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts zur Auffassung eines neuen Raumbegriffes durch, nach welchem dem Raum seine Starrheit abgesprochen und seine Anteilnahme am physikalischen Geschehen als möglich erkannt wurde. Im Rahmen der allgemeinen Relativitätstheorie wurde das metrische Feld dann zum Gravitationsfeld, mit dem der Äther wieder eingeführt werden konnte. Und so kommt Einstein auch auf den Grundcharakter der modernen Entwicklung der Theorie zu sprechen: Die Ausgangshypothesen werden nämlich immer abstrakter, erlebnisferner. Dafür kommt man aber dem vornehmsten wissenschaftlichen Ziele näher, mit einem Mindestmaß von Hyphothesen oder Axiomen ein Maximum von Erlebnisinhalten durch logische Deduktion zu umspannen. Denn das mathematische Problem der allgemeinen Relativitätstheorie bestand darin, die einfachsten Bedingungsgleichungen zu finden, die invariant unter beliebigen kontinuierlichen Koordinatentransformationen blieben. Die Reichhaltigkeit der Folgerungen aus diesem einfachen Prinzip ist bis heute nicht ausgeschöpft.

Zur Methodik der theoretischen Physik hat sich Einstein ebenfalls 1930 geäußert. Das Credo seiner Naturphilosophie formuliert er nunmehr folgendermaßen: Nach unserer bisherigen Erfahrung sind wir zum Vertrauen berechtigt, daß die Natur die Realisierung des mathematisch denkbar Einfachsten ist. Und er hält sogar in einem gewissen Sinn für wahr, daß dem reinen Denken das Erfassen des Wirklichen möglich sei, wie es die Alten geträumt haben. Die Quantentheorie läuft seinem reinen Denken allerdings nach wie vor zuwider: Ich glaube noch an die Möglichkeit eines Modells der Wirklichkeit, d.h. einer Theorie, die die Dinge selbst und nicht nur die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens darstellt. Im März 1936 erscheint in der Zeitschrift ,,The Journal of the Franklin Institute`` der Aufsatz Physik und Realität. Im einleitenden Kapitel Allgemeines über die wissenschaftliche Methode grenzt sich der Kosmologe vom Psychologen ab, geht aber aus vom gleichermaßen erlebten Alltagsgeschehen: Alle Wissenschaft ist nur eine Verfeinerung des Denkens des Alltags. Damit hängt es zusammen, daß die kritische Besinnung des Physikers sich nicht auf die Unterweisung der Begriffe seiner besonderen Wissenschaft beschränken kann, sondern daß er an der kritischen Betrachtung des viel schwierigeren Denkens des Alltags nicht achtlos vorbeigehen kann. Auf der Bühne unseres seelischen Erlebens erscheinen in bunter Folge Sinneserlebnisse, Erinnerungsbilder an solche, Vorstellungen und Gefühl. Im Gegensatz zur Psychologie beschäftigt sich die Physik (unmittelbar) nur mit den Sinneserlebnissen und dem ,,Begreifen`` des Zusammenhangs zwischen ihnen. Aber auch der Begriff der ,,realen Außenwelt`` des Alltagsdenkens stützt sich ausschließlich auf die Sinneseindrücke. Nachdem er die Begriffsbildungen im Denken von den Empfindungen im Erleben abgegrenzt hat, kommt er auf die Begreiflichkeit der Welt zu sprechen: Daß die Gesamtheit der Sinneserlebnisse zu beschaffen ist, daß sie durch das Denken ... geordnet werden können, ist eine Tatsache, über die wir nur staunen, die wir aber niemals werden begreifen können. Man kann sagen: Das ewig Unbegreifliche an der Welt ist ihre Begreiflichkeit. Erst komme die Intuition, dann die Wissenschaft; denn die Verknüpfung der elementaren Begriffe des Alltags-Denkens mit Komplexen von Sinneserlebnissen ist nur intuitiv erfaßbar. Der Wissenschaft gehe es dann um die logische Einheitlichkeit des Weltbildes wie um die logische Einfachheit seiner Grundlagen: Ziel der Wissenschaft ist erstens die möglichst vollständige begriffliche Erfassung und Verknüpfung der Sinneserlebnisse in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit, zweitens aber die Erreichung dieses Zieles unter Verwendung eines Minimums von primären Begriffen und Relationen. Im Anschluß an eine Diskussion der physikalischen Grundbegriffe erscheint Einstein dann eines sicher: Im Fundament einer konsequenten Feldtheorie darf neben dem Feldbegriff nicht der Partikelbegriff auftreten. Und so fällt sein Urteil über die Quantenmechanik natürlich wieder abschätzig aus; denn sie sei eine unvollständige Darstellung der wirklichen Gebilde, wenn auch die einzig zutreffende, welche sich auf die Grundbegriffe materieller Punkt und Kraft bauen lasse. Abschließend zieht er die Konsequenz: Der Unvollständigkeit der Darstellung entspricht aber notwendig der statistische Charakter (Unvollständigkeit) der Gesetzlichkeit.

Weiter mit der Ausarbeitung einer Feldtheorie beschäftigt, die als Fundament der Physik taugen sollte, scheint Einstein im Mai 1940 zu resignieren. Jedenfalls läßt er den Ausgang der Kontroverse zwischen den Verfechtern einer kontinuierlich-deterministischen Feldtheorie und dem Mainstream einer diskontinuierlich-statistischen Korpuskulartheorie offen. Seinen Aufsatz über Das Fundament der Physik in der Zeitschrift Science beginnt er mit der Wiederholung seiner Maxime ,,Ordnung statt Chaos!``: Wissenschaft ist der Versuch, der chaotischen Mannigfaltigkeit der Sinneserlebnisse ein logisch einheitliches gedankliches System zuzuordnen. Nach einer abwägenden Diskussion von Korpuskular- und Feldtheorie gesteht er sich dann ein, daß wir eine allgemeine theoretische Grundlage der Physik, die man als logisches Fundament bezeichnen könnte, überhaupt nicht besitzen. Die Feldtheorie versage in der molekularen Sphäre und die Quantentheorie scheitere an Realismus und Vollständigkeit. Da bleibt ihm nur mit Lessing der Trost, daß das Streben nach der Wahrheit köstlicher sei als deren gesicherter Besitz. Beim Formulieren und Interpretieren seiner Theorien konnte sich Einstein in seinem Wahrheitsstreben exakter Formeln und klarer Worte bedienen. Mann dagegen hatte die Masken und Formen der Erzählkunst auszuschöpften, um seine Lebenserfahrung in der Menschenkenntnis seiner Werke auszugestalten. Alle Kunst ist nur eine Verfeinerung des Erlebens des Alltags, könnte man Einstein variieren und zwanglos mit Mann in Übereinstimmung bringen. Sind es beim Physiker die Sinneseindrücke beim tätigen Umgang mit den Dingen, die er sich logisch begreiflich zu machen versucht, kommen beim Dichter im kommunikativen Handeln mit seinen Mitmenschen individuelle Erinnerungsbilder, Vorstellungen und Gefühl hinzu, die er episch zu gestalten trachtet. Beide Geistesheroen vertrauten auf ihre sich in die Erfahrung einfühlende Intuition. Sie bildete gleichsam den Urgrund und Ausgang ihrer jeweiligen Verfeinerungen und Beseelungen. Einstein vermochte seine logisch gebundenen Ideenkompositionen mathematisch zu verdichten und auf eine einfache Grundstruktur zu reduzieren. Die Reichhaltigkeit ihrer empirischen Konsequenzen blieb gleichwohl unerschöpflich. Und Mann hat in seinen episch gebundenen Ideenkompositionen Erinnerungsbilder und Vorstellungswelten ausgestaltet, die über den Roman hinausweisen und eine unerschöpfliche Interpretationsfülle nach sich ziehen. Einsteins Feldgleichung ebenso wie seine Trägheitsbeziehung, lassen sich im Rahmen der Mathematik aus wenigen Grundbegriffen und Prinzipien verstehen. Sie symbolisieren Erkenntniskunst in abstrakter Reinheit. Manns Buddenbrooks ebenso wie Der Zauberberg müssen vollständig gelesen werden; weder Inhalt noch Struktur sind aus einem logischen Zusammenhang erschließbar. Es sind ausschmückend erzählte Erlebnisse wie sie das vielfältige Leben schreibt. Dennoch verdichtet auch ein Roman. Gemessen an der Erlebnisfülle bewußter Alltagserfahrung symbolisieren Manns Romane ,,Menschlichkeit`` in verfeinerter Form. Ebenso wie die abgeschlossenen Theorien der Physik stellen sie ganzheitliche Werke der Erkenntniskunst dar.


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Ingo Tessmann
2/16/2003