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Vom Liebesleben zur späten Familie

Zeruya Shalev wurde 1959 im Kibbuz Kinneret in Israel geboren, sie studierte Bibelwissenschaft und arbeitet als Schriftstellerin und Verlagslektorin in Jerusalem. Ihr 1997 erschienener Roman Liebesleben wurde ein Welterfolg und in über 20 Sprachen übersetzt. In ihm verfällt eine junge, verheiratete Studentin einem mysteriösen Freund ihres Vaters und beginnt durch ihn eine Entwicklung, die sie am Ende zu sich selbst führt und von ihren Männern befreit. Der zweite Roman Mann und Frau kam 2000 heraus und wurde weltweit ebenso begeistert aufgenommen. Nunmehr geht es um die Schilderung eines Ehelebens, unter dem der Mann so stark uneingestanden leidet, dass er körperliche Symptome entwickelt, die der professionellen Behandlung bedürfen. Der Ehekranke verlässt Frau und Tochter, wendet sich verstärkt seiner Arbeit zu, beginnt ein Verhältnis mit seiner Therapeutin - und kehrt dann doch wieder ins Ehegefängnis zurück. Den krönenden Abschluss ihrer Liebestrilogie veröffentlichte Shalev 2005 unter dem Titel Thera bzw. Späte Familie. Dieses Mal ist es die Frau, die Mann und Sohn verlässt, um sich bewusst und frei selbst zu verwirklichen. Schnell verfliegt allerdings der Rausch der Freiheit und die Frau plagen Schuldgefühle und Leiden an der Einsamkeit - und so begibt sie sich erneut in den sicheren Ehehafen, indem sie ihren Psychiater heiratet. Mit ihrer Beschränkung auf das Liebesleben intelligenter und gebildeter Frauen im Jerusalem um das Jahr 2000 herum kann Zeruya Shalev zwanglos auf Jane Austen bezogen werden, deren Liebesromane sie gleichsam zeit- und ortsversetzt auf die Lebensabschnitte nach der Heirat ausdehnt. Als Kind der aus Bürgerrechtsbewegung und Studentenprotest hervorgegangenen Kulturrevolution lebt Zeruya 200 Jahre nach Jane gleichberechtigt im liberalen Großstadtmilieu eines aufgeklärten Landes. Unterdessen ist sie zum dritten Mal verheiratet und hat zwei Kinder aus verschiedenen Ehen. Ihr persönliches und soziales Wohlbefinden sollte ungetrübt sein; wenn da nicht eine unsägliche Religionsgeschichte gleichsam wie im Brennpunkt fokussiert noch immer an ihrem Wohnort Jerusalem nachwirkte. Es vergeht kaum ein Monat ohne Attentate oder Terrorakte und die israelische Armee steht in ständiger Alarmbereitschaft. Auch auf Zeruya wurde bereits ein Anschlag verübt, den sie glücklicherweise überlebte. Liebe und Religion zählte Virginia zu den Schrecken der Zivilisation. Über die aufgeklärte Liebe schreibt Zeruya Romane und die Religion der Bibel hat sie studiert. Ähnlich wie Woolf, die mit ihren Lichtmetaphern an die altägyptische Sonnenverehrung anknüpfte, wird sich Shalev immer wieder auf die Bibel beziehen, in der es allerdings weniger um Erleuchtung als um Gehorsam geht. Am Anfang war nicht das Licht der Sonne, sondern das Wort des jüdischen Stammesgottes Jahve und das Kreislaufdenken der Naturreligionen vereinfachten die Christen später zu ihrem linearen Erlösungsglauben vom paradiesischen Endzustand. Die aus dem Judentum hervorgegangenen Sekten der Christen und Moslems mit ihren jeweiligen fundamentalistischen bis liberalen Ausprägungen leben heute alle ausgerechnet an einem Ort zusammen, den sie gleichermaßen für ,,heilig`` halten. Die Zerstörung des Tempels bildet in der Religionsgeschichte der Juden ein bis heute nachwirkendes Trauma, dem ein gesonderter Feiertag gewidmet ist. Nach dem Exodus, dem Auszug der Hebräer aus Ägypten, hatte der hebräische Aufrührer Moses den Monotheismus Echnatons aufgegriffen und in religionspolitscher Absicht zur Identitätsstiftung seiner Mitstreiter aus dem Sonnengott der Ägypter einen Stammesgott der Juden gemacht. Zum Lobpreisen dieses einen ,,Gottes`` wurde in Jerusalem ein Tempel errichtet, der damit zum religiösen Zentrum des jüdischen Staates wurde und unter Fundamentalisten bis heute den Mythos vom auserwählten Volk wachhält. In ihren Romanen spielt Shalev wiederholt auf den Schrecken an, den erstmals die Babylonier, dann die Römer und später Christen und Moslems in Jerusalem verbreiteten. Seit über 3000 Jahren haben sich die Juden immer wieder gegen feindliche Völker im nahen Osten behaupten müssen, überstanden die Tempelzerstörungen, wurden in alle Welt zerstreut, erlitten den Holocaust - und haben sich nach der erneuten Gründung des Staates Israel 1948 in ihren angestammten Gebieten gegen ihre Widersacher aus den umliegenden islamischen Staaten zu behaupten. Gleichwohl klingt diese hochbrisante politische und religionsbestimmte Misere in Shalevs Romanen kaum an; sie ist vielmehr zwischen den Zeilen verborgen und scheint gelegentlich in den Erinnerungen und Geschichten der jüdischen Tradition durch. Es ist besonders ihr persönlicher Stil und die Sogwirkung ihrer Sprachkunst, die Zeyuras Romane auszeichnen und sie zu einem intellektuellen wie emotionalen Leseabenteuer machen. Leserschaft und Literaturkritik hat sie damit gleichermaßen begeistert.



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ingo 2009-09-20