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Einstein geht es zunächst um die Hervorhebung allgemeiner
Gesichtspunkte, nach denen physikalische Thoerien überhaupt kritisiert
werden können. Dabei unterscheidet er 1.) innere Vollkommenheit, 2.)
äußere Bewährung sowie 3.) Einfachheit und
Reichhaltigkeit einer Theorie. Die Anwendung dieser Aspekte auf die
Kritik der Mechanik als Basis der Physik liefert folgende
Präzisierungen (5., S. 9ff):
- Mit der Kritik der Mechanik unter dem Aspekt der inneren
Vollkommenheit knüpft Einstein an die philosophische Tradition
des Rationalismus an, der (noch) heute spezieller unter dem
Titel Kohärenztheorie der Wahrheit diskutiert wird.
Demgemäß ergeben sich für ihn ,,ernste Bedenken'' bei der
,,Einverleibung der Wellenoptik`` in die Mechanik. Zudem
nötige die Faraday-Maxwell'sche Elektrodynamik zur
,,Einführung elektrischer Massen`` und unterstelle die
Existenz von Feldern im leeren Raume. Damit seien
,,zweierlei Begriffselemente`` geschaffen: materielle Punkte
mit Fernkräften und kontinuierliche Felder.
- Mit der Nennung des Aspektes der äußeren Bewährung folgt
Einstein der philosophischen Tradition des Empirismus, der
wahrheitstheoretisch gewendet als Korrespondenztheorie der
Wahrheit diskutiert wird. Einstein bezieht sich zunächst auf die
positivistische Newton-Kritik Machs (16., S. 210ff). Nach ihm
seien alle starren Koordinatensyteme als gleichwertig
anzusehen und die Trägheit sei auf die Wechselwirkung
der (schweren) Massen zurückzuführen (Mach'sches
Prinzip). Weiter stört Einstein die Primitivität der
mechanischen Basis: die Bewegungsgesetze seien zwar präzis, aber
leer. Die Kraftgesetze böten einen ,,Spielraum für Willkür``.
Diese ,,Bewährungsgesichtspunkte'' hätten Konsequenzen für die
Kohärenz der Theorie: es verschwänden die Unsymmetrien zwischen
träger und schwerer Masse sowie potentieller und kinetischer
Energie.
- Allgemeine thermodynamische Prinzipien, wie den
2. Hauptsatz, als Maßstab für die Vereinheitlichung anderer
Theorien zu nehmen, führe nach Einstein zur Vereinfachung der
theoretischen Basis wie zu größerer Reichhaltigkeit erklärbarer
Naturbeobachtungen und experimenteller Meßergebnisse.
Neben der Kritik des mechanistischen Weltbildes ergibt sich nach Einstein
eine zweite fundamentale Krise der Physik aus den Folgerungen
des Planck'schen Strahlungsgesetzes, die sowohl der Mechanik als auch der
Elektrodynamik widersprächen. Es ergäben sich Konsequenzen für die
,,Struktur der Strahlung'' wie für ein alternatives ,,elektromagnetisches
Fundament der Physik''.
Die Vielfalt der von Einstein hervorgehobenen
Unvereinbarkeiten und Mängel theoretischer Annahmen mag andeuten, daß es
eines Freigeistes wie Einstein bedurfte, die zumeist unausgesprochenen
Grundannahmen der physikalischen Theorien klar herauszustellen, auf ihre
Konsequenzen hin zu überprüfen und in Widerspruch zu führen. Darauf
wird noch näher einzugehen sein (siehe Kapitel 4).
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Ingo Tessmann
Mon Feb 19 08:55:05 MEZ 1996