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Biographisches

Einstein und Mann haben ihre Biographien wiederholt in Lebensläufen zusammengefaßt. Ich beginne mit dem Lebenslauf des Literaten aus seinen autobiographischen Schriften, den er 1936 für amerikanische Leser schrieb. Der Großschriftsteller hebt nicht ganz unbescheiden an: Ich bin geboren am Sonntag den 6. Juni 1875 mittags zwölf Uhr. Der Planetenstand war günstig, wie Adepten der Astrologie mir später oft versicherten, indem sie mir auf Grund meines Horoskops ein langes und glückliches Leben sowie einen sanften Tod verhießen. Dem Literaturkenner fällt dazu natürlich sofort der Anfang aus Dichtung und Wahrheit ein, der Autobiographie des verehrten ,,Erkenntnisdichters`` aus Weimar: Am 28sten August 1749, mittags mit dem Glockenschlag zwölf, kam ich in Frankfurt am Main auf die Welt. Die Konstellation war glücklich ... Diese guten Aspekte, welche mir die Astrologen in der Folgezeit sehr hoch anzurechnen wußten, mögen wohl Ursache an meiner Erhaltung gewesen sein. Thomas Mann gelingt mit seiner Anverwandlung der Biographie Goethes zweierlei. Er stellt sich als Nachfahre des großen Klassikers dar und ironisiert zugleich seine Geburt; denn weder er noch Goethe waren natürlich nicht Schlag zwölf geboren worden. Diese Art der Anverwandlung fremder Texte im Rahmen der Montagetechnik seiner ,,höheren Form des Abschreibens`` durchzieht sein gesamtes Werk und ist für den Literaturkundigen eine reichhaltige Quelle des Kunstgenusses und des Kulturverstehens.

Nachdem ihm die Astrologen ein glückliches Leben prophezeit hatten, verwahrt er sich natürlich sogleich ironisch gegen diesen Aberglauben. Thomas Mann fährt in seinem Lebenslauf fort, indem er eine Passage aus seiner Joseph-Tetralogie zitiert: Denn das ist dünner Aberglaube, zu meinen, daß Leben von Segensleuten sie eitel Glück und schale Wohlfahrt. Bildet der Segen doch eigentlich nur den Grund ihres Wesens, welcher durch reichliche Qual und Heimsuchung zwischenein gleichsam golden hindurchschimmert. Mit dem Grundmotiv der Heimsuchung ist er bereits im Zentrum seines ganzen Werkes angelangt. Stets sind es die Heimsuchungen der Natur durch Krankheit und Tod oder der Gesellschaft durch Standesunterschiede und Reglementierungen, denen seine Menschen ausgeliefert sind. Das beginnt schon mit seiner ersten veröffentlichten Erzählung Gefallen von 1894, in der er folgende Konsequenz erzählend ausgestaltet: Wenn eine Frau heute aus Liebe fällt, so fällt sie morgen um Geld. Und in seiner letzten Novelle Die Betrogene erzählt er 1953 das Schicksal einer gerade in die Menopause geratenen Frau, die frisch verliebt in einen jungen Mann, das Wiedereinsetzen ihrer Blutungen erlebend, noch einmal zur Fruchtbarkeit zu erblühen meint, dann aber erfahren muß, daß es sich um Blutungen einer tödlichen Krebserkrankung gehandelt hatte. Vielerlei Heimsuchungen haben auch die Helden seines ersten Romans, Buddenbrooks von 1901, zu erleiden. Erzählt werden die Heimsuchungen stets mit mehr oder minder weiter ironischer Distanz. Und erst in seinem letzten Romanfragment, Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull von 1954, wendet sich das Schicksal für das Glückskind Felix zum Guten. Ironischerweise handelt es sich aber um einen Betrüger und Kriminellen, dem das Leben so wohltuend mitspielt ...

Aber zurück zum Lebenslauf. Meine Geburtsstadt war Lübeck, eine schöne alte Stadt nahe der Ostsee, von mittelalterlichem Gepräge. Die Erfahrungen des Stadtlebens und der Sommerfrische am Meer durchziehen ebenfalls Manns Werk. Lübeck stellt bekanntermaßen die Kulisse dar für den Verfall einer Familie in Buddenbrooks. Aber noch im Felix Krull taucht in der Jugenderinnerung des Glückspilzes die Szenerie Travemündes auf. Verinnerlicht als geistige Lebensform hat er sich Lübeck sein Leben lang heimatlich verbunden gefühlt. Thomas Mann fährt fort: Meine Kindheit war gehegt und glücklich. Und in Anknüpfung an sein großes Vorbild stellt er fest: Frage ich mich nach der erblichen Herkunft meiner Anlagen, so muß ich an Goethes berühmtes Verschen denken und feststellen, daß auch ich ,,des Lebens ernstes Führen`` vom Vater, die ,,Frohnatur`` aber, das ist die künstlerisch-sinnliche Richtung und - im weitesten Sinne des Wortes - die ,,Lust zu fabulieren``, von der Mutter habe.

Die Rollenverteilung der Eltern war bei Albert Einstein ganz ähnlich. Das musisch-heitere hatte er von der Mutter, das rechnerisch-korrekte vom Vater. Aber lassen wir ihn selber zu Worte kommen. Anläßlich seiner Aufnahme in ,,Die Kaiserlich Deutsche Akademie der Naturforscher zu Halle``, hatte er 1932 eine kurze Selbstbiographie zu schreiben: Ich bin in Ulm als Sohn jüdischer Eltern am 14. März 1879 geboren. Mein Vater war Kaufmann, zog bald nach meiner Geburt nach München, später 1893 nach Italien. Bemerkenswert an diesem Beginn ist sein Selbstbewußtsein, das er zeigt, indem er 1932 ausdrücklich darauf hinweist Jude zu sein. Von reaktionären und nationalsozialistischen Akademiemitgliedern wurde das als Provokation empfunden. Nach der knappen Schilderung seines schulischen und universitären Werdegangs hebt er hervor: Seit 1914 bin ich bezahltes Mitglied an der Preuss. Akademie d. Wissensch. in Berlin und kann mich ausschließlich der wissenschaftlichen Forschungsarbeit widmen. Das war ganz nach seinem Geschmack, eine Forschungstätigkeit ohne Lehrverpflichtung. Zurückgezogen in seiner ,,Bärenhöhle`` im Turmzimmer des Instituts konnte er sich ungestört seinen Studien widmen. Unter seinen zahlreichen Veröffentlichungen zählt er die wichtigsten zu folgenden Themen auf:

Brown'sche Bewegung (1905)

Theorie der Planck'schen Formel und der Lichtquanten (1905, 1917)

Spezielle Relativitätstheorie und Trägheit der Energie (1905)

Allgemeine Relativitätstheorie 1916 und später

Ferner sind Arbeiten über die thermischen Schwankungen zu erwähnen

sowie eine 1917 mit Prof. W. Mayer verfasste Arbeit über die einheitliche Natur von

Gravitation und Elektrizität.

Mit seiner Arbeit zur Brown'schen Bewegung hatte er die Theorie stochastischer Prozesse in die Physik eingeführt und eine experimentelle Überprüfung der atomistischen Struktur der Materie allererst ermöglicht. Seine Analyse des Planck'schen Strahlungsgesetzes schwarzer Körper hatte 1905 die implizite Annahme von Feldquanten des elektromagnetischen Feldes zutage gefördert und kann als erste Vorarbeit zur später so erfolgreichen Quantenfeldtheorie des ,,Standardmodells`` angesehen werden. In seiner weitergehenden Analyse der Planck'schen Formel von 1917 führte er die Schwarzkörperstrahlung auf elementare, zufällige Emission- und Absorptionsprozesse in den Atomen zurück. Dabei machte er die Annahme einer auch induzierten Emission; hatte also nichts geringeres als die erste LASER-Theorie formuliert! In seiner 1905 veröffentlichten speziellen Relativitätstheorie reformulierte er auf der Grundlage zweier (spezieller) Prinzipien die gesamte Elektrodynamik. In einer ergänzenden Arbeit leitete er dann erstmals seine zum Mythos gewordene Formel $E = m\,c^2$ über die Trägheit der Energie ab. Wiederum unter Zugrundelegung zweier (allgemeiner) Prinzipien vollendete Einstein 1916 mit der allgemeinen Relativitätstheorie die Gravitationstheorie Newtons in einem visionären Entwurf, der die Energieverteilung im Universum wechselwirkend mit der vierdimensionalen Raumzeit-Krümmung in Beziehung setzte. An einer Vereinheitlichung von Gravitation und Elektrizität im Rahmen seiner Theorie ist er aber gescheitert, obwohl er sich bis an sein Lebensende immer wieder damit beschäftigte. Das Problem ist bis heute ungelöst.

Zurück zu Einsteins Selbstbiographie: Mein eigentliches Forschungsziel war stets die Vereinfachung und Vereinheitlichung des physikalischen theoretischen Systems. Dies Ziel erreichte ich befriedigend für die makroskopischen Phänomene, nicht aber für die Phänomene der Quanten und die atomistische Struktur. Ich glaube, dass auch die moderne Quantenlehre von einer befriedigenden Lösung des letzteren Problemkomplexes trotz erheblicher Erfolge noch weit entfernt ist. Mit der als moderne Quantenlehre verspotteten Quantenmechanik Heisenbergs provozierte er natürlich seine Fachkollegen, die meinten, mit ihrem Verständnis des Zufallscharakters der Quantenphänomene sei geradezu das Zeitalter einer ,,modernen Physik`` hereingebrochen, die mit klassischen Prinzipien brechen müsse. Gegenwärtig mehren sich aber die Anzeichen dafür, daß die moderne Physik womöglich nur ein Zwischenspiel des 20. Jahrhunderts war.



 
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Ingo Tessmann
2/16/2003