Am nächsten Tag schliefen die beiden lange und erkundeten den nahegelegenen Volkspark. Erst am Abend setzten sie sich an den Rechner, um die kleine Naturgeschichte zu lesen. Neben den Buchsymbolen fiel ihnen der gefüllte Briefkasten ins Auge. Hilde klickte den Text an. Noch bevor er auf dem Display erschien, wandte Sofie ihre Aufmerksamkeit der elektronischen Post zu. Sie entblätterte neben Briefen von Alberto und Niels auch Nachrichten von weiteren Absendern, die sie nicht kannte, von denen aber Alberto schon gesprochen hatte: Simplicio, Salviati und Sagredo. ,,Laß uns den Text ausdrucken und später im Bett lesen``, drängte Sofie, klickte den Printbutton und wandte sich den e-mails zu.

Hallo Mädels, morgen mache ich mich auf den Weg nach Bern. Einstein lebte dort während er im Patentamt arbeitete. Natürlich werde ich in seiner Geburtsstadt Ulm haltmachen. Ihr werdet sicher schon gemerkt haben, daß ihr mich durchs Rechnernetz virtuell verfolgen könnt.

Der Rechner hatte zwei Mäuse. Während Hilde durchs Netz surfte, konnte Sofie sich ans Lesen der Mail von Niels machen. Leicht enttäuscht las sie folgende Frage: Ist die Welt Klang? Die Welt ist Klang - hallte es in ihr nach. Als Hilde die Frage las, mußte sie an Pythagoras denken und sagte: ,,Das ahnten doch schon die Pythagoreer.``

,,Musik als Basis des Weltverständnisses! Eine berauschende Vorstellung``, freute sich Sofie und klickte die nächste Mail an. Sie kam von Simplicio:

Die Welt ist aufgebaut aus punktförmigen Elementarteilchen. Aus den Wechselwirkungen zwischen ihnen erwachsen alle natürlichen Vorgänge. Wie beim Schall ist auch die Ausbreitung des Lichts an die Bewegung von Teilchen eines Mediums, des Äthers, gebunden.

Demgegenüber lasen die beiden bei Salviati:

Die Welt ist aufgebaut aus schwingenden Saiten. Ihre Formen und Überlagerungen bringen alle Naturvorgänge hervor. Das Licht ist im Gegensatz zum Schall eine elektromagnetische Welle, die sich ohne Medium im Vakuum auszubreiten vermag.

Über den Gegensatz der beiden Mails waren die Mädels nicht minder verwirrt. Vielleicht brachte ja Sagredo die Auflösung:

Niemand kennt den Aufbau der Welt. Wir kennen lediglich Zustände und Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen ihnen. Bestimmend für die Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Zustandsänderungen sind Invarianzprinzipien bzw. Erhaltungssätze. Licht besteht weder aus Teilchen, noch ist es eine Welle.

Sofie und Hilde verwandelten sich in Fragezeichen. ,,Wer soll denn das noch verstehen``, stönte Sofie. ,,Dabei kann man echt Zustände bekommen``, scherzte Hilde und löste lachend die Verstimmung.

Über diese Rede des Kandidaten Jobses allgemeines Schütteln des Kopfes, erinnerte Sofie einen Ausspruch Einsteins.

,,Wie Einstein das Welle-Teilchen-Dilemma gelöst hat, wird uns hoffentlich Niels erzählen können``, sagte Hilde und fuhr fort: ,,Wir sollten ins Bett gehen und die Naturgeschichte aufarbeiten. Vielleicht macht uns das schlauer.``

Sie machten es sich bequem und nahmen die Blätter zur Hand. Das Inhaltsverzeichnis deutete die Entwicklungsstufen an. Es begann mit einer Explosion, die über das Plasma, die Galaxien, die Erde, über Mythen und Religionen zur Naturwissenschaft führte. ,,Was wohl vor der Explosion war``, dachte Sofie als sie zu lesen begann.

Nach einer Weile schaute Hilde auf. ,,Das ist ja wie beim Hausbau``, sagte sie: ,,Man nehme Steine und Mörtel, um sie zusammenzuhalten.``

Und Sofie ergänzte: ,,Das Licht zählt zum Mörtel. Über die gemeinsamen Vorformen der Teilchenarten hätte ich gerne mehr erfahren. Sie bloß X zu nennen, ist doch einfach. Müßte nicht schon in ihnen das gesamte Ausmaß des ewigen Pulsierens enthalten sein?`` sinnierte sie weiter. Ihr kamen Zeilen aus einem Gedicht in den Sinn: Die Natur ist weder Kern noch Schale. Alles ist mit einem Male.

,,Meinst Du, ähnlich wie im Zellkern einer jeden Körperzelle die genetischen Informationen des gesamten Körpers enthalten sind? Aber Lebewesen haben ihre Umwelt``, gab Hilde zu bedenken.

Sofie hatte unterdessen weiter gelesen und rief aufgeregt: ,,Das ist es! Raum, Zeit, Materie gehören zusammen. Sie entspringen der pulsierenden Energie. Im Universum gibt es überhaupt kein außen oder innen.``

Hilde mußte an Gödel denken und erwiderte gedehnt: ,,Kann aber das Universum zugleich vollständig und stabil sein? Ist womöglich die Selbstbezüglichkeit der Grund des ewigen Entstehens und Vergehens?``

,,Ein faszinierender Gedanke``, staunte Sofie und blickte zum Fenster, das ihr wie ein tiefes schwarzes Loch erschien. Schweigend lasen sie eine Weile weiter.

,,Die Lebenszyklen des Universums``, sagte Hilde in die Stille, ,,wiederholen sich auf allen Entwicklungsstufen. Die Selbstbezüglichkeit ist der Grund zur Krise innerhalb einer Ebene. Mit der Ausdifferenzierung einer Entwicklungsstufe wird jedesmal ein Maß an Reichhaltigkeit erreicht, das Selbstbezüglichkeit ermöglicht und den Zusammenschluß zu einer neuen Einheit zuläßt ... ``

Aufgeregt lasen die beiden weiter. ,,Menschen setzen mit Gesellschaftsspielen fort, was mit Materie- und Lebensspielen begann``, merkte Sofie lächelnd an. ,,Der Kosmos als großer Spieler.``

,,Aber wehe, die Spiele werden zu kompliziert``, setzte Hilde hinzu, ,,dann sprengt eine Selbstbezüglichkeit den Rahmen. Ganz so wie es zu jedem Grammophon eine Schallplatte gibt, die es zerstört.``

,,Und die Spielsteine werden zu Spielregeln``, ergänzte Sofie heiter.

,,Auch unser Selbstbewußtsein könnte bloß auf Selbstbezüglichkeit beruhen. Quasi eine notwendige Folge der Mehrebenen-Struktur unseres Gehirns. Dem linearen Denken fehlt dafür bis heute jedes Verständnis``, sagte Hilde entschieden.

,,Dann könnte sich eine ebenensprengende Selbstbezüglichkeit womöglich als Wahnsinn äußern``, entgegnete Sofie und mußte wieder an die Beziehungsfallen denken.

,,Wie Einstein die Physik Newtons vollendete, werden wir hoffentlich bald erfahren``, entfuhr es Hilde beim Lesen. Sie hatte wie zu sich selbst gesprochen. Das Abstrahieren ist also kein Absehen von ... , sondern ein Hinsehen auf ... Das Glas ist halb leer oder halb voll!`` betonte Hilde bestimmt und fuhr fort: ,,Wesentlich sind die Austauschbeziehungen oder Wechselwirkungen. Auch Invarianzforderungen folgen dem Abstraktionsprinzip. Das muß Niels uns unbedingt genauer erklären!`` sagte sie abschließend und schaute zur Seite. Friedlich atmend lag Sofie im Kissen. Sie mußte eingeschlafen sein. Hilde löschte das Licht.

Zarter Wohlklang erfüllte den Raum. Sofie glitt sanft in das Wellenfeld der Morgendämmerung. In der Schwebe des Erwachens überließ sie sich der Klangwelt. Befand sie sich in Konsonanz mit elementaren Saitenschwingungen? Sie spürte den flüchtigen Hauch fremden Atems und die zarte Feuchte warmer Lippen. In ahnungsvoller Erwartung blinzelte sie in den goldenen Schein der Morgensonne. Niels hatte sich vor ihr leicht erhoben. ,,Guten Morgen, Dornröschen``, flüsterte er. Voller Freude strahlte sie in das lichtumkränzte Antlitz ihres Prinzen. Wohlige Wärme stieg in ihr auf ... Sie war doch nicht in einen Hollywoodfilm geraten?

Und was hatte ihr Prinz im Sinn, als er in den blau funkelnden Glanz verzückter Sterne tauchte? Es war, als erschiene ihm Lucy in the Sky with Diamands. Und nicht nur das. Mit Liebes Süßes Doxerl hatte seinerzeit der verliebte Albert seine Mileva gekost. Körperliche Erkenntnis bahnte sich ihren Weg. Vor seiner pochenden Schwellung erblühte die feuchte Rose. Ihr warmer Kelch umfing seinen treibenden Puls.

Träumte oder wachte sie? Es war zu schön, um wahr zu sein! Das Kribbeln der Haut elektrisierte sie bis in die Haarspitzen. Minuten verdichteten sich zum Augenblick. Die Wonne tobte in Schreien der Lust.

Erschrocken fuhr Hilde aus dem Schlaf. Verwirrt schaute sie umher. Ihr Schreck entspannte sich in lächelndes Wohlgefallen. Behutsam stand sie auf und ging ins Bad.

Zum Frühstück fanden sie sich im Bett zusammen. Niels hatte die ersten Bände der gesammelten Werke Albert Einsteins zurechtgelegt. Er trank in langen Schlucken Fruchtsaft und begann aus frühen Briefen Alberts vorzulesen: Liebes Schatzerl! ... Wie hab ich nur früher allein leben können, Du mein kleines Alles. Ohne Dich fehlt mirs an Selbstgefühl, Arbeitslust, Lebensfreude - kurz ohne Dich ist mein Leben kein Leben.

,,Welch ein Überspann des Verliebten``, entfuhr es Hilde.

,,Die beiden waren nicht nur verliebt, sondern auch arbeitssam``, fuhr Niels fort. Im Oktober 1900 heißt es: Liebes Doxerl! ... Wie glücklich bin ich, daß ich in Dir eine ebenbürtige Kreatur gefunden habe, die gleich kräftig und selbständig ist wie ich selbst! Außer mit Dir bin ich mit allen allein. Sei mir herzlich abgebusselt von Deinem Albert. Und im März 1901 schreibt er an Mileva: Mein liebes Miezchen! ... Wie glücklich und stolz werde ich sein, wenn wir beide zusammen unsere Arbeit über Relativbewegung siegreich zu Ende geführt haben! Wenn ich so andre Leute sehe, da kommt mirs so recht, was an Dir ist! ... Sei innig geküßt, mein liebes Nuckerl von Deinem Albert. Die Zusammenarbeit scheint allerdings nicht lange gewährt zu haben; denn im Dezember 1901 lesen wir: Ich arbeite eifrigst an meiner Elektrodynamik bewegter Körper, welches eine kapitale Abhandlung zu werden verspricht. Mileva war unterdessen zur Entbindung in ihre serbische Heimat gefahren und brachte im Januar 1902 ein Lieserl zur Welt.``

,,Da haben wir es wieder``, empörte sich Sofie, ,,die Männer frönen der Forschung, während die Frauen sich um den Nachwuchs mühen.``

In ihrem Eifer verschüttete sie die Milch. Hilde warf das Handtuch und Niels brachte ihr Saugmale bei. ,,Dank der Aufklärung haben wir es zum Glück leichter``, ließ Niels sich wieder vernehmen. ,,Ihr werdet unbeschadet Euren Weg beschreiten können. Mileva fiel wegen ihrer Schwangerschaft zum zweiten Mal durch die Abschlußprüfung. Albert erhielt im Juli 1900 sein Diplom als Mathematik- und Physiklehrer.``

,,Ist eigentlich genaueres über den Anteil Milevas an der Relativitätstheorie bekannt?`` fragte Hilde forschend.

,,Nein, leider nicht``, entgegnete Niels. ,,Wie wir aber gerade gelesen haben, arbeitete Albert bereits im Dezember 1901 an seiner 1905 veröffentlichten speziellen Relativitätstheorie.``

,,War Mileva Alberts erste Liebe?`` fragte Sofie unvermittelt.

Leicht erstaunt sah Niels sie an: ,,In einem Brief aus dem Jahre 1897 lesen wir: Die angestrengte geistige Arbeit und das Anschauen von Gottes Natur sind die Engel, welche mich versöhnend, stärkend und unerbittlich streng durchs Leben führen werden. Diese Versöhnung durch Natur und Geist folgte dem Seelenkampf seiner gescheiterten ersten Liebe zu der Tochter seiner damaligen Zimmerwirtin. Durch seine Freude an der Musik, nahm er beim gemeinsamen Musizieren leicht die Damen für sich ein. Einstein war zweimal verheiratet und hatte mehrere Liebschaften. Dennoch sah er sich als zur Ehe ungeeignet. Über einen Freund schrieb er einmal: Was ich aber am meisten an ihm als Menschen bewunderte, ist der Umstand, daß er es fertig gebracht hat, viele Jahre nicht nur im Frieden, sondern sogar in Konsonanz mit einer Frau zu leben - ein Unterfangen, in dem ich zweimal ziemlich schmählich gescheitert bin. Dazu paßt folgende Charakterisierung seiner Art: Das wesentliche im Dasein eines Menschen von meiner Art, liegt in dem, was er denkt und wie er denkt, nicht in dem, was er tut oder erleidet.``

,,Darin könnte auch eine Portion Selbstschutz mitschwingen, die Angst vor weiteren Verletzungen``, sagte Hilde nachdenklich.

,,Diese überpersönliche Haltung Einsteins zeigte sich bereits in seiner Kindheit: Als ziemlich frühreifen jungen Menschen kam mir die Nichtigkeit des Hoffens und Strebens lebhaft zum Bewußtsein, das die meisten Menschen rastlos durchs Leben jagt. Auch sah ich bald die Grausamkeit dieses Treibens. Albert Einstein wurde 1879 in Ulm an der Donau als Sohn jüdischer Eltern geboren. Er wuchs unter wirtschaftlich ungünstigen Verhältnissen auf. Gleichwohl nehme ich nicht an, daß seine überpersönliche Haltung eine Folge materieller Unbill war. Sie könnte allenfalls früher Auslöser seiner grüblerischen Neigung gewesen sein. Durch seine Selbständigkeit und Freigeisterei hatte er natürlich ständig Probleme in der Schule. Später sparte er nicht mit Kritik am autoritären deutschen Schulbetrieb: Mir scheint es das Schlimmste, wenn eine Schule prinzipiell mit den Methoden der Angst, der Gewalt und der künstlichen Autorität arbeitet. Solche Behandlungsmethoden zerstören die gesunden Gefühle, die Aufrichtigkeit und das Selbstvertrauen der Schüler. Damit produziert man den unterwürfigen Untertan. Sein Mißtrauen gegen jede Art von Autorität ließ ihn frühzeitig die religiöse Bevormundung spüren. Rückblickend schrieb er: Es war mir klar, daß das so verlorene religiöse Paradies der Jugend ein erster Versuch war, mich aus den Fesseln des Nur-Persönlichen zu befreien, aus einem Dasein, das durch Wünsche, Hoffnungen und primitive Gefühle beherrscht ist. Auf seiner Daseinsflucht suchte er zeitlebens nach einer nichtmißtrauenswürdigen Ordnung in den Naturerscheinungen: Das gedankliche Erfassen dieser außerpersönlichen Welt im Rahmen der uns gebotenen Möglichkeiten schwebte ihm halb bewußt, halb unbewußt als höchstes Ziel vor. In späten Jahren charakterisierte er seine Haltung als kosmische Religiösität. Stets vertraute er mehr auf Intuition als auf herrschende Meinungen.``

,,Vermutlich bedurfte es der Unvoreingenommenheit und der Freigeisterei eines Einsteins, um die physikalischen Probleme der Jahrhundertwende zu meistern``, gab Hilde zu bedenken.

,,Aber kann man denn glücklich sein, ohne sich von Gefühlen überwältigen zu lassen?`` zweifelte Sofie aufgebracht.

,,Körperlicher und geistiger Erkenntnisdrang macht vielerlei Glücksgefühl erlebbar``, vermittelte Niels sanft und nahm die beiden in den Arm. ,,Der springende Punkt ist die Selbstbestimmung. Ich hoffe, so wie wir heute der Lust frönten, werden wir noch häufiger zusammenfinden können, ohne daß Eifersucht und Neid die Atmosphäre vergiften``, ergänzte er behutsam.

Sofie und Hilde tauschten vielsagende Blicke. Nachdem die drei eine zeitlang gedankenversunken gefrühstückt hatten, äußerte Hilde gedehnt: ,,Ich glaube, ich verstehe ... Du meinst, wir sollten Albert nachzueifern versuchen?``

,,Aber wird man durch Selbstbestimmung nicht selbstgenügsam und einsam?`` warf Sofie fragend ein.

,,Lieber einsam froh als gemeinsam verzagt``, entgegnete Niels bestimmt und fuhr fort: ,,Laßt uns doch `mal sehen, wie weit wir kommen. Nehmt es als Experiment des Lebens ... fühlen und denken in Einklang zu bringen versuchen.``

,,Ist Einstein das denn gelungen?``, fragte Hilde skeptisch.

,, Ich vertraue auf Intuition hat er einmal gesagt. Durch ahnungsvolles Einfühlen in sich und die Welt scheint er sehr weit gekommen zu sein. In ihm überschnitten sich gleichsam die gesellschaftliche und die persönliche Dezentrierungstendenz. Im Mittelalter hatten sich die Kirchenoberen auf der Erde im Zentrum der Welt geglaubt. Auch Kinder sehen sich gerne als Mittelpunkt der Welt. Alberts frühe Überwindung des Nur-Persönlichen hat ihn in besonderer Weise für die Naturerfahrung sensibilisiert.``

,,Hat denn der physikalische etwas mit dem ethischen Relativismus zu tun?`` unterbrach Sofie fragend.

,,Mit dem umgangssprachlichen Relativismus hat die Relativitätstheorie gerade nichts zu tun``, entgegnete Niels entschieden. ,,Das ist ein weit verbreitetes Mißverständnis. Invarianztheorie wäre eine bessere Bezeichnung gewesen. Denn die Grundforderung der Relativitätstheorie lautet: Physikalische Sätze müssen unabhängig von der Wahl des raum-zeitlichen Bezugssystems gelten! Auf die Ethik übertragen heißt das: Gesetze dürfen nicht von der Art des Gesellschaftssystems abhängen. Sie müssen invariant bzgl. des gesellschaftlichen Wandels sein. Ganz analog müssen physikalische Sätze invariant bzgl. der Raum-Zeit-Transformationen bleiben. Den Invarianzforderungen der Physik entsprechen am ehesten die Menschenrechte des Humanismus. Einsteins überpersönliche Haltung des Weltbürgers prädestinierte ihn geradezu für die erfolgreiche Suche nach Invarianten physikalischer Theorien.``

,,Das sind ja interessante Parallelen zwischen Mensch und Natur bzw. Sozial- und Naturwissenschaften``, staunte Hilde und ergänzte: ,,Wenn ich es richtig verstanden habe, richtete Newton sein Augenmerk auf die Bewegung, auf das, was sich ändert. Einstein hingegen forschte nach dem, was gleichbleibt, nach den Invarianten eben. Auf die Gesellschaft bezogen heißt das, Republikaner sind Invarianztheoretiker, Faschisten und Kommunisten dagegen setzen auf die Bewegung im fortwährenden Rassen- bzw. Klassenkampf.``

,,Nicht dem strömenden Wasser, sondern dem gleichbleibenden Flußbett gilt die Aufmerksamkeit``, begann Sofie laut zu denken. ,,Wie der Erfolg des amerikanischen Republikanismus gegenüber den Zusammenbrüchen der deutschen Reiche und des Sowjetimperiums gzeigt hat, scheinen die Menschenrechte den Kern gültiger gesellschaftlicher Invarianten zu bergen.``

,,Religiöser Fanatismus, Stammesnationalismus und Rassismus stehen dem Humanismus allerdings mehr entgegen denn je. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht von irgendwelchen Stammesfehden in Afrika, terroristischen Anschlägen im nahen Osten oder kriegerischen Übergriffen auf dem Balkan berichtet wird``, warf Hilde ein.

,,Einstein und Russell redeten zeitlebens einer Weltregierung das Wort, die mit genügend Machtmitteln ausgestattet sein sollte, um der weltweiten Krisenherde Herr zu werden``, nahm Niels den Faden wieder auf und leitete zur Philosophie über. ,,Invarianztheorien entwickelten die Mathematiker bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Einstein hat Invarianzforderungen mit großem Erfolg in der Physik eingesetzt. Und die Konstruktivisten haben sie zur Abstraktionstheorie verallgemeinert. Doch davon später. Laßt uns zunächst das einfache Beispiel der sogenannten Galilei-Invarianz betrachten. Nach Galilei'schem Trägheitsprinzip befinden sich alle Körper im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung, sofern sie nicht durch Kräfte gestört werden. Hieran knüpfte Newton mit seiner Definition der Kraft an ... ``

,,... als dem Produkt aus Masse und Beschleunigung: F = ma. Darüber hatten wir bereits mit Alberto gesprochen``, unterbrach Hilde.

,,Der springende Punkt dabei ist``, fuhr Niels fort, ,,daß sich die Newton'sche Kraft nicht mit dem Übergang zu einem gleichförmig geradlinig bewegten Bezugssystem ändert. D.h. sie ist invariant bzgl. der Galilei-Transformation, formal ausgedrückt: Aus tex2html_wrap_inline2707 folgt tex2html_wrap_inline2709 Die Kraft bleibt gleich in allen geradlinig und gleichförmig zueinander bewegten Bezugssystemen. Es ist wichtig, sich den Übergang von der Bewegung als Veränderung zur Bewegung als Zustand klarzumachen. In diesem Übergang lag die Genialität Galileis! Nach aristotelischem Verständnis wurde die Bewegungsgröße B (Geschwindigkeit) aus dem Quotienten von Antrieb A und Widerstand W bestimmt: B = A / W bzw. F = m v, wenn tex2html_wrap_inline2721 und v = B gesetzt werden. Die Größe m v wird heute Impuls genannt.``

,,Die aristotelische Kraft ist ortsinvariant``, bemerkte Hilde.

,,Aber was ist denn falsch an der aristotelischen Auffassung. Wenn ich einen Koffer durch die Wartehalle schiebe, dann muß ich mich doch um so mehr anstrengen, je schwerer er ist``, gab Sofie zu bedenken.

,,Das lehrt die Alltagserfahrung``, bestätigte Niels. ,,Auch in der Newton'schen Gleichung sind Kraft und Masse (Schwere) proportional, wenn die Beschleunigung konstant ist. Aber erinnere Dich `mal daran, wann Du Dich am meisten anstrengen mußtest. Während des Schiebens oder beim Anschieben?``

Sofie dachte eine Weile nach, bevor sie sich sicher war: ,,Beim Anschieben! Einmal in Bewegung, geht es ziemlich leicht.``

,,Und auf ebener Eisfläche rutscht es sich (fast) von selbst``, ergänzte Hilde.

,,Galilei ging noch einen Schritt weiter und vernachlässigte jegliche Reibung``, fuhr Niels fort: ,,Eine Anschub- und Anhaltekraft ist immer erforderlich. Denkt nur an Eure Segelreise. Zur Erhaltung der Bewegung ist im Idealfall keine Kraft nötig. Um das Verstehen der Idealfälle ging es Galilei und Newton. Aristoteles war ihnen gegenüber viel praktischer. Er theoretisierte nicht über ideale Bewegungszustände, sondern orientierte sich an wirklich stattfindenden Veränderungen. Wie wir aber schon wissen, ist nichts praktischer als eine gute Theorie. Und so ist das Ideationsverfahren neben der Abstraktion zum wichtigen Werkzeug wissenschaftlichen Arbeitens und Philosophierens geworden. Nach Newton'schem Programm werden alle realen Abweichungen von den idealen Bewegungen durch Kräfte erklärt.``

,,Ideale Bewegungen genügen dem Trägheitsprinzip``, vergewisserte sich Hilde ihres Verständnisses und fragte ungeduldig: ,,Wie hat Einstein denn nun Newtons Programm vollendet?``

,,Einstein ging es um die Bereinigung der Ungereimtheiten in Newtons Mechanik und Maxwells Elektrodynamik. Woher rühren die Trägheitskräfte? Wie hängen Elementarladung und Wirkungsquantum zusammen?`` begann Niels.

,,Die Elektrodynamik ist nicht Galilei-invariant, sondern Lorentz-invariant. Der Holländische Physiker Hendrik Lorentz hatte bereits 1904 Transformationsformeln des Ortes s und der Zeit t angegeben, die keine Änderung der elektromagnetischen Kräfte zur Folge haben:

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Wenn ihr die Lorentz-Transformation mit der Galileis vergleicht, fällt nicht nur der Wurzelterm auf, sondern verblüffend ist die zusätzliche Zeittransformation. Zudem gibt es in der Elektrodynamik eine konstante Geschwindigkeit c, mit der sich elektromagnetische Wellen im Vakuum ausbreiten. In seiner 1905 veröffentlichten Arbeit Zur Elektrodynamik bewegter Körper machte Einstein (in Unkenntnis der Arbeiten von Lorentz) die später sogenannte Lorentz-Invarianz als Relativitätsprinzip zur Grundlage seiner speziellen Relativitätstheorie. Zusammenfassend lassen sich aus der Reformulierung der Elektrodynamik folgende Konsequenzen ziehen:

,,Das alles sind Folgerungen nur einer Invarianzforderung?`` fragte Hilde ungläubig.

,,Im wesentlichen ja. Hinweise auf die genaueren mathematischen Randbedingungen findest Du in einer Seminararbeit eines befreundeten Einstein-Fans. Bevor wir aber die Einzelpunkte diskutieren``, fuhr Niels fort, ,,will ich die Vollendung der Newton'schen Mechanik in der allgemeinen Relativitätstheorie andeuten und Einsteins Beitrag zur Quantentheorie erwähnen.

Damit Ihr eine Ahnung von dem Zusammenhang zwischen Relativitätsprinzip und Alltagserfahrung bekommt, denkt Euch in folgende Situation hinein.`` Niels griff nach Knauers Buch der modernen Physik. ,,Stellt Euch vor, Ihr steht in der Entfernung tex2html_wrap_inline2743 einem Bahndamm gegenüber. Euer Standort befinde sich genau zwischen zwei Blitzableitern, die nahe dem Bahndamm rechts und links von Euch in den Himmel ragen. Es ist Nacht. Ein Gewitter tobt. Blitze zucken. Ein Nachtexpress rauscht heran. Während ein Fahrgast exakt zwischen den beiden Blitzableitern aus dem Fenster schaut, schlägt in beiden gleichzeitig ein geteilter Blitz ein. Ihr nehmt die beiden Einschläge natürlich gleichzeitig wahr. Aber was sieht der Fahrgast? Wann seht Ihr ihn?``

,,Eine wahrlich alltägliche Erfahrung``, merkte Sofie ironisch an.

,,Dann nimm es einfach als ein Gedankenexperiment``, erwiderte Niels schmunzelnd.

,,Der Fahrgast sieht die Einschläge natürlich nicht gleichzeitig``, sagte Hilde bestimmt. ,,Denn das Licht des einen Einschlagblitzes eilt dem Zug nach, während das andere ihm entgegenkommt und daher geringfügig eher beim Fahrgast eintrifft...`` Hilde dachte eine Weile nach. Niels und Sofie schauten sie erwartungsvoll an. ,,Langsam dämmert mir die Bedeutung der Einsicht: Es gibt keine Gleichzeitigkeit distanter Ereignisse``, setzte sie ihre Gedanken hörbar fort. ,,Wir sehen den Fahrgast natürlich auch nicht genau in der Mitte zwischen den beiden Blitzableitern. Denn während das Licht der Einschläge den Fahrgast erhellt und sich sein Bild zu uns auf den Weg macht, legt der Zug ja mit der Geschwindigkeit v die Strecke tex2html_wrap_inline2747 zurück.`` Hilde kramte nach einem Blatt Schmierpapier und skizzierte die Situation. ,,Genaugenommen muß das Licht vom Fahrgast zu uns also nicht die Strecke tex2html_wrap_inline2749 , sondern den diagonalen Weg tex2html_wrap_inline2751 durcheilen.``

,,Und was folgt daraus nach Pythagoras für das Zeitverhältnis tex2html_wrap_inline2753 ?`` fragte Niels weiterführend.

Hilde begann zögernd zu schreiben: tex2html_wrap_inline2755 . Daraus folgt:

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,,Das ist ja genau der Wurzelterm aus der Lorentz-Transformation``, rief sie begeistert. ,,Aber so einfach kann das doch nicht sein; denn da hätte doch schon Galilei `drauf kommen können.``

,,Mathematisch sicher. Ihm fehlte allerdings das physikalische Bewußtsein dafür``, erwiderte Niels.

,,Jetzt verstehe ich endlich den Unterschied zwischen Mathematik und Physik``, freute sich Hilde. ,,In der Schule geht das leider viel zu sehr durcheinander!``

,,Die Genialität Einsteins bestand darin, daß er die Ungereimtheiten in der Physik der letzten Jahrhundertwende zu einem Grundlagenproblem der Raum-Zeit-Strukur machte. Entsprechend grundlegend fiel auch seine Lösung aus. Primat seiner Bemühungen war das, was er innere Vollkommenheit einer Theorie nannte. Sein Ziel war es, aus einfachen Grundannahmen vielfältige Folgerungen gewinnen zu können. Eine in seinem Sinne vollkommene Theorie konnte gar nicht falsch sein. Das, was er demgegenüber äußere Bewährung einer Theorie nannte, war ihm selbstverständlich und daher von nachgeordneter Bedeutung. In einem Brief an den Kollegen Max Born schrieb er einmal: Es ist eigentlich merkwürdig, daß die Menschen meist taub sind gegenüber den stärksten Argumenten, während sie stets dazu neigen, Meßgenauigkeiten zu überschätzen. Der Erfolg seiner Theorie gab ihm recht und ist bis heute ungebrochen. Als 1919 seine Vorhersage der Ablenkung des Sternenlichts durch die Schwerkraft der Sonne erstmals experimentell bestätigt werden konnte, wurde er weltberühmt. Die Krümmung des Raumes war in aller Munde.``

,,Mach's doch nicht so spannend``, warf Hilde ein. ,,Newtons Vorstellung von der absoluten Zeit und dem absoluten Raum war widerlegt. Machte seine Kraftdefinition denn noch Sinn? Und was wurde aus seinem Gravitationsgesetz?`` drängte sie voller Ungeduld.

,,Newtons Kraftdefinition wird in der speziellen Relativitätstheorie lediglich modifiziert: tex2html_wrap_inline2759 , mit tex2html_wrap_inline2761 als sogenannte Ruhemasse. Mit dem Übergang zur allgemeinen Relativitätstheorie aber verlieren Raum-Zeit und Materie ihre Unabhängigkeit. Die Energiedichte bestimmt die Raum-Zeit-Struktur. D.h. eine bewegte Masse beeinflußt selbst den Raum-Zeit-Pfad, dem sie folgt ... ``

,,Eine interessante Selbstbezüglichkeit``, sinnierte Sofie laut.

,,Ganz recht. Raum-Zeit-Krümmung und Energiedichte (Masse) werden in einer nichtlinearen Feldgleichung verknüpft. Um sie zu finden, mußte Einstein sich erstmal das nötige mathematische Rüstzeug der sogenannten Tensoranalysis und Differentialgeometrie erarbeiten. Damals gehörten diese Gebiete der Mathematik noch nicht zur Standardausbildung von Physikern.

Der Grundgedanke war wiederum einfach, aber erst nachdem er gefunden wurde. Einstein ging aus von dem sogenannten Äquivalenzprinzip. Danach kann die Schwerebeschleunigung auch verstanden werden als Folge eines beschleunigten Bezugssystems. Versetzt euch `mal gedanklich in einen fallenden Fahrstuhl und ihr werdet die Äquivalenz von Trägheit und Schwere nachvollziehen können. Schwere läßt sich durch beschleunigte Bewegung kompensieren. D.h. innerhalb des Fahrstuhls ist nicht entscheidbar, ob die Schwerkraft vom Fahrstuhl oder einem Gravitationsfeld herrührt ... ``... Hilde dämmerte verschwommen ein Traumerlebnis ... ,,Eine Verallgemeinerung dieses Ansatzes führte Einstein in seiner umfangreichen Arbeit über Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie zum allgemeinen Relativitätsprinzip, nach dem physikalische Sätze invariant bzgl. beliebiger Bezugssystems-Transformationen bleiben müssen. Neben Einstein gelang es nur David Hilbert bis 1916 die allgemeinen Feldgleichungen zu ermitteln.``

,,Wenn ich an das Experiment mit dem fahrenden Zug denke, müßte es für beliebige Zug- und Lichtbewegungen verallgemeinert werden ... ?`` fragte Hilde gedehnt.

,,Daran seht ihr, wie schwierig die Angelegenheit wurde und warum Einstein das Problem erst zehn Jahre später löste. Als wesentlichstes Ergebnis der allgemeinen Relativitätstheorie bleibt folgendes festzuhalten:

,,Im Unterschied zur Einstein-Dilatation und Lorentz-Kontraktion der speziellen Relativitätstheorie hat die Raum-Zeit-Krümmung der allgemeinen Relativitätstheorie die Verlangsamung von Uhren und die Dehnung des Raumes in der Nähe großer Massen zur Folge``, vergewisserte Hilde sich ihres Verständnisses.

,,Warum könnte sich das Universum denn nicht immer weiter ausdehnen?`` wollte Sofie wissen.

,,Entscheidend für eine Umkehr der Ausdehnung ist die Massendichte im Kosmos. Ihr Wert ist nicht genau genug bekannt, um eine immerwährende Expansion sicher auszuschließen``, entgegnete Niels. Er blätterte unterdessen im zweiten Band der gesammelten Werke und leitete zur Quantentheorie über. ,,Im gleichen Jahr 1905 wie die Elektrodynamik bewegter Körper veröffentlichte Einstein eine Arbeit mit dem Titel Über einen die Erzeugung und Verwandlung des Lichtes betreffenden heuristischen Gesichtspunkt. In schöner Übereinstimmung mit seiner Folgerung aus dem Relativitätsprinzip kommt er darin zu dem Schluß,

1909 weist er in einem Artikel Zum gegenwärtigen Stand des Strahlungsproblems durch Analyse der von Planck um 1900 gefundenen Strahlungsformel nach, Licht besteht also zugleich aus Teilchen und Wellen! Die Unvereinbarkeit der Lichtquanten (Teilchen) mit der Wellentheorie der Maxwell'schen Elektrodynamik führt Einstein auf die Existenz der (diskreten) Elementarladung e zurück und fordert eine Verallgemeinerung der Wellengleichung, in der neben c auch e bzw. h vorkommen müsse. In seiner Arbeit Zur Quantentheorie der Strahlung gelingt im erstmals 1917 eine befriedigende Ableitung der Planck'schen Strahlungsformel. Dabei geht er aus von Übergangswahrscheinlichkeiten für die Ausstrahlung (Emission) und Einstrahlung (Absorption) von Lichtquanten energetisch angeregter Atome im Strahlungsfeld und Einsteins statistische Ableitung der Strahlungsformel ist aus drei Gründen interessant.
Erstens
macht er in begründender, nicht mehr bloß hypothetischer Weise von der Planck'schen Quantenbedingung Gebrauch.
Zweitens
überläßt er durch Einführung von Übergangswahrscheinlichkeiten Zeit und Richtung der atomaren Elementarprozesse dem Zufall.
Drittens
bildet sie die Grundlage der LASER-Theorie (Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation).

Das von ihm selbst mit aller Klarheit herausgearbeitete Welle-Teilchen-Dilemma zwischen der deterministisch-kontinuierlichen Relativitätstheorie und der statistisch-diskontinuierlichen Quantentheorie hat ihn bis ans Ende seiner Tage nicht mehr los gelassen.

Aus den mathematischen Eigenschaften des Minkowski-Raumes hat der französische Physiker de'Broglie 1924 die Existenz von Materiewellen gefolgert. Also nicht nur Licht, sondern alle Materie kommt als Welle und Teilchen vor.``

,,Dann sind wir auch Wellen?`` fragte Sofie staunend. ,,Wieso merken wir nichts davon?``

,,Weil wir so groß und schwer sind, ist unsere Wellenlänge extrem kurz. Die kleinen und leichten Elektronen dagegen werden in hochauflösenden Mikroskopen eingesetzt``, entgegnete Niels und ergänzte: ,,Die Wellenlänge tex2html_wrap_inline2777 der Materiewellen errechnet sich aus der Beziehung: tex2html_wrap_inline2779 . Darin steht p für den Impuls m v.`` Niels griff zum Notebook und berechnete rasch die Wellenlänge eines bewegten Menschen und Elektrons: tex2html_wrap_inline2785 .

,,In einer Mail von Sagredo lasen wir, daß Licht weder eine Welle sei, noch aus Teilchen bestehe``, gab Hilde zu bedenken. ,,Gilt das nicht auch für die Materie?``

,,Das gilt für die pulsierende Energie schlechthin``, erwiderte Niels.

,,Dann sind wir ja weiter einem Geheimnis auf der Spur``, entgegnete Hilde gedehnt.

,,Bevor wir für heute Schluß machen, will ich die beiden wesentlichsten Gedankengänge wiederholen.

Erstens:
Aus
  • der Unmöglichkeit einer absoluten Bestimmung von Raum- und Zeitpunkten und
  • der Anwendung des speziellen Relativitätsprinzips in der Elektrodynamik
folgt:
  • die Existenz einer endlichen Grenzgeschwindigkeit c und
  • die Proportionalität h zwischen der Energie und Frequenz von Materiewellen.
Der Zusammenhang dieser beiden Naturkonstanten mit der Elementarladung e gemäß: tex2html_wrap_inline2793 , führt die Quantenbedingung auf die Existenz diskreter Ladungen zurück. Diesem Geheimnis begann Bohr 1913 in der Atomtheorie nachzuspüren.
Zweitens:
Aus der Anwendung des allgemeinen Relativitätsprinzips in der Gravitationstheorie folgt die Unmöglichkeit einer Trennung von Raum, Zeit und Materie. D.h. Energiedichte und Raumzeit sind wechselseitig aufeinander bezogen. Alberts Suche nach einer nichtmißtrauenswürdigen Ordnung im Kosmos wurde durch den grandiosen Erfolg seiner deterministisch-kontinuierlichen allgemeinen Relativitätstheorie gekrönt.

Neben den Grundbegriffen von Raum und Zeit, Trägheit und Schwere in den Relativitätstheorien leiteten Einstein folgende Grundannahmen bei der Ausarbeitung seines physikalischen Programms einer einheitlichen Feldtheorie für Gravitation und Elektromagnetismus: Wenn Ihr Lust habt, solltet Ihr Euch bis zum nächsten Treffen ein paar Gedanken zu den erkenntnistheoretischen und ontologischen Grundannahmen Alberts machen. Was denkt Ihr darüber? In welchem Sinne war Albert auch Sprachphilosoph?`` Niels schaute erst zur einen, dann zur anderen Seite. Hilde kaute sinnend vor sich hin und nickte langsam. Sofie murmelte etwas mit geschlossenen Augen, seufzte schwer und schmiegte sich an ihn.

Er räkelte sich genüßlich, atmete tief durch, nahm Hildes Schmierzettel zur Hand und schrieb die sprachphilosophische These des Physikers Peter Mittelstaedt aus dem Gedächtnis nieder: Die Grenzen der Sprache bestimmen nicht nur die Grenzen der sprachlich erfaßbaren Realität, sondern umgekehrt legen auch die Gesetze der realen Außenwelt die Möglichkeiten und Grenzen der Sprache fest.

Hilde hatte ihm aufmerksam zugesehen und setze zaghaft zum Sprechen an: ,,Sag `mal, Du kennst doch sicher auch die Hochstimmung, das Glücksgefühl beim Verstehen neuer Sinnzusammenhänge, verborgener Strukturen ... Ich fühle mich so entspannt, so leicht wie auf Wolken ... `` Mit einem wissenden Lächeln sah sie ihn an. Behutsam löste er sich aus Sofies Umarmung. Verwandte Seelen fanden sich im Puls ew`gen Entstehens und Vergehens.