Sofie ließ sich verblüfft und etwas verstimmt ins Gras sinken. Sie verkniff die Augen im flimmerdem Sonnenlicht. Die wohlige Wärme wirkte entspannend. Das Schreien der Sportler, die sich ihren Spielfreuden hingaben, verschmolz mit den Klängen der Musiker auf dem Campus. Wie schön doch das Leben war! Welch Hochgefühl die Erkenntnisfortschritte bereiteten! Leben heißt Problemlösen. Franzens These war nicht ganz abwegig. Das mit der Lösung verbundene Lustgefühl sorgte für seine ewige Wiederkehr. Das war ganz so wie beim Orgasmus. Welch eine Freude mußte Einstein genossen haben, auch mit seinem LSD? Aber halt! Hatte sie sich etwa wieder verliebt? Ihre Sympathie für Franz war doch nicht normal! Wie die Natur so arbeitete ... Still lächelte sie in sich hinein. Erfüllt von der Lichtlust erinnerte sie die Freude mit Hilde im Garten der Knags ...
Mit dem Feuchtwerden ihrer Lippen verbreitete sich der Wohlgeschmack würziger Plätzchen. Im hellen Licht der Sonne - oder war es ein Scheinwerfer? - vermochte sie nur die vagen Umrisse einer Gestalt über sich auszumachen. Die Akustikklänge hatten sich zum Gejaule einer E-Gitarre verdichtet. Das Gejohle der Sportler verschwamm zum Lustgestöhne eines kopulierenden Paares. Sofie wandte in Zeitlupe den Kopf zur Seite. Wie auf einer Lustwiese sah es hier aus. Sie war so stoned, daß sie es gleichmütig hinnahm, zwischen Kommunarden und Hippies zu liegen. War sie in einen Film geraten? Oder direkt in die Kommune I, vor der sie Franz immer gewarnt hatte? Katrins blonde Mähne umkränzte ihr Antlitz wie ein Heiligenschein. Dahinter die wellig dunkle Haarpracht einer jungen Frau im Schneidersitz. War das nicht Uschi? Ihre spitzen Tittenpuddinge schwappten in den Handtellern eines unter ihr liegenden Kommunarden - auf und ab. Ihr Rumpf drehte sich synchron zum Schallfeld. Sofies Augen weiteten sich. Unversehens detonierte ihr Unterleib.
Benommen im dichten Dunst, untermalt von tiefen Atemzügen und knarrendem Schnarrchen klaubte Sofie sich von der Lustwiese. Als sie über einen wohlgestalteten Jüngling mit entblößter Morgenlatte stieg, mußte sie grinsend an Watzlawicks Beispiele zur Paartherapie denken. Ihr Harndrang blieb aber stärker. Auf der Klobrille lehnte sie sich entspannt zurück und entleerte sich mit Behagen. Ihr Blick strich über die Klosprüche:
,,Na, geht's Dir gut? Du siehst etwas blaß aus``, hörte
sie eine Frauenstimme fragen. Vor ihr stand eine nackte, hochgewachsene Frau
mit langen, blonden Haaren und schaute sie offen an. Erst jetzt fiel Sofie auf,
daß es keine Klotür gab; denn Katrin lehnte freundlich lächelnd im leeren
Türrahmen.
Sofie stand auf und spülte: ,,Mir war nur etwas
benommen ... ``
,,Das geht vorüber. Nimm Aspirin und der Kopf ist wieder clean``, scherzte
Katrin. Sofie folgte lieber dem Kaffeeduft.
,,Es reicht nicht, daß der Gedanke zur Wirklichkeit drängt, die Wirklichkeit
muß auch zum Gedanken drängen: Rudi Dutschke!``, hörte Sofie beim Betreten
der Küche Helga aufgebracht dozieren. Zwei Langhaarige schauten sie entgeistert
an.
,,Hallo``, grüßte Sofie zaghaft und setzte sich. Empört wandte Helga
sich an sie: ,,Als Frau ziehst du immer die Arschkarte; zumal, wenn du
auch noch ein Kind hast. Warum lebe ich hier eigentlich, wenn es nicht mal
möglich ist, einen Babysitter zu finden?`` Die beiden Hippies senkten
ertappt ihre Blicke. Hermann und Katrin kamen turtelnd herein. Voller Ironie
dozierte Helga weiter: ,,Assimilation in der Form des expandierenden Beispiels
ist nur möglich, wenn mit dem Beginn des politischen Zusammenlebens der
äußere Raum der Aktivität abgesteckt wird. Ist die Kommune Folge oder
Voraussetzung?``
Die beiden Verliebten bezogen die Rede auf sich und wirkten wie gescholtene
Kinder. ,,Bist Du sauer, daß ich mit Hermann gevögelt habe?`` fragte
Katrin kleinlaut.
,,Es gibt echt wichtigeres zu tun als kleinbürgerliche Privataffären``,
entgegnete Helga abwertend und wandte sich zum Gehen. ,,Wenigstens kann ich den
Kleinen zu Gretchen in die verhaßte eheliche Neurosenküche bringen.``
Betreten schauten sich alle an und griffen zu Kaffee und Brötchen. In Sofie
sedimentierten sich die Dutschke-Zitate. Unterdessen kamen Hilde, Niels und
Franz herein. ,,Was ist denn hier für `ne Grabesstimmung``, wollte
Hilde wissen. Sie spürte das Feuer unterm Eis.
,,Helga packte die Eminenzen an ihren bürgerlichen Schwänzen``, variierte
Sofie den Klospruch. Die Anspannung entlud sich in Heiterkeit. ,,Wenn
Sprachspiele keiner Lebensform erwachsen, sind sie bedeutungslos``, dachte
Sofie laut.
,,Verstehe ich nicht``, wunderte sich Hermann und schaute sie
aufmerksam an. Seine weiche Stimme, seine tiefbraunen Augen, ließen ihr
Schauer über den Rücken fahren.
,,Sprach- und Tathandeln müssen zusammenstimmen. Ebenso muß das
gesellschaftliche Umfeld bereit zur Wandlung sein, wenn die Kommune eine
zukünftige Lebensform sein soll. Die Gedanken müssen der Alltagspraxis
entstammen, um auf sie einwirken zu können. Ein bloß scheinbarer Zirkelschluß,
der sich dialektisch auflösen läßt ... ``
,,Das Sein bestimmt immer noch das Bewußtsein``, warf Hilde ein.
,,Wenn es eine Verwirklichungstendenz gibt``, ergänzte Franz.
,,Dann drängt die Wirklichkeit auch zum Gedanken``, fuhr Sofie fort.
Aufgeregt gab sie ihr Schulwissen zum besten: ,,Hier sehe ich eine
Parallele zwischen kritischer Theorie und moderner Physik. In der Quantentheorie
werden alle möglichen Energieniveaus atomarer Systeme durch eine
Funktionsentwicklung im Zustandsraum beschrieben. Aus den Entwicklungskoeffizienten
lassen sich dann die Wahrscheinlichkeiten zur Verwirklichung des jeweiligen
Energieniveaus berechnen. Das ist ganz analog zur Entwicklung von Vektoren
nach einer Basis in der linearen Algebra ... ``
,,Und bingo?`` provozierte ein Hippie.
,,Nicht nur Atome, sondern auch Organismen und Gesellschaften stellen
Totalitäten dar, die durch Zustandsentwicklungen beschrieben werden
können ... ``
,,Wie Parallelstimmen in einem Kanon?`` fragte Hermann.
,,Ja, so kannst Du Dir das als Musiker veranschaulichen``, erwiderte
Sofie lächelnd. ,,Die Stärke jeder Stimme entspräche dabei der
Verwirklichungstendenz ... ``
,,Wer schreit, hat recht``, schrie ein Kommunarde.
,,Hat nicht recht, wird aber am ehesten gehört``, lenkte Sofie ein. Bewußt verhalten fuhr sie fort: ,,Ich sehe einen Ursprung dieser Idee bei den Romantikern; in der Lehre von den Tausend Seelen, die Hesse im Steppenwolf erwähnt.`` Wissend schauten Sofie und Hermann sich an ...