Unterdessen hat Juli Zeh nach dem Jurastudium und der journalistischen Arbeit ein Studium des kreativen Schreibens absolviert und arbeitet an ihrer Dissertation über Völkerrecht. Sie ist Diplomschriftstellerin und angehende Doktorin der Rechtswissenschaften. Die Rechte sollte man schon studieren, aber das Schreiben? Kann das nicht jeder mehr oder minder talentiert? Auf dem Rasen berichtet sie über ihr Schreibstudium: Nach drei Jahren Studium hatte ich den paradoxen Eindruck, verdammt viel über das Schreiben gelernt zu haben - und zwar ausschließlich Dinge, auf die ich irgendwann von selber gekommen wäre. Nur hätte das viel länger gedauert. Die Schule wirkt wie ein Katalysator für die Suche nach dem eigenen Stil. Mit dem Schreiben begonnen hatte Juli schon als Kind von sieben Jahren, aber nur für den Selbstgebrauch und wegen der Freude daran. Die Heimlichkeit des Schreibens ist ihr bis heute wichtig; denn nur in Freiheit vermag sie sich zu entfalten, obwohl sie unterdessen eine erfolgreiche Schriftstellerin geworden ist, deren Bücher weltweit gelesen werden. Ich muss frei schreiben können, nur für mich selbst, nur für jenen Moment, in dem diffuse Gedanken sich der konkreten Wortform fügen und auf dem Papier oder Bildschirm zu etwas Gegenständlichem werden. Zwar nicht objektiv gegenständlich, aber gleichwohl materiell sind die Gedanken bereits im Gehirn. Mit Worten (oder anderen Zeichen) lassen sie sich veräußerlichen und extern speichern. In frühen Jahren hatte Juli nicht nur zu schreiben begonnen, sondern auch schon einige Verse gelernt, die noch lange in ihr nachwirken sollten und typisch für den gesellschaftlichen Umbruch in den 1970er Jahren sein dürften: ,,Ficken, Bumsen, Blasen / Alles auf dem Rasen`` war neben ,,Ich bin klein / mein Herz ist rein`` das erste auswendig gelernte Gedicht meines Lebens, und ich werde es noch aufsagen können, wenn Goethes Zauberlehrling eines Tages der Altersdemenz zum Opfer gefallen sein wird. Die gegenwärtige Jungfilmerin Helene Hegemann hatte im zarten Alter von acht Jahren ihren ersten Kurzfilm gedreht, in dem kleine Mädchen eine Bombe suchen - vielleicht zum Bumsen? - Die Jugendrevolte und der technische Fortschritt haben reiche Früchte getragen und den Kindern von heute eine nahezu paradiesische Spielwiese beschert. Ebenfalls aus Kindertagen bewahrt, hat sich Juli ihren Glauben an die Gerechtigkeit. Darüber hinaus geht es ihr in der Literatur um die Vermittlung von Ideen und Menschlichkeit: Ich möchte den Lesern keine Meinungen, sondern Ideen vermitteln und den Zugang zu einem nichtjournalistischen und trotzdem politischen Blick auf die Welt eröffnen. Dabei ist es ein natürliches Bedürfnis der Menschen zu erfahren, was andere Menschen - repräsentiert durch den Schriftsteller und seine Figuren - denken und fühlen. Im Unterschied zum naiven Drauflosschreiben oder der journalistischen Arbeit ist für das Studium der Schriftstellerei vor allem das Talent entscheident und dann - die Leidenschaft: Was man wirklich braucht, um am Literaturinstitut zu studieren, ist eine pathologische Schreib- und Leseobsession sowie der eiserne Wille, alles spannend zu finden, was auch nur im Entferntesten mit Texten zu tun hat. So war es auch schon Austen und Woolf ergangen. Zeh fährt fort, indem sie zum Kern des zu erlernenden Textverständnisses vordringt: Grob gesagt, geht es darum, die Intention eines Textes - nicht notwendig die des Autors - aufzuspüren und herauszuarbeiten, das Geschriebene daran zu messen und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Analyse betrifft den Stil ebenso wie Inhalt und Konstruktion, Motive und Bildsprache, die verwendete Perspektive, Charakterisierung der Figuren, Spannung, Klang, Glaubwürdigkeit, Gleichgewicht - kurz, die Frage, ob der Text funktioniert. Gleich ihr erster Text hat hervorragend funktioniert. Der Roman Adler und Engel von 2001 wurde zu einem Welterfolg, in 27 Sprachen übersetzt und - die Autorin mit mehreren Literaturpreisen geehrt. Auf dem Rasen deutet Juli an, wie es dazu kam.