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Die Weimarer Republik

Aus den Umwälzungen in Kultur, Gesellschaft und Technik gingen um die letzte Jahrhundertwende neue Wissenschaften, Künste und eine Vielzahl technischer Erfindungen hervor. Nach dem Untergang der Monarchien in Deutschland, Österreich und Rußland begann insbesondere in Deutschland mit der Weimarer Republik eine kurze Zeit der Hochstimmung. Aber es war ein Tanz auf dem Vulkan. Das Entsetzen über die millionenfachen Massaker des 1. Weltkrieges hinterließ eine verlorene Generation. Desillusioniert gab man sich dem Vergnügen einer FIESTA hin. Alle benehmen sich schlecht. Man muß ihnen nur die Gelegenheit bieten, schreibt Hemingway 1926. Gelegenheiten für schlechtes Benehmen sollte es noch viele geben.

Die Absurdität der Materialschlachten zwischen zivilisierten Nationen gebar eine absurde Kunst : Schluß mit den Träumen einer imperialistischen allmächtigen deutschen Vorherrschaft. Spartakus war auf allen Straßen, an allen Orten, und im erschütterten Berlin erregte sich DADA. Die Dadaisten suchten sich mit Collagen und Aktionen aller Formen und Gebräuche zu bedienen, um die Kategorien des Guten, Wahren und Schönen der bürgerlichen Kultur als hohl und pharisäerhaft zu entlarven. Wozu Geist haben in einer Welt, die mechanisch weiterläuft? fragten sie ironisch. Ein Dadaist ist ein Mensch, der das Leben in allen seinen unübersehbaren Gestalten liebt und der weiß und sagt: Nicht allein hier, sondern auch da, da, da ist das Leben! Der feinsinnige Bürger und Liebhaber der Dichtung, Musik und Philosophie geht ins Magische Theater , um als Steppenwolf den Verstand zu verlieren. Im Rausch der Drogen, des Tanzes und der Wollust sucht er sich in der unio mystica der Freude zu verzehren. Der grobsinnliche Prolet endet in Berlin Alexanderplatz auf der Jagd nach dem Guten im Irrenhaus. Der Moloch der Stadt hat lautlos an ihm das Opfer vollzogen. Im Variete frönt man den Tänzen des Lasters. Nach dem Jugendstil der Jahrhundertwende begeistern sich Jugendliche der 20er Jahre für afroamerikanische Rhythmen im Jazz . Ihren Stil finden sie nunmehr im Charleston und Tango. In ihnen werden Lebensfreude und Erotik gleichermaßen ausgedrückt. Aber nicht nur die populären Künste und Jugendstile werden umgewälzt. Auch die subtileren Künste und abstrakteren Wissenschaften wandeln sich mit den Modernen Zeiten . Arnold Schönberg ruft in Wien die Zwölfton-Musik ins Leben. Robert Musil beschreibt mit seinem Mann ohne Eigenschaften die Geschichte eines Möglichkeitsmenschen. Ludwig Wittgenstein unterzieht die Philosophie einer radikalen Sprachkritik. Kurt Gödel weist in seinem berühmten Unvollständigkeitssatz nach, daß formale Systeme, wie Russells Principia Mathematica, prinzipiell unvollständig seien.

Neben den politischen Wirren, Morden und Umsturzversuchen in den 20ern ist es ein belebendes und aufrührerisches künstlerisches Milieu, daß auch auf die Wissenschaft und Philosophie nicht ohne Einfluß geblieben sein dürfte. In einem Aufsatz unter dem Titel Ist die Naturwissenschaft milieubedingt? nennt Schrödinger 1932 summarisch folgende milieubedingte Züge der Modernen Physik:

1.
Das, was in der Kunst, besonders im Kunsthandwerk, aber auch anderswo, als ,,reine Sachlichkeit`` bezeichnet wird.
2.
Umsturzbedürfnis und Vorliebe für Freiheit und Gesetzlosigkeit.
3.
Relativitätsgedanke - Invariantentheorie
4.
Methodik der Massenbeherrschung, teils durch rationelle Organisation, teils durch fabrikmäßige Vervielfältigung.
5.
Statistik.

Marx hatte aus der Philosophie ein Instrument gesellschaftlichen Umsturzes machen wollen. Ontologie wurde zur politischen Ökonomie, Erkenntnistheorie zur Gesellschaftstheorie. Aus Hegels Phänomenologie des Geistes ging der historische Materialismus hervor. Im Anschluß an Marx knüpften die Kritischen Theoretiker der Frankfurter Schule an das Umsturzbedürfnis und die Massenbeherrschung an. Dem Wiener Kreis ging es um eine wissenschaftliche Weltanschauung auf der Grundlage des Logischen Empirismus. In ihr gingen der Positivismus der reinen Sachlichkeit, die Invariantentheorien und die Statistik ein.


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Ingo Tessmann
5/30/1998