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Paul Lorenzen, Eine konstruktive Deutung des Dualismus in der
Wahrscheinlichkeitstheorie, in: stw 494, 1985, S.59-84:
- 1.
- Vorurteil: Wissenschaft ist verfeinerte Alltagspraxis.
- 2.
- Anliegen: Überwindung des Dualismus in der Wahrscheinlichkeitstheorie
- 3.
- Anspruch: Eine konstruktive Theorie der Glücksspiele liefert einen
Wahrscheinlichkeitsbegriff, mit dem sich sowohl die statistische Physik
als auch die Entscheidungstheorie begründen lassen. Jedes konstruktive
Wahrscheinlichkeitsfeld ist ein Kolmogorowfeld, aber nicht umgekehrt.
- 4.
- Annahme: Vor aller Metaphysik des Determinismus und Indeterminismus
hat sich die Technik von Zufallsgeneratoren entwickelt.
- 5.
- Ideation 1: Ein idealer Zufallsgenerator erfülle die folgenden Normen:
- Eindeutigkeit: jeder Gebrauch des Gerätes liefert als Resultat eines
von endlich vielen Ereignissen
- Symmetrie: kein Wissen liefert eine Unterscheidung zwischen den
Resultaten vor dem Gebrauch des Gerätes
- Wiederholbarkeit: nach jedem Gebrauch gelten wieder Eindeutigkeit und
Symmetrie wie vor dem Gebrauch
- 6.
- These 1: Die von einem Zufallsgenerator erzeugten Häufigkeiten erfüllen
das Bernoulli'sche
Theorem der großen Zahlen und eignen sich somit zur
Definition von Wahrscheinlichkeit (als Grenzwert relativer Häufigkeiten).
- 7.
- Ideation 2: Um auch unsymmetrische (gewichtete) Wahrscheinlichkeitsfelder
zu erhalten, werden Zufallsaggregate konstruiert durch folgende Normen:
- Relativierung (Teilung)
- Vergröberung (Mischung)
- Produktbildung (Verbindung)
- Stochastische Prozesse
(die nur durch ein Wahrscheinlichkeitsfeld bestimmt sind)
- 8.
- These 2: Alle durch Zufallsaggregate erzeugten Wahrscheinlichkeitsfelder
sind Kolmogorowfelder, aber nicht umgekehrt.
- 9.
- Feststellung: Die Stochastik als Theorie der Zufallsaggregate ist eine
Idealwissenschaft wie Geometrie (Raum), Kinematik (Zeit) und Hylometrie
(Masse).
- 10.
- Anwendungen in der Physik: Fiktive Zufallsaggregate lassen als physikalische
Modelle eine Objektivierung von Wahrscheinlichkeitsfeldern zu.
- In der Thermodynamik erlauben stochastische Modelle die Reduktion der
phänomenologischen Wärmelehre auf die klassische Stoßdynamik.
- In der Quantenmechanik wird z.B. der radioaktive Zerfall erklärt,
als ob ein Zufallsaggregat den Zerfall eines jeden Atoms bestimmt
(im Gegensatz zur Thermodyn. wird hier nichts über die Zufallsaggregate
gesagt, sondern nur mit Wahrscheinlichkeitsfeldern gearbeitet).
- 11.
- Anwendungen in der Ökonomie: Es sind Entscheidungen bei Risiko und bei
Ungewißheit zu unterscheiden.
- Entscheidungen bei Risiko werden analog zur Physik behandelt.
- Entscheidungen bei Ungewißheit werden behandelt, als ob es
Entscheidungen bei Risiko wären. Gearbeitet wird mit subjektiven
Schätzungen eines bloß angenommenen Risikos.
- 12.
- Anwendungen im Glücksspiel: Das ideale Würfelspiel ist zugleich ein
Spezialfall des statistisch untersuchten Werfens von polyederförmigen
Körpern und ein Spezialfall entscheidungstheoretisch zu behandelnder
Wetten.
- 13.
- Fazit: Jenseits des Dualismus zwischen subjektiver und objektiver
Wahrscheinlichkeit, läßt sich ein Wahrscheinlichkeitsbegriff
konstruieren, der sich sowohl objektivieren als auch subjektivieren
läßt und alle drei Anwendungen der Wahrscheinlichkeitstheorie
umfaßt.
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Ingo Tessmann
2/6/2000