Aus den Annahmen
mutmaßte Bohr
Bemerkenswert an der Argumentation Bohrs ist, daß er
Mit dem Erfolg des Bohr'schen Atommodells begann 1913 die Atomphysik. Aufgrund ihres diskontinuierlich-indeterministischen Charakters brach sie mit der Tradition und wird deshalb auch Moderne Physik genannt. Die kontinuierlich-deterministischen Theorien bis hin zur Relativitätstheorie Einsteins zählen seither zur Klassischen Physik. Wie wir später noch sehen werden, läßt sich dieser Wandel im physikalischen Weltbild auch im Rahmen der Unterscheidung von traditioneller und kritischer Theorie verstehen. Trotz des Bruchs zwischen klassischer und moderner Physik sah Bohr von Anfang an die Wichtigkeit eines Übergangs zwischen beiden. Er führte mehrere Argumente ins Feld, die sich folgenden Bereichen zuordnen lassen:
Die Mädchen nickten zustimmend.
,,Mit der Verträglichkeit von Theorien ist gemeint, daß physikalische
Theorien in einem logischen Zusammenhang stehen müssen ... ``
,,Schließlich gibt es nur eine Natur``, entfuhr es Sofie,
,,folglich sollte es auch nur eine Physik geben.``
,, So ist es. Nehmen wir als Beispiel das bekannte Additionstheorem der Geschwindigkeiten:
Um Einsteins Theorie mit der Newtons in Einklang zu bringen, muß im
Grenzübergang des Strebens von c gegen unendlich:
eine mit der Theorie Newtons vereinbare Behauptung herauskommen:
. Einsteins relativistische Mechanik ist also eine
Erweiterung der Newton'schen Mechanik. Letztere folgt aus ersterer unter der
Annahme unendlich großer Lichtgeschwindkeit.``
,,Also alltäglicher Geschwindigkeitsverhältnisse``, bemerkte Hilde.
,,Natürlich geht auch die Einstein'sche Kraftdefinition
für in diejenige Newtons
über. Und die Einsteingleichung der allgemeinen Relativitätstheorie
liefert als Sonderfall das Newton'sche Gravitationsgesetz.``
,,Gilt das auch für die Bewegungslehren Aristoteles' und Galileis?``
wollte Sofie wissen.
,,Sie sind Sonderfälle der Theorie Newtons``, bestätigte Alberto.
,,Dann gibt es ja so etwas wie eine Theorien-Evolution``, begann
Hilde langsam ihren Gedanken. ,,Einfache Theorien werden zu komplexeren
erweitert oder vereinigt: Aristoteles, Galilei, Newton, Maxwell, Einstein.
Offenbar war es das Anliegen Bohrs, zur Quantentheorie eine ähnliche
Beziehung herzustellen, wie sie zwischen Einsteins Theorien und derjenigen
Newtons bestand.``
,,Ganz recht``, erwiderte Alberto. ,,Bohr verfolgte damit zugleich zwei Ziele:
,,Seine Bemühungen um Verträglichkeit präzisierte Bohr unter dem
Begriff der Korrespondenz.``
,,Und was hat es mit der Sprachphilosophie Bohrs auf sich?`` drängte
es Sofie zu fragen.
,,Ein grundlegendes Sprachproblem lieferte die Ausdehnung seines
Komplementaritätsgedankens auf den praktischen Meßvorgang. Wie konnten
Meßresultate klassischer Wellen oder Teilchen verstanden werden, die
atomaren Zustandsänderungen entsprangen?``
,,Heißt das, die Sprache der klassischen Physik verliert ihre Gültigkeit
bei der Beschreibung der Atome?`` fragte Sofie.
,,So hat Bohr das gesehen, ja.``
,,Wenn wir an die Wittgenstein'sche Gebrauchstheorie der Bedeutung
denken``, hob Sofie an, ,,ist das doch ganz plausibel. Man kann
von Wortbedeutungen, die der Praxis des Meßgerätebaus entstammen, nicht
erwarten, daß sie in der Mikrowelt der Atome gelten.``
,,Eine interessante Parallele``, ließ Hilde sich vernehmen.
,,Während Bohr die Übertragung klassisch-physikalischer Begriffe
auf die Atomphysik kritisiert, betreibt Wittgenstein Sprachkritik zur
Lösung mathematischer Grundlagenprobleme.``
,,Du kannst uns hoffentlich ein einfaches Beispiel geben``, drängte
Sofie.
,,Nichts leichter als das``, legte Alberto los. ,,Denkt doch `mal
an die Bahnkurve eines Tennisballs oder an die Umlaufbahn eines Planeten.
Beide Bewegungen lassen sich durch einfache geometrische Kurven beschreiben.
Zu jedem Zeitpunkt ist es möglich, Ort und Geschwindigkeit des Balls oder des
Planten zu bestimmen. Nun denkt an die Bewegung eines Elektrons um den
Atomkern. Eine Bahnkurve hat hier nur noch metaphorische Bedeutung.
Um den Ort des Elektrons zu bestimmen, muß man -Strahlung mit
einer Wellenlänge in der Größenordnung der Elektronenwellenlänge benutzen.
Die ist aber so energiereich, daß es unmöglich ist, neben dem Ort auch noch
die Geschwindigkeit des Elektrons zu ermitteln.``
,,Weil das Elektron während der Messung aus der (metaphorischen) Bahn
geworfen wird``, ergänzte Hilde.
,,Und deshalb hat Bohr nur von stationären Zuständen und Übergängen
zwischen Energieniveaus gesprochen``, meldete Sofie sich zu Wort.
,,Der Ausdruck Bahnkurve ist in der Atomphysik offensichtlich
bedeutungslos.``
,,1920 besuchte Bohr erstmals Einstein in Berlin ... ``, hob Alberto
an.
,,Morgen sollten wir uns auch nach Berlin auf den Weg machen``, schlug
Hilde vor. Sofie stimmte zu und überließ Alberto wieder das Wort.
,,1922 erhielt er zugleich mit Einstein den Nobelpreis, der ihn rückwirkend für 1921 bekam. Sein vierter Sohn Aage kam zur Welt. Er wurde ebenfalls Physiker und 1975 mit dem Nobelpreis geehrt. Im gleichen Jahr 1922 lernte Bohr den noch nicht 21jährigen deutschen Physikstudenten Werner Heisenberg kennen, mit dem er zukünftig eng zusammenarbeiten sollte. Bohr hatte zwar mit seinem Komplemataritätsgedanken und ersten Korrespondenzregeln den entscheidenden Durchbruch in der Quantentheorie erzielt. Eine ähnlich abgeschlossene Theorie wie die Newton'sche Mechanik oder die Einstein'sche Relativitätstheorie lag mit seiner Theorie der Atome allerdings noch nicht vor. Ihre Entwicklung zog sich bis 1926 hin. Im Frühjahr 1922 wurde Bohr zu Vorträgen über die Theorie der Atomstruktur nach Göttingen eingeladen. Mit seiner philosophischen Haltung hatte er es schwer, vor der hohen Schule der Mathematik zu bestehen. Auf Heisenberg machte er gerade dadurch großen Eindruck. Er schrieb später darüber: ... fast hinter jedem der sorgfältig formulierten Sätze wurden lange Gedankenreihen sichtbar, von denen nur der Anfang ausgesprochen wurde und deren Ende sich im Halbdunkel einer für mich sehr erregenden philosophischen Haltung verlor.
Auch Bohr verließ sich primär auf seine Intuition und erriet Zusammenhänge
lange bevor sie mathematisch exakt nachvollziehbar waren. Auf einem
Spaziergang sprach Heisenberg ihn darauf an. Bohr antwortete: Die
Bilder, die wir uns von den Atomen machen, sind ja aus Erfahrungen erschlossen,
oder, wenn Sie so wollen, erraten, nicht aus irgendwelchen theoretischen
Berechnungen gewonnen. Ich hoffe, daß diese Bilder die Struktur der
Atome so gut beschreiben, aber eben auch nur so gut beschreiben wie dies
in der anschaulichen Sprache der klassischen Physik möglich ist. Wir müssen
uns klar darüber sein, daß die Sprache hier nur ähnlich gebraucht werden
kann wie in der Dichtung, in der es ja auch nicht darum geht, Sachverhalte
präzis darzustellen, sondern darum, Bilder im Bewußtsein des Hörers zu
erzeugen und gedankliche Verbindungen herzustellen.``
Die Tatsachen begreifen wir in Bildern zitierte Hilde übereinstimmend
Wittgenstein.
,,Poesie und Physik``, murmelte Sofie leise vor sich hin und hatte die
Aufgehende Sonne vor ihrem inneren Auge.
,,Auf die Frage Heisenbergs, ob überhaupt Aussicht bestehe, die Atome
jemals zu verstehen, antwortete Bohr nach einem Moment des Zögerns:
Doch. Aber wir werden dabei gleichzeitig erst lernen, was das Wort
verstehen bedeutet.``
,,Sind sich eigentlich Bohr und Wittgenstein `mal begegnet?`` wollte
Hilde wissen.
,,Das wäre für beide sicherlich interessant gewesen``, entgegnete
Alberto. ,,Soweit ich weiß, aber nicht. In den 20er Jahren war
Kopenhagen
neben Berlin und Göttingen zu einem international begehrten
Treffpunkt für Physiker geworden. Aus den Diskussionen und Untersuchungen
zur Quantentheorie entwickelten sie unter dem Einfluß Bohrs eine Sichtweise
der Atomphysik, die später Kopenhagener Deutung der Quantentheorie
genannt wurde.``
,,Das wird ja immer interessanter``, entfuhr es Sofie. ,,Heißt
das, die Quantentheorie stelle quasi ein Wissenschaftswerk dar, das der
Interpretation bedürfe wie ein Kunstwerk?``
,,So kannst Du das sehen``, bestätigte Alberto. ,,Ich werde
darauf zurückkommen. Nach einem Aufenthalt in Kopenhagen weilte Heisenberg
1924 in Berlin und diskutierte mit Einstein sein Vorhaben, eine Physik zu
entwerfen, in der nur noch beobachtbare Größen eine Rolle spielen
sollten. Einstein entgegnete: Vom prinzipiellen Standpunkt aus ist es
ganz falsch, eine Theorie nur auf beobachtbare Größen gründen zu wollen.
Denn es ist ja in Wirklichkeit ganau umgekehrt. Erst die Theorie entscheidet
darüber, was man beobachten kann. Und er fügte hinzu: Ihre Behauptung,
daß Sie nur beobachtbare Größen einführen, ist also in Wirklichkeit eine
Vermutung über eine Eigenschaft der Theorie, um deren Formulierung Sie sich
bemühen. Einstein wies darauf hin, daß es gleichgültig sei, was man
über die Natur wisse, wichtig sei allein, was die Natur wirklich
tue. Und so forderte er Heisenberg abschließend auf: Wenn Ihre Theorie
richtig sein soll, so werden Sie mir eines Tages sagen müssen, was das Atom
tut, wenn es von einem stationären Zustand durch Lichtaussendung zum anderen
übergeht.``
,,Da prallen ja Realitätskonzepte aufeinander``, staunte Hilde.
,,Bohr und Heisenberg war überhaupt nicht klar, wie über atomare
Vorgänge gesprochen werden könne. Sie sahen hier ein grundsätzliches
Problem und suchten nach neuen Begriffen; ähnlich wie Einstein eine
Revision der Raum-Zeit-Struktur vorgenommen hatte.``
,,Faszinierend!`` begeisterte sich Sofie. ,,Dann hatten sie
ja ein neues Sprachspiel zu spielen und angesichts der Meßresultate
atomarer Vorgänge in neuen Lehr/Lernsituationen quasi die Lektion der
Atome zu studieren.``
Alberto nahm wieder das Buch Der Teil und das Ganze zur Hand und ließ
Heisenberg sprechen: Wir haben zwar eine mathematische Sprache, das
heißt ein mathematisches Schema, mit Hilfe dessen wir die stationären
Zustände des Atoms oder die Übergangswahrscheinlichkeiten von einem
Zustand zu einem anderen ausrechnen können. Aber wir wissen noch nicht wie
diese Sprache mit der gewöhnlichen Sprache zusammenhängt. Natürlich
braucht man diesen Zusammenhang, um die Theorie überhaupt auf Experimente
anwenden zu können. Denn über die Experimente reden wir ja immer in der
gewöhnlichen Sprache, das heißt in der bisherigen Sprache der klassischen
Physik.
,,Ich verstehe nicht, warum Einstein dem nicht zustimmte``, wunderte
sich Hilde. ,,Schließlich hatte er ja mit der Relativitätstheorie auch
ein neues Sprachspiel zum Reden über den Kosmos entwickelt.``
,,Das Haar in der Suppe blieben ihm die sprunghaft-zufallsbedingten Strahlungsübergänge in der Quantentheorie``, entgegenete Alberto. ,,Heisenberg machte sich nunmehr daran, eine abgeschlossene Quantentheorie zu entwerfen. Zunächst ging es ihm darum, präzise herauszuarbeiten, warum es keine Bahnkurven von Elektronen geben konnte. Er ging aus von den Energie- und Impulsbeziehungen der de'Broglie'schen Materiewellen:
Ihr erinnert Euch?`` Alberto blickte fragend in die Runde.
,,Klar``, nickten beide zustimmend. ,,Auch hier hätte Einstein
doch sehen müssen, daß es sich um Folgerungen seiner eigenen Theorie
handelte``, ergänzte Hilde kopfschüttelnd.
,,Das Quantenkonzept stand halt im Widerstreit mit seiner Intuition``,
merkte Sofie treffend an.
,,Ich will die Situation der Orts- oder Frequenzmessung einer
Elektronenwelle aufgreifen``, nahem Alberto seinen Gedanken wieder auf.
,,Wenn Ihr an den Tennisball denkt, ist es überhaupt kein Problem, ihn zu
filmen und aus der Zeitlupe exakt seine Bahnkurve aufzuzeichnen. Zu jedem
Zeitpunkt sind Ort und Impuls des Balles bestimmbar.``
Die Mädels erinnerten Zeitlupenaufnahmen aus Sportsendungen und nickten
zustimmend.
,,Ganz anders liegt der Fall aber beim Elektron. Denn im Unterschied zum sichtbaren Licht, das den Ball auf dem Film abbildet, liegt die Wellenlänge bzw. Frequenz des unsichtbaren Lichtes, die das Elektron registriert, in der gleichen Größenordnung wie die Elektronenwellenlänge. D.h. die Elektronenwelle erfährt bei der Messung der Frequenz eine Energieänderung bzw. bei der Messung des Ortes eine Impulsänderung:
Aus diesen Überlegungen leitete Heisenberg ganz allgemein seine sogenannten Unschärfebeziehungen ab. Ersetzen wir die Differenzen durch und durch , folgt:
t steht für die Zeit und q für den Ort. Diese Unbestimmtheitsrelationen
haben weitreichende Folgen. In ihnen begrenzt das Wirkungsquantum in
prinzipieller Weise die Genauigkeit, mit der Energie und Zeit bzw. Impuls
und Ort einer Materiewelle gemessen werden können.``
,,Aus dem Produkt der beiden jeweiligen Größen geht hervor, daß die
Genauigkeit der einen nur auf Kosten der anderen gesteigert werden kann``,
erläuterte Hilde. ,,Das ist in der Tat verblüffend.``
,,Mich hätte es eher verblüfft, wenn wir mit unseren Alltagsbegriffen
in der Mikrowelt nicht gescheitert wären``, gab Sofie zu
bedenken. ,,In der Makrowelt des Kosmos verloren die Alltagsbegriffe
von Raum und Zeit ja auch ihre Gültigkeit. Bedeutungen sprachlicher
Ausdrücke bleiben halt an die Lehr/Lernsituationen ihrer Einführung
gebunden. Und Begriffe, die ich im Umgang mit Tennisbällen erlerne,
kann ich doch nicht einfach auf Elektronen oder Galaxien übertragen``,
ereiferte sie sich.
,,Beim Zufall hörte der Spaß für Einstein halt auf``, versuchte
Alberto lächelnd zu vermitteln. Jedenfalls hatte Heisenberg bis 1926 eine
algebraische Theorie gefunden, durch die er die Bohr'schen
Korrespondenzregeln ersetzen konnte. Seine Algebra gestattete ihm die
mathematisch exakte Berechnung von Übergangswahrscheinlichkeiten atomarer
Zustände. Im gleichen Jahr gelang es dem Österreicher
Erwin Schrödinger
im Anschluß an de'Broglie eine allgemeine Wellengleichung der Materie
zu formulieren, die mit der algebraischen Theorie äquivalent war.``
,,Eine schöne Bestätigung für den Bohr'schen
Komplementaritätsgedanken``, warf Sofie ein.
,,So kann man das sehen``, entgegnete Alberto. ,,Die Physiker hatten leistungsfähige Rechenschamata gefunden, die in beeindruckender Weise die Meßergebnisse vorherzusagen gestatteten. Aber wie waren die mathematischen Schemata physikalisch zu verstehen? Bei Vielteilchensystemen, wie Molekülen, konnte die vieldimensionale Wellengleichung nicht mehr realistisch interpretiert werden. Und die algebraische Quantentheorie stellte sich als nichtkommutativ heraus, d.h.:``
,,Wie bitte?`` entfuhr es Sofie.
,,Wenn ihr an das Rechnen mit Zahlen denkt, ist natürlich immer das
Kommutativgesetz erfüllt, d.h. ab - ba = 0. Bei i handelt es sich um
die sogenannte imaginäre Einheit. Sie wird eingeführt beim Ziehen von
Wurzeln aus negativen Zahlen: bzw.
.``
,,Wenn p und q keine Zahlen sind, was sind sie dann?`` wollte
Hilde wissen.
,,Es handelt sich um Operatoren, die auf Zustandsgrößen
bzw. Wahrscheinlichkeitsverteilungen anzuwenden sind. Mit den Operatoren
werden die meßtechnischen Operationen sozusagen in die Theorie
übernommen``, entgegnete Alberto und setzte erläuternd hinzu:
,,Die Operatoren wirken auf die Wahrscheinlichkeitsverteilungen wie die
Finger auf die Knetmasse ... ``
,,Neben der Algebra der Logik gab es jetzt auch eine Algebra der
Atome``, sinnierte Sofie.
,,In der Algebra der Atome enthalten die Unbestimmtheitsrelationen
sogenannte Kommutatoren. Derartige Ausdrücke kommen bereits in der
klassischen Mechanik vor. Wenn ihr euch obige Relationen anschaut, hatte
Heisenberg damit einen Weg gefunden, zwischen klassischer Mechanik und
Quantenmechanik eine Korrespondenz herzustellen, wie Bohr sie
gefordert hatte. Denn mit dem Grenzübergang wird
pq -qp = 0. Ein Ergebnis wie es für einfache Zahlen gilt.``
,,Faszinierend!`` entfuhr es Hilde drängend: ,,Kannst Du uns
nicht ein wenig mehr über die Algebra der Atome sagen?``
,,Dazu müßtet ihr mit der höheren Algebra vertraut sein und wissen wie
man mit Matrizen und imaginären Zahlen rechnet. Ich will aber zumindest
andeuten wie Heisenberg vorging, damit ihr eine Ahnung der Zusammenhänge
bekommt. Zunächst müßt ihr aber verstehen, was ein Operator ist.
Wenn ihr an das normale Rechnen denkt, z.B. an die Addition a + b zur
Berechnung der Summe zweier Zahlen, dann läßt sich die Operation der
Addition auch als Anwendung eines Summenoperators verstehen.
D.h. a + b ist gleichbedeutend mit +(a,b). Die Zahlen sind zu Operanden,
die Addition ist zum Operator geworden.``
,,Ich verstehe``, sagte Hilde. ,,Das ist wie beim Taschenrechner
mit umgekehrt polnischer Notation.``
Sofies Blick begann leerer zu werden. Alberto fuhr fort: ,,Setzen wir nun mit
Einsteins Photonenhypohtese und Bohrs Strahlungsübergänge voraus. Ferner bezeichnen wir durch und die atomaren Zustände mit den Energieniveaus und . Dann folgt für den Energieoperator H und den Meßoperator A:
Der Stern steht für eine Besonderheit des Rechnens mit imaginären Zahlen. wird üblicherweise bezüglich der Zustände durch abgekürzt und als Matrixelement bezeichnet. Heisenberg nahm nun an, daß sich der Meßoperator A in harmonischer Weise, d.h. frquenzproportional, zur emittierten Strahlung ändert, die Zustandsgrößen aber konstant bleiben: und bezeichnen die zeitliche Änderung von A bzw. . Das ist ganz so wie bei der Geschwindigkeit zu verstehen: . Heisenberg erhielt folgendes Ergebnis:
Nimmt man als Ausdruck Bohr'scher Komplementarität die Konstanz von A, aber die zeitliche Änderung von an, kommt die Schrödinger'sche Grundgleichung der Wellenmechanik heraus:
Mit , d.h. ohne Zustandsänderung des Atoms durch Emission oder Absorption von Photonen, folgt der Energieerhaltungssatz der klassischen Mechanik. Aufgrund dieser Korrespondenz wird H Energieoperator genannt.
Bohrs Welle-Teilchen-Komplementarität hatte in der mathematischen
Äquivalenz von Schrödingers Wellengleichung und Heisenbergs
Operatorengleichung ihre krönende Bestätigung gefunden.``
,,Ich habe nur ahnungsweise folgen können``, sagte Hilde bedächtig,
,,vermute aber, daß obige Gleichungen der Quantenmechanik Newtons
Kraftgleichung der klassischen Mechanik ersetzt haben.``
,,So ist es``, bestätigte Alberto.
,,Die Zahlen der klassischen Mechanik wurden zu Operatoren der
Quantenmechanik``, setzte Hilde ihren Gedanken fort. ,,Wie hat man
sich das aber konkret vorzustellen, wenn wir an das Bohr'sche Atommodell
denken?``
,,Genau diese Frage beantworten die verschiedenen Interpretationen der Quantenmechanik``, entgegnete Alberto. ,,Auf dem sogenannten 5. Solvay-Kongreß von 1927 entwickelten sich darüber zwischen Bohr und Einstein intensive Diskussionen. Der jährlich von dem Industriellen Solvay finanzierte Kongreß stand unter dem Thema Elektronen und Photonen. Weiteren Auftrieb im Streit um die Quantentheorie löste Einstein 1935 mit einer Arbeit aus, die er in Princeton zusammen mit seinen Mitarbeitern Podolsky und Rosen ausgeheckt hatte. Durch Formulierung des später sogenannten EPR-Paradoxons versuchten die drei nachzuweisen, daß die Quantentheorie entweder nichtlokal oder unvollständig sei.
Ich schlage vor, wir setzen uns darüber wieder zusammen,
wenn Ihr aus Berlin zurück seid``, beschloß Alberto seine Rede und blickte die
Mädels aufmerksam an.