Albert Einstein blieb sein Leben lang den Prinzipien der klassischen Physik Newtons verpflichtet
und vollendete seine Gravitationstheorie. Und Thomas Mann versuchte dem Vorbild der Weimarer
Klassik Goethes nachzueifern, indem er bereits 1895 seine Glücksvorstellung von einem
unabhängigen Leben im Einverständnis mit sich selbst formuliert. Unter der Überschrift
Erkenne Dich Selbst beantwortet er dazu in seinen autobiographischen Schriften
einige Fragen:
Deine Lieblingseigenschaften am Manne? Geist, Geistigkeit.
Deine Lieblingseigenschaften am Weibe? Schönheit und Tugend.
Deine Lieblingsbeschäftigung? Zu dichten ohne zu schreiben.
Deine Idee vom Glück? Unabhängig und mit mirselbst im Einverständnis zu leben.
Welcher Beruf scheint Dir der beste? Der Künstlerische.
Deine Idee vom Unglück? Mittellos und daher abhängig zu sein.
Dein Hauptcharakterzug? Höflichkeit, auch gegen michselbst.
Dein Temperament? Kontemplativ, hamletisch, von des Gedankens Blässe angekränkelt.
Beflügelt von der Veröffentlichung seines ersten Novellenbandes Der kleine Herr
Friedemann, reimt der Dichter im Januar 1899 seinen Knabentraum vom Erwählten:
Ich bin ein kindischer und schwacher Fant,
Und irrend schweift mein Blick in alle Runde,
Und schwankend fass' ich jede starke Hand.
Und dennoch regt die Hoffnung sich im Grunde,
Daß etwas, was ich dachte und empfand,
Mit Ruhm einst gehen wird von Mund zu Munde.
Schon klingt mein Name leise in das Land,
Schon nennt ihn mancher in des Beifalls Tone,-
Leute sind's von Urteil und Verstand.
Ein Traum von einer schmalen Lorbeerkrone
Scheucht auf den Schlaf mir, unruhvoll, zur Nacht,
Die meine Stirn einst zieren wird zum Lohne
Für dies und jenes, was ich gut gemacht.
1907 reflektiert er dann seinen Ruhm in einer selbstironischen Betrachtung Im Spiegel: Ich habe eine dunkle und schimpfliche Vergangenheit, so daß es mir außerordentlich peinlich ist ... davon zu sprechen. Erstens bin ich ein verkommener Gymnasiast. Nicht daß ich durchs Abiturexamen gefallen wäre,- es wäre Aufschneiderei, wollte ich das behaupten. Sondern ich bin überhaupt nicht ins Primar gelangt; ich war schon in Sekunda so alt wie der Westerwald. Faul, verstockt und voll liederlichen Hohns über das Ganze. Nachdem er so die Jahre abgesessen und zwei Ehrenrunden gedreht hatte, erhielt er den Berechtigungsschein zum einjährigen Militärdienst und entwich damit 1893 nach München. Da er immerhin Anstand nahm, sich nicht sogleich dem Müßiggang zu überlassen, trat er als Voluntär bei einer Versicherungsgesellschaft ein: Statt aber bestrebt zu sein, mich in die Geschäfte einzuarbeiten, hielt ich es für gut, auf meinem Drehsessel verstohlenerweise an einer erdichteten Erzählung zu schreiben. Es handelte sich um die mit Versen untermischte Liebesgeschichte Gefallen, von der schon die Rede war. Die kleine Novelle gefiel dem Publizisten Richard Dehmel so gut, daß er sich weitere Erzählungen erbat, die einen Novellenband füllen sollten. Aber weiter im Originalton: Ich verließ das Bureau, bevor man mich hinauswarf, gab an, Journalist werden zu wollen, und hörte ein paar Semester lang an den Münchener Hochschulen in buntem und unersprießlichem Durcheinander historische, volkswirtschaftliche und schönwissenschaftliche Vorlesungen. Plötzlich jedoch, wie ein rechter Vagabund, ließ ich alles liegen und ging ins Ausland, nach Rom, wo ich mich ein Jahr lang plan- und beschäftigungslos umhertrieb. Ich verbrachte meine Tage mit Schreiben und der Vertilgung jenes Lesestoffes, den man den belletristischen nennt und dem ein anständiger Mensch höchstens zur Zerstreuung und in seinen Mußestunden sich zuwendet. Das Schreiben bezieht sich immerhin auf den Beginn der Arbeit an Buddenbrooks zwischen 1897 und 1900. Gebräunt, mager und in ziemlich abgerissenen Zustande kehrte Thomas nach München zurück, um den Militärdienst anzutreten. Ob er es da wohl länger aushielt? Schon nach einem Vierteljahr ... wurde ich mit schlichtem Abschied entlassen, da meine Füße sich nicht an jene ideale und männliche Gangart gewöhnen wollten, die Parademarsch heißt, und ich beständig mit Sehnenscheidenentzündung daniederlag. Er setzte sein fahrlässiges Leben in Zivilkleidern fort, war eine Zeitlang Mitredakteur des Simplicissimus und sank von Stufe zu Stufe in das vierte Jahrzehnt seines Lebens ...
Und nun? Und heute? Ich hocke verglasten Blicks und einen wollenen Schal um den Hals mit anderen verlorenen Gesellen in einer Anarchistenkneipe? Ich liege in der Gosse, wie sich's gebührte? fragt sich der anspruchsvolle Künstler nach seinem Niedergang - und antwortet verblüfft: Nein. Glanz umgibt mich. Nichts gleicht meinem Glücke. Ich bin vermählt, ich habe eine außerordentlich schöne junge Frau - eine Prinzessin von einer Frau, wenn man mir glauben will, deren Vater königlicher Universitätsprofessor ist und die ihrerseits das Abiturexamen gemacht hat, ohne deshalb auf mich herabzusehen, sowie zwei blühende, zu den höchsten Hoffnungen berechtigende Kinder. Unser Künstler fährt fort, seinen Zustand in den höchsten Tönen zu preisen, um wiederum verblüfft innezuhalten: Und wieso das alles? Wodurch? Wofür? Ich habe fortgefahren, zu treiben, was ich schon als Ultimus trieb, nämlich zu träumen, Dichterbücher zu lesen und selbst dergleichen herzustellen. Dafür sitze ich nun in der Herrlichkeit. 1901 waren Buddenbrooks und 1903 der zweite Novellenband Tristan erschienen. Das Renaissance-Drama Fiorenza hatte Thomas Mann noch vor seiner Hochzeit mit Katharina Pringsheim 1905 beendet. Die Werbung um Katja, die wohl beste Partie Münchens seinerzeit, und seine Erlösung aus der Künstlereinsamkeit hat er dann 1909 in dem Prinzenmärchen Königliche Hoheit ironisch verklärt.
Zurück zu seiner Selbstbespiegelung: Diejenigen, die meine Schriften
durchgeblättert haben, werden sich erinnern, daß ich der Lebensform des Künstlers, des
Dichters stets mit dem äußersten Mißtrauen gegenüberstand. In der Tat wird mein Erstaunen
über die Ehren, welche die Gesellschaft dieser Spezies erweist, niemals enden. Ich weiß, was
ein Dichter ist, denn bestätigtermaßen bin ich selber einer. Ein Dichter ist, kurz gesagt,
ein auf allen Gebieten ernsthafter Tätigkeit unbedingt unbrauchbarer, einzig auf Allotria
bedachter, dem Staate nicht nur nicht nützlicher, sondern sogar aufsässig gesinnter
Kumpan.
Die doppelte Optik der Künstlerexistenz ist typisch für Thomas Mann und zieht sich
durch sein gesamtes Werk. Der dekadente Ästhetizismus richtet die Buddenbrooks zugrunde
und verfeinert sie zugleich. In der nachfolgenden Erzählung Tonio Kröger reflektiert
der Dichter sein Selbstverständnis im Schwanken zwischen dem nihilistischen Erkenntnisekel des
Künstlers und dem einfältigen Dahinleben der naiven Frohnaturen. Eine Steigerung ins
morbid-abgründige erfahren die dunklen Künstlerexistenzen in den Novellen Tod in Venedig
1912 und Mario und der Zauberer 1930. Im Spätwerk Dr. Faustus wird die Verfallsgeschichte
des Künstlers dann bis 1947 auf die gesamte Kulturentwicklung der Deutschen seit Luther übertragen,
die ihre Vollendung im Teufelspakt mit Hitler erreichte. Gegenüber dieser dunklen Seite der
Künstlerexistenz hat Thomas Mann Im Spiegel ihren hellen Schein reflektiert gesehen und
sich als Königliche Hoheit gefeiert. Eine Steigerung des schönen Scheins ins
hochstaplerisch-kriminelle folgt auf dem Fuße. In seinem Lebensabriß schreibt er
1930: Nach der Zurücklegung von ,,Königliche Hoheit`` hatte ich die
,,Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull`` zu schreiben begonnen - ein sonderbarer
Entwurf ... Es handelte sich natürlich um eine neue Wendung des Kunst- und Künstlermotivs, um
die Psychologie der unwirklich-illusionären Existenzform. Daran sollte er bis an sein
Lebensende weiterschreiben, ohne jedoch zum Abschluß zu gelangen. Die lichteren Gestalten
illusionärer Existenzformen bevölkern auch seine weiteren Romane, von der episch gebundenen
Ideenkomposition des Zauberbergs 1924 über die Mythopoesie der Joseph-Tetralogie
(1933-1943) und das Goethe-Imago in Lotte in Weimar 1939 bis hin zum heiligen Gregorius
in Der Erwählte von 1951. Auch in dem Gefühl, erwählt worden zu sein, schließt sich
ein Kreis im Werk Thomas Manns. Davon handelt schon sein Knabentraum. Aber das Leben
von Segensleuten ist nicht nur eitel Glück und schale Wohlfahrt. In einem
Brief an den Freund Paul Ehrenberg heißt es im Juni 1903:
Hier ist ein Mensch höchst mangelhaft:
Voll groß und kleiner Leidenschaft,
Ehrgeizig, eitel, liebegierig,
Verletzlich, eifersüchtig, schwierig,
Unfriedsam, maßlos, ohne Halt,
Bald überstolz und elend bald,
Naiv und fünfmal durchgesiebt,
Weltflüchtig und doch weltverliebt,
Sehnsüchtig, schwach, ein Rohr im Wind,
Halb seherisch, halb blöd und blind,
Ein Kind, ein Narr, ein Dichter schier,
Schmerzlich verstrickt in Will' und Wahn,
Doch mit dem Vorzug, daß er Dir
Von ganzem Herzen zugethan!
Schmerzlich verstrickt in der Schopenhauer'schen Welt als Wille und Vorstellung war
Thomas Mann immer wieder darum bemüht, Herr seiner Gegensätze zu bleiben im
Schwanken zwischen naiver Sinnenfreude und reflektiertem Kunstgenuß; in der
Verbindung von Leben und Kunst, Kultur und Geist. Ganz Künstler gelangte er
nur über die Schönheit zur Wahrheit; ein Weg, der auch dem Wissenschaftler
geläufig ist.
Anläßlich der Aufforderung, einen autobiographischen Beitrag zu einem Band der Libray of Living Philosophers über sein Werk beizutragen, schrieb Einstein 1946 einen ,,Nekrolog``, wie er es nannte. Der über seine persönliche und wissenschaftliche Entwicklung informierende Beitrag wurde 1983 wiederveröffentlicht in dem Sammelband: Albert Einstein als Philosoph und Naturforscher unter dem Titel Autobiographisches: Hier sitze ich, um mit 67 Jahren so etwas wie den eigenen Nekrolog zu schreiben, hebt der weltweise Gelehrte an in dem Glauben, daß es gut ist, den Mitstrebenden zu zeigen, wie einem das eigene Streben und Suchen im Rückblick erscheint. Eingedenk eines trügerischen Blickpunktes zögert er sogleich fortzufahren. Und so sollte daran erinnert werden, daß Einstein die Zeit eigentlich als illusionär angesehen hat. Denn Zukunft und Vergangenheit werden durch seine Feldgleichungen gleichermaßen determiniert, sind aber dennoch unvorhersehbar bzw. unnachsehbar. Den nichtlinearen kosmologischen Zusammenhängen gemäß, ist das gesamte Universum ein seinem Wesen nach chaotisches System, ganz so wie im Kleinen die Witterungserscheinungen in der Atmosphäre hier auf der Erde.
Aber zurück zum Weißschopf mit den Sternenaugen, der fortfährt, daß man doch manches aus dem Selbsterlebten schöpfen könne, was einem andern Bewußtsein nicht zugänglich sei. Als ziemlich frühreifen jungen Menschen kam mir die Nichtigkeit des Hoffens und Strebens lebhaft zum Bewußtsein, das die meisten Menschen rastlos durchs Leben jagt. Auch sah ich bald die Grausamkeit dieses Treibens, die in jenen Jahren sorgsamer als jetzt durch Hypokrisie und glänzende Worte verdeckt war. Das rastlose Jagen nach Geld und Macht vermochte nicht das denkende und fühlende Wesen in ihm zu befriedigen. Um aus dem frühen Nihilismus herauszukommen, suchte er sein Heil in der Religiösität; eine Phase, die aber bereits im Alter von 12 Jahren ein jähes Ende fand: Durch Lesen populär-wissenschaftlicher Bücher kam ich bald zu der Überzeugung, daß vieles in den Erzählungen der Bibel nicht wahr sein konnte. Die Folge war eine geradezu fanatische Freigeisterei, verbunden mit dem Eindruck, daß die Jugend vom Staate mit Vorbedacht belogen wird; es war ein niederschmetternder Eindruck. Das Mißtrauen gegen jede Art von Autorität erwuchs aus diesem Erlebnis. Rückblickend ist ihm klar, daß das so verlorene religiöse Paradies der Jugend ein erster Versuch war, mich aus den Fesseln des ,,Nur-Persönlichen`` zu befreien, aus einem Dasein, das durch Wünsche, Hoffnungen und primitive Gefühle beherrscht ist. Da gab es draußen diese große Welt, die unabhängig von uns Menschen da ist und vor uns steht wie ein großes, ewiges Rätsel, wenigstens teilweise zugänglich unserem Schauen und Denken. Die Betrachtung der äußeren Natur wirkte auf ihn wie eine große Befreiung, die in seinem Lebensplan aufging, die Natur verstehen zu wollen: Das gedankliche Erfassen dieser außerpersönlichen Welt im Rahmen der uns gebotenen Möglichkeiten schwebte mir halb bewußt, halb unbewußt als höchstes Ziel vor. Zum Glück entsprach dieses Ziel seiner Art, so daß er ihm seinem Leben lang treu bleiben konnte: Bei einem Menschen von meiner Art liegt der Wendepunkt der Entwicklung darin, daß das Hauptinteresse sich allmählich weitgehend loslöst vom Momentanen und Nur-Persönlichen und sich dem Streben nach gedanklicher Erfassung der Dinge zuwendet. Die Entwicklung seiner Gedankenwelt hat er wiederholt als Flucht vor einem ,,Wunder`` erfahren, das sich einstelle, wenn ein Erlebnis mit einer hinreichend fixierten Begriffswelt in Konflikt gerate. Ein Wunder solcher Art erlebte ich als Kind von 4 oder 5 Jahren, als mir mein Vater einen Kompaß zeigte. Ein zweites Wunder ganz anderer Art erlebte der Frühreife im Alter von 12 Jahren an einem Büchlein über Euklidische Geometrie. Die Klarheit und Sicherheit der geometrischen Beweisführung machte auf ihn einen unbeschreiblichen Eindruck. Eingedenk seiner späteren Reflexion über Geometrie und Erfahrung schränkt er das Wunderbare seines Erlebens zwar wieder ein, aber nicht ohne der Erfindung der exakten Wissenschaft im antiken Griechenland zu huldigen: Wenn es so schien, daß man durch bloßes Denken sichere Erkenntnis über Erfahrungsgegenstände erlangen könne, so beruhte dies Wunder auf einem Irrtum. Aber es ist für den, der es zum ersten Mal erlebt, wunderbar genug, daß der Mensch überhaupt imstande ist, einen solchen Grad von Sicherheit und Reinheit im bloßen Denken zu erlangen, wie es uns die Griechen erstmalig in der Geometrie gezeigt haben.
Nachdem sich der Jungforscher im Alter von 12 bis 16 Jahren weitgehend im Selbststudium
mit der höheren Mathematik vertaut gemacht und mit atemloser Spannung 5 oder 6 Bände
der Naturwissenschaftlichen Volksbücher Bernsteins gelesen hatte, stieß er bereits auf
das folgenschwere Licht-Paradoxon: Wenn ich einem Lichtstrahl nacheile mit der
Geschwindigkeit c (Lichtgeschwindigkeit im Vakuum), so sollte ich einen solchen Lichtstrahl
als ruhendes, räumlich oszillatorisches, elektromagnetisches Feld wahrnehmen. So etwas scheint
es aber nicht zu geben. Weder aufgrund der Erfahrung noch gemäß den Maxwell'schen Gleichungen.
Dieser Stachel einer Unstimmigkeit zeitigte zehn Jahre später die (spezielle) Relativitätstheorie,
die er weitere zehn Jahre später zur allgemeinen Relativitätstheorie vervollkommnen konnte.
Auch etwas theoretische Physik hatte er schon studiert, als er mit 17 Jahren am Züricher
Polytechnikum für das Lehramt Mathematik und Physik zu studieren begann. Es ist bemerkenswert,
wie weit Einsteins Persönlichkeit bereits entwickelt war, bevor er überhaupt das Studium
antrat. Sein Leben lang trieb ihn das in seiner Kindheit hervortretende Verlangen, die Natur
verstehen zu wollen, unbeirrt durch alle persönlichen Wirrnisse und politischen Heimsuchungen.
Und auch sein Generalthema, das gedankliche Erfassen der Lichterscheinungen, fesselte ihn
lebenslang und sollte manch reife Frucht tragen.
Genies entwickeln sich selbsttätig aus sich heraus und bedürfen nicht der Ermahnung wie die Kleingeister und Mitläufer: Werde Du selbst! Ganz ähnlich wie Albert Einstein fand auch Thomas Mann frühzeitig seinen Weg; allerdings nicht in der wissenschaftlichen, sondern in der literarischen Welt. In seinen autobiographischen Schriften berichtet er über seine Kinderspiele und hebt einen wundervollen Kaufmannsladen hervor sowie ein Schaukelpferd, daß er zärtlich geliebt und Achill genannt habe. Am liebsten aber spielte er mit Puppen: Bei alldem ist wohl kein Zweifel, daß ich meine schönsten Stunden unserem Puppentheater verdankte, das schon meinem älteren Bruder Heinrich gehört hatte und dessen Dekorationen durch ihn, der gern Maler geworden wäre, um viele, sehr schöne selbstgemalte vermehrt worden waren. Die Art wie ich dieses Kunstinstitut leitete, habe ich ausführlich in einer meiner Novellen (,,Der Bajazzo``) beschrieben, und auch in Hanno Buddenbrooks Lebensgeschichte spielt es seine Rolle. Die Spielfreude des Knaben war so stark, daß es ihm gänzlich unmöglich schien, ihr jemals entwachsen zu sollen. Aber auch ohne Spielzeug reichte ihm die Kraft seiner Phantasie, mal in die Rolle eines mittelalterlichen Prinzen zu schlüpfen oder im Mythenspiel in der Rolle des antiken Göttervaters Zeus aufzugehen und begeistert die Mythen des alten Griechenland zu inszenieren. Die Prinzenrolle nahm er dann wieder in Königliche Hoheit ein und die griechische Mythologie durchzieht nicht nur den Tod in Venedig, sondern findet sich noch in seinem letzten Werk, dem Felix Krull, in den Lebensumständen des Professors Kuckuck symbolisiert.
Neben seiner schillernden Phantasie war es die Süße des Schlafes, die ihn
frühe Widrigkeiten des Lebens meistern half, ohne innerlich wirklich
beteiligt zu sein. 1909 schreibt er in seiner Huldigung Süßer Schlaf:
Die rechte Inbrunst ist in meinen Schlaf gekommen, als das erste
Lebensalter der Freiheit und Unantastbarkeit vorüber war und die Widrigkeit
des Lebens in Gestalt der Schule meinen Tag zu entstellen begann. Schlaf und
Vergessen hat Thomas von Anbeginn geliebt. Seinen Wärterinnen kam diese
Neigung zu Schlummer und Halbschlummer nur recht. Während sie ihre Ruhe
hatten, schaukelte er wie in einem Zaubernachen in das Meer des
Unbewußtseins und der Unendlichkeit. Seine Liebe zum Meer führt er dabei
auf die gleiche Wurzel zurück wie seine Liebe zum Schlaf: Ich habe in
mir viel Indertum, viel schweres und träges Verlangen nach jener Form oder
Unform des Vollkommenen, welche ,,Nirwana`` oder das Nichts benannt
ist. Der Künstler beschließt seine Betrachtung über den Schlaf mit dem
Ausklang seiner Lieblingsmusik: Der ist gewiß der Größte, welcher der
Nacht die Treue und Sehnsucht wahrt und dennoch die gewaltigsten Werke des
Tages tut. Darum liebe ich das Werk am meisten, das aus der ,,Sehnsucht hin zur
heiligen Nacht`` geboren wurde und gleichsam trotz seiner selbst dasteht
in seiner Willens- und Schlummerherrlichkeit,- ich meine den ,,
Tristan`` von Richard Wagner.
Sein träumerisches Naturell fand reiche Nahrung in den phantasievollen
Spielen des Tages wie im Schlummer süßen Schlafes während der Nacht.
Meine Kindheit war gehegt und glücklich, schreibt Thomas Mann 1930 in
seinem Lebensabriß entsprechend, um sogleich auf die erste Heimsuchung seines
Lebens hinzuweisen: Ich verabscheute die Schule und tat ihren
Anforderungen bis ans Ende nicht Genüge. Ich verachtete sie als Milieu,
kritisierte die Manieren ihrer Machthaber und befand mich früh in einer Art
literarischer Opposition gegen ihren Geist, ihre Disziplin, ihre
Abrichtungsmethoden. Aus meinen späten Jahren berichtend, schreibt
Albert Einstein 1936 Allgemeines über Erziehung und verhehlt ebenfalls
nicht seine Abneigung gegen die Schule: Am schlimmsten scheint es mir zu
sein, wenn eine Schule hauptsächlich mit den Mitteln von Furcht, Zwang und
künstlicher Autorität arbeitet. Solche Behandlung vernichtet das gesunde
Lebensgefühl, die Aufrichtigkeit des Schülers. Sie erzeugt den
unterwürfigen Untertanen. Es ist kein Wunder, daß derartige Schulen in
Deutschland und Rußland die Regel bildeten. Thomas blieb zweimal Sitzen,
verließ das Katharineum 1893 nach der 11. Klasse und reiste zu seiner Mutter
nach München. Währenddessen litt Albert noch unter dem Drill am Münchner
Luitpold-Gymnasium. Selbstbewußt und eigensinnig galt er im Herdenwesen des
deutschen Obrigkeitsstaates als Außenseiter und Sonderling. Fachlich war er
eher unterfordert, sozial hielt er es aber nicht bis zum Ende aus. Er
verließ das Gymnasium ebenfalls ohne Abschluß und folgte seinen Eltern im
Dezember 1894 nach Italien.
Nach glücklich verlebten Ferien in mediterraner
Freiheit trat Albert im Oktober 1895 in die Kantonsschule in
Aarau
ein, um in der
liberalen Schweiz sein Abitur zu machen. Dabei hatte er das Glück, bei einem
der Schulprofessoren, Jost Winteler, als Pensionsgast wohnen und zwanglos am
Familienleben teilnehmen zu können. Die liebenswürdig-tolerante Atmosphäre
ließ ihn aufblühen, zumal er starken Eindruck auf die Tochter Marie
machte. Marie war die hübscheste der drei Töchter und zwei Jahre älter
als Einstein, weiß Carter zu berichten. Gern entführte sie ihn zum
gemeinsamen Musizieren von seinen Studien. Marie schreibt später über ihre
Beziehung zu Albert: Wir haben uns innig geliebt, aber es war eine
durchaus ideale Liebe. Sie sollte nur von kurzer Dauer sein. Denn im Oktober
1896 schrieb Einstein sich am Polytechnikum in Zürich ein. Er war nicht
gewillt, die Liebe zu Marie fortzusetzen und beendete seinen Seelenkampf
im Mai 1897 mit einem Brief an ihre Mutter Pauline, der von bemerkenswerter
Zielstrebigkeit und Gefühlskontrolle zeugt: Es erfüllt mich mit einer
Art seltsamer Genugthuung, jetzt auch einen Teil des Schmerzes durchkosten zu
müssen, den mein Leichtsinn & meine Unkenntnis einer so zarten Natur dem
lieben Mädchen bereitet haben. Die angestrengte geistige Arbeit & das
Anschauen von Gottes Natur sind die Engel, welche mich versöhnend, stärkend,
und doch unerbittlich streng durch alle Wirren dieses Lebens führen
werden. Wenn ich nur dem guten Kind auch etwas davon geben könnte! Und doch,
welch seltsame Art ist das, um die Stürme des Lebens zu ertragen - in
mancher klaren Stunde komme ich mir vor wie der Vogel Strauß, welcher seinen
Kopf in den Wüstensand steckt, um die Gefahr nicht zu sehen. Man schafft sich
da selbst so ein Weltchen, wie kläglich unbedeutend es auch immer sei, gegen
die ewig wechselnde Größe wahren Seins, und fühlt sich noch wunder wie groß
& wichtig dabei, wie etwa der Maulwurf in seinem selbstgegrabnen Loch.- Doch
wozu sich selbst heruntersetzen, das besorgen schon andere wenns not thut,
drum genug davon. Aus seinem ,,Maulwurfsloch``, dem ,,Schloß
Seelenruhe`` oder seiner ,,Bärenhöhle`` wollte er sich durch
niemandem vertreiben lassen. Und das bereits in einem Alter von noch nicht
einmal 18 Jahren! Zu seiner ersten Ehefrau wählte er 1903 eine Kommilitonin,
Mileva Maric, an die er sich aber nicht emotional band. Und seine zweite Ehe
mit seiner Cousine Elsa 1919 war eine reine Zweckgemeinschaft. Hatte sich
schon Mileva um Kinder und Haushalt zu kümmern gehabt und darüber
ihren Studienabschluß versäumt, fiel Elsa neben der Haushaltsführung die
Aufgabe zu, Albert vor unangenehmen Besuchern abzuschirmen. Wie stark er auf
seine Eigenständigkeit wert legte, zeigen folgende Zeilen aus seinem
Nachlaß:
Unbehaglich macht mich stets das Wörtchen ,,wir``
Denn man ist nicht eins mit einem andern Tier.
Hinter allem Einverständnis steckt
Stets ein Abgrund, der noch zugedeckt.
Starke Persönlichkeiten dulden keine Zweisamkeit. Nach dem Tod seines lebenslangen Freundes Michele Besso bekennt er 1955 in seinem Beileidsschreiben: Was ich aber am meisten an ihm als Menschen bewunderte, ist der Umstand, dass er es fertig gebracht hat, viele Jahre lang nicht nur in Frieden, sondern sogar in dauernder Konsonanz mit einer Frau zu leben - ein Unterfangen, in dem ich zweimal ziemlich schmählich gescheitert bin. Mädchen gegenüber benahm sich der Knabe Einstein gern spitzbübisch-schalkhaft. Seine witzig-heiteren Neckereien machten sie ihm sympathisch. Nicht selten zogen sie ihn auch ins Vertrauen. Auf die Frage, ob sie heiraten solle, anwortete er 1899 der Freundin Julia Niggli u.a.: Glauben Sie denn wirklich, für die Dauer das Lebensglück durch andere, und sei es auch der einzig geliebte Mann, finden zu können? Und so verschloß er sich der aufkeimenden Liebe und entsagte dem ,,Nur-Persönlichen`` auf seinem Weg in die Hochgebirgslandschaft des Geistes. Frauen dienten dem Mann Einstein eher als Hausfrau oder Lustobjekt. Lustvoller Sex sagte ihm eher zu als besitzergreifende Liebe. Seine Ehefrauen litten natürlich eifersüchtig unter seinen Affären mit Damen der Berliner Boheme oder des New Yorker Nachtlebens. Mit seiner jüngeren Schwester Maja verstand er sich zeitlebens sehr gut. Nachdem Elsa gestorben war, verbrachte sie mit ihm ihren Lebensabend in Princeton.