Aufkärung und Romantik


Next: Vom Urknall zum Up: Mythen Previous: Wiederfinden

Aufklärung als Entzauberung?


Dürer

Peter Weiss schreibt in seiner Ästhetik des Widerstandes: Umgeben von Dingen des Forschens, des Bauens und des letzten Erkundens war sie hervorgegangen aus einer kindlichen Existenz, in ihr schloß sich ein, was unserem Denken unergründlich schien, und die geschwänzte Fledermaus unterm Regenbogen hielt in ihren Krallen den Fetzen der Bildunterschrift, die der Melancholie, untrennbar von allem Nachdenken, im Reich des Geistes den ersten Platz anwies:

Hartmut Böhme kommentiert in der Reihe Kunststück: Dürer holt alle Wissenschaft seiner Zeit in den melancholischen Blick hinein: die handwerklichen und technischen Praktiken, die Astronomie und Astrologie, die Mathematik und Geometrie, die Zeit als Chronos und als Kairos, als Lebenszeiten und als Heilsgeschichte, als apokalyptisches Ereignis und versprochene Zukunft; er durchschreitet die Seinsstufen vom materiellen und animalischen Dasein über die Sphäre der Arbeit und der Naturerkenntnis bis zu der Grenze letzter Fragen von Metaphysik und Theologie; er nimmt Formen des Subjektiven ebenso hinein wie die Naturzonen Land, Meer und Himmel; er läßt den Vordergrund mit den Zeichen dessen, was im antiken Sinn zur Technik gehört, abrupt auf den Hintergrund stoßen, der das entält, was nicht gemacht ist, Kosmos und vielleicht göttliche Sphäre, die das menschliche Können begrenzt. Das Blatt ist nicht Darstellung einer Weltlandschaft, sondern Landschaft eines Denkens, dem die Welt fragwürdig geworden ist.

Der Anbruch der Neuzeit ist vollzogen. Weder die Ordnung der Dinge noch die Ordnung des Himmels enthalten objektive Antworten für das Denken bereit. Darin liegt eine Wendung zum Subjekt, insofern diesem, seelisch und geistig, die Bürde auferlegt ist, sich seiner Position bewußt zu werden in der Endlichkeit des Wissens und der Unendlichkeit des Fragens. Eine Wendung zum Subjekt auch, weil dieses Bewußtsein seine eigene Melancholie einschließt, die keine Erlösung findet im erkennenden Aufstieg zu Gott.


Novalis

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren

Sind Schlüssel aller Kreaturen,

Wenn die, so singen oder küssen,

Mehr als die Tiefgelehrten wissen,

Wenn sich die Welt in's freie Leben,

Und in die Welt wird zurück begeben,

Wenn dann sich wieder Licht und Schatten

Zu ächter Klarheit werden gatten,

Und man in Mährchen und Gedichten

Erkennt die ewgen Weltgeschichten,

Dann fliegt vor Einem geheimen Wort

Das ganze verkehrte Wesen fort.



Mein Kommentar: Novalis' Gedicht wendet sich gegen den Anspruch der Aufklärung, alles mit Hilfe der Mathematik (Zahlen und Figuren) erfassen zu können. Musik und Liebe (singen und küssen) reichen weiter. Im Gegensatz zur klassischen Physik der Aufklärungszeit ist innerhalb der modernen Physik des 20. Jahrhunderts mit der Superstringtheorie der Rahmen auch zur Musikalität (schwingende Saiten repräsentieren die Quantenzustände der Elementarteilchen) und zur kosmischen Liebe durch Gravitation hin erweitert worden (Gravitonen bilden die Quanten der Elementaranregungen der Strings). Mit der Erweiterung der klassischen Physik in den Bereich des Möglichen hinein (freies Leben) durch die Quantentheorie, sind die klassischen Beschränkungen zudem reflektiert worden (haben sich zurück begeben). Die Interferenzen von Licht und Schatten sind in den verschränkten Quantenzuständen klar geworden. Und mit der allgemeinen Symmetrie der Naturgesetze knüpft die Physik wieder an das Eine in den Mythen an (erkennt die ewgen Weltgeschichten). Vor dem Wirkungsquantum (dem geheimen Wort) scheint das verkehrte Wesen der klassischen Physik bereits fortgeflogen zu sein. Für das 21. Jahrhundert zeichnet sich allerdings eine Renaissance der klassischen Physik ab.


Picasso

Das neuzeitliche Bewußtsein schließt seine eigene Melancholie ein, die keine Erlösung mehr findet im erkennenden Aufstieg zu Gott. Nach Luther ist jeder sein eigener Priester, seines eigenen Glückes Schmied. In der Romantik schlägt die Aufklärung in Mythologie um. Die romantische Beseelung der Deutschen wiederbelebt die Rückbesinnung auf ihre germanischen Ursprüge und führt in die Tragödie des Faschismus aus dem verhunzten Geist der Musik Wagners. Der Schlaf der Vernunft gebiert das Ungeheuer des antisemitischen Rassismus, der nur noch das Recht des Stärkeren im Überlebenskampf der Völker kennt. Einen Vorgeschmack auf die Greueltaten der Germano-Faschisten lieferte die Bombardierung Guernicas durch die deutsche Luftwaffe am 26. April 1937:

Nach dem Sieg der Amerikaner und Russen über die Deutschen 1945 und dem Zusammenbruch der Sowjetunion durch das ruinöse Wettrüsten mit den Amerikanern 1989 wirkt die westliche Zivilisation weltweit kulturprägend. Mit dem Terroranschlag der Islamo-Faschisten auf das World Trade Center am 11. September 2001 ist allerdings ein erneuter Rückfall ins Mittelalter des Religionswahns zu befürchten. Das Entsetzen über die kaltblütigen Selbstmord-Attentäter hat nicht etwa zu einer Welle der Religionskritik geführt, sondern ein weltweites Wiederaufleben der Religionen zur Folge gehabt. In den Niederlanden wurde die öffentliche Kritik an einer Islamisierung der Gesellschaft mit der Hinrichtung eines ihrer Wortführer geahndet. Und im deutschen Einverständnis von Christen und Islamisten kommt Religionskritik gar nicht erst auf; denn der Versuch einer strikten Trennung von Staat und Kirche könnte die religiöse Unterwanderung der Bundesrepublik sichtbar werden lassen ...



Next: Vom Urknall zum Up: Mythen Previous: Wiederfinden