Neben persönlichen Eigenheiten Alberts mag die Erfahrung wirschaftlicher Wechselfälle mitgewirkt haben, wenn er sich später erinnert: ,,Als ziemlich frühreifen jungen Menschen kam mir die Nichtigkeit des Hoffens und Strebens lebhaft zum Bewußtsein, das die meisten Menschen rastlos durchs Leben jagt. Auch sah ich bald die Grausamkeit dieses Treibens'' (5., S. 1). Über seine Abneigung gegenüber dem Obrigkeitsstaat schreibt Einstein später im Anschluß an Erlebnisse im Münchner Luitpold-Gymnasium: ,,Mir scheint es das Schlimmste, wenn eine Schule prinzipiell mit den Methoden der Angst, der Gewalt und der künstlichen Autoriät arbeitet. Solche Behandlungsmethoden zerstören die gesunden Gefühle, die Aufrichtigkeit und das Selbstvertrauen der Schüler. Damit produziert man den unterwürfigen Untertan'' (6., S. 19). Auch unter dem Eindruck populärwissenschaflicher Bücher mechanisch-materialistischer Prägung gelangte Einstein zu der Einsicht, ,,daß die Jugend vom Staate mit Vorbedacht belogen wird'' (5., S. 1). Weitere Folgen dieses ,,niederschmetternden Erlebnisses'' waren für ihn ,,fanatische Freigeisterei'', ,,Mißtrauen gegen jede Art von Autoriätünd die Aufgabe des religiösen Paradieses: ,,Es war mir klar, daß das so verlorene religiöse Paradies der Jugend ein erster Versuch war, mich aus den Fesseln des Nur-Persönlichen zu befreien, aus einem Dasein, das durch Wünsche, Hoffnungen und primitive Gefühle beherrscht ist'' (5., S. 1f). Diese Daseinsflucht mag auch eine Folge narzistischer Kränkungen (7., S. 63ff) gewesen sein; jedoch wollen wir uns hier nicht weiter mit psychoanalytischen Deutungen beschäftigen.
Um dem Chaos dumpfer Gefühlswallungen und der Bevormundung durch den Obrigkeitsstaat zu entfliehen, suchte Einstein nach einer nichtmißtrauenswürdigen Ordunug in den Naturerscheinungen: Nachwirkenden Eindruck machten auf ihn der Umgang mit einem Kompaß im Alter von vier oder fünf Jahren sowie das Lesen eines Buches über euklidische Geometrie mit etwa zwölf Jahren (5., S. 3f). Mit 16 Jahren stieß er dann schon auf das folgenschwere Paradoxon, das sich aus der Konsequenz ergibt, einem Lichtstrahl mit Lichtgeschwindigkeit nachzueilen (2., S. 6ff, 5., S. 20). ,,Das gedankliche Erfassen dieser außerpersönlichen Welt im Rahmen der uns gebotenen Möglichkeitenßchwebte ihm ,,halb bewußt, halb unbewußt als höchstes Ziel vor'' (5., S. 2).
Schon in Einsteins Kindheit läßt sich also seine Suche nach einer überstaatlichen oder gar übermenschlichen Ordnung nachweisen, die ihn zeitlebens an der statistischen Deutung der Quantentheorie zweifeln ließ. Neben persönlichen Eigenheiten und möglichen narzistischen Kränkungen scheinen die Widrigkeiten des Obrigkeitstaates und die Wechselfälle wirtschaftlicher Entwicklung sowie die mechanisch-materialistischen Auffassungen bestimmend auf dem Wege zu seiner später sog. kosmischen Religiösität (8., S. 15ff) gewesen zu sein. ,,Das wesentliche im Dasein eines Menschen von meiner Art'', schreibt er später, ,,liegt in dem, was er denkt und wie er denkt, nicht in dem, was er tut oder erleidet'' (5., S. 12). Der Schriftsteller Max Brod soll Einsteins Haltung wie folgt umschrieben haben: ,,Er hatte kein Herz. Und deshalb eben hatte er von der Welt nichts zu fürchten. Er hatte kein Gefühl, keine Liebe. Und deshalb war er natürlich auch vor den Verirrungen des Gefühls sicher'' (3., S. 23). Diese überpersönliche Haltung Einsteins ist keineswegs im Widerspruch, vielmehr als Grundlage seiner sozialen und ethischen Strebungen zu sehen (vgl. S. 17).
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Ingo Tessmann