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Das ist ja eine Überraschung! Lenz hatte gerade vorzeitig einen Aufsatz über Die Grenzen des Wachstums abgegeben und die Klasse verlassen als er auf dem Flur des Abendgymnasiums Mirabella und Beate an eine Fensterbank gelehnt stehen sah. Erfreut ging er auf sie zu. Na, lange nicht gesehen, begrüßte er sie heiter. Fröhlich lächelten sie ihn an. Lenz hatte die beiden zusammen mit Sigrid vor ein paar Jahren in der Carina Bar kennengelernt, einer Diskothek, in der er regelmäßig samstags verkehrte. Sie lag in Thesdorf, außerhalb Hamburgs in Richtung Pinneberg und war so großräumig und abwechslungsreich ausgestattet, dass es sehr voll sein konnte, ohne ihm die Laune zu verderben. Damals besuchte er neben der Carina Bar noch zwei weitere Diskos. Freitags ging er auf die Große Freiheit ins Grünspan und mittwochs trieb es ihn nach Barmbek ins Big Apple. In jedem der Tanztempel hatte er eine andere Freundin, die nichts voneinander wussten und wohl ebenfalls mit wechselnden Freunden verkehrten. Während der Wirbelwind Bea lediglich lockere Kameradschaften pflegte und Sigrid sich einseitig in Lenz verliebt hatte, wartete Mira beharrlich auf ihren Märchenprinzen. Lenz hatte Bella in den Arm genommen und wie nach einem Dammbruch durchflutete ein lustvoller Erinnerungstrom seinen Leib. Er meinte, sie wieder beim Engtanz im Klammergriff zu halten nach dem schönen Dylan Song: Stay, lady, stay, stay with your man awhile / Why wait any longer for the world to begin. Und wenn der DJ danach noch einfühlsam I'll be your baby tonight auflegte, ging es wie von selbst in den Rotlichtbereich auf die Couch. Bea schaute ihn schelmisch an als er sich von seiner Schönen gelöst hatte, um ihre Freundin zur Begrüßung zu umarmen. Was macht ihr denn hier?, wollte er ablenkend wissen, da er schon wieder Bellas Liebreiz verfiel. Ihre seegrünen Augensterne sprühten vor Lebensfreude und der Bogen ihrer zierlichen Stupsnase über den feinen Lippen, die beim Lächeln herzige Grübchen in die rundlichen Wangen drückten, hielten ihn im hoffnungslosen Schwärmen gefangen. Wir warten auf einen Freund, entgegnete Bea verspielt, während sich Miras Antlitz zu verklären schien. Hatte sich ihr Warten gelohnt und war sie endlich ihrem Erlöser begegnet, der sie aus der chronischen Unzufriedenheit und dem spießigen Stumpfsinn befreite? Waren ihre Träume vom edlen und schönen Helden wahr geworden? Ironisch lächelnd tauschten Lenz und Bea vielsagende Blicke.

Lenz machte sich auf den Weg zu Claire. Die wohnte in einer großen, ziemlich heruntergekommenen Altbauwohnung am Großneumarkt, die sie sich mit sechs weiteren Kommunarden teilte. Zwei Jahre zuvor war sie Lenz im Span aufgefallen als ihr hell leuchtendes Gesicht immer und immer wieder madonnenhaft in den Lichtblitzen zu den mitreißend-fetzigen Rhythmen der STRAY aufflackerte. In Lenz verklärte sich ihr lustvoll-leidender Ausdruck zur Madonna Munchs, die er als Poster neben seinem Bett aufgehängt hatte. Wie all in your mind blitzte sie auf: täglich zum Einschlafen und beim Erwachen, hochfrequent im Disko-Dunst. Sie pulsierte durch seine Visionen und schien mit der Königin der Nacht zu verschmelzen. Aber das hatte Lenz wohl wieder nur haluziniert; denn in der U-Bahn sitzend starrte er geradewegs auf ein Plakat, das eine Aufführung der Zauberflöte in der Staatsoper ankündigte. Er freute sich auf Claire und konnte es kaum mehr abwarten. Womit sie ihn wohl diesmal überraschte? Ihre im Alltag unscheinbare Gestalt verwandelte sich nicht nur in der Disko in ein Mythenwesen der Nacht. Auch zu Hause wusste sie sich lustvoll zu inszenieren und hatte ihren Spaß an rhythmischen Ficks synchron zu wohlgewählter Rockmusik. Für sie war der Rock'n'Roll nicht zufällig dem Stoßen und Wälzen beim Rammeln nachempfunden. Welche LP sie wohl heute für den Matratzenspaß vorgesehen hatte, fragte sich Lenz schmunzelnd. Erinnernd schloss er die Augen und vergegenwärtigte sich das letzte Mal mit seiner Liebesgöttin. Meistens wählte sie längere Stücke aus, die dem Liedschema A-B-A folgten, ein Vorspiel stimulierten, die lustvollen Liebkosungen modulierten und einen wohligen Ausklang begleiteten. Claires Lustschreie zu sweet child in time verschmolzen dabei immer wieder zu einer schauerlichen Resonanz mit den Verzweiflungsschreien Richie's. Lengendär auch die Ficks zur Live-Version inside looking out der Grand Funk Railroad, die in behäbigem Rhythmus anhob und sich nach einem Basstrommel getriebenen Pulsieren ekstatisch zu einem Finale steigerte, das im schrill hohen Kreischen der verzerrten E-Gitarre die orgasmischen Zuckungen spektakulär überhöhte. Die Erinnerungen daran ließen Lenz ein feines Kribbeln über die Haut fahren. Beinahe hätte er die Station St. Pauli versäumt und wäre zu weit gefahren.

In der WG angekommen traf Lenz am runden Tisch in der großen Wohnküche alle Kommunarden beim Essen an. Neben Claire, Dolores und Ellis waren das Alexander, Bernward, Karl und Detlev. Hallo Lenz, begrüßte ihn Alex, stellte ihm ein Glas hin und schenkte Rotwein ein. Wir haben Gemüse-Eintopf, ergänzte Bernd und schob ihm Teller und Kelle zu. Lenz setzte sich zwischen Claire und Detlev, gab seiner Angebeteten einen feuchten Kuss auf den Mund und nahm einen großen Schluck vom Wein. Während Lenz sich aus dem Eintopf auffüllte, lief im Radio gerade Annabelle, ach Annabelle, du bist so herrlich intellektuell ... und alle lachten lauthals auf. Nach einigen Flaschen Wein waren die Kommunarden bereits ziemlich angeheitert und Lenz hatte sie durch sein Erscheinem in einem hochgradig intellektuellen Diskurs unterbrochen. Kürzlich waren die fünf führenden Köpfe der RAF verhaftet worden: Baader, Ensslin, Meinhoff, Meins und Raspe. War der bewaffnete Kampf damit gescheitert? Blieben nur noch die innere Immigration oder der Marsch durch die Institution? Das Abweichende ist das Böse. Was alle glauben, wird nicht Wahn genannt, nahm Alex den Faden wieder auf. Und Bernd sekundierte: Wir ahnen, dass wir, wenn wir andere ausschließen, selbst ausgeschlossen sind, ausgeschlossen von einer Wirklichkeit, in der unsere Werte und Worte nichts gelten. Von den Wänden sahen Marx und Einstein auf die Diskutierenden: das Gespenst des Kommunismus und der Gefühlssozialist. Lenz hatte hochgeschaut und Bernd schien seinen Blick aufgenommen zu haben: Den Erfahrungen vertrauen, die Erfahrungen in Hass, den Hass in Energie verwandeln: E = ERFAHRUNG * HASS hoch 2. Lenz fühlte sich sehr wohl in dieser Runde, da sie gut durchmischt Frauen und Männer, Theoretiker und Praktiker sowie Geistes- und Naturwissenschaftler umfasste: Claire studierte Philosophie, Dolores war noch Schülerin, Ellis wollte Bankkauffrau werden, Alex war Krankenpfleger, Bernd studierte Soziologie, Karl war Physik-Student und Detlev studierte für das höhere Lehramt Mathematik und Musik. Lenz besuchte das Abendgymnasium neben seiner Arbeit als technischer Zeichner. Danach plante er ein Studium der Natur- oder Ingenieurwissenschaften. Für Karl klang Bernds Interpretation der berühmten Formel Einsteins: E = m * c hoch 2 natürlich ziemlich obskur. Denn was sollten revolutionäre und physikalische Energie miteinander zu tun haben?

Der Spaß an Technik und Zeichnen hatte Lenzens Berufswunsch nahegelegt. Das Spannungsverhältnis zwischen technischer Realisierbarkeit und zeichnerischer Phantasie hatte er humoristisch zu nehmen verstanden; denn die Wirklichkeit ist fast immer eine Parodie der Idee. Goethes parodistisches Verständnis der Technik wurde in der Lehre leider nicht weiter vertieft. In der Berufsschule bekam Lenz die eher humorlose Technik-Definition Dessauers vorgesetzt: Technik ist reales Sein aus Ideen durch finale Gestaltung aus naturgegebenen Beständen. Die Naturressourcen bilden die materielle Basis allen Lebens und Gestaltens: Physikalisch formuliert im Energie-Impuls-Erhaltungssatz, der aus der Translations-Invarianz im vierdimensionalen Raumzeit-Kontinuum folgt. Das hatte Karl seinen Kommunarden immer wieder nahe zu bringen versucht. Die Invarianzforderung ist das Entscheidende. Aus ihr folgt auch die Existenz einer endlichen Grenzgeschwindigkeit, die sich mit der Lichtgeschwindigkeit c identifizieren lässt. Und ebenso die Äquivalenz von Masse m und Energie E. Soweit Einstein. Aber wie begründest du den Zusammenhang von revolutionärer Energie, Erfahrung und Hass?, wollte Karl von Bernd wissen. Und warum Hass und nicht Liebe?, warf Lo ein. Claire sah Lo lächelnd an. Die schaute verträumt in ihr Weinglas; als ob sie gar nichts gesagt hätte. Liebe und Hass sind Gefühle, die ineinander übergehen und sich sogar überlagern können. Werden sie zu Leidenschaften gesteigert, drohen sie in den Wahnsinn oder zu Gewaltausbrüchen zu führen. Wie gefährlich Liebschaften sein können, haben nicht nur Skakespeare, Goethe und de Laclos kunstvoll auszugestalten vermocht. Claire machte eine bedeutungsvolle Pause und ihr Blick traf sich mit Lo's schwärmerischem Ausdruck. Die hatte sich nämlich gerade verliebt und nicht der überlegende Verstand, sondern die veränderte Verteilung der Neurotransmitter bestimmte ihr Verhalten. Sie hatte sich zur Seite gelehnt und Alex nahm sie in den Arm. Aus unserer Evolution heraus verstanden, dienen die Verhaltensweisen der Verliebtheit und Liebe der Partnerwahl und Brutpflege. Sie sind vorübergehende Zustände, die nach einem halben bzw. etwa drei Jahren wieder verschwinden. Neben der biologischen und psychologischen Ebene sind aber auch noch die gesellschaftliche und philosophische Ebene zu betrachten. Unsere Gefühlsweisen und Verhaltensdispositionen stehen immer in einem Kontext. Die Romantiker haben die Liebe zu einem Rausch verklärt, weil seinerzeit nicht offen über Sex gesprochen werden durfte. Noch weiter gingen die Philosophen. Beginnend mit Heraklid haben sie Liebe und Hass zu kosmischen Grundprinzipien hochstilisiert, die als dialektische Wechselwirkung einander ergänzend und überlagernd die Bewegungen und Vorgänge ebenso wie das Verhalten und Handeln von den Elementarteilchen bis hin zu den Menschen bestimmen. Langer Rede kurzer Sinn: Liebe und Hass sind zwei Seiten einer Medaille.

Lenz hatte die Ausführungen seiner Freundin aufmerksam verfolgt. Ihre Liebschaft bestimmte der Sex. Romantische Liebesbeteuerungen hatten sie sich erspart. Ihnen schwebte so etwas wie eine erotische Freundschaft vor, ohne Besitzansprüche und die damit verbundene Eifersucht. Der Pakt einer notwendigen Freundschaft, der Zufallsbekanntschaften nicht ausschloss. So wie es de Beauvoir und Sartre schon seit Jahrzehnten praktizierten. Die Physiologie der Liebe kam ganz ohne Liebesideologie aus. Wenn ich einen Freund habe, will ich ihn ganz für mich allein, hörte Lenz Ellis empört ausrufen. Genau, pflichtete Lo ihr bei und himmelte verklärt das Objekt ihrer Begierde an. Die Liebe ist eine warme Milch. Alex war sein Unbehagen anzusehen als er das sagte. Er hatte das 30ste Jahr hinter sich und war für seine 16jährige Freundin wohl auch ein Vaterersatz. Und Lo's jugendlicher Niedlichkeitsfaktor dürfte wesentlich dazu beitragen, dass du gerne von ihr trinkst, merkte Claire ironisch an. Warum das ganze Liebesbrimborium, wenn man geil aufeinander ist und viel Lust und Freude miteinander teilt?, warf Detlev ein. Bernd war unterdessen unruhig geworden; ihm passte die ganze Richtung nicht: Mir wird das alles zu biologistisch und subjektivistisch hier. Die gesellschaftliche Erfahrung bestimmt unser Fühlen, das materielle Sein unser Bewusstsein. Und je unzufriedener jemand mit seiner Situation ist, desto stärker neigt er zu Illusionen und Ideologien. Hatten nicht schon die bürgerlichen Revolutionäre die christlichen Maximen: glaube, liebe, hoffe durch die politischen Prinzipien: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ersetzt? Der heutige technische Stand der Produktionsmittel ermöglicht es allen Menschen auf der Erde, und nicht nur den Bonzen und Besitzbürgern, ein selbstbestimmtes Leben durch Wohlstand und Bildung führen zu können. Auf die Kurzformel Lenins gebracht: Kommunismus ist Marxismus plus Elektrifizierung. Blinder Glaube sollte durch die Freiheit wissenschaftlicher Forschung ersetzt werden, besitzergreifende Liebe der erotischen Freundschaft weichen und die Hoffnung auf ein paradiesisches Jenseits ist durch die gemeinsamen Bemühungen zur Verbesserung der Gesellschaft schon hier und jetzt zu beginnen. Lenz sah das genauso. Aber der Zweck heiligte noch lange nicht die Mittel. Was, wenn die Leute lieber Fussball guckten statt zu demonstrieren? Oder lieber beim Friseur säßen als in der Polit-AG? Menschliche und kosmische Natur ließen sich nicht einfach wegdiskutieren.

Marxismus plus Elektrifizierung, nahm Lenz Lenins Parole auf und fragte hochblickend in die Runde: Aber was, wenn die Menschen weder sozialisiert noch elektrifiziert werden wollen? Detlev fiel dazu ein schöner, aber nicht ganz ernst gemeinter Vergleich aus der POP-Musik ein. Wie 1965 beim Newport-Folk-Festival, als Dylan zum Leidwesen der Puristen den Folk elektrifizierte? An der Exaktheit von Mathematik und Musik geschult, blieb das Gespräch für Detlev ziemlich unbefriedigend. Nur dem Rotwein war es zu verdanken, dass er nicht die Geduld verlor und sich gelassen an Karl wandte: Welche politische Theorie ließe sich denn aus den Invariantentheorien des demokratischen Sozialisten Einstein folgern? Sagte es und hob das Glas zum Anstoßen: Auf die relativistische Liebe! In hell erklingender Fröhlichkeit stießen sie an. Claire und Lenz küssten sich lustvoll und schmatzend die Weinbärte von den Mündern und Lo sackte wieder in den Arm Alexens, der sanft an ihrem Ohr zu knabbern begann. Womit wir wieder bei der revolutionären Energie wären, hob Karl an Bernd gewandt an: In den Relativitätstheorien Einsteins sind es die Raumzeit-Invarianzen, denen die physikalischen Sätze und Experimente zu genügen haben. Was wären die Invarianten des gesellschaftlichen Wandels in der demokratischen Politik wie in der revolutionären Praxis? Doch wohl ein Minimum an Menschenrechten! So ließe sich Lenin zwanglos mit Einstein in Einklang bringen; denn seine spezielle Relativitätstheorie hatte Einstein aus der mathematischen Struktur der Elektrodynamik gewonnen. Aber was ergäbe sich genauer betrachtet aus der sozio-technologischen Struktur der elektrifizierten Industriegesellschaft? War es nicht eher der technische Fortschritt als die Macht des Kapitals, was die Zivilisation voran brachte? Neben den Invarianten in der Natur gab es auch die Zweckrationalität der Technik, die kulturinvariant zu sein schien; denn Telephone und Fernseher, Autos und Eisenbahnen funktionierten fast überall auf Welt, egal ob es sich um Demokratien oder Diktaturen handelte. Technik und Zivilisation konnten geradezu gleichgesetzt werden. Aber waren Technik und Wissenschaft nicht zur Ideologie geworden, indem sie sich willfährig dem Kapital unterordneten? Während Lenz seinen Gedanken zum dialektischen Materialismus nachhing, suchte Detlev einige Platten heraus, um die Dialektik hörbar zu machen: Scetches of Spain von Miles Davis, Deep Purples April und Jacques Loussier spielte Bach. In der Physik ist es die Zeitumkehr-Invarianz, die Energieerhaltung zur Folge hat, in der Politik sollte es ähnlich zugehen; Menschenleben also erhalten bleiben, auch im revolutionären gesellschaftlichen Wandel, setzte Karl seine Ausführungen zur sozialen Physik fort. Aber ist denn der Lebensstandard in den westlichen Industriegesellschaften auf die ganze Welt übertragbar; abgesehen davon, ob überhaupt alle Menschen so leben wollen wie wir?, fragte Lenz und gab zum Besten, worüber er gerade in der Schule einen Aufsatz geschrieben hatte: Es gibt Grenzen des Wachstums. Alles ist endlich auf der Erde. Und wenn wir mit den Naturressourcen weiter so verschwenderisch umgehen wie in den letzten hundert Jahren, werden wir die Erde in den nächsten hundert Jahren in eine Mondlandschaft verwandeln. Heute leben etwa 3,5 Mrd. Menschen auf der Erde, zur Jahrtausendwende werden es mindestens sechs und in hundert Jahren womöglich 12 Mrd. sein. Die werden doch nicht alle täglich Auto fahren und ihr Steak essen können.

Die Kommunarden sahen in ihrer WG ein soziales Experiment, das sowohl verallgemeinerbar war als auch jederzeit korrigiert werden konnte. Anstelle der Autogesellschaft und des Massentourismus' schwebte ihnen eine Hippiekultur vor, in der man nicht ständig unterwegs sein musste, um zur Arbeit zu kommen oder in den Urlaub zu fahren. Und der grausame Tierverbrauch durch den hemmungslosen Verzehr von Fleisch, Fisch und Geflügel wäre leicht durch ausschließliche Ernährung von Planzen oder Milchprodukten ersetzbar: ein Rückgang der Zivilisationskranktheiten wäre die Folge und weniger Naturressourcen würden verschwendet werden. Aber was versprach nicht alles die Fortsetzung der Elektrifizierung durch die Vernetzung der Computer. In den USA waren bereits die Rechner einiger Universitäten durch ein Datennetz verbunden worden. Wie zwischen Unis würde man womöglich auch die Computer in den Firmen mit denen zu Hause verbinden können. Aus den WGs als Studiengemeinschaften würden ortsungebunden selbstorganisierte Arbeitskollektive werden. Während am Küchentisch zum Rotwein weiter die Utopien ins Kraut schossen, hatte sich Claire mit Lenz in ihr Zimmer zurückgezogen. Die sich hinziehenden Gespräche hatten das Verlangen durch Verzögerung eher noch gesteigert. Enthemmt vom alkoholischen Traubensaft und angeregt durch den intellektuellen Disput, war Claire nach druckvoll rhythmischem Sex zu Mute und so wählte sie zur musikalischen Erregungssteigerung Deep Purple in Rock aus. Zum schockartig einsetzenden Gitarrenkreischen des Speed King rissen sie sich die Kleider vom Leib und fielen mit Bass und Schlagzeug einschwingend im erotischen Lustkampf übereinander her: I'm a speed king, oh what a flight, der im Orgelspiel seine Erfüllung fand: Take a lesson from a hard lovin' man, ahh, na, na, na schrie Ritchie gleich einem Bloodsucker im Gefetze aus Gitarrenriffs, Schlagmustern und Orgelmelodien aus den Boxen, die mit ihrem pulsierenden Schallfeld das rhythmische Lutschen und Lecken der erogenen Feuchtgebiete stimulierten. Erst das Child in Time leitete eine genussvolle Ruhe ein nach den orgasmischen Stürmen, in der sich Claire über Lenzens eichelglänzenden Stamm stülpte und zum Rock'n'Roll des Mittelteils in einen klitoralen Reibungsrhythmus verfiel, der sie unversehens ruckartig sich aufbäumen und mit verklärtem Jenseitsblick zuckend zusammensinken ließ. Stöhnend verebbte beider Schreien in gegenseitiger Umklammerung. Den nächsten Höhenflug nach dem glitschig weichen Niedergang leitete der Flight of the Rat ein. Noch in ihr steckend wendete Lenz die Lage, vollführte schwungvoll eine erneute Bauchlandung und - hob ab ... Once I had a dream ... What a fright ... Oh what a night ... Mystic demons fly ... I blew my mind ... She was so kind ... Now I'm free and I can see ...


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Ingo 2008-08-16