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Ein Virginia Woolf Buchclub?

Der Jane Austen Book Club wird sich noch lange fortsetzen lassen, auch mit Fernsehserien von Charakteren der Bücher Austen's, die in die normale Gegenwart junger Menschen von heute übertragen werden und ihre Zeitgenossen mit ihrer vollendeten Kinderstube verblüffen dürften. Kultivierte Umgangsformen könnten wieder groß im Kommen sein, aber welcher Kultur sollten sie entstammen? Die Ghettokids von heute werden sich nicht viel schlimmer aufführen als es The Great Unwashed damals taten. Das Elend in den Unterschichtsquartieren hat Jane Austen nicht beschrieben, in Mansfield Park lediglich angedeutet, so dass Patricia Rozema es in ihrer Verfilmung aufgreifen und detailliert realistisch darstellen konnte. Auf der anderen Seite des gesellschaftlichen Spektrums pflegt die englische Königsfamilie die Etikette der Royalty nur noch anlässlich ausgewiesener Feierlichkeiten. Aristocracy, Gentry, Tradesmen and Yeoman Farmers sind unterdessen über das Besitz- und Bildungsbürgertum weitgehend in der Mittelschicht aufgegangen. In das Bildungsbürgertum hinein wurde Virginia Woolf geboren und sie erhielt noch eine speziell für Frauen vorgesehene Unterweisung in die Benimmregeln dieses Standes. Zusammen mit den Bloomsberries hat sie sich dann mit Bedacht von ihrer ersten Erziehung emanzipiert und dabei insbesondere Wert auf die Gleichberechtigung der Geschlechter gelegt. Um die Befreiung von der Bevormundung durch das Patriarchat und die Religion ging es ihr vor allem mit Blick auf die Ausgestaltung eines aufgeklärten Humanismus. Die Bloomsberries haben ihn theoretisch wie praktisch vorgelebt und könnten damit gerade heute wieder zu einem Anknüpfungspunkt für das private und gesellschaftliche Zusammenleben werden. Aber ließen sich die Romane Virginias ähnlich naiv abhandeln wie es Karen mit denen Janes gemacht hat? Ihre am Schluss auf zehn angewachsene Teilnehmerzahl passt genau zur Anzahl der Romane Woolfs, nur: hätten auch alle ein Interesse daran, nicht bloß ihr eigenes Leben zu reflektieren, sondern darüber hinaus dem reichhaltigen Kontext der Literatur Virginias nachzuspüren? Ein paar naheliegende Verbindungen ließen sich schnell herstellen, nämlich zwischen Jocelyn und Flush, Sylvia und Die Jahre sowie Allegra und Orlando. Und die anderen? Hinzu kämen noch die vielen Kurzgeschichten und Erzählungen, die gedankenvollen Essays und Rezensionen, die umfangreichen Tagebücher und zahlreichen Briefe. Das alles wäre ausreichend Stoff für die Gemeinschaftsarbeit im Schwerpunkt eines kulturwissenschafltichen Studiums. Ähnlich wie die Durchführung der Marx-Studienzirkel in 1970er Jahren, könnte natürlich auch ein Virginia Woolf Buch Club als Studienzirkel betrieben werden und über Jahre eine Interessengemeinschaft zusammenführen. Und der Spaß und das Vergnügen? Mit der als Witz und Satire gemeinten Hundebiographie Flush und dem Ausschnitt aus der langen Lebensgeschichte des androgynen Orlando könnte begonnen werden. Am Ende schiene womöglich nach Feminismus und Literaturästhetik die Perspektive eines durch Kunst und Wissenschaft fundierten Humanismus als Lebensform auf. Oder ist die Zeit noch nicht reif dafür? Dann sollte sich der Jane Austen Book Club zum Auftakt seiner Verwandlung in den Virginia Woolf Buchclub einfach zu einem Theaterabend verabreden! Und natürlich wird Edward Albee's großartiges Familienstück aufgeführt: Who's Afraid of Virginia Woolf.

Vor 50 Jahren hatten die hinterweltlichen Amerikaner noch Angst vor Virginia Woolf, die als Bloomsberry gleichgesetzt wurde mit avant-garde art, formalist aesthetics, libertine sexuality, radical thinking, rational philosophy, progressive anti-imperialist and feminist politics. All das galt als zutiefst unamerikanisch und provoziert bis heute die christlich-moralischen Reaktionäre. Paris hatte sein Künstlerviertel St. Germain des Prés, in München trafen sich die Künstler in Schwabing und sogar in den USA gediehen unter dem Schutzschirm großstädtischer Freiheit alternative, selbstbestimmte Lebensformen: New York hatte sein Greenwich Village und in San Francisco gab es Haight-Ashbury. In all diesen Vierteln blühte die Vielfalt ästhetisch-erkenntniskritischer Lebensweisen. Egal ob Dichter, Maler oder Musiker; Exi, Beat oder Hippie: jenseits der Ideologien, Religionen und des Ehegefängnisses dominierten Kreativität, Intellekt und Erotik. Niemand hatte Angst vor der ästhetischen Symbolik und dem intellektuellen Feminismus Virginia Woolfs. Wie fatal sich die psychologischen Folgen bloß eingebildeter Hirngespinnste erweisen können, wenn sich ihre erdachten Symbole in manifesten Verhaltensstörungen äußern, hat Edward Albee meisterhaft in seinem Familiendrama auf die Bühne gebracht. Die unerfüllbaren Wünsche und Hoffnungen der amerikanischen Mythen, die dem normalen Mittelstands-Eheleben entgegengebracht werden, unterminieren die scheinheilige Welt des Familienglücks. Das spielerische Freilegen, hemmungslose Ausleben und leidvolle Austreiben der lediglich symbolisch gelebten Eheansprüche inszeniert Albee in drei Akten: Who's Afraid of Virginia Woolf. FUN AND GAMES, WALPURGISNACHT, THE EXORCISM. Ort der Handlung ist das Wohnzimmer eines Hauses auf dem Campus eines kleinen College's in Neu-England. Uraufgeführt wurde der Dreiakter am 13. Oktober 1962 im Billy Rose Theater, New York City. Das Vierpersonenstück spielt natürlich nicht zufällig in Neu-England. Siedelten dort nicht die besonders der protestantischen Leistungsethik verpflichteten Puritaner? John Updike wird dort 25 Jahre später seinen Roman Die Hexen von Eastwick handeln lassen. Während Updike in Anknüpfung an Stoker den Teufel in Eastwick ein Anwesen mieten lässt, zu dem sich die drei Hexen des Ortes hingezogen fühlen, verdichtet Albee die Verwirklichung des amerikanischen Traums ebenfalls auf vier Charaktere, die schicklicherweise in zwei Ehepaare zerfallen: George und Martha sowie Nick und Honey. Der hagere Geschichtsprofessor George ist 46 und hatte die 52jährige, pralle Hausmutter Martha nur um seiner Karriere willen geheiratet; denn die versprach als Tochter des Dekans eine gute Partie zu werden. Erfolge in der Wissenschaft wie in der Ehe waren allerdings ausgeblieben und so hielt Martha ihren Ehemann für einen Versager und ihre Ehe für gescheitert. Die nächste Generation repräsentieren der attraktive 30jährige Biologieprofessor Nick und seine niedliche Blondine Honey, die mit ihren 26 Jahren einen guten Fang gemacht zu haben glaubte. Für Psychologen ist das Theaterstück ein Lehrbeispiel für die Inszenierung von Ehekonflikten und der Strategien ihrer Austragung als ewige Wiederkehr des Gleichen.

ACT ONE beginnt mit dem ,,Alles-oder-Nichts-Prinzip`` und präsentiert nach der ,,symmetrischen Eskalation`` die typischen ,,Familienthemen``: Kinder und Karriere. Nach den ersten Runden zwischen dem älteren Ehepaar gesellen sich die jüngeren Leute hinzu und der Schlagabtausch wird um das ,,Prinzip der böswilligen Unterstellung`` bzw. des ,,vorsätzlichen Missverständnisses`` bereichert. FUN AND GAMES klingt aus, indem Martha angetrunken zu ihren Gästen sprechend, ihrem Mann ihre unerfüllten Träume vorwirft. Parallel dazu stimmt George ein Lied an, in das die betrunkene Honey am Ende einstimmt: MARTHA: Not on an Associate Professeor's salary. ... He didn't have any ... personality, you know what I mean? ... So, here I am, stuck with this flop. ... this BOO in the History department. ... who's married to the President's daughter, who's expected to be somebody, not just some nobody, some bookworm, somebody who's so damn ... contemplative, he can't make anything out of himself, somebody without the guts to make anybody proud of him . . . All right, George! GEORGE and HONEY: Who's afraid of Virginia Woolf, Virginia Woolf, Virginia Woolf; Who's afraid of Virginia Woolf, early in the morning. Welches Kind hat heute noch Angst vorm ,,schwarzen Mann`` und welche Leserin vor Virginia Woolf? Nachdem Martha ihre hehren Täume an der tristen Lebenswirklichkeit gemessen hat, beginnt in der WALPURGISNACHT beim Tanz der Hexen das Ausleben der historischen Mythen und persönlichen Wünsche. Dem ,,Komplementaritäts- und Systemprinzip`` folgend, offenbart Nick dem Hausherrn, dass er nur geheiratet habe, weil Honey schwanger war; ein Umstand, der sich allerdings nach der Heirat als Scheinschwangerschaft erwiesen hatte. Parallel dazu gesteht Martha der jungen Frau ein bisheriges Familiengeheimnis; dass sie nämlich einen Sohn habe. Daran anschließend verführt die Hausmutter den jungen Mann und George sieht sich am Ende von ACT TWO gezwungen, alle darüber zu informieren, dass ihr Sohn gestorben sei. Im letzten Akt dann erfolgt der EXORCISM. Martha hatte sich ihren Sohn ebenso eingebildet wie Honey ihre Schwangerschaft. Bereichert um das ,,Prinzip einfältiger Allwissenheit``, müssten sich am Ende alle ernüchtert eingestehen, dass sie in einer Scheinwelt lebten. Das junge Paar könnte es noch besser machen oder sich scheiden lassen. Und wie wird es mit den Alten weiter gehen? Der Hausherr stimmt abschließend ein Lied an: GEORGE: Who's afraid of Virginia Woolf, Virginia Woolf, Virginia Woolf, ... MARTHA: I ... am ... George, ... I ... am. ...

Martha hat weiterhin Angst vor Virginia Woolf, vor weiteren Austreibungen ihrer Illusionen. Damit ließe sich zwanglos an Night and Day anknüpfen. George und Martha verkörpern gleichsam verdoppelt Nacht und Tag, wie Katherine es sich überlegte: Warum musste es dauernd diese Unvereinbarkeit zwischen Denken und Handeln geben, zwischen dem Leben in Einsamkeit und dem Leben in Gesellschaft, diesen erstaunlichen Abgrund, auf dessen einer Seite die Seele aktiv und im hellen Tageslicht lebte, und auf dessen anderer Seite sie kontemplativ und dunkel war wie die Nacht? Ein kontemplativer Nachtmensch wie George und ein lebensfroher Tagesmensch wie Martha passen einfach nicht zusammen, da sie nicht so wie bereits Katherine beide Lebensanteile in sich selbst vereinen. Virginia hatte ihren Roman zunächst Träume und Realitäten nennen wollen; denn für ihre Heldin war das Leben eher Traum als Wirklichkeit. Dabei gab es geistig keinen Traum mehr, der sie so befriedigte, wie sie es gewohnt war; nichts blieb ihr, an dessen Realität sie glauben konnte, außer jenen abstrakten Ideen - Zahlen, Gesetze, Sterne Fakten, an die sie sich aus mangelndem Wissen und einer Art Scham kaum halten konnte. Sich von der Tyrannei der Liebe befreien und Mathematik studieren - über die Sterne Bescheid wissen, das wollte sie; fürchtete sich aber zugleich: Es ist eine Halluzination, schlicht und einfach - ein Rausch. ... Kann man in die reine Vernunft verliebt sein? Die Romantik übersteht selten ein näheres Kennenlernen der Person, die man liebt, aber stets bewahrt sie der Zauber der Zahlen und Figuren. Ihrem mangelnden Wissen konnte sie abhelfen, aber war auch die Art Scham überwindbar, die Frauen damals überfiel, wenn sie sich mehr für Mathematik als für die Liebe interessierten? Who's afraid of Virginia Woolf und The Hours ebenso wie Mrs Dalloway und Orlando sind jeweils kongenial verfilmt worden. Nach dem einleitenden Theaterbesuch könnte der Virginia Woolf Book Club ins Kino gehen oder Filmabende veranstalten. Im Film kommt Orlando zum Schluss im London des ausklingenden 20. Jahrhunderts an, hat eine kleine Tochter und findet einen Verleger für ihr Buch. In Mrs Dalloway hat Virginia den Poeten umgebracht und mit ihm seine Visionen. Und stellvertretend für sich selbst hatte sie schon Rachel auf ihrer Fahrt hinaus untergehen lassen.

In ihrem erotischen Psychothriller In the Cut hat Susanne Moore die Untergangsvisionen Virginias 1995 zugespitzt bis zum Aufschneider, wie der amerikanische Slangausdruck bemüht ins Deutsche übersetzt wurde. In the Cut beginnt mit literarischen Exkursen zur Ironie, zu Träumen und dem Bewusstseinstrom; denn die Ich-Erzählerin Frannie Avery ist an einem New Yorker College Dozentin für ,,Kreatives Schreiben``. Ich hatte, ich weiß nicht wie, den Traum vergessen, in dem der Mörder, das Rasiermesser in der Hand, nur zwei Worte sagt: ,,Solche Titten``. Den Bewusstseinsstrom verwechseln ihre Studenten mit einem Bewusstheitsstrom und den halten sie für so etwas wie eine Aneinanderreihung von Träumen, die einfach aufzuschreiben seien, ohne Interpunktion hintereinander weg. Der Bewusstseinsstrom lässt durchaus Interpunktionen, Sätze, Absätze und Kapitel zu. Moore hat ihr Buch allerdings ungeteilt durchgeschrieben, gegliedert lediglich durch Erinnerungen, Träume, Phantasien, Gespräche, Gedichte, Slangausdrücke und Großstadtereignisse - wie bestialische Frauenmorde. Gleich einem aus der Weite des Meeres heranbrandenden und sich stetig hebenden Wellenberg, steigt die von schwacher Beunruhigung ausgehende Spannung. Die Tätowierung auf dem Handgelenk eines Mannes, dem gerade die Frau übergebeugt im Keller einer Bar den Schwanz lutscht, bleibt Frannie im Gedächtnis; denn wenig später wird die Schwanzlutscherin zerstückelt aufgefunden. Und kurz darauf fällt der Heldin die Tätowierung wieder am Handgelenk des in dem Mordfall ermittelnden Beamten Detective Malloy auf. Sein Kollege ,,Rodriguez hat da so'ne Stelle in der Nähe der George Washington Bridge. Da ist ein Leuchtturm. Der ist für die Öffentlichkeit gesperrt, aber er geht hin``. Zum Angeln? Oder wird der Heldin auch noch eine Fahrt zum Leuchtturm bevorstehen? Das Spiel mit Symbolen und Verweisen kann weiter gehen. Die Sprachlehrerin beginnt eine Affäre mit Malloy und genießt dabei nicht nur seinen Leuchtturm; war er doch schon in jungen Jahren von einer älteren Frau darin unterwiesen worden, ihr die Möse zu lecken. Und das seien eben die besten Liebhaber, Männer, die in jungen Jahren von einer älteren Frau verführt wurden. Ein weiterer Frauenmord gleichen Musters wird begangen und der Ermittler erklärt der Literaturdozentin den Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Perversion. Die Tat des Mannes ist gegen ein Symbol gerichtet, nicht gegen ihn selbst. Die Frau handelt gegen sich selbst. Handelt sie auch mit ihrer Affäre gegen sich selbst? ,,Was tust du da?`` flüsterte ich. Obwohl ich's wusste. Es war so, als müsste ich so tun, als wüsste ich nicht, was er gleich mit mir machen würde. Öffnen, was verschlossen war. Beharrlich. Mich fertigmachen. Mich aufbrechen. Endlich. Ich, die ich keinem bestimmten Mann gehören wollte. ... Ich wollte fertiggemacht, unten gehalten werden. Geöffnet werden. Die alte Sehnsucht, ausgewählt, gejagt, umkämpft, abgeschleppt zu werden. Am Ende ist Frannie am Leuchtturm, aber nicht mit Malloy, sondern mit Rodriguez, dem Kollegen - mit der gleichen Tätowierung. Ich blute, ich werde verbluten. ... ,,Es ist weit in der Ferne. Es ist hereingekommen. Es ist hier im Kreis``. Nur ein Gedicht in einem Bewusstseinsstrom?

Susanne Moore ist mit In the Cut ein wohlkomponierter, anspielungsreicher und mehrschichtiger Roman gelungen, der inspiriert vom Bewusstseinsstrom Virginia Woolf's in einem Psychothriller ausmalt, wie prekär die Lage der Frau auch heute noch ist. Dafür hatte die Autorin ausgiebig und detailliert im Polizeidienst New York's recherchiert. Triebtäter, Lustmörder und Frauenhasser gehören zum Routinegeschäft jeder großstädtischen Mordkommission. Aber was war Rodriguez, ein Lustmörder im Polizeidienst? ,,Es macht mir nicht die geringste Freude, Sie aufzuschneiden, wissen Sie?`` Mich aufzuschneiden, macht ihm keine Freude. Mir macht's auch keine. Ich habe ein neues Wort für das Glossar. Malloy hat es mir gesagt. Ein Gossenwort. Ein Wort, das Glücksspieler benutzen, für wenn man linst, hat er gesagt. In the Cut. Im Schlitz. Der Schlitz ist eigentlich die Vagina. Ein Versteck. Ein Ort, wo man untertauchen kann. Jedenfalls ein sicherer, ein gefahrloser Ort. Frauen haben nicht nur einen sicheren Ort zum Untertauchen, sie sind auch insgesamt gefahrloser. Gibt es überhaupt Triebtäterinnen und Lustmörderinnen? Aber Rodriguez war ein Frauenhasser; denn im Polizeidienst wäre er als Triebtäter schnell aufgeflogen und da er beim Aufschneiden nicht die geringste Freude hatte, war er auch kein Lustmörder. Hatte er einen unbeschnittenen Penis, der wie die Schlange im Garten Eden aussah? Über das Paradies jedenfalls machte er frauenfeindliche Witze: ,,Kennen Sie den Witz über den Garten Eden?`` Ich konnte mein Blut riechen. ,,Gott guckte runter, ja? Und da sah er, wie Eva in den Ozean stieg, um zu baden, und er schrie: O nein, und wie kriegen wir jetzt den Gestank wieder aus den Fischen raus?`` Als Leser linsen wir gleichsam In the Cut im Bewusstseinsstrom der Heldin, die sich zunächst von einem Polizisten In the Cut ficken lässt und am Ende von einem Polizisten mit einem Rasiermessr aufgeschlitzt wird. Einige Körperteile benutzt der Frauenhasser dann auch noch als Köder zum Angeln am Leuchtturm. Aber sagte der Täter am Anfang des Buches nicht nur zwei Worte? ,,Solche Titten.`` Und geschah das nicht in einem Traum? In der von Jane Campion 2003 unternommenen Verfilmung des grausigen Romans, lässt sie es gut ausgehen und ihre Heldin überleben. Aber stand nicht schon am Anfang der Christenherrschaft über die Gelehrtenwelt der bestialische Mord an einer Frau? In Moments of Being schreibt Virginia Woolf kurz vor ihrem Tod 1941: Is it not possible - I often wonder - that things we have felt with great intensity have an existence independent of our minds; are in fact still in existance? And if so, will it not be possible, in time, that some device will be invented by which we can tap them? ... Instead of remembering here a scene and there a sound, I shall fit a plug into the wall; and listen in to the past. I shall turn up August 1890. Diese Passage zitiert Nahin in seiner Monographie TIME MACHINES. Und was könnten wir heute noch hören, wenn wir an einer Wand des Caesareums zu ALEXANDRIA lauschten? Pollard und Reid haben den grausigen Frauenmord um 415 vernehmbar gemacht: Hypatia is murdered by a mob incited by Cyril, archbishop of Alexandria; she is stripped naked in the Caesareum, which has become a Christian Church, and her flesh is torn of her bones with broken pieces of roof tile. Her body is burned. Die Philosophin, Mathematikerin und Astronomin Hypatia, die bis zuletzt in der reichhaltigen Bibliothek Alexandrias gelehrt hatte und sich als Freidenkerin den Christo-Faschisten entgegenstellte, war schon eines bestialischen Todes gestorben, wie es nach ihr noch vielen Tausend Frauen als ,,Hexen`` oder ,,Huren`` widerfahren sollte. Dem ,,Glauben`` oder der ,,Ehre`` des Mannes fallen selbstbestimmt lebende Frauen sogar bis in die Gegenwart zum Opfer, und das nicht nur in vorzivilisierten, kulturbestimmten Ländern. In Deutschland sollen es durchschnittlich immerhin rund 20 Frauen sein, die jährlich durch sogenannte Ehrenmorde zu Tode kommen.

Seit dem Erwachen des Bewusstseins in den Gehirnen der Menschen, nehmen sie ihre Hirngespinnste ernster als die Wirklichkeit, religiöser Glaube ist ihnen wichtiger als wissenschaftliche Wahrheit und die eingebildete Mannesehre zählt ihnen mehr als ein wirkliches Frauenleben. Im Orlando hat Virginia 400 Jahre weiblicher Problemgeschichte satirisch Revue passieren lassen, in Mrs Dalloway lässt sie dem feinsinnigen Poeten das frühlingshafte Vogelgezwitscher auf griechisch erklingen und in Die Wellen werden die Charaktere mit den Schaumkronen des Nils zur Kultivierung der Wüste ans Land des antiken Ägyptens gespühlt. Dieses winzige Stückchen der langen, langen Geschichte zu bezeichnen, die in Ägypten begann, zur Zeit der Pharaonen, als die Frauen noch rote Krüge zum Nil hinabtrugen; darum geht es dem Dichter, der bereits viele tausend Jahre gelebt zu haben scheint. Raoul Schrott hat die 3300 Jahre alten Liebesgedichte aus der Epoche des neuen Reiches gerade ins Deutsche übertragen. Und bis 79 konnten die Menschen in Pompeji noch ihren Gelüsten nachgehen. Das von den Christen später ,,verbotene Pompeji`` hat Michele D'Avino in einem Ausstellungskatalog kommentiert und veranschaulicht. Und Stephenie lässt ihre Vampirahnenreihe mit dem durch das Christentum herbeigeführten Zerfall der antiken Hochkulturen beginnen. Die Volturi beherrschen das Vampirgezücht bis heute so patriarchal wie der Vatikan seine Menschengeschöpfe. In den ältesten überlieferten Liebesgedichten der Ägypter dürfen die Männer den Frauen noch lebender Dildo sein und die Liebhaber ihrer Gespielin Lustpforte preisen: SIE: ich habe noch lange nicht genug von deinem schwanz / du lustknabe du, mein junger schakal / du berauschst mich derart - ich kann gar nicht aufhören ... ER: der palast meiner schwester: der einlass zu ihr / der findet sich im schoß ihres hofes / wo die schmalen türflügel sich spreizen / das tor sperrangelweit offen / der riegel nach oben geschoben ... SIE: dein arm um den hals, die hand an meinem busen / deine liebe groß und hart in mir ... Geistliches und Fleischliches blieben in der griechisch-römischen Antike noch vereint. Während die Griechen in Korinth mit lustvoll-religiösen Ritualen im Tempel der Aphrodite ihrer Liebesgöttin huldigten, feierten die Römer im Haus der Venus zu Pompeji Phallus und Vulva. Und Goethe führte dann in seinem vampyrischen Gedicht Die Braut von Korinth in schönen Worten aus, wie mit der Zerstörung und Pervertierung des Eros durch das Christentum gleichsam als seine satanische Kehrseite die Perversion des Vampirismus einherging.

Diablo Cody und Karyn Kusama haben in ihrem Film Jennifer's Body 2009 wieder an die Leidensgeschichte der Frauen im Patriarchat angeknüpft. Sahen die Christen in einer Frau ,,reinen Herzens`` noch die Möglichkeit, Nosferatu's Untergang herbeizuführen, sind es bei Diablo Satanisten, die dem Teufel eine Jungfrau opfern wollen, um sich im Pakt mit Satan ein schönes Leben machen zu können. Der Film Jennifer's Body kann filmästhetisch als misslungen gelten, bleibt aber als feministischer Gegenentwurf zu der bei Stephenie christlich verklärten Version des Vampirismus zu würdigen. Die attraktive und selbstbewusste Jennifer, die schon als Mittelschülerin entjungfert werden wollte, schwärmt von dem blasierten Sänger einer einfältigen und überheblichen Popband, der sich durch ein satanisches Opfer Massenerfolg und Reichtum verspricht. Nun setzt ein ernsthafter Vertrag - mit wem auch immer - voraus, dass sich beide Seiten an die Bedingungen halten. Da Jennifer keine Jungfrau mehr ist, überlebt sie das Frauenopfer und wird fortan zu einem männermordenden Vamp. Rachegelüste ihrem einstigen Peiniger gegenüber hegt die Vampirin aber nicht, ist sie doch zu einem heißen Triebwesen gewandelt worden, dem es vornehmlich um das Stillen seines Blutdurstes geht. Dazu macht sie rückhaltlos von ihrer weiblichen Attraktivität und übermenschlichen Kraft Gebrauch und ist als Edward's Gegenfigur zu verstehen: Der sterbende Edward wird von einem christlichen Moralisten wiederbelebt und zum ,,Vegetarier`` erzogen, Jennifer als vermeintliche Jungfrau von einem frauenhassenden Satanisten zerstochen, aufgeschlitzt und - gleichsam In the Cut - ausgeweidet. Und im Gegensatz zu den höflichen Umgangsformen eines Gentleman's, die Stephenie's Vampir an den Tag legt, lässt Diablo's Vamp die Prolin raushäng, wo sie nur kann - und entsprechend schlicht sind ihre Opfer. Auch eine so gar nicht verwunschen romantische Liebesszene auf einer Waldlichtung gibt es bei Cody. In ihr macht sich die lüstern blutrünstige Jennifer über einen großen und kräftigen Sportsmann her, den sie hemmungslos ausschöpft, um sein Blut zu trinken. Dieses Naturidyll wird auf die Spitze getrieben, indem sich einige Tiere des Waldes, unter ihnen Reh, Fuchs und Rabe, um das bestialische Geschehen scharen - und am Ende das anmutige Reh an den offen gelegten Eingeweiden des Opfers leckt. Das ist Romantik-Parodie und schwarze Romantik zugleich - und man fragt sich, ob Diablo nicht ebenso auf ,,die drei Bettler`` der Angst aus von Trier's Antichrist verweisen wollte: Trauer, Schmerz und Verzweiflung. Eine andere Rolle spielt das Reh im Vorspann zum Twilight-Film. Und genau wie Stephenie schon in ihrem Roman unterläuft auch Diablo in ihrem Drehbuch die Erwartungen der Leser bzw. Zuschauer an eine spannende Abenteuer- und erotische Liebesgeschichte. Explizite Grausamkeit oder Sexualität kommen nicht vor, obwohl der Titel Jennifer's Body natürlich suggeriert, sich am schönen jungen Körper der attraktiven Megan Fox laben zu können. Die ermutigende Aufforderung: ``put it in'', die Needy - verschämt mit ihrem Freund unter der Decke liegend - auszusprechen wagt, ist schon der Gipfel der Erotik. Und der Horror entsteht eher aus den überraschenden Wendungen, den schattenhaften Andeutungen und den Entsetzens- und Schmerzenschreien der Opfer. Auch diesen Film sollte man laut hören. Dass der Streifen in Deutschland keine Jugendfreigabe erhielt, deutet auf unerwarteten Humor der FSK hin. Im Film hört der Spaß auf, als sich Jennifer über den Freund ihrer besten Freundin Needy hergemacht hat. Tollkühn wirft sich das Menschenkind auf das Monster und mit dem Zerreißen der weiblichen Freundschaftsbande wird sogar der Vamp sterblich. Selbst halb zur Vampirin gewandelt, macht sich Needy dann am Ende auf den Weg, um Rache an der teuflischen Popband zu nehmen - und die wird fürchterlich ausfallen ...

Jennifer's Body ist Trash, aber dennoch sehens- und bedenkenswert, besonders im Vergleich mit den Trashfilmen Walerian Borowczyks aus den 1970er Jahren. La Bête z.B. ist ein ironisch-erotischer Horrorfilm, der unterhaltsam das Thema von der Schönen und dem Biest variiert, indem er eine junge Frau bei der Masturbation mit einer Rose davon träumen lässt, wie sie von einem grauenhaften Monster mit gewaltigem Phallus verfolgt wird, das ihr im Märchenwald nach und nach die Kleider vom Leib reißt und nicht etwa vergewaltigt, vielmehr von der blutleckenden Menschenfrau in seiner tierischen Begierde derart in Wallung gebracht wird, dass es erschöpft verendet, während die Frau in doppelter Weise ihren Orgasmus genießt: mit dem Biest und mit der Rose. Unruhige Träume sind in Wahrheit flüchtige Augenblicke des Wahnsinns, zitiert der Filmemacher dazu Voltaire. In den Nosferatu-Filmen ist es ebenfalls die Frau selbst, die sich dem Grafen Dracula hingibt und in ihren Bann zieht, so dass er nach dem ersten Hahnenschrei vom Licht der Morgensonne vernichtet wird. Und in THE FEARLESS VAMPIRE KILLERS or PARDON ME, BUT YOUR TEETH ARE IN MY NECK lässt Roman Polanski den lüsternen Grafen Krolock im Schaumbad über die verblüffte Jungfrau herfallen und sie in einen Vamp verwandeln. Und froh darüber, von einer jungen Schönen begehrt zu werden, kommt ihr am Ende der unscheinbare und tollpatschige Vampirkiller Alfred so nahe, dass sie ruchlos ihre Zähne in seinen Hals treiben kann. Roman spielte Alfred selbst und seine Freundin Sharon Tate mimte die Jungfrau. Drei Jahre später war das weltweite Entsetzen groß, als bekannt wurde, dass die hochschwangere Sharon Tate von dem Satanisten Charles Manson und seiner ,,Familie`` geradezu abgeschlachtet worden war, um sie dem Teufel zu opfern. Gegen solche perversen Machos richtet sich Jennifer's Body, indem er jedem Mann zum Verhängnis wird. Jedenfalls sind es die Männer, die Frauen dem Teufel opfern oder sie umgekehrt als vom Teufel besessen dem Tode weihen. Dabei ist es nach wie vor der einfältige religiöse Dualismus von Liebe und Hass, der über Gut und Böse zu Gott und Teufel hochstilisiert wird; egal ob abrahamitische Hochreligion oder eine ihrer vielen Sekten. Aber wie sieht es mit neu erfundenen Kirchen aus, wie die amerikanische ``Church of Satan'' des Anton Szander Lavey oder die englische ``King of the Witches'' bzw. ``The Devil Incarnate'' des Alex Sanders. Magie und Imagination der Hexenwelten sind 1987 in einem von Richard von Dülmen herausgegebenen Austellungskatalog kommentiert worden. Ina Wunn ist 1999 dem Ursprung des Glaubens an die Muttergöttin im Ahnenkult der neolithischen Religionen nachgegangen. Und Dagmar Fügmann hat 2008 eine religionswissenschaftliche Studie zum zeitgenössischen Satanismus in Deutschland vorgelegt. Wie man bei von Dülmen nachlesen kann, hatte schon die Ägyptologin Margaret Murray 1921 vermutet, dass es sich beim Hexenwesen im Europa des 15. bis 17. Jahrhunderts zum Teil um organisierte Kulte gehandelt haben könnte, die als Überbleibsel des antiken Dianakultes matriarchale Züge aufwiesen und verschiedene Fruchtbarkeitsriten praktizierten. Auf die feministische Beschäftigung mit dem Thema Hexen werde ich zurückkommen. Die archäologischen Ursprünge des Glaubens an eine Muttergöttin reichen bis ins Neolithikum zurück. Wunn schreibt dazu einschränkend in ihrer Zusammenfassung: Vorstellungen von einem aus Anatolien stammenden Fruchtbarkeitskult, von kannibalistischen Riten oder megalithischen Sternwarten sind nicht mehr haltbar. In Anatolien, Griechenland und Deutschland war nachweislich der Glaube an eine mythische Urmutter von Bedeutung, die in exhibitionierter Stellung abgebildet, nicht aber kultisch verehrt wurde. Da ein weiterer nachweislicher Schwerpunkt der neolithischen Religion die Verehrung der Ahnen war, wird ein wesentlicher Teil der damals gebrauchten Figurinnen in Verbindung mit der Ahnenverehrung dem Totenbrauchtum und den Bestattungssitten gedient haben. In diesem Zusammenhang sind auch die mit den Rondellen und Steinkreisanlagen bestimmbaren Sonnen- und Mondwendezeiten zu sehen.

Nach Fügmann wird Lord Byron als Mitbegründer der ersten Satanic school genannt. Und so ist es kein Wunder, dass Romantik, Satanismus und Vampirismus von Anfang an in enger Verbindung stehen. Die 1966 gegründete Church of Satan dürfte unter den organisierten zeitgenössischen Satanisten am weitesten verbreitet sein. Und natürlich wurde ihre Gründung am 30. April in der Walpurgisnacht rituell besiegelt. Ähnlich den anderen Kirchen basiert die Kirche Satans auf einer Lehre und ermuntert ihre Mitglieder zur Einhaltung lebensdienlicher Praktiken. Den Grundsatz der satanistischen Religion bildet die Annahme, dass jeder Mensch sein eigener Gott in seinem eigenen Universum sei. Die weiteren Lehrsätze werden in der satanischen Bibel erläutert: 1. Satan represents indulgence, instead of abstinence. Hingabe statt Enthaltung ist natürlich ganz das Ansinnen jedes Lebemenschen oder Hedonisten. Der zweite Satz hebt die Freude an der lebendigen Existenz im Gegensatz zu spirituellen Hirngespinsten hervor: 2. Satan represents vital existence, instead of spiritual pipe dreams. Der schlichten Lebensfreude entspricht das offene Denken und die unverfälschte Weisheit ist dem heuchlerischen Selbstbetrug vorzuziehen: 3. Satan represents undefiled wisdom, instead of hypocritical self-deceit. Anthropologisch folgt die Kirche Satans der biologischen Einsicht, dass der Mensch ein Tier unter Tieren ist und insofern auch keine ,,Todsünden`` begehen kann, im Gegenteil: 8. Satan represents all the so-called sins, wie Habgier, Neid, Stolz, Zorn, Völlerei, Eitelkeit, Faulheit und Wolllust. Zusammengefasst geht es der Church of Satan um die Anerkennung der menschlichen Natur im Gegensatz zum Befolgen der Moral einer Kirche ,,Gottes``. Satan im Sinne der Kirche Satans meint das indische Verständnis von devi als ,,Göttin`` bzw. Urmutter oder Muttergöttin und nicht den christlichen Gegenspieler ,,Gottes`` im Ringen um ,,Gut`` und ,,Böse``. Mit der Ermunterung dazu, Gott im eigenen Universum zu werden, knüpft Lavey an alte hinduistische und taoistische Traditionen an, wie sie in den indischen Upanischaden und dem Rig-Veda sowie dem chinesischen Tao-Tê-King überliefert worden sind. Danach wird das Selbst als ,,Seele`` verstanden, das zugleich Alles und Einzelnes ist: ,,Dies dein Selbst ist das in allen vorhandene Selbst, ... welches durch das Hinundheratmen hin- und heratmet. Und der Ursprung des Seienden im Nichtseienden ist die Nabelschnur, das aus sich selbst heraus nach Entstehen Begehrende. Wie die Mutter in der Menschenwelt so das schwarze Loch im Universum: Ein Wesen gibt es chaotischer Art, / das noch vor Himmel und Erde ward, / So tonlos, so raumlos, / Unverändert auf sich nur gestellt, / Ungefährdet wandelt es im Kreise, / Du kannst es ansehn als die Mutter der Welt. Die kosmische Nabelschnur ist gleichsam der Raumzeitwirbel, der dem Nullpunktsfeld der dunklen Energie entspringt. Der Bogen von den antiken Naturreligionen reicht bis in die moderne Physik hinein und überspannt die finstere Zeit des religionsbestimmten Mittelalters.

Neben den vielen Trashfilmen und dem Hollywood-Mainstream gibt es immer einmal wieder ausgewiesene Filmkunstwerke, die an die Mythen und Märchen in den Natur- und Hochreligionen anknüpfen, indem sie die schwarze Romantik des Satanismus und Vampirismus in der gegenwärtigen technisch-wissenschaftlichen Zivilisation Europas und Asiens auferstehen lassen. Nach Let the right one in sind das gegenwärtig Lars von Triers ANTICHRIST und Park Chan-Wooks THIRST. Der Schwede Tomas Alfredson hat die Romanvorlage seines Landsmanns John Ajvide Lindqvist in einer zugleich einfühlsam und distanziert inszenierten Verfilmung auf die Leinwand gebracht. Mit ruhigem Erzählfluss aus knappen Dialogen und wohlkomponierten Bildern schildert er die Befreiung eines Schülers aus seinem sozialen Gefängnis, dessen emotionale Kälte in eisigen Winterbildern visualisiert wird. Mit der kindlichen Bestie an seiner Seite gelingt ihm in Symbiose mit ihr gleichsam die Wiedergeburt in einer zweiten Heimat, zu der sie sich am Ende auf den Weg machen. Lars von Trier hat in seinem wohl besten Film ANTICHRIST seine durch Angstzustände und Verfolgungswahn geprägte Leidenszeit verarbeitet, die ihn für Jahre an der Filmarbeit gehindert hatte. Ähnlich wie Virginia Woolf hat es auch der Filmemacher verstanden, die manisch-depressiven Schübe seiner Psychose kreativ in ein Kunstwerk umzusetzen. Die Arbeit daran wird ihm geholfen haben und dem Zuschauer ermöglichen, ästhetisch und emotional an den Grenzbereichen menschlicher Existenz teilhaben zu können. Walerian Borowczyk verteidigte sich den religiösen Moralaposteln und kleinkarierten Spießern gegenüber, die sein antiklerikales Teufelswerk La Bête verboten hatten, unter Berufung auf die Freiheit der Kunst: Die Kunst hat das Recht, sich mit den geheimsten Regionen unserer Gedanken zu befassen. Das ist ihr Privileg. Auch Lars von Trier bedient sich dieses Privilegs, das in Dänemark zum Glück noch geachtet wird. Aber wie lange noch? Religionswahn, Spießertum und Dummheit sind grenzenlos. Elfriede Jelinek hat ANTICHRIST mit Bezug auf den Erlkönig in Nr. 3/2009 der Zeitschrift CARGO für Medien, Film, Kultur, ausführlich rezensiert: Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt. Aus feministischer Sicht stellt sie von Triers maskuline Angstbewältigung in den zivilisationshistorischen Zusammenhang, der ihr gebührt und von der christlichen Schöpfungsgeschichte, der antiken und mittelalterlichen Hexenverfolgung über Aufklärung und Romantik, bis hin zu Tiefenpsychologie und Verhaltenstherapie reicht.

Lars hat seinen Film wie ein Drama in vier Akten gestaltet, das ein Prologue einleitet und ein Epilogue ausklingen lässt: Trauer, Schmerz, Verzweiflung und Die drei Bettler. Ein Schicksalsschlag löst Angstzustände aus, die über Trauer und Schmerz in Verzweiflung münden und in ihrer Synthese mit dem Tod enden. Unterlegt von der traurig-schönen Arie lascia ch'io pianga aus dem Rinaldo Händels, wird im Prologue des Films der Todesfall eines Kindes parallel zum Fick der Eltern gezeigt. Kinder- und Badezimmer, das Hereinwehen der Schneeflocken und das Fallen der Wassertropfen, das Steigen des Kindes und das Steigern der Erregung, der Höhepunkt des Kindes und der Orgasmus der Eltern, das Fallen aus dem Fenster und das Fallen der Erregung, werden bis zum Aufprall und der Ermattung parallelisiert. Das ist eine geniale filmästhetische Eingangssequenz, die mit dem Blick auf die Waschmaschinentrommel endet und mit deren Geräuschuntermalung zur Trauer auf der Beerdigung überleitet. Dort bricht der Mann in Tränen aus, während die Frau zusammenbricht. Er ist Psychotherapeut, aber kein Arzt, und sie Studentin, die an ihrer Dissertation über den Gynozid arbeitet. Seiner an akuten Angstzuständen leidenden Frau redet er die Psychopharmaka aus und versucht sich selbst an ihr als Gesprächs- und Verhaltenstherapeut. Fortan übergeht er immer wieder die ehernen Therapeutenregeln, sich einem Patienten gegenüber neutral und rational zu verhalten und sich vor allem nicht von einer Patientin ficken zu lassen; denn seine Frau will immer wieder mit ihrem Mann ficken und da er sie so gut kennt und innig liebt, kann er ihr nicht nur mit der gebotenen Vernunft begegnen. Versucht er es dennoch, setzt er seine Liebe und ihr Vertrauen aufs Spiel. Gleichwohl schält sich langsam der Grund für die Angstzustände der Frau heraus. Es war ihr, als ob sich Mann und Kind zunehmend von ihr entfernten,- aber sie wollte nicht verlassen werden. Dabei war sie selbst es gewesen, die allein in ihrer Waldhütte Eden an ihrer Doktorabeit schreiben und nur ihr Kind dabei haben wollte. Aber das Kind war meistens mit sich selbst beschäftigt. Und was ängstigt sie noch? Der dichte Wald, die grüne Wiese. Aber dem kann abgeholfen werden; denn überwindet man eine Angst nicht, indem man sich ihr aussetzt? Und so macht sich das Paar gemeinsam auf den Weg durch den Wald und über die Wiese in die Waldhütte. Da sie sich auf halber Strecke ausruhen muss und hinlegt, streunt er im Wald herum - und entdeckt nach einem plötzlichen Auffrischen des Windes auf einer Lichtung ein Reh, das erschreckt davonläuft, während ihm ein halb geborenes Kitz aus der Vagina ragt. Hatten er und seine Frau ihr Kind vielleicht nur halbherzig angenommen? Auf die Trauer wird der Schmerz folgen, aber erst einmal ist die Brücke zwischen wirklichem und Märchenwald zu überwinden. In Eden angekommen, geht der Mann an den Vorboten seines Schmerzes vorbei, der Werkzeugkiste und dem Schleifstein. Am Abend spricht das Paar über die Doktorarbeit, die sie aus einem unerfindlichen Grund abgebrochen hatte. Nahm das Thema sie vielleicht zu sehr gefangen und indentifizierte sie sich zu stark mit den Hexen und ihren unter Folter erzwungenen Anschuldigungen, böse und im Bunde mit dem Teufel zu sein? Während sie davon spricht, dass die Natur des Teufels Kathedrale sei, schlägt ein Fenster auf und ein heftiger Luftzug streicht durch die Hütte. Am nächsten Tag wird der Mann einer Bewegung im Farnkraut gewahr und nach einem beunruhigenden Aufwallen des Windes steht er wider Erwarten vor einem schwer verletzten Fuchs, dessen Eingeweide frei liegen, der aber gleichwohl erhaben ausspricht: Chaos regiert!

Herrscht in der Natur Chaos und nur in der Menschenwelt Ordnung? Wieder in der Hütte und nicht minder verstört, wird der Mann von seiner Frau auf den Autopsiebericht angesprochen, den sie beim Ofen entdeckt hatte, obwohl sie ihn eigentlich nicht lesen sollte; denn die Ärzte hatten eine merkwürdige beidseitige Fußfehlstellung beschrieben und als Röntgenbild beigelegt. Auf mehreren Kinderphotos wird der Grund für die Anomalie an den Füßen deutlich. Die Frau hatte ihrem Kind schon seit langem stets die Schuhe seitenverkehrt angezogen. Was wollte sie damit wieder richtig stellen? Und warum war ihr das nie aufgefallen? Ist es ihre unbewusste eigentliche Natur gewesen, die sie so handeln ließ? Langsam dämmert ihr eine fürchterliche Einsicht. Hatte sie vielleicht ebenso bestimmt, aber unbewusst, ihr Kind in den Tod getrieben? Warum hatte sie ihm die drei Bettler: Trauer, Schmerz und Verzweiflung auf die Fensterbank gestellt, obwohl sie davon gelesen hatte, dass nach ihrem gleichzeitigen Erscheinen in den Gestalten der Tiere Reh, Fuchs und Rabe schon bald ein Todesfall zu beklagen sei. Und dann erinnert sie sich auch noch daran, ihr Kind beim Fick auf die Fensterbank steigen gesehen zu haben. Ungeheuerlich, aber wahr!? Was ist Wahn, was Wirklichkeit? Hatte während ihres Aufenthaltes in Eden zum Schreiben ihrer Dissertation nicht wiederholt etwas aus unbestimmter Richtung geschrien und gejammert? Alles nur Einbildung? Dafür hält es ihr Therapeut und Ehemann. Und es empört ihn besonders, dass sie sich die Argumente der Hexenverfolger zu eigen gemacht zu haben scheint. Der Verzweiflung nahe, ist er zu einer rationalen Diskussion nicht mehr fähig, sie aber fällt über ihn her, will ihn ficken, schlägt ihn mit einem schweren Holzscheit auf die Hoden, masturbiert ihn, so dass er Blut ejakuliert und - durchbohrt seinen linken Wadenknochen, schraubt ihm den Schleifstein daran fest und wirft den Schraubenschlüssel unter die Hütte. Als ihr die Untat bewusst wird, will sie sich selbst bestrafen und ihrer Begierde die Lust nehmen. Dazu schneidet sie sich das sensible Ende der Klitoris ab und rennt schreiend davon. Während die Frau weg ist, erwacht der Mann unter Schmerzensqualen und schleppt sich in das Versteck eines Fuchsbaus. Jetzt gilt es Ruhe zu bewahren; denn sie sucht ihn, schreit nach ihm, dass er sie nicht verlassen solle, geht verzweifelt sich die Haare raufend in die Hocke und lauscht in den Wald hinein ... Auf dem Grund der Höhle entdeckt der Mann unterdessen im Schein eines Streichholzes schwarze Flügel, die sich flugs als krächzender Rabe entpuppen. Blindwütig schlägt er auf den jämmerlich krächzenden Vogel ein; der ist aber nicht ruhig zu stellen. Und da nähert sich die Frau auch schon mit einem Spaten, gräbt ebenso blindwütig in den Untergrund ... bis sie die Höhle freigelegt hat. Erschöpft besinnt sie sich aber wieder und die beiden begeben sich zurück nach Eden. Sie spricht davon, dass beim gleichzeitigen Erscheinen der drei Bettler ein Mensch sterbe. Und in der Nacht sieht er die drei Bettler als Sternbilder am Himmel, das Reh als Trauer, den Fuchs als Schmerz und den Raben als Verzweiflung. Während sie noch schläft, erscheint fast unbemerkt das scheue Reh in der Hütte. Den Fuchs hört der Mann schon von weitem, denn er hat eine Glocke um den Hals gebunden. Und der Rabe? Der krächzt wiederum jammervoll von unten, von unter dem Holzfußboden. Und da schlägt der Mann auch schon ein Bodenbrett durch und flugs fliegt der Rabe auf und gesellt sich als dritter im Bunde zu Reh und Fuchs. Verblüfft und erleichtert sieht der Mann im Bretterspalt den Schraubenschlüssel liegen. Aber während er sich von dem Schleifstein zu befreien versucht, erwacht die Frau, ergreift im Wahn die Schere und sticht auf ihren Mann ein. Sein Schreien bringt sie wieder zur Besinnung und sie betrachtet entsetzt und erstaunt, aber ohne Mitleid, was sie angerichtet hat. Qualvoll befreit sich der Mann und - Frau und Mann sehen gespannt einander an. Wut und Zorn steigen in ihm auf und er kämpft nicht mehr dagegen an; panische Angst und drängender Selbsterhaltungstrieb werden übermächtig, er packt sie, drückt sie an die Wand und erwürgt sie mitleidslos. Womöglich ganz in ihrem Sinne, entfacht er ein Feuer und verbrennt sie - wie eine Hexe. Im Epilogue ist der Mann, wiederum unterlegt von der ergreifenden Händel-Arie, lass mich beweinen mein grausames Schicksal, auf einer Krücke gestützt auf dem Heimweg. Hat er zurück zur Natur gefunden? Er genießt jedenfalls die Wildbeeren und als er auf einem Hügel ankommt, sieht er zu seiner grenzenlosen Verwunderung - wie aus dem Nichts - eine Vielzahl von Frauen auf sich zukommen ...

Die traurig-schönen und entsetzlich grausamen Bilder und Laute des grandiosen mythopoetischen Psychodramas von Triers wirken lange nach, wühlen emotional auf und geben zu vielen Gedanken Anlass. Die einfache erzählerische Grundstruktur des Films ist so schlicht und dicht, so symbolisch und metaphorisch wie ein kunstvolles Märchen - und genauso brutal und mitleidslos. Die Frau wird zum Antichristen, weil ihr das christliche Patriarchat ihre weibliche Natur genommen hat. Sie ist alles, was Christus nicht ist - und stirbt am Ende im Feuer wie er einst am Kreuz. Warum hast du mich verlassen, schrie er klagend in die Weite des Himmels. Verlass mich nicht, schreit die Frau in die Tiefe des Waldes hinein - und meint weniger ihren Mann als die Natur. Für die Christen ist Jesus Gottes Sohn, die Verkörperung des Guten und Heiligen, die Hexe dagegen ist als Satans Dämon das Böse und Natürliche schlechthin. Jesus fuhr eingebildet in den Himmel auf, die Hexen aber wurden wirklich im Feuer der Natur übergeben. Das Wüten der Christen und ihrer Sekten auf Erden ist unermesslich, da sie all ihre Schuld in dem Opfer ihrer Heiligen oder Märtyrer als gesühnt ansehen. Patriarchale Religionskriege bis hin zum Gynozid sind jenseits aller Moral und Natur. Ist aber auch in der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation kein Platz mehr für Moral und Natur? Die Frau ist nicht zur Vernunft zu bringen und widersteht der Psychotherapie. Sie hat es zugelassen, gleichsam duldend herbeigeführt, dass mit dem Kind seiner Zeugung auch ihr Mann mit ausgelöscht wird; damit aber nicht ihn, sondern sich selbst getroffen. Seine therapeutische Distanziertheit trotz angeblicher Liebe unterläuft die emotionale Nähe, die sie sich von ihm womöglich erhofft hat. Statt mit intuitiver Einfühlung begegnet er ihr mit rationaler Psychotechnik. Die natürliche Wirkung der Psychopharmaka hätte ihr eher geholfen und die akuten Angstzustände so lange abgemildert, bis sie aushaltbar gewesen wären, ohne selbstzerstörerisch in den Suizid zu führen. Am Ende hat der Mann zur Natur zurückgefunden und damit gleichsam auch die Natur all der Hexen anerkannt, die ihm auf seinem Heimweg aus dem Dunkel der Geschichte befreit entgegenkommen. Leben und Sterben gehören wie Werden und Vergehen zum natürlichen Lauf der Dinge, dem die Tiere ebenso gleichgültig ausgesetzt sind wie die Menschen. Die Christen phantasieren sich am Ende die Aussicht auf ewige Glückseligkeit im Himmel oder dauerhafte Verdammnis in der Hölle herbei. Der in den Religionen gepflegte Glaubenswahn hält die Menschen wie die Kinder in ihrer Märchen- und Mythenwelt gefangen. Zum Glück ist die Natur wesentlich reichhaltiger als es den auf ihr banales duales Schema beschränkten Gläubigen je in den Sinn kommen könnte. In der Natur regiert das Chaos, aber genau deshalb findet sie stets einen selbstorganisierten Weg in der Fortentwicklung des Lebens. Die autonome weibliche Natur hat Lars von Trier in seinem märchenhaften Zweipersonenstück an der rationalen Autorität des Mannes scheitern lassen. Dabei ist das äußerlich lineare Denken standardisierter Psychotherapie durchaus vergleichbar mit den ebenso blasierten Glaubensformeln ritualisierter Seelsorge. Diese Variante patriarchaler Selbstherrlichkeit hat der Koreaner Park Chan-Wook 2009 in seinem mythopoetischen Psychodrama DURST beim Fantasy Filmfest auf die Leinwand gebracht. In Korea ist das Christentum eine kleine Minderheit, in die Chan-Wook hineingeboren wurde und aus der er sich - ganz ähnlich wie sein dänischer Kollege von Trier - mit dem Erwachsenwerden zu befreien hatte. Bei Park ist es ausgerechnet ein Priester, der zum Antichristen wird und nicht nur den Verlockungen einer Hexe erliegt, sondern auch alle anderen Todsünden begeht. Frustriert darüber, den Menschen mit Gebeten und Predigten nicht wirklich helfen zu können, beschreitet der Pater Sang-hyun eines Tages den Weg der Natur. Dazu beteiligt er sich an einem medizinischen Experiment, bei dem ein Impfstoff gegen eine sich zunehmend unter europäischen und asiatischen Männern ausbreitende Virusinfektion an Freiwilligen ausprobiert werden soll. Unter den 50 ausgewählten Versuchspersonen bleibt er der einzige Überlebende bzw.- Untote; denn der Kirchenmann stirbt zunächst, erwacht dann aber mit dem neuen Bewusstsein eines Vampirs. Das schärft seine Sinne, erweitert seinen Denkhorizont und weckt die Begierden in ihm. Ist aus dem Priester vielleicht wieder ein Mensch geworden?

Die Kunde seiner ,,Auferstehung von den Toten`` ruft zunächst ein Heer von Lahmen, Verkrüppelten und unheilbar Kranken auf den Plan, die ihn um Fürsprache bitten oder ihn bloß zu berühren trachten. Dabei weiß er nur zu gut, dass Segnungen oder Gebete nur psychisch wirken und allenfalls - wie beim Placebo-Effekt - eine spontane Selbstheilung auslösen können. Aber dann eines Tages ergießt sich beim Flötenspiel ein Blutschwall aus seinem Mund und wenig später bedeckt sich seine Haut mit blasenartigen Geschwüren. Die Symptome der hämorrhagischen Virusinfektion, an der er bereits gestorben war, entstellen ihn bis zur Unkenntlichkeit. Erkrankung und Verband machen ihn nur umso mehr zu einem Märtyrer für die Schuld des Christenvolks. Während der wiederholten Seelsorge im Krankenhaus drängt es ihn immer mehr, einmal vom Blut der Unfallopfer oder chronisch Kranken zu kosten - und er kommt auf den Geschmack! Denn die entstellenden Pusteln verschwinden und erlittene Verletzungen heilen sofort wieder selbsttätig aus. Darüber hinaus erweitert sich auf spektakuläre Weise sein Sinneserleben und Bewegungsvermögen, sein Freiheitsdrang weitet sich aus und die Begierde nimmt zu,- vor allem nach frischem Menschenblut. Droht die Virusinfektion seine schöne glatte Haut wieder zu verunstalten, zweigt er den Patienten im Krankenhaus einfach beiläufig Blut ab aus ihren Transfusionen, aber nie so viel, dass es sie tötete. Vorerst bleibt der Vampir-Priester Moralist und findet sich unermüdlich zu den häufigen Einladungen Bedürftiger ein. Wie der Zufall so spielt, wird er eines Tages von Fang-ra an das Krankenbett ihres Sohnes Kang-woo gebeten, der an Krebs erkrankt ist und für den die Mutter den Wunderpriester beten lassen möchte. Der Sohn glaubt zwar nicht an Gebete, aber vielleicht helfen sie ja trotzdem und - dann erkennt er den Priester wieder, der vor Jahren regelmäßig zum Essen aus dem Waisenhaus zu Frau Ra kam. Und die gute Frau hatte nicht nur ein Herz für Waisen, sondern auch für kleine Mädchen, die von ihren Eltern einfach allein gelassen wurden. Und so nahm die Mutter ebenso die junge Tae-ju in ihrem Haus auf, natürlich mit dem mütterlichen Hintergedanken, für ihren geliebten Sohn gleich noch eine Braut mit heranziehen zu können. Kaum zur Frau geworden, wechselte die jugendliche Tae-ju vom Bett der Mutter ins Bett des Sohnes über. Der Krebs Kang-woo's ist unterdessen von selbst ausgeheilt;- denn Gebete wirken ja nur psychisch - und so ist die Freude groß, als Familie Ra in dem Priester erneut ihren einstigen Waisenknaben beherbergen kann. Die verheiratete Stieftochter des Hauses ist unglücklich in ihrer Zwangsehe mit dem hässlichen und einfältigen Kang-woo, der zu allem Überfluss auch noch ständig kränkelt und gepflegt werden muss. Wie sie dieses Muttersöhnchen hasst! Sie ist zu einer attraktiven jungen Frau erblüht, während er so alt und hinfällig wie sein eigener Vater wirkt. Nicht einmal Sex kann sie mit ihm haben und muss ihm auch noch beim Onanieren helfen! Um ihr Ehegefängnis überhaupt ertragen zu können, fügt sie sich immer wieder selbst Schmerzen zu, indem sie sich mit einer Schere in die Innenseiten ihrer Oberschenkel sticht. Damit macht sie es ausgerechnet dem Priester gleich, der sich jedesmal schmerzhaft misshandelt, wenn ihn die Begierde überkommt. Aber dann passiert es - und die beiden stehen einander unverhofft nach ihrem Dienstschluss in der Näherei ihrer Mutter gegenüber. Sie hatte schon als Kind heimlich für den jungen Mann geschwärmt und er verfällt nunmehr einfach dem unwiderstehlichen Liebreiz des süßen Mädels. ... Um fortan nicht ständig von ihrem Pflegefall Ehemann belästigt und in ihrem Lustrausch unterbrochen zu werden oder gar aufzufliegen, treffen sich der Vampir-Priester und die ehebrecherische Hexe nur noch des Nachts im Krankenhaus.

Wie schön das Leben vorübergehend sein kann, wenn sich zwei Liebesbedürftige im richtigen Moment unter den passenden Umständen getroffen haben. Während der Priester noch mit der Christenmoral ringt und sich nur zögernd mit Freude den Todsünden hingibt, befreit sich die freidenkende Hexe aus ihrem Familien- und Ehegefängnis. Seine vampirischen Fähigkeiten faszinieren die junge Frau und sie macht sich immer wieder einen Spaß daraus, ihn zu lustvollen, übermenschlichen Superleistungen anzustacheln. Je mehr sich die Verliebten ungezwungen spielerisch einander annähern, desto augenfälliger werden ihre Unterschiede. Eine Liebe ist ja nur solange romantisch, bis sie sich erfüllt. Ihre nur schwer verheilenden Verletzungsmale empören den Priester und die Hexe widerspricht nicht seiner Vermutung, dass Kang-woo sie ihr beigebracht habe. Sie will endlich ihren leidigen Ehemann loswerden und drängt den immer noch von moralischen Skrupeln geplagten Vampir zum - heimtückischen Mord. Nachdem er sogar für sie gemordet hat, vergnügt sie sich ungeniert mit anderen Männern. Das nimmt er hin; denn warum sollten Vampire eifersüchtig sein? Aber dann lässt sie in ausgelassener Fröhlichkeit unbedacht durchblicken, dass sie sich die Verletzungen selbst beigebracht habe. ... Schlagartig wird ihm klar, dass sie ihn nur für ihre Befreiung benutzt hat. Ohne Grund hätte der Priester nie einen Menschen ermordet; nur die Rache am Schmerz seiner Liebsten hatte ihn dazu verleitet. Wut und Zorn steigen in ihm auf, flink und kraftvoll packt der Vampir die Hexe am Hals, hebt sie mit raschem Schwung empor, drückt ihr brachial die Kehle durch und bricht ihr gleich noch das Genick. Wie einen nassen Sack lässt er sie zu Boden sinken, wo sie regungslos und aus dem Mund blutend liegen bleibt. Rührt ihn das oder weckt es erneut seine Begierde? Gierig küsst er ihr das Blut von den Lippen, der Zunge und aus dem Mund. Aber dann hält er jäh inne, schneidet sich den Arm auf und träufelt ihr sein belebendes Vampirblut in den Rachen. Die Hexe regt sich, leckt sich die Lippen und beginnt gierig am Arm des Vampirs zu saugen, während er ihr in den Arm beißt und den Blutkreislauf schließt. Ihre vampirische Wiedergeburt verläuft ebenso spektakulär bewusstseinserweiternd, wie er es einst erlebt hatte. Von nun an sind sie ebenbürtig und sie erprobt mit viel kindlicher Freude ihre neu erworbenen, übermenschlichen Fähigkeiten. Der Priester lebt nach wie vor von den Bluttransfusionen Kranker oder erleichtert lebensmüden Menschen den Freitod. Die Hexe aber kennt keine Moral, sie lauert ahnungslosen Menschen auf und saugt sie im Blutrausch hemmungslos aus. So gleichgültig wie ein Naturwesen vermag der Kirchenmann nicht zu sein. Als des Vampirs Mord von den Bekannten der sich vor Trauer um ihr einstiges Ein-und-Alles verzehrenden Mutter aufgedeckt wird und die Hexe unter ihnen mit sichtlicher Freude ein Blutbad anrichtet,- ist das Maß für den Priester voll. Er fährt mit seiner Vampir-Hexe und ihrer kummervollen Stiefmutter an die Küste und setzt sich vor deren Augen mit Tae-ju dem verzehrenden Licht der aufgehenden Sonne aus. Das Leben hat Spaß gemacht. Für die Freidenkerin ist es das Ende und der Gläubige erwartet die Hölle.

Lars von Trier und Park Chan-Wook haben keine Angst vor Virginia Woolf, vor ihrer Imagination und ihrem Intellektualismus, ihrer Romankunst und ihrem Feminismus. Beide Filmemacher haben noch den Mut zu Filmkunstwerken jenseits des Mainstreams und Massengeschmacks und scheuen sich dabei nicht, die grassierende Fantasy-Mode in den Medien aufzugreifen. Lars hat in Anknüpfung an seine eigene Leidensgeschichte das individuelle Übermächtigwerden der Angst am Beispiel der Trauer eines Paares um ihr gestorbenes Kind in den mythologisch-religiösen und rational-wissenschaftlichen Zusammenhang der westlichen Zivilisation eingebettet. Das Schüren von Angst hatte schon den Gynozid in der Hexenverfolgung angestachelt und gegenwärtig verstärkt es die Tendenzen zum Überwachungsstaat. In den archaischen Überlebenskämpfen unserer Vorfahren waren Angstzustände noch ein Überlebensvorteil; im Kontext einer entwickelten Zivilisation allerdings, werden sie zunehmend unangemessen und wirken kontraproduktiv bis hin zu ihrer politischen Instrumentalisierung. Im ANTICHRIST geht es um die panische Reaktion des ansonsten überlegenden Mannes seiner von Angstzuständen heimgesuchten Frau gegenüber; während DURST der Frau im wohlerwogenen Freitot des Mannes keine Wahlfreiheit lässt. Kennt ein Vampir keine Angst? Die Hexe wird im entfachten Feuer verbrannt und das Vampirpaar setzt sich dem verbrennenden Sonnenlicht aus. Bei Lars hat der Mann am Ende zu seiner Natur zurückgefunden. Park dagegen lässt den Priester statt der katholischen Beichte die Sünde des Selbstmords begehen und damit die asiatische Moral über die vampirische Natur siegen. Sind Psychotherapie und Seelsorge der Moral und Natur gegenüber gleichermaßen sinnlos? Die Moralen sind so vielfältig wie die Kulturen, mit denen die Menschen der Natur begegnet sind. Die Kulturen sind unterdessen durch Technik und die Moralen vermöge der Ethik zivilisiert worden. Und die Mythen und Religionen? Sind sie im gesunden Menschenverstand und den Wissenschaften aufgegangen? Welche Schriftsteller trauen sich heute noch zu, an die Stürmer und Dränger des ausgehenden 18. Jahrhunderts oder die Bloomsberries des beginnenden 20. Jahrhunderts anzuknüpfen? Virginia Woolf hatte ihrer Heldin mit dem Interesse für die Zahlen und die Sterne, den beschränkten christlichen Horizont vom religiösen Glauben (faith) an den heiligen Himmel (heaven) in die faszinierende Weite des Universums jenseits des irdischen Himmels (sky) entgrenzt. Bestehende Sachverhalte sollten klar von bloß erdachten Hirngespinsten unterschieden werden. Im Gegensatz zur englischen Sprache, verstärken die mehrdeutigen Worte Glaube und Himmel im Deutschen noch die Verwirrung. Aber fühlen sich Gegenwartsautoren überhaupt noch der Aufklärung verpflichtet?

Ein aufschlussreiches Beispiel liefert gerade Ulrike Draesner mit ihrem Roman Vorliebe. Das Buch ist mit wohlgewähltem literarischen Anspruch geschrieben und handelt von der Vorliebe einer Astrophysikerin für einen evangelischen Pfarrer. Für den Literaturkenner verbindet Draesner darin natürlich die Anglikanerin Austen mit der Freidenkerin Woolf und nimmt gleichsam Personen und Themen aus Nacht und Tag auf. Wovon Katherine noch träumte hat Harriet verwirklicht, sitzt sie doch gerade in einer Zentrifuge zur Vorbereitung auf einen Aufenthalt in der ISS: Weiß, die Lichtmischung aller Farben auf einer Wand, weiß, der Sturz in den Schnee auf der Nordseite des Kailash, eine Frühlingswiese weiß gesprenkelt, das Weiß des menschlichen Auges, der hineingemalte verborgene Glanz, das Weiß der Albedo, der Erde Widerschein im All. Weiß die Sekunden in der Parabel, Sturz um Sturz, das Weiß der Rotation, als noch etwas aus ihrem Schädel dringt, obwohl sich ihr Gehirn bereits außerhalb der Knochen befindet - von Neuem wölbt es sich aus, presst durch kleinste Ritzen nach unten und außen, Beschleunigung auf höchster Stufe, weiß, die Erinnerung an Peter, der Widerstand eines Horizonts, ein Lachen inmitten des Strudels jetzt, noch tieferes, sattes, saugendes Weiß. Ist das nicht ein zugleich ruhig erzählter und dramatischer Anfang? Und was bleibt ihr in der Erinnerung des extrem komprimierten Gehirns? Das Lachen Peters, des 35jährigen Pfarrers, den die Schülerin von 15 Jahren einstmals am Fernsehturm in Berlin kennen gelernt hatte. Und so schön wie der Anfang ist auch der Schluss des Romans: 23,6 Lichtjahre von der Erde entfernt konnte man sie und Peter jetzt am Fernsehturm sehen. JETZT. Man musste nur den richtigen Lichtstrahl erwischen. Leider hält Draesner die gelungene innige Verbindung von Inhalt und Form zwischen Beginn und Ende nicht durch, sondern verlegt sich einseitig auf die Kontrastierung einer mathematischen und poetischen Sicht der Welt. Während ihr die Poesie in den religiösen Äußerungen des Pfarrers immer wieder gelingt, versteht sie in der Regel nicht die Mathematik und ihre Rolle in der Physik wie im Alltag einer Astrophysikerin. Geradezu peinlich der Hinweis darauf, dass ein mathematisch interessierter Mensch Leibniz nur von den Keksen her kenne, ein Pfarrer sich aber selbstverständlich mit seiner Philosophie beschäftigt habe. Lernt man nicht schon in der Schulmathematik, dass Leibniz und Newton unabhängig voneinander die Analysis erfunden hätten? Und in der Astrophysik sind neben den Zahlen die Invarianten in den mathematischen Strukturen besonders wichtig. Harriet ist auf der Suche nach einem neuen Plutoiden; wie es aber zur Entdeckung der weiteren Planeten nach den sechs klassischen gekommen war, kein Wort außer dem Merksatz für Kinder: Jeden Sonntag erklärt mein Vater mir unsere neun Planeten. Das immer wieder bildhafte oder umgangssprachlich ungenaue Reden über physikalische Sachverhalte hat besonders in den Interpretationen der Quantenmechanik zu absurden Stilblüten geführt, die Dreasner einfach als Sätze der Theorie und nicht bloß als deren Interpretation umschreibt. Wer im Schreiben über die quantitativen Experimentalwissenschaften so nachlässig und naiv mit Worten umgeht, wie es in den Religionen üblich ist, kommt natürlich auf keinen grünen Zweig und schwimmt nur mit im modischen Strom der wiederbelebten patriarchalen Religionen. Noch hundert Jahre nach Virginia Woolf ist der Feminismus unvollendet.


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ingo 2010-04-18