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Einleitung

Philosophie erschöpft sich heute vornehmlich in analytischer Detailversessenheit oder weitschweifiger Schriftstellerei. Die einst mit kritischem Anspruch begonnene sprachanalytische Philosophie ist zu sinnentleerten Sprachspielen verkommen, in denen es nur noch um Worte, aber kaum mehr um Realien geht. Und die im Feuilleton schwadronierenden Philosophen sind eher auf ihre Medienpräsenz bedacht als daß es ihnen um die sachgerechte Behandlung anstehender Probleme ginge. Wird von den einen ein belangloser Anti-Realismus und ein zur Beliebigkeit neigender Relativismus kultiviert, raunen andere vom Ende des Humanismus.

Diese natürlich überzeichnete Charakterisierung gegenwärtiger Philosophie läßt sich ergänzen durch die nach wie vor gepflegten Personenkulte und das Lagerdenken . Im Gegensatz zu den Naturwissenschaften dominieren in philosophischen Texten nicht die Sachfragen, sondern die Zitate und Interpretationen der jeweiligen Idole. Und wenn man sich nicht gleich auf einen Vordenker reduziert, so bleibt man zumindest im eigenen Lager und pflegt die Selbstpreisung oder die Herabsetzung des Gegners. Nicht selten werden die Philosophien anderer auch einfach für tot erklärt.
Glücklicherweise kann dem desolaten Siechtum der Philosophie neues Leben eingehaucht werden. Wenn man nämlich jenseits der Personenkulte, des Lagerdenkens, der Sprachspiele und des Schwadronierens einen Blick auf den Stand der Technik und der Naturwissenschaften wagt, kann man sich kaum der Begeisterung erwehren, die einem sogleich überkommt. Der mit Ungestüm voranschreitende Fortschritt in Naturwissenschaft und Technik eignet sich als Leitbild, aus der maroden Lage der Philosophie wieder eine blühende Wissenschaft zu machen. Wenngleich der Philosoph Karl Popper den logischen Positivismus für tot erklärt hat und sich in anmaßender Selbstüberschätzung auch noch selbst als Täter sah; ist es gerade die erneuerte Perspektive einer wissenschaftlichen Weltanschauung, die der Philosophie zur Perspektive einer Orientierungswissenschaft verhelfen könnte.

In der Theorienentwicklung von den Mythen bis zur Naturwissenschaft stellt der Übergang zur Vernunft-Philosophie des antiken Griechenlands den ersten Paradigmenwechsel dar. Er begann vor über 2500 Jahren und ist bis heute wirksam. Der zweite Paradigmenwechsel wurde im 17. Jahrhundert vollzogen, indem aus der Verbindung von philosophischer Theorie und experimenteller Praxis die Naturwissenschaft hervorging. Mit diesem zweiten Schritt begann die wissenschaftlich-technische Revolution, die zur Vormachtstellung der westlichen Zivilisation führte. Mathematische Theorie und technische Praxis führten zu einem neuen, erfahrungsbasierten Theorienverständnis. Wissenschaftliche Theorien stellten fortan interpretierte Formalismen dar. Invarianzprinzipien und Optimierungsverfahren leiten zugleich die Entstehung und Verwertung neuer Wissenschaftszweige an. Naturwissenschaft und Technik wurden zur ersten Produktivkraft in der Gesellschaft; der technische Fortschritt schlechthin kulturbestimmend. Im Vergleich mit dieser stürmischen Entwicklung der Naturwissenschaften geriet die altehrwürdige Philosophie zunehmend ins Hintertreffen. Schauen wir zu, wie sie begann und wie sie zu neuem Leben erweckt werden könnte.


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Ingo Tessmann
1/31/2000