Die Zweite Heimat

DAS SPIEL MIT DER FREIHEIT. Helga, 1962. Helga streift durch die Straßen und über die Plätze Münchens. Es gibt Tage, an die erinnert man sich so genau, als hätte man eine Kamera bei sich gehabt und alles festgehalten ... Man spürte schon morgens, daß es ein Gewitter geben würde. Es herrschte seit Tagen ein Sommerklima wie in Italien. Ich konnte es kaum noch aushalten vor Sehnsucht. Meine Haut schmerzte vor Verlangen nach ...

Nach dem Sommergewitter treibt es die Menschen auf die Straße. Neben einem Schwabinger Cafe spielen Straßenmusikanten. In der Leopoldstraße kommt es zu einer sinnlosen Straßenschlacht zwischen Polizisten und jungen Leuten. Ein Anwohner hatte sich über die Musikanten beschwert.

Es war das erste Mal, daß wir so etwas zu spüren bekamen: diesen Haß der Staatsmacht auf alles, was jung war, was nicht an ihre spießige Ordnung glaubte. Hermann kommt gerade mit seinem Gitarrenkasten von einem Nachhilfeschüler. Im Eifer des Gefechts wird er von zwei Polizisten angegriffen. Rücksichtslos und brutal entreißen sie ihm seinen Kasten und zerstören die Gitarre.

Helga und Hermann können sich in die Villa Cerphal retten, wo sie erstmal mütterlich verarztet werden. Der Mob trägt wieder Uniform, empört sich Fräulein Cerphal. Helga ergänzt ihr Tagebuch: Heute ist der 22. Juni 1962. Wir sind Zeugen! Wir müssen uns diesen Tag merken. Hermann wird pathetisch: Ich werde niemals etwas machen, was den Massen gefällt. Das schwöre ich mir. Die Masse ist krank und verroht wie dieser Staat. Es lebe das Individuum!

Am nächsten Tag brechen die beiden auf. Sie fliehen aus der Krawallstadt. Hermann nach Sylt zu seinem Musikschüler, Helga nach Dülmen zu ihren Eltern. Die haben wenig Verständnis für die Nachrichten aus München. Verzogene Großstadtjugend! Gammler! Unterweltgesindel ...

Hermann ist auf dem Weg nach Norden von einem Mercedesfahrer mitgenommen worden. Es kommt zu einem Gespäch. Sind sie Ingenieur oder sowas? Nein, Kaufmann, aber im technischen Bereich. Ich verstehe nichts von Technik, dafür aber von Technikern. Und wie sind die Techniker? Der Fahrer lacht, als hätte Hermann einen Witz gerissen. Idioten! Sie müssen sie mit ihrem ganzen Kram einsperren und erst wieder rauslassen, wenn sie alles einmal durchgelötet haben. Aber dann sind sie glücklich und müssen mit ihren Frauen in Urlaub fahren. So denkt wohl der weltläufige Geschäftsmann über den eigenbrötlerischen Bastler, ging es Sofie durch den Kopf. Dabei wäre er ohne ihn überhaupt nichts.

Auf seinem Weg nach Sylt verschlägt es Hermann nach Dülmen. Er trifft nicht nur Helga, sondern auch zwei ihrer Freundinnen. Eine ganz kurze Zeitlang hatte ich die Ahnung, alles könnte möglich sein. Ich zitterte. War das der Anfang von etwas ganz Neuem? Aus dem spießigen Elternhaus Helgas zieht es Hermann ins lockende Gemach ihrer älteren Freundin ....

KENNEDYS KINDER. Alex, 1963