Einstein, nicht an der Entwicklung der Bombe beteiligt, erfuhr wahrscheinlich erst sehr spät, 1944 oder 1945, wie weit die Experimente vorangeschritten waren und daß eine Zündung möglich wäre. Trotzdem war er wahrscheinlich vorbereitet, als der Rundfunk am 6. August 1945 die Nachricht vom Abwurf einer Atombombe auf Hiroshima brachte. Er soll nichts weiter gesagt haben als: ,,O weh!`` (53., S. 296). Was er gemeint haben mag, hat er am 23.6.1953 in einem Brief an den Japaner Shinohara ausgedrückt: ,,Ich bin ein entschiedener, aber kein absoluter Pazifist, das heißt, daß ich der Anwendung von Gewalt unter irgendwelchen Umständen entgegentrete, ausgenommen, wenn ich mit einem Feind konfrontiert werde, der die Vernichtung von Leben als Ziel betreibt. Ich habe immer die Anwendung der Atombombe gegen Japan verdammt. Wie auch immer, ich war völlig machtlos, die verhängnisvolle Entscheidung zu verhindern, für die ich so wenig verantwortlich bin wie sie für die Handlungen der Japaner in Korea und China. Ich habe niemals gesagt, daß ich die Anwendung der Atombombe gegen die Deutschen gebilligt haben würde. Ich glaubte, wir müßten die Möglichkeit Deutschlands vermeiden, unter Hitler im alleinigen Besitz dieser Waffe zu sein. Das war die wirkliche Gefahr dieser Zeit. Ich bin nicht nur gegen den Krieg gegen Rußland, sondern gegen allen Krieg - mit obigem Vorbehalt`` (54., S. 84).
Aus diesem Brief spricht auch die Ohnmacht, selbst des verantwortungsbewußtesten Wissenschaftlers, der im allgemeinen nicht über die Verwertung seiner Ergebnisse bestimmen kann. Selbst wo nicht direkt Rüstungsforschung betrieben wird, können wissenschaftliche, zumal naturwissenschaftliche Erkenntnisse meist militärisch wie zivil, zum Schaden oder Nutzen der Menschen verwendet werden. Darauf haben die Wissenschaftler jedoch meist keinen Einfluß.
Welche Lehren lassen sich daraus ziehen? Welche Konsequenzen hat Einstein daraus gezogen? Zunächst, etwas zu spät, die: ,,Wenn ich gewußt hätte, daß die Deutschen nicht mit Aussicht auf Erfolg an der Atomwaffe arbeiten, hätte ich nichts für die Bombe getan. ... Ich beging einen großen Fehler in meinem Leben - als ich den Brief an Präsident Roosevelt unterschrieb, in dem ich die Herstellung der Atombombe empfahl`` (Zitiert nach 53., S. 298). Aber dabei blieb er nicht stehen.
Einstein ist nach 1945 stets öffentlich gegen die Gefahr einer atomaren Selbstvernichtung der Menschheit aufgetreten, so am 13. Februar 1950 in einer Fersehsendung: ,,Der Glaube, man könne Sicherheit durch nationale Bewaffnung erlangen, ist beim gegenwärtigen Stand der militärischen Technik ein verhängnisvolle Illusion. Auf der Seite der USA wurde diese Illusion noch besonders begünstigt durch eine zweite, die darauf beruhte, daß es in diesem Land zuerst gelang, eine Atombombe herzustellen. Man neigte zum Glauben, daß es für die Dauer möglich sei, eine entscheidende militärische Überlegenheit zu erreichen. ... Die Maxime, der wir in den letzten fünf Jahren vertrauten, lautet: Sicherheit durch überlegenen Zwang, was er auch Kosten möge. Die Folge dieser mechanistischen, technisch-militärischen und psychologischen Einstellung konnte nicht ausbleiben. ... Im Innern Konzentration ungeheurer finanzieller Macht in den Händen des Militärs, Militarisierung der Jugend, Überwachung der Loyalität der Bürger und besonders der Beamten durch eine immer mächtiger werdende Polizei, Einschüchterung der politisch unabhängig Denkenden, Beeinflussung der Mentalität der Bevölkerung durch Radio, Presse und Schule, Knebelung wachsender Gebiete der Mitteilung durch das militärisch bedingte Geheimnis. Weitere Folgen: Das ursprünglich nur als Vorbeugung gedachte Wettrüsten zwischen den USA und der UdSSR nimmt einen hysterischen Character an. Auf beiden Seiten werden die Mittel der Massenvernichtung mit fieberhafter Eile betrieben - hinter der Mauer des Geheimnisses. Die H-Bombe erscheint am Horizont der Öffentlichkeit als wahrscheinlich erreichbares Ziel. ... Ist sie erfolgreich, so bringt sie die radioaktive Verseuchung der Atmosphäre und damit die Vernichtung alles Lebendigen auf der Erde in den Bereich des technisch möglichen. Das Gespenstige dieser Entwicklung liegt in ihrer scheinbaren Zwangsläufigkeit. Jeder Schritt erscheint als unvermeidliche Folge des Vorhergehenden. Am Ende winkt immer deutlicher die allgemeine Vernichtung. ... Was können wir tun, um ein friedliches ... Zusammenleben der Nationen herbeizuführen? Erstes Problem ist die Beseitigung der gegenseitigen Furcht und des gegenseitigen Mißtrauens. Feierlicher Verzicht auf die gegenseitige Gewaltanwendung ... ist zweifellos nötig ... `` (8., S. 77).
Und am 20. September 1952: ,,... Solange aber die Nationen nicht dazu entschlossen sind, durch gemeinsame Aktionen den Krieg abzuschaffen, und durch friedliche Entscheidungen auf gesetzlicher Basis ihre Konflikte zu lösen und ihre Interessen zu schützen, sehen sie sich genötigt, alle, auch die verabscheuungswürdigsten Mittel vorzubereiten, um im allgemeinen Wettrüsten nicht überflügelt zu werden. Dieser Weg führt mit Notwendigkeit zum Krieg, der unter den heutigen Bedingungen allgemeine Vernichtung bedeutet. Unter diesen Umständen hat die Bekämpfung der Mittel keine Aussicht auf Erfolg. Nur die radikale Abschaffung der Kriege und der Kriegsgefahr kann helfen. Dafür soll man arbeiten und entschlossen sein, sich nicht zu Handlungen zwingen zu lassen, die diesem Ziel zuwiderlaufen. Dies ist eine harte Forderung an das Individuum, das sich seiner sozialen Abhängigkeit bewußt ist. Aber es ist keine unerfüllbare Forderung ... `` (8., S. 46).
Einstein hob auch besonders die politische Verantwortung der Naturforscher und Ingenieure hervor. So sagte er 1948 in seiner Botschaft an die Intelligenz: ,,Da wir als Wissenschaftler die tragische Bestimmung haben, die schaurige Wirksamkeit der Vernichtungsmethoden zu steigern, muß es unsere feierlichste und vornehmste Pflicht sein, nach besten Kräften zu verhindern, daß diese Waffen zu den brutalen Zwecken gerbraucht werden, für die man sie erfand. Welche Aufgabe könnte für uns bedeutsamer sein? Welches soziale Ziel könnte unserem Herzen näherstehen?`` (6., S. 109f)
Die nach dem Zerfall des Warschauer Paktes im Rahmen der Strategic Arms Reduction Talks (START) vereinbarten Abrüstungsverträge mindern zwar die Gefahren eines Atomschlages zwischen den Supermächten USA und Rußland. Zugleich entstehen jedoch neue Gefahren des wieder stärker um sich greifenden Nationalismus und Rassismus. In Verbindung mit religiösem Fundamentalismus und den Armutswanderungen über die gefallenen Grenzen, wird auch in Zukunft die Gefahr sich ausbreitender Krisenherde akut bleiben. Die immer wieder aus Profitsucht und Machtstreben getätigten Waffenschiebereien lassen Einsteins Appell zwar naiv erscheinen, gleichwohl zählt die Stimmungsmache für ein friedfertiges Zusammenleben und die verstärkte internationale Kontrolle des Waffenhandels nach wie vor zu den politischen Hauptaufgaben.
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Ingo Tessmann